Carl Waninger

Ingenieur und Erfinder (1882-1962)

Lino Schneider-Bertenburg (Düsseldorf)

Portrait von Carl Waninger, 1960. (Rheinmetall-Archiv)

Carl Wa­nin­ger war bei der Fir­ma Rhein­me­tall in Düs­sel­dorf in lei­ten­der Funk­ti­on als In­ge­nieur tä­tig. Mit weit über 100 bahn­bre­chen­den Er­fin­dun­gen auf dem Ge­biet der Ge­schütz­kon­struk­ti­on hat er durch vier ver­schie­de­ne po­li­ti­sche Sys­te­me hin­durch von der Kai­ser­zeit bis zur bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Nach­kriegs­zeit als In­ge­nieur in der Wehr­wirt­schaft ge­wirkt.

Ge­bo­ren wur­de Carl Wa­nin­ger am 10.5.1882 in Köln als Sohn von Karl Jo­sef Wa­nin­ger (1852-1902) und sei­ner Ehe­frau Mar­ga­re­the, ge­bo­re­ne Her­lach (1855-1912). Die Fa­mi­lie war ka­tho­lisch. Carl be­such­te in sei­ner Hei­mat­stadt das Mar­zel­len­gym­na­si­um und sam­mel­te an­schlie­ßend als Vo­lon­tär zwei Jah­re lang in der Ei­sen­bahn­haupt­werk­stät­te in Köln-Nip­pes ers­te be­ruf­li­che Er­fah­run­gen. Von Herbst 1902 bis Herbst 1904 be­such­te er die Kö­nig­lich-Preu­ßi­sche Ma­schi­nen­bau­schu­le in Köln. Wei­te­re Ar­beits­sta­tio­nen bei der Ak­ku­mu­la­to­ren­fa­brik Gott­fried Ha­gen in Köln-Kalk und sechs Jah­re An­stel­lung bei der Fried­rich Krupp AG in Es­sen ver­voll­stän­dig­ten die Pha­se von Aus­bil­dung und ers­ten Be­rufs­er­fah­run­gen in Wa­nin­gers Le­ben. 1903 als für den Mi­li­tär­dienst für un­taug­lich be­fun­den, konn­te er schon in jun­gen Jah­ren auf weit­rei­chen­de Er­fah­run­gen ver­wei­sen, die ihm trotz feh­len­der aka­de­mi­scher Aus­bil­dung den wei­te­ren Auf­stieg er­mög­lich­ten.

1910 hei­ra­te­te Wa­nin­ger An­ge­li­ka Jel­chen (1886-1937). Aus der Ehe gin­gen vier Kin­der her­vor. Es folg­ten drei wei­te­re Kin­der aus sei­ner zwei­ten Ehe mit An­ge­li­ka Wa­nin­ger (Mäd­chen­na­me un­be­kannt, 1915-2006).

1910 wech­sel­te er zur Rhei­ni­schen Me­tall­wa­ren- und Ma­schi­nen­fa­brik AG (Rhein­me­tall) in Düs­sel­dorf und kam da­mit in ei­ner Zeit aus­grei­fen­der Flot­ten­rüs­tung und be­schleu­nig­ten waf­fen­tech­ni­schen Fort­schritts in ei­nes der Zen­tren ma­ri­ne­tech­ni­scher In­no­va­tio­nen. Zu Wa­nin­gers Auf­ga­ben zähl­te die Kon­struk­ti­on von Schiffs­ge­schüt­zen eben­so wie die der ers­ten von der deut­schen Ma­ri­ne in Ge­brauch ge­nom­me­nen U-Boot-Ka­no­ne. Auch auf dem Ge­biet der Ent­wick­lung von Gra­nat­wer­fern und Wurf­gra­na­ten brach­te er sich ein. Als Zei­chen der An­er­ken­nung sei­ner Er­fin­dun­gen wur­de ihm 1917 das Ver­dienst­kreuz für Kriegs­hil­fe ver­lie­hen. 1918 wur­de Wa­nin­ger bei Rhein­me­tall Hand­lungs­be­voll­mäch­tig­ter.

Durch die für den Ein­satz ge­dach­ten Hand­bü­cher „Ta­schen­buch für den Ar­til­le­ris­ten“ und „Das Rich­ten der Ge­schüt­ze“ er­lang­te Wa­nin­ger auch über die Kon­struk­ti­ons­bü­ros hin­aus Be­kannt­heit. Dies mag vor al­lem ein Grund für sei­nen kon­ti­nu­ier­li­chen be­ruf­li­chen Er­folg ge­we­sen sein. Ne­ben­her dien­ten An­ek­do­ten, wie die über die an­läss­lich des Düs­sel­dor­fer Kar­ne­vals von Wa­nin­ger er­fun­de­ne „Bon­bon­ka­no­ne“ für die Düs­sel­dor­fer Prin­zen­gar­de, der Stei­ge­rung sei­ner Be­kannt­heit im Rhein­land.

Die wäh­rend des Ers­ten Welt­krie­ges er­reich­te fach­li­che Au­to­ri­tät und die in den 1920er Jah­ren zu­neh­mend wich­ti­ger wer­den­de Auf­rüs­tung in Deutsch­land und Eu­ro­pa sorg­ten für Zu­kunfts­per­spek­ti­ven, die Wa­nin­ger durch ein kurz­zei­ti­ges Stu­di­um an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Han­no­ver vom Win­ter­se­mes­ter 1924 bis zum Win­ter­se­mes­ter 1925/1926 zu ver­bes­sern such­te. Dass ihm das ge­lang, zei­gen sei­ne Kar­rie­re­fort­schrit­te in die­ser Zeit. 1925 wur­de er bei Rhein­me­tall Ab­tei­lungs­di­rek­tor, 1939 stieg er zum Werks­di­rek­tor auf.

Mit der NS-Herr­schaft ge­wann die Kriegs- und Waf­fen­tech­nik ei­ne zen­tra­le Be­deu­tung. Der durch sei­nen lan­gen Bart be­kann­te Wa­nin­ger er­hielt in die­sen Jah­ren den Spitz­na­men „Ka­no­nen-Chris­tus“ und be­währ­te sich – er­neut – aus Sicht der Macht­ha­ber. So fal­len nicht zu­fäl­lig die Er­nen­nun­gen zum Wehr­wirt­schafts­füh­rer (1940), zum Dr. Ing. an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Aa­chen (1941), zwei Jah­re spä­ter zum Ho­no­rar­pro­fes­sor durch Rüs­tungs­mi­nis­ter Al­bert Speer (1905-1981) so­wie die Ver­lei­hun­gen des Kriegs­ver­dienst­kreu­zes zwei­ter (1940) und ers­ter Klas­se (1941) in die für das Deut­sche Reich er­folg­rei­che Pha­se des Zwei­ten Welt­krie­ges. Der Ti­tel Wehr­wirt­schafts­füh­rer be­deu­te­te al­ler­dings nicht die weit­rei­chen­den Kom­pe­ten­zen, wie sie sich dar­aus ab­lei­ten las­sen könn­ten; viel wich­ti­ger wa­ren die per­sön­li­chen Eh­run­gen, die Wa­nin­ger zu­teil­wur­den. 

Wa­nin­gers Fach­kom­pe­tenz war auch in der Leh­re ge­fragt. Vom 16.9.1943 bis 1945 war er als Lehr­be­auf­tra­ger für Son­der­fra­gen des Waf­fen­baus (Wehr­tech­nik) an der Wehr­tech­ni­schen Fa­kul­tät V der Tech­ni­schen Hoch­schu­le Ber­lin tä­tig.

 

Da­ge­gen ver­lief Wa­nin­gers In­te­gra­ti­on in die Wer­te­welt des NS-Re­gimes nicht kom­pli­ka­ti­ons­los. Da er seit 1924 bis zu ih­rer Auf­lö­sung 1935 Mit­glied der li­be­ral ori­en­tier­ten Düs­sel­dor­fer Frei­mau­rer­lo­ge „Wacht am Rhein“ ge­we­sen war, konn­te er nicht in die NS­DAP auf­ge­nom­men wer­den und muss­te auch aus dem NS-Flie­ger­ver­band wie­der aus­tre­ten. Er stell­te ein Gna­den­ge­such be­züg­lich sei­ner Par­tei­auf­nah­me, wel­ches 1942 auch Zu­stim­mung und Un­ter­stüt­zung bei un­te­ren und mitt­le­ren Par­tei­in­stan­zen bis hin zum stell­ver­tre­ten­den Gau­lei­ter fand. Den­noch blie­ben Wa­nin­gers Be­mü­hun­gen nach ei­ge­ner Aus­sa­ge er­folg­los. In sei­nem au­to­bio­gra­phi­schen – im Quel­len­wert ein­ge­schränk­ten – Werk „Knall­bon­bon­s“ be­kun­de­te er in­di­rekt, die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten nicht ge­wählt zu ha­ben, was an­ge­sichts sei­nes frei­mau­re­ri­schen En­ga­ge­ments glaub­wür­dig er­scheint. Sei­ne Be­mü­hun­gen um ei­nen Par­tei­ein­tritt zei­gen hin­ge­gen, dass sich Wa­nin­ger spä­tes­tens nach Kriegs­be­ginn zum Re­gime be­ken­nen woll­te – ob aus Op­por­tu­nis­mus oder Über­zeu­gung, mag da­hin­ge­stellt sein. Nach dem Krieg er­schien ein Bild von ihm ge­mein­sam mit Adolf Hit­ler (1889-1945) und Rhein­me­tall-Bor­sig-Ge­ne­ral­di­rek­tor Fried­rich Lu­ther (1877-1938), wel­ches in der Pres­se ei­nen en­gen Zu­sam­men­hang zwi­schen den bei­den Rhein­me­tall-Bor­sig-Ver­tre­tern und dem Re­gime her­stel­len soll­te. Da­zu äu­ßer­te Wa­nin­ger, dass er sich als Waf­fen­kon­struk­teur nicht für die Po­li­tik, die zum Krieg führ­te, ver­ant­wort­lich fühl­te. 

Nach dem Zu­sam­men­bruch 1945 fand die ver­blie­be­ne Füh­rung von Rhein­me­tall-Bor­sig bei Eim­ke na­he dem zer­stör­ten Pro­duk­ti­ons­stand­ort Un­ter­lüß in der Lü­ne­bur­ger Hei­de Zu­flucht. Auf­grund sei­ner wich­ti­gen Rol­le in der deut­schen Wehr­tech­nik wur­de Wa­nin­ger als „War-De­tainee“ nach Lon­don ge­bracht, wo er zu sei­ner Rol­le in den letz­ten Jah­ren be­fragt wur­de. Da­bei lag der Schwer­punkt we­ni­ger auf sei­ner Funk­ti­on als stell­ver­tre­ten­des Vor­stands­mit­glied bei Rhein­me­tall-Bor­sig seit Herbst 1943, son­dern auf tech­ni­schen Fra­ge­stel­lun­gen. Nach­dem sich Wa­nin­ger an­fangs noch wei­ger­te, ge­naue­re Aus­kunft zu ge­ben, wie den Ak­ten und sei­nen Aus­sa­gen zu ent­neh­men ist, kam es bald zu ei­nem aus­führ­li­chen Dia­log zwi­schen bei­den Sei­ten.

Nach sei­ner Rück­kehr nach Deutsch­land ge­lang es Wa­nin­ger nicht, an sei­ne be­ruf­li­chen Er­fol­ge von der Kai­ser­zeit bis zur NS-Zeit an­zu­knüp­fen. Die ei­ge­ne Fir­ma „Her­lach und Wa­nin­ger“ blieb kurz­le­big; als be­ra­ten­der In­ge­nieur ver­such­te er nach und nach wie­der an­dern­orts sei­ne Ex­per­ti­se ein­zu­brin­gen. Seit ei­nem En­ga­ge­ment 1951 auf dem Ge­biet der Ma­ri­ne­ge­schüt­ze bei Oer­li­kon-Bühr­le in Zü­rich ge­lang es ihm wie­der ver­mehrt, Kon­tak­te zu Rhein­me­tall zu knüp­fen, wo er seit April 1957 er­neut tä­tig wur­de. Sei­ne Loya­li­tät zu Rhein­me­tall war un­ge­bro­chen, trotz der Tat­sa­che, dass er noch 1945 die Über­nah­me des Vor­stands­vor­sit­zes der Fir­ma ab­ge­lehnt hat­te. Dies dürf­te zei­gen, dass Carl Wa­nin­ger durch sein aus­schlie­ß­li­ches In­ter­es­se an der Tä­tig­keit des In­ge­nieurs kei­ne Pro­ble­me da­mit hat­te, sich mit un­ter­schied­li­chen po­li­ti­schen Sys­te­men im Sin­ne ei­nes of­fe­nen Op­por­tu­nis­mus zu ar­ran­gie­ren. Ei­nen Hö­he­punkt in die­sem Sin­ne stellt die Ver­lei­hung des Bun­des­ver­dienst­kreu­zes durch den Mi­nis­ter für Wirt­schaft und Ver­kehr des Lan­des NRW am 12.1.1961 an Wa­nin­ger dar.

Carl Wa­nin­ger starb am 7.6.1961 in Ra­tin­gen und wur­de auf dem Düs­sel­dor­fer Nord­fried­hof be­gra­ben.

Quellen

Zen­tral­ar­chiv der Rhein­me­tall AG: Ak­ten B106 (21), B302 (5), B302 (19), B3040 (45). 

Schriften

Wa­nin­ger, Carl, Knall­bon­bons. Die merk­wür­di­gen Ka­no­na­den ei­nes al­ten Kon­struk­teurs, Düs­sel­dorf 1961.
Ders, Ta­schen­buch für den Ar­til­le­ris­ten, Düs­sel­dorf 1942.
Ders, Das Rich­ten der Ge­schüt­ze, Ber­lin 1938. 

Literatur

Leitz­bach, Chris­ti­an, Rhein­me­tall. Vom Reiz, im Rhein­land ein gro­ßes Werk zu er­rich­ten, 2 Bän­de, Köln 2014.
Ders, Wa­nin­ger, Carl Jo­seph, in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 27 (2020), S. 406-407. 

Online

Ca­ta­lo­gus Pro­fes­sorum. Pro­fes­so­rin­nen & Pro­fes­so­ren der TU Ber­lin und ih­rer Vor­gän­ger, zu­letzt ab­ge­ru­fen am 3.6.2022 [On­line].

Luther mit Hitler und Waninger in Derendorf am 11.4.1937. (Rheinmetall-Archiv)

 
Zitationshinweis

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Schneider-Bertenburg, Lino, Carl Waninger, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/carl-waninger/DE-2086/lido/63eb6febb8a614.50324035 (abgerufen am 28.03.2024)