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Christian Kretzschmar zählt in der Saargegend neben Joachim Stengel (1694-1787) zu den wichtigsten Barockbaumeistern des 18. Jahrhunderts. Mit seinem Baustil - ihm werden bedeutende Sakral- und Profanbauten zugeschrieben – prägte er die Architektur dieser Region. Trotzdem bleibt Christian Kretzschmar der große Unbekannte: Sein Geburtsdatum ist nicht nachgewiesen, seine Herkunft, sein sozialer Hintergrund und seine Ausbildung geben Rätsel auf. Leider ist auch die Quellenlage hinsichtlich seiner Bautätigkeit eher schwach. Daher muss sich die Zuordnung von Bauten an Kretzschmar, bei denen er nicht namentlich genannt wird, auf typologische und stilistische, allerdings wohlfundierten, Zuschreibungen stützen.
In den Jahren 1710 bis 1730 kamen – angezogen vom Festungsbau in Saarlouis - zahlreiche Handwerker aus Tirol, aus Österreich, aus Vorarlberg und Süddeutschland an die Saar. In dieser Zeit taucht auch der Name Kretzschmar hier erstmals auf. Als Zeuge bei einer Verhandlung in Wadgassen gab er 1726 als Beruf Steinhauer an. Dort war zu dieser Zeit der Klosterbau im Gange. Eine Bildhauerarbeit von Kretzschmar ist aber nicht bekannt. Interesse weckten seine Bauten: In Mettlach die Benediktinerabtei, in Trier St. Paulin, die Klosterkirche der Benediktinerabtei St. Marien, das Benediktinerinnenkloster St. Irminen, das Franziskaner-Minoriten-Kloster, in Himmerod in der Eifel die Klosterkirche der Zisterzienser, zudem Profanbauten in Trier und im heutigen Landkreis Merzig-Wadern. Leider sind einige dieser Bauten heute nur noch teilweise vorhanden, andere ganz verschwunden. Als Baumeister namentlich genannt wird Kretzschmar bei Kloster Mettlach und der Klosterkirche in Himmerod. In welcher Funktion er bei den anderen Bauten jeweils wirkte: als Planer, Baumeister oder als Gutachter bleibt offen.
Als Baumeister jedenfalls trat er mit dem Bau der Benediktinerabtei in Mettlach erstmals an der Saar in Erscheinung. Das Bestallungspatent für Kloster Mettlach, also seinen Arbeitsvertrag, unterschrieb er am 8.2.1727 mit „Christian Kretzschmar Baumeister“. Seine Aufgaben, Pflichten, sein Gehalt sind hier ebenso festgehalten wie der Zusatz, dass er neben seiner vertraglichen Haupttätigkeit als Werkmeister, wann immer es seine Zeit erlaubt auch „seiner profession-gemäß“ als Bildhauer den Klosterbau bereichern sollte. Seinem „Arbeitsvertrag“ ist weiter zu entnehmen, dass Kretzschmar auf Empfehlung von Bernardo Trabucco, der als Baumeister der Abtei Wadgassen genannt wird, zum Mettlacher Kloster kam. Geplant wurde für Mettlach eine weitläufige und äußerst repräsentative Klosteranlage, die sich entlang der Saar erstreckt. Die Klosterkirche sollte den seitlichen Abschluss bilden. Ausmaße und Großzügigkeit der Anlage erstaunen. Häufig wird der Klosterbau in der kunstgeschichtlichen Literatur mit einer Schlossanlage verglichen.
Die Region war im 18. Jahrhundert und noch darüber hinaus landwirtschaftlich geprägt. Die Menschen waren arm, die Ortschaften in schlechtem Zustand. Schon von daher ist die Größe der geplanten Anlage ungewöhnlich. Ausgeführt wurden schließlich der parallel zur Saar gelegene 112 Meter lange Haupttrakt (Westflügel), der dahinterliegende große Wirtschaftshof und Teile des benachbarten kleineren Kreuzgangs. Kreuzhof und Kreuzgang wurden nicht zu Ende gebaut, die geplante Klosterkirche erst gar nicht begonnen. Es gibt Anzeichen, dass die Mönche in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Interesse an der Weiterführung des Klosterbaus verloren hatten. Endgültig beendet wurde die Bautätigkeit jedenfalls durch die französischen Revolutionsheere.
Besonders auffallend ist die zweigeschossige Portalanlage mit konvex vor- und konkav einschwingenden Formen am Mittelpavillon des Westflügels. Solch aufwendige Portalachsen sind charakteristisch für Kretzschmar und finden sich an vielen seiner Bauten. Ähnlich geschwungen war auch die Westturmlösung der Klosterkirche geplant. Heute ist die gesamte Klosteranlage Sitz des Unternehmens und der Generaldirektion von Villeroy & Boch.
Die Planung für die Mettlacher Klosterkirche zeigt große Verwandtschaft mit der Fassadengestaltung von St. Paulin in Trier und mit der kleinen Dorfkapelle in Harlingen im Landkreis Merzig-Wadern. Die Diskussion über Kretzschmars Urheberschaft der beiden Kirchen ist nicht abgeschlossen.
Nach 1727 taucht Kretzschmars Name häufiger in Kirchenbüchern auf. Die Schreibweise seines Namens ist wie oft im 18. Jahrhundert ganz unterschiedlich: Kretschmar, Kretzschmar, Gretschmar, Gretzmar. Auch die Berufsbezeichnungen variieren: 1734 heißt es in Mettlach: „Christianus Kretzschmar Saxo monasterii nostri architectus“ und 1744 wird Kretzschmar als „Baumeister zu Merzig“ bezeichnet. In Rechnungen von Kloster Himmerod steht: „Herrn bauw Meyster Christian Kretzschmar“.
Im 18. Jahrhundert wurde zwischen der Bezeichnung Baumeister und Architekt nicht streng getrennt. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele in der Kunstgeschichte. So waren Bildhauer auch häufig als Baumeister tätig. Die Angabe „Saxo“ lässt zunächst vermuten, dass Kretzschmar aus Sachsen stammt. Aber ein Bildhauer und Baumeister Christian Kretzschmar ist im sächsischen Barock nicht nachzuweisen. Diese Angabe kann sich jedoch ebenso auf seinen letzten Aufenthaltsort beziehen.
Aufhorchen lässt die Beschwerde der Trierer Steinmetzzunft vom 22.1.1739. Sie beklagen sich beim dortigen Bürgermeister, dass „der bekannte so genannte Baumeister Von Mettloes!“ seine Tätigkeit in Trier nicht nur auf Klöster und Kirchen ausdehne, sondern auch noch Bürgerhäuser baue. Zudem geht daraus hervor, dass Trierer Meister als Gesellen bei Kretzschmar tätig sind. Dies entspricht ganz und gar nicht den Gewohnheiten des 18. Jahrhunderts und ist außergewöhnlich. Zornig waren die Handwerker auch darüber, dass Kretzschmar frei von allen Auflagen und Lasten in Trier lebte.
Der Stadtrat wies die Klage ab. Die Steinmetzen wurden trotz ihrer massiven Befürchtung, andernfalls werde die Zunft ruiniert, zur Ruhe verwiesen. Sie wandten sich daraufhin an den Kurfürsten. Ungerecht empfanden sie, dass Kretzschmar weder sein Meisterstück angefertigt, noch Nachweise über Wanderschaft, seine Herkunft oder gar seine Geburtsurkunde beigebracht habe. Eine Entscheidung des Kurfürsten ist nicht bekannt. Aus dieser Beschwerde ergibt sich eindeutig, dass Kretzschmar in Trier an mehreren Kirchen - und Klosterbauten und auch an Bürgerhäusern als Architekt tätig war. Warum Kretzschmar in den Genuss solcher Privilegien kommen konnte, bleibt im Dunkeln.
Offensichtlich war Kretzschmar nicht allein tätig, die Handwerker sprechen von „Fremden“. Eine Eintragung im Kirchenbuch von St. Paulus in Trier nennt unter dem Datum vom 23.12.1739 einen „Caspar Kretzmar e lutherano Saxone conversus...“ als „...conarchitectus“. Handelt es sich um einen Verwandten von Christian Kretzschmar? War er auch Lutheraner? Ist er zum Katholizismus übergetreten? Wir wissen es nicht.
Kretzschmars Baustil ändert sich im Laufe seiner Tätigkeit. Zeigen sich in Kloster Mettlach noch hochbarocke, dynamisch bewegte und stark durchreliefierte Formen, die für die Zeit um 1727 schon stilverspätet sind, so ist in den nachfolgenden Jahren vor allem bei seinen Trierer Bauten eine Beruhigung seiner Formensprache zu beobachten. Sein Baustil wird schlichter und flächiger, weniger bewegt und weniger plastisch. Eine Hinwendung zu den aktuellen französischen Stilprinzipien zeigt sich, was ein Vergleich der Portalanlage in Mettlach und der Portalanlage am Kloster von St. Irminen deutlich macht. Es wird augenscheinlich, dass das Mettlacher Portal Vorbild für Trier war, nur dass hier klassizistisch beruhigtere und weniger pathetische Formen vorherrschen.
Auch in Mettlach und in Merzig hatte Kretzschmar es mittlerweile zu Ansehen gebracht, denn am 14.1.1750 wird Kretzschmar zum Mettlacher „abteilichen Meyer und zum Merziger Hochgerichtsschöffen“ ernannt.
Kretzschmar heiratete Anna Maria Bonnevie (1706-1783), die Tochter des Vogtmayers Dr. Lothar Bonnevie aus Merzig. Das Datum der Eheschließung der beiden wird vor 1746 vermutet. Für Anna Maria war es die zweite Ehe. Ab circa 1740 ist Kretzschmars Wohnort wohl Merzig. Wo er hier genau gewohnt hat, ist nicht überliefert. Die Ortsangaben darüber sind unterschiedlich.
Immer wieder tauchen sein Name und der seiner Frau in den Kirchenbüchern als Taufpaten auf. Aus den Notariatsakten des Amtsgerichtes Merzig ergibt sich, dass Kretzschmar sogar Geld verliehen hat, was auf privaten Wohlstand und außerordentliche Geschäftstüchtigkeit schließen lässt. Die Ehe der beiden blieb kinderlos, wie aus dem Testament seiner Frau hervorgeht. Christian Kretzschmar starb am 23.6.1768 und wurde in Merzig beerdigt.
Werke (Auswahl)
Mettlach, Benediktinerabtei St. Peter (1727)
Trier, St. Paulin (1734)
Trier, Franziskaner-Minoriten-Kloster (1734)
Trier, Benediktinerinnenkloster St. Irminen (1734)
Trier, Klosterkirche der Benediktinerabtei St. Marien (1734)
Trier, Bürgerhaus Simeonstr. 45 (1734)
Himmerod, Eifel, Klosterkirche der Zisterzienser (1739-1751)
Merzig, Bürgerhaus Postr. 12 (1739-1751)
Literatur
Gerstner, Johannes: Christianus Kretzschmar Saxo. Seine Bauwerke im Landkreis Merzig-Wadern, Phil Mag. Masch.–Ms., München 1987.
Jakobs, Ingrid, Christian Kretzschmar. Steinhauer und Baumeister des 18. Jahrhunderts in Kurtrier, Saarbrücken 1991.
Koenen, Joseph, Die Barockbauten der Benediktiner-Abtei Mettlach und verwandet Bauten, Phil. Diss. Masch.-Ms., Köln 1951.
Online
Götz, Wolfgang A. W., „Kretschmar, Christian“, in: Neue Deutsche Biographie 13 (1982), S. 13-14. [online]
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Jakobs, Ingrid, Christian Kretzschmar, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/christian-kretzschmar/DE-2086/lido/5d679e29ae5058.01824416 (abgerufen am 10.12.2024)