Zu den Kapiteln
Carl d’Ester zählte in den 1840er Jahren zu den bedeutenden Protagonisten der republikanisch-sozialistischen Oppositionsbewegung in der Rheinprovinz. 1848 in die Preußische Nationalversammlung gewählt, sah er sich nach dem Zusammenbruch der Badischen Revolution 1849 zur Flucht in die Schweiz gezwungen, wo er bis zu seinem Tod als Arzt wirkte.
Carl Ludwig Johann d’Ester wurde am 4.11.1813 in Vallendar als Sohn des Kaufmanns und Lederfabrikanten Theodor d’Ester (1766-1827) und dessen Frau Theresia von Pidoll geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums in Koblenz immatrikulierte er sich am 28.10.1831 an der medizinischen Fakultät der Universität Bonn, wo er noch im gleichen Semester Aufnahme in die Burschenschaft Germania fand. Die Forderungen der burschenschaftlichen Bewegung nach Volkssouveränität, Pressefreiheit und nationaler Einheit sollten sich für seinen weiteren Lebensweg als prägend erweisen.
Zwischen September 1832 und Oktober 1833 studierte d’Ester zwei Semester in Heidelberg, kehrte aber zum Wintersemester 1833/1834 nach Bonn zurück, um dort seine Studien abzuschließen. Zeitgleich geriet er aber nach dem gescheiterten Frankfurter Wachensturm wegen seiner Zugehörigkeit zur Burschenschaft in das Visier der preußischen Justiz. Ein Ermittlungsverfahren wegen Hochverrrats zu Beginn des Jahres 1834 verlief allerdings ergebnislos, so dass d’Ester sein Studium fortsetzen konnte. Am 21.11.1835 promovierte er mit einer Arbeit über die „Symptome der Rückenmarkserkrankung“ in Bonn zum Doktor der Medizin.
Nach seiner Approbation zum Wundarzt und Geburtshelfer nahm d’Ester 1838 eine Stelle als Armenarzt in Köln an. Hier wurde er mit den Schattenseiten der einsetzenden Industrialisierung konfrontiert: Massenverelendung, Übervölkerung und Seuchen bestimmten das Bild einer Stadt, die zu einem Zentrum der antipreußischen Opposition in der Rheinprovinz werden sollte. Mit einem Gehalt von 130 Talern lebte d’Ester selbst unter äußerst bescheidenen materiellen Verhältnissen. Die Situation änderte sich aber bereits 1839, als er die aus Endenich (heute Stadt Bonn) stammende, vermögende Gutsbesitzertochter Eleonore Henriette Maximiliane Koch heiratete.
Mit Beginn der 1840er Jahre wandte sich d’Ester verstärkt sozialistischen und kommunistischen Ideen zu. In Köln hielt er engen Kontakt zu Karl Marx, Friedrich Engels und Moses Heß. Ihre gesellschaftstheoretischen Überlegungen sollten zwar nicht ohne Einfluss auf ihn bleiben, in seinem künftigen publizistischen und politischen Handeln erwies er sich jedoch stets als Pragmatiker: Getragen von dem Bestreben, auf die Lebensbedingungen der sozialen Unterschicht und auf das Elend gesellschaftlicher Randgruppen aufmerksam zu machen, sorgte bereits 1842 seine Schrift „Ein Wort über die öffentliche Irrenpflege“, ein Zustandsbericht der Verhältnisse in der Siegburger Irrenanstalt, für Aufsehen über die Grenzen der Rheinprovinz hinaus. Im November 1845 erschien mit dem Artikel „Die Arbeiten in den Gefangenenhäusern“ eine nicht weniger drastische Schilderung der Lebensbedingungen von Häftlingen.
1842 trat d’Ester dem sozialistischen Kölner „Montagskränzchen“ bei und wurde Mitaktionär der liberalen „Rheinischen Zeitung“, der Karl Marx seit 1843 als Redakteur vorstand. Am 10.11.1844 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern des „Vereins zur Abhülfe der augenblicklichen Noth“ für Köln und Deutz (heute Stadt Köln) und wurde 1845 in den Vorstand des Kölner Gewerbevereins gewählt, in dem er ab 1846 das Amt des Sekretärs bekleidete. Zeitgleich intensivierte er seine publizistischen Aktivitäten, schrieb unter anderem Artikel für sozialistische Zeitschriften wie dem „Gemeinnützigen Wochenblatt“ und dem 1845 von Engels gegründeten „Allgemeinen Volksblatt“. 1847 wurde er auf Initiative von Marx und Engels in die Kölner Gemeinde des Bundes der Kommunisten aufgenommen.
Als überaus populärer Vertreter der Interessen der unteren gesellschaftlichen Klassen bewarb sich d’Ester 1846 um ein Mandat im Kölner Stadtrat. Im Vorfeld der Wahlen war die Stimmung in der Stadt angespannt, der Unwille weiter Bevölkerungsteile gegenüber der preußischen Obrigkeit nahm stetig zu. Die Staatsmacht zeigte sich im Gegenzug entschlossen, den zunehmenden Widerstand notfalls gewaltsam zu unterdrücken. Ein blutiger Zwischenfall während der traditionellen Brigittenkirmes in der Pfarrei St. Martin am 4.8.1846 sollte die Lage weiter verschärfen. Preußische Soldaten waren, nach übereinstimmenden Zeugenaussagen, willkürlich gegen eine unbewaffnete Menschenmenge vorgegangen. Ein Fassbindergeselle fand dabei den Tod, zahlreiche weitere Personen wurden schwer verletzt.
Da die zuständigen Behörden sich in der Folge schützend vor die beteiligten Soldaten stellten, bildete sich eine unabhängige Kommission zur Untersuchung der Vorfälle, in die auch d’Ester gewählt wurde – eine Provokation der Staatsmacht, aber auch der sie stützenden städtischen Oberschicht. Nach 1834 musste sich d’Ester zum zweiten Mal einem polizeilichen Untersuchungsverfahren unterziehen, welches jedoch erneut zu seinen Gunsten ausging und sich auf seine Popularität letztlich förderlich auswirkte: Im Oktober 1846 wurde er neben Franz Raveaux und zwei weiteren Demokraten zum Kölner Stadtverordneten gewählt. Die revolutionären Ereignisse des Jahres 1848 boten d’Ester schließlich die Möglichkeit, seinen politischen Wirkungskreis erheblich zu erweitern. Am 18. Mai wurde er als Abgeordneter des Kreises Mayen in die Preußische Nationalversammlung gewählt, wo er sich dem Lager der äußersten Linken anschloss. Die noch in seiner Zeit als Stadtverordneter von ihm verfasste „Kölner Petition des Volkes“ mit ihren Forderungen nach Volkssouveränität, allgemeinem Wahlrecht, Volksbewaffnung, Presse-, Rede- und Versammlungsfreiheit bildete die Grundlage seiner parlamentarischen Tätigkeit. Wie im Kölner Gemeinderat zählte er auch in der Nationalversammlung zu den aktivsten Debattenrednern, wobei er nicht zuletzt die konkreten Nöte der unteren sozialen Schichten in Preußen, beispielsweise der industriellen Arbeiter im Kreis Ravensberg oder der Weinbauern an der Mosel, im Blick behielt und sich für ihre Belange stark machte.
Als schlagfertig und pragmatisch geltend, jedoch auch zur Cholerik neigend, bot er seinen Gegnern zahlreiche Angriffsflächen: Mit seiner „aufstachelnden Dreistigkeit“, so zu lesen in einer Spottschrift des Jahres 1849, habe der „Revolutions-Dilettant“ „gern den parlamentarischen Donnerer à la Mirabeau gespielt“. Jedoch hätten ihn „die Schwäche seines heisern Organs und das ganze Miniaturbild seiner Erscheinung daran gehindert“.
Mit seiner entschieden antimonarchischen Positionierung und seinen Forderungen nach einer Beseitigung der bestehenden hierarchischen Gesellschaftsstrukturen schuf er sich im allmählich erstarkenden konservativen Lager gefährliche Feinde. Jedoch genoss er trotz aller Differenzen auch bei seinen parlamentarischen Gegnern, nicht zuletzt durch seine Entwürfe für eine neue preußische Gemeindeordnung, eine gewisse Anerkennung. Für Aufsehen sorgten auch sein Eintreten für eine humane Behandlung polnischer Gefangener nach der Niederschlagung des Posener Aufstandes im Juni sowie sein leidenschaftliches Plädoyer für die Abschaffung der Todesstrafe im August 1848.
Nach der Vertagung der Preußischen Nationalversammlung am 27.11.1848 konzentrierte d’Ester sich zunächst wieder auf seine publizistische Arbeit. Mit Adolf Hexamer (1824-1859) und Graf Eduard von Reichenbach (1812-1869) gründete er die Zeitschrift „demokratischer Urwähler“, die bis zum Februar 1849 in fünf Ausgaben erschien. Als Abgeordneter des Kreises Mayen wurde er zur gleichen Zeit in die Zweite Kammer gewählt. In seinen Reden und Wortbeiträgen übte er dort, unbeeindruckt von den zunehmenden Repressalien der preußischen Geheimpolizei, scharfe Kritik an der oktroyierten Verfassung und den geplanten Einschränkungen der Versammlungsfreiheit. Auch das Bemühen einiger Abgeordneter, den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. (Regentschaft 1840-1858) doch noch zur Annahme der deutschen Kaiserkrone zu bewegen, lehnte er mit Entschiedenheit ab.
Mit der Auflösung der Zweiten Kammer am 27.4.1849 endete d’Esters parlamentarische Laufbahn. Als „höchst gefährliches Subjekt“ steckbrieflich gesucht, vermochte er sich der drohenden Verhaftung noch rechtzeitig zu entziehen. Auf seiner Flucht gelangte er nach Kaiserslautern, wo er sich der pfälzischen Volksarmee anschloss. Nach der Niederschlagung des Badischen Aufstandes entkam er im Juli 1849 in die Schweiz. Die drohende Auslieferung an Preußen – 1852 wurde er in Abwesenheit in Köln des Hochverrats für schuldig befunden und zum Tode verurteilt – konnte durch das energische Eintreten der Freiburger Kantonsregierung verhindert werden.
Seit 1850 lebte d’Ester in Châtel-Saint-Denis, wo er das Schweizer Bürgerrecht erlangte und nach neuerlicher Approbation bis zu seinem Tod als Bezirksarzt wirkte. Obwohl er zunächst noch Kontakt zu dem in London reorganisierten Bund der Kommunisten hielt, zog er sich von der Politik bald vollständig zurück.
Carl d’Ester starb am 18.6.1859 in Châtel-Saint-Denis. Auf seinem Grab ließ der Deutsche Nationalverein in Vevey „dem braven Patrioten“ d’Ester 1863 einen Gedenkstein errichten.
Werke
De semiologia medullae spinalis, Dissertationsschrift, Bonn 1835.
Ein Wort über die öffentliche Irrenpflege, Köln 1842.
Der Kampf der Demokratie und des Absolutismus in der Preußischen constuirenden Versammlung 1848, Mannheim 1849.
Literatur
d’Ester, Karl, Schwarz auf Weiß. Ein Leben für die Jugend, die Wissenschaft und die Presse, München 1951.
Koppetsch, Axel, Carl d’Ester (1813-1859), in: Dascher, Ottfried/Kleinertz, Everhard (Hg.), Petitionen und Barrikaden. Rheinische Revolutionen 1848/49, Münster 1998, S. 317-322.
Koszyk, Kurt, Carl d’Ester (1813-1859), in: Rheinische Lebensbilder 11 (1988), S. 149-165.
Koszyk, Kurt, Carl d’Ester als Gemeinderat und Parlamentarier (1846-1849), in: Archiv für Sozialgeschichte 1 (1960), S. 43-60.
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Thomann, Björn, Carl d'Ester, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/carl-dester-/DE-2086/lido/57c6932170dfa5.40357836 (abgerufen am 06.10.2024)