Zu den Kapiteln
Schlagworte
Die Musik Ferdinand Hillers ist heute kaum noch in den Konzertsälen zu finden und auch als Musikschriftsteller, Verleger, Pädagoge, Pianist und Dirigent ist er praktisch nicht mehr im öffentlichen Bewusstsein präsent. Ganz anders sah es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus. Hiller bekleidete damals in Köln das Amt des Städtischen Musikdirektors und trug mit seinem Wirken weit über die Grenzen der Stadt hinweg zum Aufstieg Kölns als musikalischem Zentrum des Rheinlandes bei. Er selbst galt in dieser Zeit als eine der einflussreichsten Musikerpersönlichkeiten.
In Hillers Biographie spiegelt sich eine der typischen Musikerlaufbahnen des 19. Jahrhunderts wider: Am 24.10.1811 wurde er in Frankfurt a.M. als Sohn des vermögenden jüdischen Kaufmanns Justus Hiller (1760-1833, bis 1814 Isaac Hildesheimer) und seiner Ehefrau Regine Sichel (1786-1839) geboren. Der Vater erkannte früh die musikalische Begabung des Sohnes und förderte sie nach Kräften. So erhielt Hiller von klein auf regelmäßigen Klavier- und Kompositionsunterricht bei angesehenen Lehrern und machte dabei so rasch Fortschritte, dass er bereits mit zehn oder elf Jahren – hier ist sich die Literatur nicht einig – sein erstes öffentliches Konzert mit Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791) c-moll-Konzert geben konnte, womit er sich den Ruf eines Wunderkindes erwarb. Die Freundschaft der Eltern mit den Instrumentalvirtuosen Ignaz Moscheles (1794–1870) und Louis Spohr (1784–1859) trug dazu bei, dass der junge Hiller früh Bekanntschaft mit weiteren Berühmtheiten seiner Zeit machte. 1825 empfahlen ihn die beiden Herren als Schüler an den in Weimar lebenden Johann Nepomuk Hummel (1778–1837), der seinerseits bei Wolfgang Amadeus Mozart und Antonio Salieri (1750-1825) gelernt hatte. Auch wurde Hiller die Ehre zuteil, Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) vorgestellt zu werden, und bei einer Reise nach Wien lernte er Franz Schubert (17697-1828) und den bereits schwer kranken Ludwig van Beethoven kennen. Auch sein Opus 1, ein Klavierquartett, wurde in Wien veröffentlicht.
Mit 17 Jahren brach Hiller 1828 zu seiner ersten großen Reise nach Paris auf, wo er die nächsten acht Jahre als freischaffender Künstler lebte. Dort fand er durch die guten Kontakte seines Lehrers Hummel rasch Zugang zu den Pariser Salons, insbesondere zu dem der Bankierfamilie Rothschild, wo er weitere Geistesgrößen kennenlernte. Zu den Musikern, mit denen er bald regelmäßig verkehrte, gehörten Luigi Cherubini (1760-1842), Gioachino Rossini (1792-1868), Giacomo Meyerbeer (1791-1864), Hector Berlioz (1893-1869), Franz Liszt (1811-1886) und Frédéric Chopin (1810-1849). Aber auch mit Literaten wie Heinrich Heine, Ludwig Börne (1786-1837), Honoré de Balzac (1799-1850) und Victor Hugo (1802-1885) pflegte er Kontakte. Durch seine Auftritte als Pianist und Dirigent, bei denen er eigene Kompositionen, aber auch Werke von anderen Künstlern aufführte, erwarb sich Hiller in Paris rasch großes Ansehen. Seine Popularität nutzte er dafür, um das Publikum auch mit bisher in Frankreich kaum bekanntem Repertoire aus der Feder von Johann Sebastian Bach (1685-1750) und Ludwig van Beethoven bekannt zu machen. So war er der erste, der damals in Paris Beethovens berühmtes Es-Dur-Klavierkonzert aufführte. Für die Entwicklung seiner Arbeit als Komponist war die Zeit jedoch wenig förderlich, was 1836 zu Hillers Entscheidung mit beitrug, nach einem kurzen Aufenthalt in seiner Heimatstadt nach Italien zu gehen, wo er von 1837 bis 1842 lebte. 1839 schrieb er dort auf Empfehlung von Rossini seine erste Oper „Romilda“, die an der Mailänder Scala jedoch durchfiel. Die Jahre in Italien nutzte Hiller intensiv für das Studium klassischer Vokalpolyphonie und vertiefte so seine handwerklichen Kenntnisse als Komponist.
Unterbrochen wurde der Aufenthalt in Italien durch eine Einladung von Felix Mendelssohn Bartholdys (1809-1847) im Jahr 1840 nach Leipzig, wo Hiller einen großen Erfolg mit seinem Oratorium „Die Zerstörung Jerusalems“ erzielte. Viele Jahre lang stand es als beliebtes Repertoirestück auf den Programmen zahlreicher Musikfeste und galt vielen als eines von seinen besten Werken. Ebenfalls in das Jahr 1840 fiel Hillers Heirat mit der polnischen Sängerin Antolka Hogée (1820-1896), mit der er ein Jahr später gemeinsam vom jüdischen zum protestantischen Glauben übertrat. Aus der Ehe gingen mehrere Kinder hervor.
Noch im Jahr 1840 kehrte Hiller nach Italien zurück und blieb dort bis 1842. Zahlreiche weitere Konzertreisen, Ortswechsel und Auslandsaufenthalte folgten. So reiste er erneut auf Einladung Mendelssohns 1843 nach Leipzig, wo er eine Zeit lang dessen Stellvertreter wurde. Doch auch dieses Mal blieb er nicht lange, da es mit Mendelssohn zum Streit kam. Während seines folgenden Aufenthaltes in Dresden, wo er mit großem Erfolg eine Abonnementskonzertreihe begründete und zwei weitere Opern zur Aufführung brachte, entstanden freundschaftliche Kontakte zu Richard Wagner (1813-1883) und auch zu Clara und Robert Schumann. Letzterer widmete dem Freund sein Klavierkonzert, dessen Uraufführung dieser 1845 dirigierte. Im folgenden Jahr wurde Hiller einer der Taufpaten von Claras und Roberts erstem Sohn Emil (1846-1847). Dass er 1856 auch die Grabrede auf Robert Schumann hielt, unterstreicht die enge Bindung der Ehepaare Schumann und Hiller.
1847 erhielt Hiller das Angebot, in Düsseldorf die Nachfolge von Julius Rietz (1812-1877) anzutreten, der zwölf Jahre lang als Städtischer Musikdirektor für das Orchester, den Chor und außerdem für die überregional berühmten Niederrheinischen Musikfeste zuständig gewesen war, die jährlich alternierend in Köln, Düsseldorf und Aachen stattfanden. Hiller war ein geselliger Mensch, mochte die rheinische Mentalität und knüpfte rasch Freundschaften; bald war sein Haus ein wichtiger Treffpunkt des gesellschaftlichen Lebens. Anders als Rietz wurde Hiller allerdings nicht von der Stadt fest angestellt, was wohl zu seiner Entscheidung beitrug, nach drei Jahren erneut den Wohnort zu wechseln und einem Ruf nach Köln zu folgen, wo er 1850 sesshaft wurde und die restlichen 35 Jahre seines Lebens verbrachte. Für die vakante Stelle in Düsseldorf vermittelte er seinen Freund Robert Schumann als Nachfolger, dessen Aufenthalt jedoch vier Jahre später tragisch in einem Selbstmordversuch endete.
Mit seinem Umzug nach Köln begann für Hiller die Zeit, in der ihn sein Wirken weit über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt machte. Er wurde Städtischer Musikdirektor und damit Dirigent der Konzertgesellschaft und des Konzertchores, welche die Gürzenich-Konzerte bestritten, übernahm als Nachfolger von Heinrich Dorn (1804-1892) das 1845 gegründete Kölner Konservatorium und leitete insgesamt zwölf Niederrheinische Musikfeste. Unter seiner Leitung traten viele berühmte Musiker der Zeit auf, beispielsweise die Pianistin Clara Schumann, der Violinist Joseph Joachim (1831-1907) und die Sopranistin Jenny Lind (1820-1887). 1877 lud er den Komponisten Giuseppe Verdi (1813-1901) nach Köln ein, wo dieser im Rahmen des 54. Niederrheinischen Musikfestes sein Requiem dirigierte. Außerdem komponierte Hiller weiterhin und war als Schriftsteller und Kritiker tätig. Auch wenn er sich dauerhaft in Köln niedergelassen hatte, ging er doch immer wieder auf lange Reisen, beispielsweise nach Paris, wo er von 1851 bis 1852 die italienische Oper leitete, aber auch nach England, Spanien, Skandinavien und Russland. Seine langjährige Tätigkeit in Köln verlief nicht ohne Konflikte, doch insgesamt wurde er in der Stadt sehr geschätzt. Seine wachsende Berühmtheit zeigte sich auch in der öffentlichen Anerkennung seiner künstlerischen Leistungen. Bereits 1849 war er in die Preußische Akademie der Künste aufgenommen worden, 1868 verlieh ihm die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn die Ehrendoktorwürde. 1875 wurde er durch die Verleihung des Ordens der Württembergischen Krone in den persönlichen, nicht vererbbaren Adelsstand erhoben.
1884 wurde Hiller in den Ruhestand versetzt. Er starb am 11.5.1885 nach kurzer, schwerer Krankheit und wurde auf dem Melaten-Friedhof in Köln beigesetzt. In Köln-Lindenthal ist eine Straße nach ihm benannt, in Düsseldorf erinnert an ihn der Ferdinand-Hiller-Weg.
Nach Hillers Tod wurde lange beratschlagt, wer ein würdiger Nachfolger sein könnte. Sein Freund Johannes Brahms, an den das Amt herangetragen wurde, lehnte zur Enttäuschung der Stadt Köln ab. Nachfolger wurde schließlich der Komponist Franz Wüllner (1832–1902), den Hiller selbst gefördert hatte und der für seine fortschrittliche künstlerische Haltung bekannt war.
Ferdinand Hiller darf als einer der typischen Kapellmeister des 19. Jahrhunderts gelten, der mehrere Tätigkeitsfelder in einer Person vereinte: Bedeutsam waren dafür die Laufbahn als erfolgreicher Instrumentalist und zugleich als Dirigent und Komponist. Darüber hinaus war Hiller auch ein wichtiger Lehrer: Zu seinen bekanntesten Schülern gehören die Komponisten Julius Buths (1851-1920), Max Bruch und Engelbert Humperdinck.
Mit seinem Werk steht Hiller fest in der frühromantischen Tradition an der Seite Mendelssohns und Schumanns, wobei er Stücke aus fast allen musikalischen Gattungen geschaffen hat, unter anderem Chorwerke, Kammermusik, Sinfonien und sechs Opern. In dem großen musikästhetischen Streit des 19. Jahrhundert zwischen den „Konservativen“ und den sogenannten „Neudeutschen“, die vor allem von Richard Wagner, Franz Liszt und Hector Berlioz repräsentiert wurden, wurde Hiller in das Lager der Konservativen gestellt. Diese Zuschreibung ist – wie es solche Kategorisierungen in den meisten Fällen sind – zu simpel und schematisch, um sein gesamtes Werk einzuordnen, doch grundsätzlich ist es berechtigt zu sagen, dass Hiller als Komponist schon früh dem Stil der Romantik nahestand. In jungen Jahren war er dafür als progressiv geschätzt worden, doch da er seinem Stil treu blieb, wandelte sich sein Image über die Jahrzehnte, bis er in der musikalischen Öffentlichkeit zunehmend als konservativ wahrgenommen wurde.
Heute werden von Zeit zu Zeit einzelne von Hillers Kompositionen in den Konzertsälen wiederentdeckt, beispielsweise seine Sinfonie e-moll, das Klavierkonzert Nr. 2, das Klavierquartett Nr. 3, eine Kantate mit dem Titel „Loreley“ und einige Vertonungen von Gedichten Heinrich Heines. Hiller ist der einzige Komponist, für den Heine selbst Gedichte zur Vertonung zusammengestellt hat. Einer gewissen Popularität bei festlich-religiösen Anlässen erfreut sich außerdem das Gebet „Herr, den ich tief im Herzen trage“ nach einem Text von Emanuel Geibel (1815-1884). Dass Hillers Werk, abgesehen von solchen wenigen Ausnahmen im 20. Jahrhundert, überwiegend von den Spielplänen verschwunden ist, wurde auch dadurch befördert, dass die Nationalsozialisten ihn als Sohn einer jüdischen Familie ab 1933 umgehend aus den Konzertsälen verbannten.
Abschließend lässt sich festhalten, dass es in Hillers Werk und seiner Biographie viel zu entdecken gibt, was Einblicke in das kulturelle und gesellschaftliche Leben des 19. Jahrhunderts erlaubt. So spiegeln seine Publikationen und seine umfangreiche Korrespondenz mit Künstlern wie Heine, Mendelssohn, Rossini, Verdi und dem Ehepaar Schumann Strömungen des Geisteslebens seiner Zeit wider. Auch wenn Hiller nicht zu den großen Genies und Visionären des 19. Jahrhunderts gezählt wird, ist er doch als vielseitiger Künstler zu sehen, der sein Handwerk auf hohem Niveau beherrschte und der auf die Entwicklung des Konzertwesens, des Musiklebens und auf dessen Überlieferungsgeschichte im Rheinland großen Einfluss genommen hat.
Werke (Auswahl)
WoO - Ouverture in Form der Händelschen; für Streichquintett (1826)
Op. 2 - Duo concertant für Violoncello und Klavier (Friedrich Kalkbrenner gewidmet)
Op. 16 - Neuer Frühling: Liederkreis von zwölf Gesängen von Heinrich Heine
WoO – Romilda; Oper in 2 Akten
Op. 18 - 6 Lieder von Fr. Rückert
Op. 24 - Die Zerstörung Jerusalems, Oratorium
Op. 36 - Gesang der Geister über den Wassern; für Chor und Orchester
Op. 47 - Piano Sonata No.1
Op. 49 - O weint um sie nach den hebräischen Gesängen des Lord Byron; für Sopran, Chor und Orchester
Op. 56 - 24 Esquisses et études rhythmiques
Op. 60 - Psalm 125, Die auf den Herrn hoffen
Op. 65 - Psalm 119 Wohl denen, die ohne Wandel
Op. 80 - Saul; Oratorium
Op. 83 - Die Wallfahrt nach Kevlaar
Op. 97 - Zur Guitarre; für Klavier
Op. 102 - Palmsonntagmorgen; für Sopran und Frauenchor mit Orchester
Op. 106 - Operette ohne Text für Klavier zu 4 Händen
Op. 116 - 8 Gedichte von Heinrich Heine
Op. 120 - Der Deserteur; Oper in 3 Akten
Op. 145 - Overtüre zu Schillers 'Demetrius'
Op. 151 - Israel's Siegesgesang - Hymne für Sopran, gemischten Chor und Orchester
Op. 173 - 50 kleine Impromptus
Op. 183 - Instrumentalstücke und Chöre zum dramatische Märchen Prinz Papagei von Görner
Op. 200 - Richard Löwenherz - Ballade für Chor, Tenor solo und Orchester
WoO - Balladen vom Pagen und der Königstochter; Melodram (1893)
Nachlass
Historisches Archiv der Stadt Köln (Best. 1051): Briefe, ferner das bedeutende Autographenalbum mit Versen Goethes, Chopins Mazurka op. 6/1 sowie die seit 1842 geführten Tagebücher Hillers, erschlossen durch: Verzeichnis von Reinhold u. M. Sietz, Köln 1970.
Robert-Schumann-Hauses Zwickau: Autographe der frühen Kompositionsphase (1828-1839).
Teilnachlässe: Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz (weitere 92 Briefe, Musikautographe).
Kompositorischer Nachlass: Universitätsbibliothek Frankfurt am Main: 74 Musikhandschriften, darunter 21 Sammelhandschriften, 278 Handexemplaren der gedruckten Stücke, teilweise Mehrfachexemplare. Die Sammelhandschriften enthalten neben Kompositionen auch Skizzen, Fragmente und Kontrapunktstudien, insgesamt sind 188 der 207 Opera Hillers vorhanden. – Die Universitätsbibliothek Frankfurt bewahrt auch Briefe Hillers in verschiedenen anderen Nachlässen auf: im Nachlass Julius Stockhausen 17 Briefe und ein Porträt, im Nachlass Engelbert Humperdinck je ein Brief von und an Hiller, eine weitere Fotographie sowie ein Zeugnis seines Lehrers. Weitere Briefe von und an Hiller sind enthalten in den Sammlungen Manskopf, Gutzkow und Börne.
Quellen
Sietz, Reinhold (Hg.), Aus Ferdinand Hillers Briefwechsel, 7 Bände, Köln 1958-1970.
Literatur
Ackermann, Peter/Jacobshagen, Arnold/Scoccimarro, Roberto/Steinbeck, Wolfram (Hg.), Ferdinand Hiller. Komponist, Interpret, Musikvermittler, Kassel 2014.
Bockholdt, Rudolf, Hiller, Ferdinand von, in: Neue Deutsche Biographie 9 (1972), S. 152-153.
Sietz, Reinhold, Ferdinand Hiller, in: Fellerer, Karl Gustav (Hg.), Rheinische Musiker, 1. Folge, Köln 1960, S. 115-122.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Sträter, Nina, Ferdinand Hiller, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ferdinand-hiller/DE-2086/lido/5dd2b0d8567c90.91931306 (abgerufen am 05.10.2024)