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Ernst Robert Curtius gilt als einer der bedeutendsten und international angesehensten Romanisten und deutsch-französischer Kulturvermittler der Universität Bonn.
Geboren wurde Curtius am 14.4.1886 im elsässischen Thann. Die Familie hatte im 19. Jahrhundert bereits eine Reihe bedeutender Gelehrter und Forscher hervorgebracht, zu deren bekanntester sein Großvater, der Olympia-Ausgräber Ernst Curtius (1814-1896), zu rechnen ist. Ernst Roberts Vater Friedrich Curtius (1851-1933) wirkte als Kreisdirektor und Direktoriumspräsident der Evangelischen Kirche Augsburger Konfession im Elsass. Seine Mutter Louise Gräfin von Erlach-Hindelbank (1857-1919) erschloss ihm schon früh die geistige Weite des schweizerisch-französischen Adels mit seinen verwandtschaftlichen Beziehungsgeflechten, die bis nach England reichten.
Curtius erfuhr im deutsch-französischen Schmelztiegel Elsass seine tiefe Prägung für das Trennende wie das Verbindende beider Nationen. Nach dem Ende der gymnasialen Schulbildung 1903 nahm Curtius das Studium an der Universität Straßburg auf, wo er hauptsächlich neuere französische und englische Philologie und Philosophie hörte. Kurze Zeit studierte Curtius an der Universität Berlin, um 1907 wieder nach Straßburg zurückzukehren und dort in die „Schule“ des Romanisten Gustav Gröber (1844-1911) zu gehen, bei dem er 1910 promoviert wurde. Gröber war es, der Curtius‘ Interesse für die mittellateinische Philologie weckte. Von ihm übernahm Curtius auch die Denk- und Forschungsmethode, diskursiv vom Detail aufs Ganze zu gehen. Von Gröber inspiriert nutzte Curtius zwei Aufenthalte in Paris, bei denen er 1908/1909 begann, Material für seiner Dissertation – einer kritische Edition der altfranzösischen Bibelabschnitte „Li Quatre Livre des Reis“ – zu sammeln. Nach der Promotion und dem Einjährig-Freiwilligen Militärdienst in Straßburg wandte sich Curtius an den Gröber-Schüler Heinrich Schneegans (1863-1914), der in Bonn eine Professur der Romanistik bekleidete, um sich bei ihm ab 1913 über „Ferdinand Brunetière als Kritiker und Historiker der französischen Literatur“ (erschienen als „Ferdinand Brunetière. Beitrag zur Geschichte der französischen Kritik“) zu habilitieren.
Nachdem Curtius erfolgreich von der Bonner Philosophische Fakultät habilitiert worden war, blieb ihm nicht mehr viel Gelegenheit, als Privatdozent in Bonn zu wirken. Schon im August 1914 wurde er ins Heer eingezogen, anfangs in Frankreich eingesetzt, 1915 vor Warschau schwer verwundet. Im selben Jahr wurde er als dauerhaft dienstuntauglich entlassen. Ab 1916 unterrichtete Curtius an der Universität Bonn wieder, vorzugsweise über die Geschichte der französischen Literatur bis ins 19. Jahrhundert. Gerade den Krieg gegen Frankreich erlebte er als eine Tragödie. Kaum aus dem Lazarett zurückgekehrt machte er sich daran, die Vorarbeiten zu dem Buch weiterzuführen, das ihn nach dem Krieg schlagartig bekannt werden lassen sollte. Mit den 1919 erschienenen „Literarischen Wegbereitern des neuen Frankreich“ suchte Curtius das nationalstereotype Zerrbild vieler Deutscher von Frankreich zu richten. Dabei lag es nicht in seinem Ansinnen, die deutschen Bilder schlicht in Frage zu stellen, sondern er bemühte sich vielmehr, Persönlichkeiten und Repräsentanten eines anderen, liberalen Frankreichs vorzustellen. Mit André Gide (1869-1951), Romain Rolland (1866-1944), Paul Claudel (1868-1955), André Suarès (1868-1948) und Charles Péguy (1873-1914) hob Curtius fünf bislang unbekannte Schriftsteller und Dichter hervor, deren ästhetische Anschauungen längst nicht mehr nur einer gallikanisch-zivilisatorischen Mission Frankreichs folgen wollten. In ihnen erkannte Curtius das Wirken eines neuen universellen Geistes. Wie er erstrebten diese Männer gegen den nationalistischen Trend die Erneuerung der nationalen Identitäten. Dieses Gemeinsame der sich feindselig gesonnenen Völker erblickten sie im griechisch-lateinischen Ursprung der europäischen Kultur. Auch wenn Curtius Frankreichs universelle Sendung aus dem Geist des römischen Universalismus anerkannte, so bezog er doch auch polemisch und kritisch Stellung gegen die französischen Rechtsradikalen, wie er es 1921 mit seinem Buch „Maurice Barrès und die geistigen Grundlagen des französischen Nationalismus“ bewies. In dieser abwägenden kulturtheoretischen wie auch nationalkulturellen Denkfigur konzentrierten sich damit schon früh die wichtigsten methodischen wie inhaltlichen Überzeugungen von Curtius. Sie verweist insbesondere auf sein stetes Bemühen, einen offenen und lernenden Beitrag zu leisten, über den Versöhnung und Freundschaft der kulturellen Elite Europas die Völker des Kontinents zu Verständnis, Friede und Eintracht zu führen.
Entsprechend verkehrte Curtius in der Zwischenkriegszeit im Zirkel von Pontigny. In dem burgundischen Örtchen versammelten sich mehrfach jährlich gleichgesinnte Intellektuelle und Schriftsteller aus Frankreich, England und Deutschland – von André Gide über T.S. Eliot (1888-1965) bis Thomas Mann (1875-1955). Mit vielen von ihnen war Curtius persönlich eng befreundet. Hier diskutierte man sowohl über philosophische und ästhetische Fragen wie auch über die Möglichkeiten, die nationalen Gegensätze hin zu einer europäischen Einheit zu überwinden. Überhaupt lassen sich die 1920er als die vielleicht fruchtbarsten und literarkritisch einflussreichsten Jahre von Curtius bezeichnen. Neben seine 1923 erschienen kritische Würdigung des Werks von Honoré de Balzac (1799-1850) zeichnete er sich dadurch aus, Autoren wie James Joyce (1882-1941), T.S. Eliot, Marcel Proust (1871-1922) oder Paul Valéry (1871-1945) den Deutschen bekannt zu machen. Ohne Zweifel gelang es Curtius mit seinen kritischen Schriften, Autoren zu entdecken, deren Werken eine lange Rezeption und Relevanz beschieden sein sollte. Leiten ließ sich Curtius dabei stets von seiner Überzeugung, dass die literarischen Neuerer, als die er sie erblickte, ganz im Wesen und Geist der „überzeitlichen Traditionen“ (Gumbrecht) eingebettet waren. Nur so schien ihm die kulturelle Substanz vor dem allzu schnellen und in sich isolierten Exzessiven des Nur-Revolutionären gewahrt und geschützt. Diese konservative Gesinnung war das Grundmuster und das persönliche, wissenschaftliche, kulturelle wie literarische Credo und Charakteristikum von Curtius.
Nach Stationen als ordentlicher Professor an den Universitäten Marburg (1920-1924) und Heidelberg (1924-1929) ließ Curtius nicht davon ab, sich auch nach seiner Berufung nach Bonn 1929 – zum Unmut nicht weniger Fachromanisten – kulturpolitisch zu engagieren. Gegen das Aufkommen der kulturnationalistische Strömungen seiner Zeit, vorzüglich den Nationalsozialismus, publizierte er mit konservativer Überzeugung die vielbeachtete Schrift „Deutscher Geist in Gefahr“. Eindringlich warnte er darin vor den substanzlosen Vereinfachungen und Dogmatismen im deutschen Kultur- und Wissenschaftsleben, die er mit dem aufkommenden Nationalsozialismus drohen sah. Dem ungeachtet heiratete der inzwischen 43-jährigen Curtius im Februar 1930 die fast zwei Jahrzehnte jüngere Philologiestudentin Ilse Gsottschneider (1907-2002), die Tochter eines Mannheimer Brauereibesitzers, mit der er bis zu seinem Tode verbunden blieb.
Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zog sich Curtius ganz aus der Öffentlichkeit ins Gelehrtenleben zurück. Vielleicht auch, um sich nicht politisch verdächtig zu machen, wandte er seine wissenschaftliche Aufmerksamkeit dem lateinischen Mittelalter zu. Mit den fast ein Jahrzehnt währenden Forschungen knüpfte Curtius mit dem Erscheinen seines letzten großen Werkes „Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter“ 1948 den Erzählfaden der „Wegbereiter“ fort. Noch einmal beschwor er das gemeinsame kulturelle Fundament der europäischen Nationen. Dieses glaubte er nur vom „universalen Standpunkt“ (so Curtius im Vorwort der 2. Auflage 1953) der Latinität aus vorführen zu können. Und noch einmal griff er die gesamte Breite des kultur- und philosophiegeschichtlichen Wissens auf, um so einen Beitrag zur inneren geistigen Festigung und moralischen Orientierung zu leisten. Ebenso zeigte er sich darin weiterhin durchdrungen von der Überzeugung, dass nur humanistisch-kulturelle Menschenbildung die Basis bürgerlicher Gesittung und Völkerverständigung sein kann.
Heute würdigt die Universität Bonn im Namen des am 19.4.1956 in Rom verstorbenen Romanisten alljährlich besondere Leistungen in der deutschen Essayistik. Die Ernst-Robert-Curtius-Vorlesung des Internationalen Zentrums für Philosophie NRW und das Bonner Universitäts-Institut für Philosophie lädt international namhafte Wissenschaftler zu Kolloquien und Vorträgen ein. Die stete Präsenz von Curtius in Bonn erschließt sich ebenfalls mit einer ihm gewidmeten Straße im Norden der Stadt. Mithin symbolisiert und repräsentiert Curtius das Rheinland als Brücke zwischen Deutschland und Frankreich, für deren Verständigung er sich fast zeit seines Lebens mit der Kraft der Gedanken und des Geistes einsetzte.
Werke (Auswahl)
Die literarischen Wegbereiter des neuen Frankreich, Potsdam 1919.
Balzac, Bonn 1923.
Französischer Geist im neuen Europa, Stuttgart 1925.
James Joyce und sein Ulysses, Zürich 1929.
Frankreich, Band 1: Die französische Kultur, Stuttgart 1930.
Deutscher Geist in Gefahr, Stuttgart 1932.
Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern 1948.
Literatur
Theis, Raimund: Auf der Suche nach dem besten Frankreich. Zum Briefwechsel von Ernst Robert Curtius mit André Gide und Charles Du Bos, Frankfurt/Main 1984.
Berschin, Walter/Rothe, Arnold (Hg.), Ernst Robert Curtius. Werk, Wirkung, Zukunftsperspektiven. Heidelberger Symposion zum hundertsten Geburtstag 1986, Heidelberg 1989.
Lange, Wolf-Dieter (Hg.), „In ihnen begegnet sich das Abendland“. Bonner Vorträge zur Erinnerung an Ernst Robert Curtius, Bonn 1990.
Lausberg, Heinrich, Ernst Robert Curtius (1886-1956). Aus dem Nachlaß hg. und eingeleitet von Arnold Arens, Stuttgart 1993.
Gumbrecht, Hans Ulrich, Vom Leben und Streben der großen Romanisten. Karl Vossler, Ernst Robert Curtius, Leo Spitzer, Erich Auerbach, Werner Krauss, München 2002, S. 49-71.
Online
Lausberg, Heinrich, Curtius, Ernst Robert, in: Neue Deutsche Biographie. [Online]
Nachlass von Ernst Robert Curtius in der Universitäts- und Landesbibliothek Bonn. [Online]
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Jüngling, Andreas, Ernst Robert Curtius, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ernst-robert-curtius-/DE-2086/lido/57c68f42d23db7.06481507 (abgerufen am 01.12.2024)