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Emil Oelieden, genannt „Em“, war ein Maler, der – dem expressiven Realismus zuzuzählend – wie viele seiner Generation zwischen zwei Weltkriegen regelrecht zerrieben wurde. Als früher Angehöriger der „verschollenen Generation“ war Oelieden bereits um die Jahrhundertwende künstlerisch hervorgetreten, bevor er durch den Krieg und die wirtschaftlich schwierige Nachkriegszeit am finanziellen Erfolg gehindert wurde. Die dann typischerweise folgende Ächtung durch die Nationalsozialisten blieb Oelieden durch seinen frühen Tod jedoch erspart. Dass sein Werk als Folge nicht in Vergessenheit geriet, ist im Wesentlichen seiner Tochter zu verdanken, die stets um die Veröffentlichung seiner Arbeiten bemüht war.
Bereits zu Lebzeiten Oeliedens kam es vielfach zu Verschreibungen des Nachnamens (i statt ie), sowohl in den Bonner Adressbüchern (1929 Oelieden, 1930 Oeliden, 1932 Oelieden), als auch in amtlichen Dokumenten wie der Sterbeurkunde und vielen auch überregionalen Zeitungskritiken, was zu einiger Verwirrung in der Literatur geführt hat, da beide Namensvarianten bis heute parallel vorkommen. Laut Geburtsurkunde ist die korrekte Schreibweise aber eindeutig „Oelieden“.
Geboren wurde Peter Wilhelm Emil Oelieden am 22.11.1875 in Lobberich (heute Stadt Nettetal) in der Nähe der niederländischen Grenze als Sohn eines deutschen Vaters und einer holländischen Mutter. Da der Vater Johann Arnold Oelieden (1851–1878), ein Schumacher und Postbote, bei einem Raubüberfall getötet wurde, wuchs der erst Dreijährige zunächst bei seinem Großvater Peter Mathias Oelieden (gestorben 1882) auf und nach dessen Tod in sehr ärmlichen Verhältnissen bei seiner Mutter Maria Hubertina, geborene Driessen (1847–1900), die sich ihren Lebensunterhalt als Büglerin verdienen musste. Als Vormund des jungen Emil wurde ihr der Fabrikant Hoeren (Hoeven?) aus Lobberich zur Seite gestellt.
Nach dem Schulbesuch erlernte Oelieden von 1891 bis 1893 den Maurerberuf, wurde Stukkateur und übte sein Handwerk auf Wanderschaft in Holland, England und Belgien aus. In Berlin schuf er für den bedeutenden Anatomen Rudolf Virchow (1821–1902) anatomische Gipsmodelle zu Lehrzwecken und durfte im Gegenzug dessen Vorlesungen besuchen. Das exakte Erlernen der Beschaffenheit des Körpers diente ihm als Grundlage für seine späteren Aktbilder. 1896 zog Oelieden nach Düsseldorf, wo er im Atelier eines Bildhauers – der Name war nicht zu ermitteln – arbeiten konnte, dessen Tochter er 1897 heiratete. Zwar ging aus dieser Ehe ein Sohn hervor, doch wurde sie bereits 1900 wieder geschieden.
1903 stieg Oelieden bei der Düsseldorfer Firma Raunitschke & Weber zum Leiter der Formerei und Gießerei sowie Leiter der Bildhauer- und Stuckarbeiten am Diorama-Gebäude der internationalen Kunst- und Gartenbau-Ausstellung in Düsseldorf auf. 1904 bis 1906 arbeitete er erfolgreich als Keramiker und Silberschmied, erprobte neue Materialien und Formen und stellte seine Gefäße und seinen Schmuck in der Zeit des beginnenden Jugendstils in Düsseldorf, Elberfeld (heute Stadt Wuppertal), Wiesbaden und Hamburg aus. Sogar Entwürfe für Möbel gibt es aus diesen Jahren. Sein zunehmender Erfolg ermöglichte es ihm 1905 den Norden zu bereisen, vorwiegend Dänemark, Schweden und Norwegen. Nach seiner Rückkehr nach Düsseldorf entschied sich Oelieden endgültig dafür, Maler zu werden und wurde 1906 Privatschüler bei Professor Eduard von Gebhardt (1838–1925). Von nun an nannte er sich „Em“. Seine ersten Bilder, die er in Hamburg ausstellte, bezeichnete Edmund Els, Chefredakteur des Bonner General-Anzeigers und langjähriger Freund Oeliedens, als dumpf und dunkel, mit mühsamer Hand gemalt, vergleichbar mit den Frühwerken Vincent van Goghs . Dennoch sah der bedeutende Reeder Albert Ballin (1857–1918) wohl mehr in ihnen, wurde zum Förderer Oeliedens und finanziert ihm eine zweijährige Studienreise nach Spanien, Marokko, Tunesien und Algerien. Sein Malstil in dieser Zeit ist realistisch und eher konventionell und noch weit entfernt von den sensationellen Bildern, die August Macke bei seiner – allerdings erst acht Jahre später stattgefundenen – Tunis-Reise anfertigen sollte. Für den Aufbruch zum Expressionismus war es eben noch zu früh.
1908 kehre Oelieden zurück, nahm seine Studien bei Professor Gebhardt wieder auf und erweiterte sie zugleich bei Carl Reiser (1877–1950). Noch im selben Jahr bereiste er Flandern, hielt sich kurze Zeit in Berlin auf – zeit seines Lebens blieb Oelieden unstet – und siedelte nach Bonn über, um die dort lebende Helena Caracciola (wohl 1875–1916) in zweiter Ehe zu heiraten. Sie stammte aus Remagen und war mit dem 1901 geborenen Rennfahrer Rudolf Caracciola verwandt. In der Literatur wird ihr Name fälschlicherweise häufig als Carraciola oder Carpaciola angegeben.
Mit seiner Frau verlebte Oelieden fruchtbare und glückliche Jahre, studierte ab 1908 vier Wintersemester in Paris gemeinsam mit Wilhelm Lehmbruck (1881–1919) und Bernhard Hoetger (1874–1949), arbeitete im Atelier bei Auguste Rodin (1840–1917) und machte dort Bekanntschaft mit Rainer Maria Rilke (1875–1926). Die Sommermonate verlebte er in Flandern, besonders in Brügge, Gent und Sluis Moll, wo er sich ein kleines Häuschen kaufte. In Antwerpen nahm er 1909 weitere Studien bei dem niederländischen Genremaler Isaac Israels (1865–1934) auf. In seiner verbliebenen Zeit hielt er regen Kontakt mit Bonn, wo er mehrfach ausstellte, so 1908, 1909 und 1911 in der Kunsthandlung Cohen, 1910 und 1913 im Bürger-Verein und ebenfalls 1913 im Städtischen Kunstmuseum Obernier. Besonders an seinen flämischen Bildern sieht man nun den Übergang vom Realismus in eine impressionistische Phase. Seine Arbeiten aus dieser Zeit wurden in zeitgenössischen Kritiken viel gelobt.
Durch den Kontakt zu flämischen Expressionisten wie den Malern George Minne (1866–1941), Gustave van de Woestyne (1881–1947), Valerius de Saedeleer (1867–1941) und Leo Mechelaere (1880–1964), aus denen sich tiefe Freundschaften entwickelten, änderte sich Oeliedens Malstil später noch einmal grundlegend. Das große Thema seiner Arbeiten war nun die flämische Landschaft mit ihren Feldern, Wiesen und dramatischen Wolken, dem unvergleichlichen Licht und den starken Farben. Es kann kaum verwundern, wenn der Künstler hier endgültig zum Expressionisten wurde. Seine Bilder fanden großen Anklang, und Oelieden befand sich auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Unterstützt wurde er von namhaften Mäzenen wie dem Bruder des sächsischen Königs, Johann Georg von Sachsen (1869–1938), dem bedeutenden Bonner Kunsthistoriker Paul Clemen und dem Mediziner und Kunstkenner Eduard Hummelsheim (1868–1952). Seine Bilder wurden von Großindustriellen wie Krupp, Stinnes und Siemens angekauft. Es war wohl die kreativste Zeit in Oeliedens Künstlerleben. Es mag erstaunen, dennoch blieben trotz aller Erfolge die finanziellen Mittel dauerhaft beschränkt. Aus späteren Aufzeichnungen erfährt man, dass die Not teilweise so groß war, dass Oelieden das Schulgeld für seine Kinder nicht aufbringen konnte. War keine Leinwand mehr vorhanden, zerschnitt der Maler dafür die letzten Bettlaken.
Zwischenzeitlich brach noch einmal Oeliedens Interesse für Anatomie durch und er besuchte im Wintersemester 1911/12 am Münchener Histologisch-Embryologischen Institut die Vorlesungen über „Plastische Anatomie für Künstler“ von Professor Dr. Siegfried Mollier (1866–1954), der ihm ein „außergewöhnliches Verständnis für dieses schwere, für den Künstler aber wichtige Studium“ bescheinigte. Oelieden habe „seine anatomischen Kenntnisse in wahrhaft künstlerischem Sinne“ vervollkommnet. Ergebnis dieser Studien war eine Ausstellung in München mit der viel gerühmten Serie „Steinewerfer“.
Von München aus bereiste Oelieden 1912 die Schweiz und Italien, erkrankte jedoch bei einem Romaufenthalt an Malaria, was ihn zur Rückkehr in ein Bonner Krankenhaus zwang. Bis zur Genesung blieb er dort, doch hielt es ihn auch diesmal – wieder einmal – nicht lange, und sobald es ging, brach er wieder nach Flandern auf. 1914 mietete er ein kleines Haus in Tieghem, wo ihn im Sommer die Nachricht vom Ausbruch des Weltkriegs ereilte. Als Deutscher Staatsbürger wurde er enteignet und musste mit seiner Frau vollkommen mittellos und halsüberkopf zurück nach Bonn fliehen, wo ihm Freunde halfen. Durch Vermittlung des Bildhauers Albert Küppers konnte das Ehepaar vorübergehend in dem kleinen Wächterhäuschen am Poppelsdorfer Weiher untergebracht werden. Später wohnte er im Hotel Goldener Stern am Markt und im Hotel Vater Arndt. 1915 wurde seine Tochter Beatrice (1915–1984) geboren, doch nur wenige Monate später verstarb plötzlich Oeliedens Ehefrau. Mit der Serie „Mutter und Kind“ setzte der Maler ihr ein bleibendes Denkmal.
Unmittelbar nach dem Tod seiner Frau zog Oelieden mit seiner kleinen Tochter nach Berenbach in die Eifel, bis er 1917 als Dolmetscher und Kulturgut-Berater in das deutsche Generalhauptquartier nach Brüssel eingezogen wurde. Erst 1919 erhielt er wieder einen Heimatschein für Bonn, doch fiel es ihm schwer, sesshaft zu werden, woran auch die dritte Ehe mit der Lehrerin Else Hermann (1892–1988), die er 1920 heiratete, nichts änderte. Drei Kinder gingen aus dieser Beziehung hervor: Rosmarie (geboren 1915), Jan Gerd (geboren 1920) und Elmar (geboren 1923). Beide Söhne fielen im Zweiten Weltkrieg.
Wie ein Getriebener verbrachte Oelieden die nächsten Jahre: 1920 lebte die Familie zunächst in einem Häuschen im Siebengebirge, dann in der Eifel und im Hunsrück (in Odert und Irmenach), 1924 bereiste er Finnland, Schweden, Dänemark und Norwegen, wo er sich magisch vom Werk Edvard Munchs (1863–1944) angezogen fühlte. 1925 zog die Familie nach Niederholtorf bei Bonn und bereiste noch im selben Jahr Holland, 1926 die Schweiz, Südtirol, Venedig und wieder Holland, nahm 1927 Wohnsitze in Brügge, Blankenberghe und Cog sur mer, zog 1928 zurück nach Bonn und bereiste 1929 Belgien, England und wieder Holland. 1930 folgten ausgedehnte Reisen in die Eifel, nach Belgien und an den Niederrhein, 1932 wieder in die Eifel, an den Laacher See und den Nürburgring, und 1934 ging es ein letztes Mal nach Flandern.
Dank der Hilfe seiner Freunde, die ihm schon seit Jahren in Bonn ein Konto führten, konnte Oelieden sich 1928 endgültig in Bonn niederlassen und sich mit einem städtischen Kredit ein Häuschen am Dottendorfer Rochusweg errichten lassen. Die Freunde waren es auch, die Oelieden eine Stelle als Leiter des Kunstunterrichts in der Heimschule des Klosters Maria Laach in der Eifel besorgten, womit der in eine Depression gefallene Künstler seinen Lebensunterhalt einigermaßen bestreiten konnte. Obwohl es nicht an hervorragenden Ausstellungen mangelte – so in Wiesbaden mit Oskar Kokoschka (1886–1980), Lovis Corinth (1858–1925) und Max Slevogt (1868–1932), im Salon des Arts in Brügge, im Suermond-Museum in Aachen, im Kölnischen Kunstverein und im Städtischen Kunstmuseum Obernier in Bonn – lebte die Familie weiterhin in äußerster Armut. Um zu überleben musste Oelieden seine Bilder gegen Lebensmittel eintauschen. Die weltweite Wirtschaftskrise der 1920er Jahre tat ihr Übriges. Dennoch malte Oelieden auch in dieser Zeit sehr intensiv und wurde zunehmend kubistischer in seiner künstlerischen Auffassung.
Die Verfemung seiner Kunst durch die Nationalsozialisten blieb Oelieden erspart. Am 20.10.1934 stolperte er vor der Bonner Universität über einen defekten Hydrantendeckel und zog sich schwere innere Verletzungen zu, die unmittelbar zum Tode führten. Die Brüsseler Zeitung schrieb: „Ein Künstler von europäischer Bedeutung ist gestorben.“
Oeliedens Haus wurde im Zweiten Weltkrieg Krieg bei einem Bombenangriff vollständig zerstört, doch große Teile seines Werkes konnten aus dem Schutt geborgen werden. Bis zu ihrem Tode betreute seine Tochter Beatrice den Nachlass ihres Vaters, dann vermachte sie ihn der Stadt Bonn. Oeliedens Werk umfasst etwa 1.800 Arbeiten, darunter etwa 60 Ölgemälde sowie Aquarelle, Zeichnungen, Lithographien, darüber hinaus Gipsmodelle und Schmuck. 1958 wurde ihm zu Ehren in Bonn-Dottendorf eine Straße in Oeliedenweg benannt.
Werke (Auswahl)
o. J. – Mädchen am Teich, Pastell auf grauem Papier, 34,5 x 37,1 cm, Kunstmuseum Bonn.
o. J. – Frühlingslandschaft, Öl auf Karton, 44,5 x 59,5 cm, Privatbesitz NRW.
um 1908 – Spaziergang im Park, Öl auf Leinwaqnd, 32,5 x 27 cm, Stadtmuseum Bonn.
1908 – Frau im Garten, Öl auf Leinwand, 29 x 25,5 cm, Stadtmuseum Bonn.
1909 – In der Heide, Öl auf Holz, 17,5 x 22.5 cm, Stadtmuseum Bonn.
1910 – Frau mit blauem Kopftuch, Öl auf Leinwand, 38,5 x 46,5 cm, Stadtmuseum Bonn.
1911 – Flandern, Öl auf Leinwand, 30 x 36 cm, Stadtmuseum Bonn.
1913 – Kirmes auf dem Markt von Gent, Öl auf Leinwand, Stadtmuseum Bonn.
1914 – Atelier-Wohnecke in Slys-Moll, Öl auf Leinwand, 38,5 x 45 cm, Stadtmuseum Bonn.
um 1925 – Alte Frau mit Kapuze, Öl auf Leinwand, 43 x 39 cm, Stadtmuseum Bonn.
1925 – Madonna mit dem Kinde, von Rosen umwirkt, Öl auf Leinwand, Stadtmuseum Bonn.
1926 – Beguinage in Brügge, Kohle, 48,2 x 62,8 cm, Kunstmuseum Bonn.
1926 – Frühlingsstrauß in Vase, Öl auf Holz, Stadtmuseum Bonn.
um 1927 – Weiße Rosen, Öl auf Leinwand, 50 x 40,5 cm, Stadtmuseum Bonn.
1927 – Turm in Lisseweghe, Öl auf Leinwand, 82 x 70 cm, Stadtmuseum Bonn.
1927 – Beginenhof in Brügge, Öl auf Leinwand, 62 x 75 cm, Stadtmuseum Bonn.
um 1928 – Interieur der Liebfrauenkirche in Brügge, Öl auf Leinwand, Stadtmuseum Bonn.
1928 – Mitternachtssonne in Norwegen, Aquarell, 35 x 50 cm, Nachlass von Dr. Karl-Ernst Hümmer, NRW.
1934 – Weiße Heckenrosen vor blauem Himmel, Öl auf Holz, 54 x 50 cm, Stadtmuseum Bonn.
1934 – Sonnenblumen, Öl auf Leinwand, 70 x 55 cm, Stadtmuseum Bonn.
Quellen
Nachlass im Stadtarchiv Bonn: Konvolut von Urkunden, Zeugnissen und privaten Dokumenten, Signatur SN 134.
Literatur
Niesen, Josef, Bonner Personenlexikon, 3. Auflage, Bonn 2011, S. 351-352.
Wolf, Irmgard, Kunst ohne Konzessionen. Zu Leben und Werk des Malers Em Oelieden, in: Bonner Geschichtsblätter 37 (1985), S. 249-304.
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Niesen, Josef, Emil Oelieden, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/emil-oelieden-/DE-2086/lido/5f6c54c1b598d6.23134834 (abgerufen am 17.09.2024)