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Dominikus Böhm zählte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu den gefeierten deutschen Architekten. Der Schwerpunkt seines Schaffens lag auf dem katholischen Sakralbau. Die zahlreichen Kirchen, die er entwarf, spannen einen Bogen von der Reformkunst des Jahrhundertbeginns über den Expressionismus und eine gemäßigte Moderne bis zu den Aufbaujahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Böhm hat auch Schulen, Klöster, Krankenhäuser, Verwaltungsgebäude, Fabriken, Denkmäler und Wohnhäuser gebaut. Seit 1926 lebte er in Köln, wo er auch mehrere Jahre an den Werkschulen lehrte.
Die anschaulichsten Schilderungen Böhms, seines Werks wie seiner Person, stammen von seinem zeitweiligen Schüler, Mitarbeiter und späteren Kollegen Rudolf Schwarz. Böhm habe „Gestalten gedrungener Weltmächtigkeit und heiligen Daseins" geschaffen. Denn: „Dem in seiner Leiblichkeit so überzeugend wohnhaften Manne liegt nun einmal das Dünne und Magere nicht." In der Tat neigte Böhm in seinem ganzen Werk zu Baufiguren von sinnlicher Präsenz, dramatischen Lichtwirkungen und fühlbarer Plastizität, gleichgültig ob es sich um Bauten von kathedraler Würde und eindrucksvoller Größe oder von den Dimensionen einer Dorfkirche handelte.
Geboren am 23.10.1884 im schwäbischen Jettingen, stand Böhm als Sohn des Bauunternehmers Alois Böhm (gestorben 1890) und dessen Frau Katharina, geborene Hofmiller in einer baumeisterlichen Tradition, die er selbst an den Sohn Gottfried (geboren 1920) und die drei Architektenenkel Stephan (geboren 1950), Peter (geboren 1954) und Paul (geboren 1959) weitergab. Die Böhms sind der exemplarische Fall einer über Generationen reichenden beruflichen Familientradition, vergleichbar historischen Baumeisterfamilien wie etwa den Parlers, Dientzenhofers oder Pasqualinis. Ausgebildet an der Baugewerkschule Augsburg und bei verschiedenen Privatarchitekten, verpflichtet aber vor allem dem Vorbild Theodor Fischers (1862-1938), unterrichtete Böhm 1907 an der Baugewerkschule Bingen und anschließend an den Technischen Lehranstalten Offenbach (1908-1926). Dort eröffnete er 1910 auch ein eigenes Architekturbüro.
Aber seit seiner Berufung an die Kölner Werkschulen durch Oberbürgermeister Konrad Adenauer im Jahre 1926 lebte er bis zu seinem Tode in Köln, unterbrochen nur durch die Kriegsjahre, in denen Dominikus Böhm mit seiner Familie Zuflucht in seinem Geburtsort Jettingen suchte. In Köln wurde er als rheinischer Baumeister betrachtet, in Köln-Marienburg steht auch sein 1931/1932 errichtetes, sachlich-gediegenes Wohnhaus, das bis heute Sitz des Architekturbüros Böhm ist. Als Lehrer wirkte er an den Kölner Werkschulen 1926-1934, dann wieder 1947-1953.
Seinen Namen als Kirchenbauer machte sich Böhm mit so genannten Notkirchen in Offenbach (1914-1920) und Dettingen (1922/1923). Früh fand er, vermittelt durch seinen zeitweiligen Büropartner Martin Weber (1890-1941), den Zugang zur Liturgischen Reformbewegung. Eine Schlüsselschrift dieser Jahre, Johannes van Ackens (1879-1937) „Christozentrische Kirchenkunst", enthält in ihrer zweiten Auflage von 1923 zwei Entwürfe für Messopferkirchen von Böhm und Weber: „Lumen Christi" und „Circumstantes", die in ihren auf den Altar zentrierten Grundrissen dem liturgischen Programm dieser Bewegung entsprachen. „Ein Gott, eine (einige) Gemeinde, ein Raum!", kommentierte Böhm.
In ihren Formen boten Bauten Böhms aus dieser Zeit, die Benediktinerabtei in der niederländischen Gemeinde Vaals bei Aachen (1921-1923), die Kriegergedächtniskirche St. Johann Baptist in Neuulm (1921-1927) oder die dörfliche Kirche St. Apollinaris im bergischen Frielingsdorf (Gemeinde Lindlar), errichtet 1926-1928, expressive Überwältigungskunst. Es galt, die Gläubigen in stimmige Gesamtkunstwerke einzubeziehen: „Das große Erschauern des Innenraumes wird jeden verzücken. Es ist das Erschauern vor der Heiligkeit des Ortes, vor der Teilnahme am Mysterium des heiligen Opfers, das Zittern vor Gott, der bebende Raum" (Böhm). Nicht zufällig verwendete der Architekt bei solchen Beschreibungen Vokabeln, die der Leser zeitgenössischer theologischer Literatur aus Rudolf Ottos (1869-1937) Definition des Heiligen kannte, dem „mysterium tremendum et fascinosum", dem „Erschauern" und der „Verzückung" gesteigerter religiöser Erlebnisse.
Dass man Böhm - leicht übertreibend - verdächtigen konnte, „der ausgefallenste Expressionist des Weltalls zu sein", war ihm bewusst, scheint ihn aber nicht gestört zu haben. Undogmatisch wie er war, aktualisierte Böhm zunächst ein neugotisches Formenrepertoire, bei dem vom Boden aufsteigende, spitzbogige Gewölbe mit scharfen Graten eine Hauptrolle spielten. Realisiert wurden sie mit Hilfe von Rabitzkonstruktionen, nicht tragenden Putzschalen, die auf Eisendrahtgeflechte aufgebracht wurden. In den Außenfassaden war kunstvoll verlegter Ziegelstein das Material der Wahl.
Schon in den 1920er Jahren ging er von dieser Expressionistengotik zu einer Architektur der schweren Mauern und monumentalen Rundbogenportale über, bei der Erinnerungen von einer frühen Italienreise (1913) und Literatureinflüsse (Corrado Ricci, „Romanische Baukunst in Italien", 1925) durchschlugen. Der klassischen Moderne kam Böhm mit zwei Bauten um 1930 am nächsten. Bei St. Engelbert in Köln-Riehl (1930-1932), von den Kölnern „Zitronenpresse" genannt, vereinigt sich eine Folge ansteigender Parabeltonnen zu einer zentralen Kuppel. Zum seitlich belichteten Choranbau steht der Rundbau, flankiert von einem Campanile, in spannungsvollem Konflikt. Mit der kleinen, weiß verputzten Kirche Stella Maris auf Norderney (1931) bot Böhm den „Sommergästen des Weltbades" auch eine international orientierte Bauästhetik.
Im "Dritten Reich" waren derartige Ausflüge in die Moderne fast nur noch im Industriebau gestattet. Böhm, der Mitglied des nationalsozialistischen Kampfbundes für deutsche Kultur gewesen war, verlor mit der Umwidmung der Kölner Werkschulen zu einer Handwerkerschule 1934 seine Professorenstelle. Aufträge kamen - mit Ausnahme der wehrhaften Basilika St. Engelbert in Essen (1933-1936) - jetzt nicht mehr aus der Diözese Köln, sondern aus Bistümern wie Münster und Osnabrück. Seine neuen Kirchen zeichnen sich durch einen trutzigen Charakter aus. Sie variieren alte Motive des Sakralbaus wie Westwerk, Querhaus und Apsiden, haben untersetzte Türme mit Pyramidendächern, zeigen gotische Fensterrosen, die in Backstein-Fassaden von eher romanischer Anmutung eingesetzt sind.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fand im feinen Kölner Villenviertel Marienburg St. Maria Königin (1952-1954) mit ihrer großen verglasten Südwand und dem angehängten gläsernen Baptisterium noch einmal viel Publizität. An die ganz großen Aufträge kam Böhm, der 1952 eine Partnerschaft mit seinem Sohn Gottfried einging, nicht mehr heran. Ein gewaltiges Kathedralprojekt für San Salvador (1953), das eine Art Summe seiner Sakralbauten dargestellt hätte, verwirklichte sich nicht. Viele Baustellen waren Rekonstruktionen kriegsbeschädigter Bauten. Neue Pfarrkirchen in Dirmingen (Kreis Neunkirchen), Ochtrup oder Köln-Rodenkirchen wirken in den Außenansichten wie breite, geduckte, fast behagliche Dorfkirchen. Sie bleiben dem „goldenen Mittelweg in der Kunst" verpflichtet, „der ein Produkt ist aus Verstand und Gemüt" (Böhm) - und den der Meister selbst in den 1920er und frühen 1930er Jahren glücklicherweise oft genug verlassen hat.
Dominikus Böhm erfuhr für sein Werk bedeutende Ehrungen, so etwa das Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland (1950), den Kunstpreis des Landes Nordrhein-Westfalen (1954) und den päpstlichen Silvesterorden (1952). Er verstarb am 6.8.1955 in seiner Wahlheimat Köln und wurde dort auf dem Südfriedhof beigesetzt.
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Literatur
Brülls, Holger, Neue Dome. Wiederaufnahme romanischer Bauformen und antimoderne Kulturkritik im Kirchenbau der Weimarer Republik und der NS-Zeit, Berlin/München 1994.
Habbel, Josef (Hg.), Dominikus Böhm. Ein deutscher Baumeister, Regensburg 1943.
Hoff, August/Muck, Herbert/Thoma, Raimund, Dominikus Böhm, München 1962.
Voigt, Wolfgang/Flagge, Ingeborg (Hg.), Dominikus Böhm 1880-1955, Tübingen 2005.
Weisner, Ulrich (Hg.), Böhm. Väter und Söhne. Architekturzeichnungen von Dominikus Böhm, Gottfried Böhm, Stephan, Peter und Paul Böhm, Bielefeld 1994.
Online
Bautz, Friedrich Wilhelm, Artikel „Böhm, Dominikus", in Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 1 (1990), Sp. 659-660.
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Pehnt, Wolfgang, Dominikus Böhm, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/dominikus-boehm-/DE-2086/lido/57c5856dbe47c7.60413626 (abgerufen am 12.12.2024)