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Carl Friedrich Nikolaus Anschuez, Sohn des Gründers und Musikdirektors des Koblenzer Musik-Instituts, Joseph Andreas Maria Anschuez, machte als Chorleiter, Dirigent und Komponist eine Weltkarriere. Sein früher musikalischer Erfolg ließ den temperamentvollen Dirigenten als Direktor des Musik-Instituts zuerst in die Fußstapfen des Vaters treten, ehe die Engagements des für seinen so leidenschaftlichen wie oftmals eigensinnigen Aufführungsstil bekannten Anschuez über die Niederlande und Großbritannien bis in die Vereinigten Staaten führten.
Carl Friedrich Nikolaus Anschuez wurde als zehntes und jüngstes Kind des Staatsprokurators (Staatsanwalts) und Musikdirektors Joseph Andreas Maria Anschuez am 10.1.1818 wahrscheinlich im Hause Neustadt 1021 (heute 21), unmittelbar gegenüber dem ehemaligen kurfürstlichen Schloss in Koblenz geboren. Die Familie war katholisch.
Den ersten Musikunterricht dürfte er vom Vater erhalten haben. Von 1835-1838 war er Student der Musikschule des Anhalt-Dessauer Hofkapellmeisters Johann Christian Friedrich Schneider (1786-1853). Spätestens im Sommer 1838, nach anderen Quellen schon 1837, war er zurück in Koblenz, wo er sogleich seinen Vater bei der Arbeit als musikalischer Leiter des Musik-Instituts unterstützte. Er vertrat ihn gelegentlich als Dirigent und brachte sich auch beim Unterricht in dessen Chorschule ein. Sein erstes eigenes Konzert dirigierte er am 11.8.1838. Nicht sicher belegt ist, dass er im gleichen Jahr schon als Kapellmeister am Stadttheater tätig war. Zwar standen in der fraglichen Zeit stets Opern auf dem Spielplan, doch wurde bei deren Ankündigungen nie der Dirigent genannt. Ein erstes sicheres Datum bietet die Rezension der Premiere von Konradin Kreutzers (1780-1849) Oper Das Nachtlager von Granada im „Coblenzer Anzeiger“ vom 18.4.1841.
Nachhaltig stellte Carl Anschuez seine Fähigkeiten im Herbst 1840 unter Beweis, als er die Proben zur Aufführung von Friedrich Schneiders Oratorium Absalon alleinverantwortlich leitete. Die Aufführung fand im Rahmen der am 14./15. Oktober veranstalteten „Festlichkeiten am Geburtstage Seiner Majestät des Königs“ und am Tage der Erbhuldigung für Friedrich Wilhelm IV. (Regentschaft 1840-1858/1861) unter Leitung des Komponisten am 14. Oktober statt. Nicht ohne Stolz hielt das Musik-Institut hinterher fest: „Den erfreulichsten Beweis über die Tüchtigkeit des Personals gab der von der Ferne gerufene Meister bei der Generalprobe, wo er sich überrascht gegen die sämmtlichen Mitwirkenden wandte, mit den schmeichelhaftesten Ausdrücken, daß er bereits alles so vorbereitet fände, daß er weitere Bemerkungen zu machen nicht nöthig habe, und es daher keiner zweiten Probe mehr bedürfe“.
Dieses Lob Schneiders und der große Erfolg der Aufführung führten dazu, dass Carl Anschuez seinem Vater als Musikdirektor des „Musik-Instituts“ nachfolgte. Vertragsbeginn war der 1.1.1843. Diese Tätigkeit war aber keine ganz einfache Angelegenheit, denn Carl Anschuez hatte offenbar ein recht aufbrausendes Temperament, so dass er von Anfang an mit dem ein oder anderen aneinander geriet. Das war wiederholt Thema in den Besprechungen des Vorstands des Musik-Instituts, wie in den Sitzungsprotokollen nachzulesen ist. Darüber hinaus nahmen die konservativen Koblenzer Honoratioren auch an seinem offenbar etwas bohemienhaften Lebensstil Anstoß, denn in der Sitzung vom 22.6.1847 wurde zur Sprache gebracht, dass der Musikdirektor Carl Anschuez, obwohl gegen seine technischen Leistungen nichts einzuwenden sei, durch sein sonstiges Leben und seinen Umgang auf eine Stufe gekommen sei, von welcher es unmöglich sei, einem Institut wie dem hiesigen fernerhin als Dirigent vorstehen zu können, ohne dass dieses darunter leide. Darum wurde noch am gleichen Tag die Kündigung geschrieben: „Euer Wohlgeboren ist es bekannt, wie bereits im vergangenen Jahre die Interessenten des hiesigen Musik-Instituts uns aufforderten, Ihnen die bestimmte Erwartung auszusprechen, daß Sie als Dirigent desselben diejenige moralische Haltung bewahren möchten, ohne welche ein Mann, dem zugleich die musikalische Ausbildung junger Sängerinnen anvertraut werden muß, nicht vortheilhaft wirken und zum Gedeihen einer Anstalt wie die unsrige beitragen kann. Sie werden es uns erlassen, Vorgänge die fast seit einem Jahr offenkundig sind, hier zu erwähnen, welche mit Ihrer Stellung an unserem Institute durchaus unverträglich sind. Diese so wie die Fruchtlosigkeit früherer Ermahnungen nöthigen uns aber, bei der königl[ichen] Regierung den Antrag zu stellen, Sie [aus] Ihrer bisherigen Stelle zu entlassen“. Damit endete im September 1847 für Carl Anschuez die Tätigkeit als Musikdirektor des Musik-Instituts nach gerade einmal fünf Jahren.
Sein Wirken am Koblenzer Stadttheater, das für die Spielzeiten 1840/1841 bis 1843/1844 und noch einmal für 1845/1846 sicher belegt ist, hatte er schon im Jahr vorher niedergelegt. Besonderes Aufsehen hatte er am 11. und 14.1.1844 mit zwei Aufführungen von Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791) Oper Don Giovanni (unter dem damals üblichen Titel Don Juan) erregt, weil er sich dabei offenbar korrekt an die Vorgaben der Partitur gehalten hatte, indem er in der Ballszene tatsächlich drei getrennte Orchester - zwei auf der Bühne, eins im Graben - spielen ließ, und weil er vor allem, entgegen der damals üblichen Praxis, das Werk nicht schon nach Don Giovannis „Höllensturz“ beenden, sondern auch das große Schlussensemble mit der „Moral von der Geschichte“ singen und spielen ließ.
Zu seiner Koblenzer Zeit gehört zudem, dass er 1837-1842 Chorleiter der Liedertafel war und 1842-1847 den von ihm selbst gegründeten Friedrich Wilhelm-Verein, einen gemischten Chor, leitete.
In der Saison 1847/1848 war Anschuez am Theater in Nürnberg tätig, worüber nicht viel zu berichten wäre, gäbe es nicht ein spektakuläres Ende. Der Theaterdirektor Ferdinand Röder (1807-1880) musste aufgrund hoher Schulden schnellstens Nürnberg verlassen, wobei ihm eine Ausschreibung aus Amsterdam zu pass kam. Mit einer finanziellen Anleihe bei Anschuez machte er sich aus Nürnberg davon und erhielt tatsächlich eine Verpflichtung nach Amsterdam. Anschuez, dem er zugesichert hatte, ihn im Erfolgsfalle als Kapellmeister zu verpflichten, reiste ihm augenblicklich nach, nicht ohne schnell noch das Aufführungsmaterial von 36 Opern nach Amsterdam geschickt zu haben.
In Amsterdam wurde für die Stads Schouwburg dann angekündigt, dass die Hoogduitsche Operagezelschap unter Ferdinand Röder mit dem Dirigenten Carl Anschuez am 5.10.1848 ihre erste Vorstellung geben werde. Die Spielzeit dauerte bis zum Frühjahr 1849. Von Mai bis Juli 1849 gab die ganze Gesellschaft im Londoner Drury Lane Theatre ein erfolgreiches Gastspiel im, wobei die Presse ausdrücklich die guten Leistungen des Dirigenten hervorhob. Während Röder danach in die Niederlande zurückging, blieb Carl Anschuez offenbar direkt in London.
Hier übernahm er ab dem 24.10.1849 die musikalische Leitung der Wednesday Concerts in Exeter Hall, eine Tätigkeit die sich bis ins Jahr 1852 nachweisen lässt. Daneben finden sich ab 1850 vor allem in der Morning Post in steigender Zahl Ankündigungen von von Anschuez dirigierten Konzerten, welche die Dampfschifffahrts-Gesellschaften jeweils am Abend vor der Abreise in alle Welt ihren Passagieren boten. Daneben dirigierte Anschuez weiterhin Opernaufführungen, zumeist im Drury Lane Theatre, im Sommer 1854 sogar mehrmals im Covent Garden Opera House. Auch ging er mit der Operngesellschaft auf Gastspielreisen durch ganz England, nach Schottland und Irland. In Dublin wurde ihm im April 1857 sogar die Ehre zuteil, die alljährliche Jubiläums-Aufführung von Georg Friedrich Händels (1685-1759) Messiah am Ort der Uraufführung zu dirigieren.
In einem Zeitungsbericht des Manchester Guardien vom 23.11.1853 findet sich eine überaus anschauliche Beschreibung seiner Art zu dirigieren. Es hieß darin unter anderem, dass das Dirigentenpult „von einem einzigartigen Wesen, bebrillt, mit einer Überfülle langer Haare, das tatsächlich allen Anschein eines >faustico per la musica< abgab“ besetzt war. „Stellt euch einen Mann vor, gepeitscht von Furien, von Schlangen gestochen, der das Orchester ganz durch und ungeachtet seiner physischen Agonien führt“, und der wohl „meinte, permanent ein bummelndes, widerwilliges Orchester vorwärts zerren zu müssen.“
Im Sommer des Jahres 1857 wurde Anschuez von dem Impresario Bernard Ullman (1828-1884) nach New York verpflichtet, wo er am 7.9.1857 seine erste Vorstellung in der Academy of Music, einem Theatergebäude mit 4.000 Plätzen an der Nordwest-Ecke von East 14th Street und Irving Place in Manhattan, zu dirigieren hatte: Vincenzo Bellinis (1801-1835) Oper La sonnambula (Die Schlafwandlerin). Wie sehr und wie schnell es Anschuez offenbar auch in New York gelang, Fuß zu fassen, ähnlich wie knapp zehn Jahre zuvor in London, zeigt nicht nur die große Zahl der Aufführungen, die er zu dirigieren hatte, sondern auch die durchweg hohe Anerkennung seiner Leistungen in der Presse. Es bleibt festzuhalten, dass er in den ersten Jahren eine Art „Hausdirigent“ der Academy of Music war, zumindest so lange, wie Ullman dort das Sagen hatte. Diese Verbindung bedingte allerdings auch von Anfang an Gastspielreisen, so schon im Oktober 1857 zum ersten Mal nach Philadelphia, wozu später unter anderem Baltimore, Washington D. C. und Boston kamen. Hervorzuheben bleibt auch hier die Aufführung von Mozarts Don Giovanni am 8.11.1858, die, wie schon seinerzeit in Koblenz, durch die getreue Beachtung der Partitur Aufsehen erregte - jetzt in weit größerem Rahmen und mit größeren Orchesterbesetzungen, angeblich waren es dreimal je 100 Musiker.
Auch als Konzert-Dirigent machte Anschuez schon bald auf sich aufmerksam, vor allem in Matineen, in deren reichlich bunt gemischten Programmen Werke geistlicher Musik eine zentrale Rolle spielten, zweimal Gioacchino Rossinis (1782-1862) Stabat mater am 4. und 11.10.1857, Joseph Haydns (1832-1809) Schöpfung am 18.12.1857 und vor allem Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem am 3. und 4.1.1858. Anlässlich einer Aufführung von Georg Friedrich Händels Messiah am 30.3.1858 geriet Anschuez in einen heftigen Disput mit dem gesamten Publikum, weil er sich weigerte, die „Trompeten-Arie“ da capo zu wiederholen; da brach denn wieder einmal sein unbändiges Temperament hervor.
Nach eher unterhaltsamen Konzerten, deren Leitung er sich mit Alfred Musard (1828-1881) teilte, kam es im Frühsommer 1858 zum ersten Mal zu großen Musikfestivals, an denen auch Anschuez beteiligt war. Das erste bot als zweiten Teil eines Konzertes in der Academy of Music eine Aufführung der neunten Sinfonie op. 125 von Ludwig van Beethoven, gespielt von einem 300 Mann starken Orchester und gesungen von einem gleichstarken Chor, dirigiert von Carl Anschuez. Der zweite Tag dieses Festivals war ein Grand Rural Festival, or Pic-nic, also ein ländliches Fest mit Picknick im Freien mit vielen musikalischen Beiträgen. Das alles hatte derart großen Anklang gefunden, so dass es nicht bei diesem einen blieb. Dabei bewies Anschuez seine offensichtlichen Fähigkeiten, große Massen Ausführender sicher zusammenzuhalten, was er auch später bei vielen ähnlichen Gelegenheiten immer wieder unter Beweis stellte. Eine neuerliche Aufführung der neunten Sinfonie Beethovens gab es dann am 9.11.1859 zur Feier von Friedrich Schillers (1759-1805) 100. Geburtstag.
Als es zu Anfang der 1860er Jahre im Opernbetrieb New Yorks kriselte - Ullman und sein zeitweiliger Partner Maurice (Moritz) Strakosch (1825-1887) hatten sich getrennt -, ergriff Anschuez 1862 die Initiative und gründete ein eigenes Unternehmen. Als festgefügtes Ensemble ohne große Stars brachte es als German Opera zwischen dem 15.9.1862 und 25.2.1863 auf über 100 Abende allein in New York. Hinzu zu rechnen sind noch einige Aufführungen in der 1861 gebauten Brooklyn Academy of Music; zwischendurch gastierte man im Januar sogar fast den ganzen Monat lang in Philadelphia. Die Aufführungen in New York fanden in einem eigens dafür hergerichteten Theater statt, das sich fortan German Opera House nannte, dessen Adresse war: No. 485 Broadway, corner Broom-Street. Eine wesentliche Stütze seines Opern-Unternehmens soll der Gesangverein Arion gewesen sein, dessen Chorleiter Anschuez 1859-1863 war, und mit dem er unter anderem, unterstützt von einem Frauenchor, am 28.3.1862 Ludwig van Beethovens Chorfantasie op. 80 aufführte.
In den Ankündigungen der Aufführungen wies Anschuez mehrmals ausdrücklich darauf hin, dass einige Opern erstmals entgegen der bislang üblichen Praxis ganz in der originalen Form geboten würden, Mozarts Zauberflöte mit dem originalen Text von Emanuel Schikaneder (1751-1812) und ungekürzt, ebenso Ludwig van Beethovens Fidelio und auch Mozarts Entführung aus dem Serail, die er tatsächlich zum ersten Mal in den USA auf die Bühne brachte.
Gespielt wurde in der ersten Saison bis Anfang Juni 1863, dann wieder ab September, allerdings nur kurz, denn von Oktober bis Dezember war man in Philadelphia und Baltimore. Auch im Frühjahr 1864 scheint man auf Reisen gewesen zu sein, im September wird in der „New York Times“ angekündigt: „Bestehende Verpflichtungen in den atlantischen und westlichen Staaten schließen einen längeren Aufenthalt und die Möglichkeit einer weiteren Saison der Deutschen Oper in New York im kommenden Winter aus.“ Leider konnten die Städte, in denen diese Gastspiele stattfanden, nicht ermittelt werden. Erst im April 1865 wurde dann angekündigt, und zwar zugleich für die Theater in New York, Philadelphia und Washington D. C., dass es ab Oster-Montag wieder Aufführungen der German Opera geben werde.
Ab 1866 scheint Carl Anschuez seine Tätigkeit als Operndirigent eingestellt zu haben, zumal in dem Bericht von der Gründung eines Musical Institut Adolph Neuendorf als Conductor of the German Opera bezeichnet wird. Damit fällt ein Stichwort, das die pädagogischen Ambitionen Carl Anschuez‘ betrifft. Schon 1859 hatte er an der Academy of Music eine Art Chorschule gegründet, ähnlich der des Musik-Instituts seiner Heimatstadt. Auch später ist wiederholt zu erfahren, dass er in die Leitung ähnlicher Institute involviert war. Jetzt im Herbst 1866 gründete er unter dem Namen Anschutz Musical Institut ein veritables Konservatorium, das die „New York Times“ am 5.10.1866 in einem ausführlichen Bericht vorstellte, mit Nennung der Namen aller Lehrkräfte; Adresse war No. 141 East Eighth-street.
Carl Anschuez starb am 30.12.1870 nach langer „tödlicher Krankheit“, wie es im Nachruf der „Chicago Tribune“ vom 5.1.1871 hieß. In seiner Heimatstadt Koblenz erschien einige Tage später ein Zeitungsbericht über die Beerdigung, bei der General Franz Sigel (1824-1902) die Grabrede gehalten hatte.
Literatur
Baur, Uwe, Bürgerinitiative Musik, 250 Jahre öffentliches Musikleben in Koblenz, Koblenz 2008.
Baur, Uwe, Artikel Carl Anschuez, in: Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft für mittelrheinische Musikgeschichte 90 (2019?) in Vorbereitung.
Lawrence, Vera Brodsky, Strong on Music, Volume III, Repercussions 1857-1862, Chicago 1999.
Mattfeld, Julius, A Hundred Years of Grand Opera in New York 1825-1925, New York 1927.
Pecht, Andreas, Aus Liebe zur Musik. Das Musik-Institut Koblenz im Lauf der Zeiten 1808-2018, Hachenburg 2018.
Schmidt, Hans, Musik-Institut Koblenz, Koblenz 1983.
Schuh, Paul, Joseph Andreas Anschuez (1772-1855). Der Gründer des Koblenzer Musikinstituts, Köln 1958.
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Baur, Uwe, Carl Friedrich Nikolaus Anschuez, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/carl-friedrich-nikolaus-anschuez/DE-2086/lido/5d2ef33d494a97.39478743 (abgerufen am 07.10.2024)