Zu den Kapiteln
Schlagworte
Als „Lehmpastor“ ging der evangelische Theologe Emanuel Felke in die Geschichte ein. Die nach ihm benannte „Felke-Kur“ kombiniert seit dem 19. Jahrhundert unter anderem Wasseranwendungen und Bewegungstherapie mit der therapeutischen Anwendung von Lehm. Darüber hinaus gilt Felke als Begründer der homöopathischen Komplexmitteltherapie.
Emanuel Felke wurde am 7.2.1856 in Kläden bei Stendal in der Altmark (heute Bundesland Sachsen-Anhalt) als zweites von acht Kindern des Lehrers Friedrich Felke (1825-1902) und seiner Frau Malwine Hedwig (1826–1884), einer Pfarrerstochter, geboren.
Felke besuchte das Gymnasium in Stendal. Nach dem Abitur wechselte er zum Studium der Evangelischen Theologie an die Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin. Parallel dazu hörte er medizinische Vorlesungen. Sein besonderes Interesse galt der Naturheilkunde und der von Samuel Hahnemann (1755-1843) begründeten Klassischen Homöopathie. Erste Kenntnisse hatte er bereits durch seinen Vater gewonnen, der die Familie nach naturheilkundlichen Prinzipien, der Pflanzenheilkunde und der Klassischen Homöopathie behandelte.
Am 1.5.1884 wurde Felke in Meiderich-Beeck (heute Stadt Duisburg) ordiniert und 1887 Pfarrer in Cronenberg (heute Stadt Wuppertal). Hier wurde 1890 auch der einzige Nachkomme aus der Ehe mit Eleonore Müller (1854–1928), der Sohn Johannes, geboren.
In Cronenberg erwarb Pfarrer Felke während einer Diphterie-Epidemie einen Ruf als Heilkundiger, der sich rasch über Cronenberg hinaus verbreitete. Die erkrankten Kinder behandelte er mit Mercurius cyanatus, also Quecksilbercyanid, in der Potenz C 30. Alle Kinder, die er behandelte, genasen. Felke richtete daraufhin eine kostenlose Sprechstunde im Pfarrhaus ein, die sich regen Zulaufs erfreute, und praktizierte in seiner Freizeit.
Als seine naturheilkundliche Praxis allmählich überhandnahm, beschloss er, das Bergische Land zu verlassen. Felke, der im Übrigen ein geschätzter Kanzelredner war und in späteren Jahren auch zu theologischen Themen publizierte, wollte seine seelsorgerische Tätigkeit nicht vernachlässigen.
Am 23.9.1894 traf Felke mit seiner Familie in Repelen (heute Stadt Moers) am Niederrhein ein. Doch auch hier war ihm sein Ruf als Naturheilkundler schon vorausgeeilt. Kranke stellten sich in großer Zahl ein, eine Entwicklung, die es ihm immer schwerer machte, sich auf seinen Beruf als Seelsorger zu konzentrieren. Sein Interessenskonflikt war also durch den Umzug keinesfalls beseitigt und schwelte weiter.
In Repelen bot Felke Sprechstunden in einem Gasthaus an, unterstützt vom örtlichen Küster, der als Sprechstundenhilfe fungierte. 1887 wurde die so genannte „Repeler Jungborn GmbH“ zwecks Gründung eines naturheilkundlich basierten Kur- und Badebetriebs ins Leben gerufen. Als Vorbild diente die von dem Naturheilkundler und Vegetarier Adolf Just (1859-1936) im Harz gegründete Kuranstalt „Jungborn“, die Felke aus eigener Anschauung kannte. Wie viele andere Vertreter der „Lebensreformbewegung“ um die Wende zum 20. Jahrhundert propagierte Just eine einfache Lebensweise und die Rückkehr des Menschen zur Natur, der er durch die Zivilisation und Industrialisierung entfremdet worden war. Neben Hahnemann, Pfarrer Sebastian Kneipp (1821-1897) und Vinzenz Prießnitz (1799-1851) als Verfechter der Hydrotherapie, war Just eine der geistigen Bezugsgrößen, auf die Felke sich in seiner naturheilkundlichen Praxis stützte.
Da Felke es ablehnte, ein Honorar zu verlangen und seine Homöopathika kostenlos abgab, kam es 1896 zur Gründung eines „Homöopathischen Vereins“, der ihn in finanzieller Hinsicht unterstützte. Obwohl der Kurbetrieb in Repelen alsbald florierte und sich weltweiter Anerkennung erfreute - in Spitzenzeiten kamen bis zu 400 Kurgäste pro Woche in den Ort -, verlief der Prozess nicht ohne Anpassungsschwierigkeiten. Zum einen wurde die von Felke propagierte Nacktgymnastik als Gefährdung der Sittlichkeit kritisiert, zum anderen stießen Felkes Methoden auf Ablehnung seitens der Schulmedizin. Beanstandet wurde dabei vor allem die von Felke praktizierte Irisdiagnose nach Dr. Ignaz von Peczely (1826-1911). In den folgenden Jahren hatte sich Felke als Kurpfuscher mehrmals vor Gericht zu verantworten. Er wurde in keinem Fall schuldig gesprochen.
In Repelen entwickelte Pfarrer Felke die Grundprinzipien der nach ihm benannten „Felke-Therapie“. Ihr Ziel war die Selbstregulation des Organismus, fußend auf den Elementen Licht / Luft, Wasser und Erde. So empfahl Felke so genannte „Luftbäder“, das heißt Sonnenbäder und den Aufenthalt und die Bewegung (gymnastische Übungen und Barfußgehen) an der frischen Luft in unbekleidetem Zustand. Durch die Anpassung des Körpers an die Witterung – abgestimmt auf Hauttyp und Jahreszeit – sollte eine Stärkung des Immunsystems sowie eine Verbesserung der Adaptionsfähigkeit des Kreislaufs, des allgemeinen Wohlbefindens und der Stimmung erreicht werden. Obwohl Felke in den 1880er Jahren noch nicht wissen konnte, dass Vitamin D durch Sonnenbestrahlung der Haut gebildet wird, war er vom heilsamen Einfluss des Sonnenlichts überzeugt. Dies nicht zuletzt vor dem Hintergrund ganzkörperbedeckender Kleidungsstücke und dem noch weithin verbreiteten Schönheitsideal eines blassen Teints, den es vor der Sonne zu schützen galt.
Abgesehen davon waren Wasseranwendungen Bestandteil von Felkes Therapie. In der wärmeren Jahreszeit wurden so genannte „Sitzreibebäder“ in Zinkwannen unter freiem Himmel verordnet. Dabei wurde das Wasser getreten und Gesicht und Gliedmaßen mit kaltem Wasser benetzt. Nach dem Verlassen der Wanne sollte es lediglich mit den Händen abgestreift und erwärmende Bewegungsübungen durchgeführt werden. Auch schnelles Gehen und Barfußlaufen war angeraten.
Eine Besonderheit der „Felke-Therapie“ war die Anwendung von Lehm (Heilerde). Sie brachte Emanuel Felke den volkstümlichen Beinamen „Lehmpastor“ ein. Der in der Nähe von Bad Sobernheim gestochene Lehm bestand aus anorganischen Bestandteilen (als Oxiden) vorwiegend aus Silizium(IV)oxid, Eisen(III)oxid, Aluminiumoxid, Magnesiumoxid und Kaliumoxid. Besonderen Wert legte Felke auch auf eine vegetarische Ernährung mit naturbelassenen Lebensmitteln.
Pfarrer Felke behandelte alle, die bei ihm Hilfe suchten, gleichermaßen freundlich, freigiebig und zuvorkommend und machte keinen Unterschied in Bezug auf Stand und Herkunft. Patientinnen und Patienten wurden von ihm unterschiedslos geduzt und hatten sich in Geduld zu üben, bis sie an der Reihe waren.
Dass sich sein Ruf als Heilkundiger bis nach Berlin und sogar bis nach Übersee verbreitet hatte, war für Felke ein zweischneidiges Schwert. Einerseits freute er sich über die Anerkennung für sein Wirken und die von ihm entwickelte Methode. Seine zunehmende Bekanntheit war ihm auf der anderen Seite jedoch suspekt, da er sich der Gefahr bewusst war, durch die Verehrung, die ihm entgegengebracht wurde, möglicherweise die „Bodenhaftung“ zu verlieren. Er war der Meinung, dass zu viel Höhenluft für den Menschen nicht zuträglich sei. Ruhm führe dazu, dass der rechte Maßstab abhandenkommen könne.
Im Januar 1912 stand eine Entscheidung in Felkes jahrelangem Balanceakt zwischen Naturheilkunde und Seelsorge an. Nicht zuletzt auf Drängen der kirchlichen Obrigkeit gab er sein Pfarramt auf und widmete sich fortan ausschließlich der Heilkunde. Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges kam es jedoch zu einem dramatischen Einbruch des Kurbetriebs in Repelen. Das 1914 neu erbaute Kurhotel wurde zum Lazarett umgewidmet. Damit stand Felke völlig mittellos da.
1915 übersiedelte Felke nach Sobernheim an der Nahe. Der Kontakt war durch den dort ansässigen Metzger und Gastronomen Andres Dhonau zustande gekommen. Dhonau, der an einer schweren Neurodermitis litt und als schulmedizinisch „austherapiert“ galt, hatte sich an Felke gewandt und in Repelen Heilung von seinem Leiden erfahren. Er verschrieb sich daraufhin der Naturheilkunde und gründete im Jahre 1907, von Pfarrer Felke beraten, einen „Felke Jungborn“ in seiner Heimatstadt und errichtete die ersten „Laubhütten“, spartanische Unterkünfte, für die Kurgäste. Ein Jahr später erhielt Dhonau die Genehmigung zum Bau des Kurhauses „Haus Friede“ mit Bad und Parkanlage. Im April 1913 eröffnete er das Kurhaus „Waldeck“.
Da Dhonau um Felkes schwierige wirtschaftliche Lage wusste, schlug er ihm den Umzug nach Sobernheim vor, wo Felke am 15.4.1915 eintraf. Er nahm seine naturheilkundliche Praxis in einem Haus in der Nahestraße auf und zog dann in ein Hotel in der Großstraße um.
Mit Felkes Ankunft intensivierte sich der Kurbetrieb in Sobernheim. 1917 baute Dhonau ein drittes Kurhotel, 1921 wurde das Große Kurhaus errichtet. Der Ort nahm einen stetigen wirtschaftlichen Aufschwung, der auch durch das verheerende Nahe-Hochwasser vom Januar 1918 nur kurz gebremst wurde. Von der Beliebtheit der „Felke-Kur“ profitierten auch private Zimmervermieter, die die große Nachfrage an Unterkünften für die Kurgäste abdeckten. Zudem wurden immer mehr Kurbetriebe an der Nahe gegründet.
Die Kehrseite der Medaille waren Meinungsverschiedenheiten zwischen Dhonau, der an wirtschaftlicher Expansion interessiert war, und Felke, der das anspruchslose, einfache Leben propagierte und die Kurgäste zwecks Abhärtung vorzugsweise in primitiven Hütten auf Strohsäcken oder Decken direkt auf einem Lehmboden hätte schlafen lassen.
Die Suche nach dem einfachen, naturnahen Leben spiegelte sich idealtypisch im Tagesablauf einer „Felke-Kur“ in Sobernheim. So begann der Tag für die Kurgäste morgens früh um sechs mit einem fünfminütigen Kaltwasserbad. Nach dem Bad wurde das Wasser lediglich abgestreift, um den Körper zu erwärmen. Mit gemeinschaftlichem Singen wurde der Tag begrüßt. Im Anschluss daran folgte das Frühstück, das aus einer Hafersuppe und Vollkornbrot mit Zwetschgenmus bestand. Um 9.30 Uhr wurde ein Lehmbad unter freiem Himmel verordnet. Nach dem Verlassen der Sitzwanne sollte der Lehm am Körper trocknen, ehe er abgestreift und schließlich in einem Wasserbad abgewaschen wurde. Vor dem Mittagessen folgte eine Erholungs- und Ruhephase, die als Sonnenbad - unbekleidet - genutzt werden konnte. Das von Felke empfohlene Mittagessen bestand aus Gemüse, Vollkornbrot und Kartoffeln sowie Salat, Nüssen, Buttermilch und Obst. Am Nachmittag folgte ein zweites Lehmbad, ein Wasserbad und/oder Heilgymnastik. Vor dem Abendessen gab es Gelegenheit zur Ruhe oder zu einem Waldspaziergang.
In den letzten Jahren seines Lebens wandte sich Felke von der Klassischen Homöopathie ab und verordnete ausschließlich so genannte „Komplexmittel“, eine Kombination aus verschiedenen Homöopathika, die er selbst zusammengestellt hatte, da komplexe Krankheiten seiner Ansicht nach nicht allein mit einem einzigen Wirkstoff behandelt werden sollten. Felke etablierte damit eine Therapiemethode, die in der heutigen Naturheilkunde eine wichtige Rolle spielt.
Am 15.2.1925 wurde Emanuel Felke zum Ehrenbürger der Stadt Sobernheim ernannt, die sich erstes und einziges „Felke-Bad“ Deutschlands nennen durfte. Erst 1995 erhielt die Stadt den offiziellen Status eines Bades.
Kurz nach seinem 70. Geburtstag erkrankte Felke, der zeit seines Lebens kaum je krank gewesen war. Er begab sich in Behandlung in die Münchner Privatklinik des Chirurgen Albert Krecke (1863-1932). Hier starb er am 16.8.1926. Als er sein Ende nahen fühlte, bat er die Stationsschwester, ihm sein Lieblingslied, „So nimm denn meine Hände“, vorzusingen. Seine letzten Worte seien gewesen: So, jetzt gehe ich heim… nach Sobernheim. In Sobernheim wurde Pfarrer Felke unter großer Anteilnahme der Bevölkerung am 21.8.1926 beigesetzt.
Die Erinnerung an Felke pflegt in Moers der Felkeverein Moers-Repelen e.V., der ein kleines Museum im Jungbornpark betreibt, sowie eine Geschichtsstation. Bad Sobernheim firmiert touristisch unter dem Namen „Felkestadt“. An Felke erinnert hier unter anderem ein Denkmal. Das örtliche Gymnasium trägt ebenfalls den Namen Emanuel Felkes. Eine Felkestraße gibt es im Rheinland unter anderem in Bad Sobernheim, Essen und Neuss.
Werke (Auswahl)
Felke, Emanuel, Das Hohe Lied Salomonis und der 27. Psalm, Krefeld 1908.
Felke, Emanuel, Geleitwort. Die Tuberkulose und ihre Heilung, Krefeld 1913.
Felke, Emanuel, Das Siegel des Bundes: Betrachtungen zum Heidelberger Katechismus, Krefeld 1921.
Felke, Emanuel, Der 102. Psalm und das Buch Esther, Krefeld, 2. Auflage 1926.
Literatur
Verband der Vertreter der Felke-Vereine (Hg.), Der Kampf um die Augendiagnose: stenographischer Bericht des Felke-Prozesses vor dem Landgericht Crefeld vom 27. Oktober bis 3. November 1909. Krefeld 1909.
Finger-Thalwitzer, M., Persönliche Erinnerungen an Emanuel Felke und sein Werk, in: Felke-Jahrbuch 1 (1951), S. 28-32.
Heyll, Uwe, Wasser, Fasten, Licht und Luft. Die Geschichte der Naturheilkunde in Deutschland, Frankfurt am Main/New York 2006.
Kramer, Waldemar (Hg.), Lehmpastor Emanuel Felke (1856-1926). Bilder und Worte aus seinem Leben, Frankfurt/M. 1986.
Sahler, Andrea Maria, Homöopathische Komplexmittel. Ihre historische Entwicklung, ihre Begründer und ihre gegenwärtige Bedeutung, München 2003.
Wittfeld, Friedhelm/Wittfeld, Christa, 100 Jahre Jungbornpark Repelen: 1898-1998, Repelen 1998.
Online
Menschel, Matthias: Mit Lehm heilen. [https://natuerlich.thieme.de/therapieverfahren/naturheilverfahren/detail/mit-lehm-heilen-668]
Stadt Moers, Geschichtsstation 45: Kurbetrieb Jungborn. [https://www.moers.de/leben-moers/geschichtsstation/geschichtsstation-45-kurbetrieb-jungborn]
Wiechert, Anke, Auf Felkes Spuren. [https://kulturforum-bad-sobernheim.de/wp-content/uploads/2021/05/LY_stadtchronik_webfassung-1.pdf]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Bernard, Birgit, Emanuel Felke, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/emanuel-felke-/DE-2086/lido/668d374e8783f1.83156161 (abgerufen am 05.12.2024)