Frank Köllges

Musiker und Improvisationskünstler (1952–2012)

Karsten Lehl (Düsseldorf)

Frank Köllges während der Kölner Musiknacht 2011. (Foto: Gerhard Richter)

Frank Köll­ges war ein deut­scher Mu­si­ker, Kom­po­nist, Schau­spie­ler und Per­for­mance-Künst­ler. Sei­ne viel­fäl­ti­ge Be­ga­bung und un­bän­di­ge Krea­ti­vi­tät lie­ßen ihn zu ei­ner zen­tra­len Fi­gur der pro­gres­si­ven Mu­sik­sze­ne Nord­rhein-West­fa­lens wer­den, die zahl­rei­che an­de­re Künst­ler aus un­ter­schied­li­chen Be­rei­chen nach­hal­tig be­ein­fluss­te.

Frank Köll­ges wur­de am 18.11.1952 in Düs­sel­dorf ge­bo­ren. Be­reits früh ent­deck­te er für sich das Schlag­zeug und die Per­kus­si­ons­in­stru­men­te, die ihn sein Le­ben lang be­glei­ten soll­ten. In­spi­ra­ti­on hier­für war sein Va­ter Hans Köll­ges (1930–2015), der haupt­säch­lich als Ar­chi­tekt tä­tig war, doch selbst als be­gab­ter Hob­by-Schlag­zeu­ger in ver­schie­de­nen Grup­pen spiel­te. Da­her ver­füg­te er über ei­nen ent­spre­chend ein­ge­rich­te­ten Pro­be­raum, in dem Frank sich früh­zei­tig er­pro­ben konn­te. Auch als Ge­le­gen­heits­dich­ter ab­sur­der, spon­tan laut­ma­le­ri­scher Ge­dich­te be­tä­tig­te sich Hans Köll­ges, und auch die­se Nei­gung über­trug sich auf sei­nen Sohn, der in spä­te­ren Jah­ren mü­he­los zwi­schen Mu­sik, Mo­dera­ti­on und im­pro­vi­sier­ten Non­sens-Tex­ten wech­sel­te und sein Pu­bli­kum da­mit eben­so er­hei­ter­te wie ver­wirr­te.

Das kom­mu­ni­ka­ti­ve Ele­ment im ge­mein­sa­men Mu­si­zie­ren mit an­de­ren wie auch in Li­te­ra­tur, Kunst und Thea­ter fas­zi­nier­te Köll­ges schon im Ju­gend­al­ter. Be­reits 1969 grün­de­te er ge­mein­sam mit Mi­cha­el „Mi­ke“ Jan­sen (ge­bo­ren 1951) die Mu­sik-Per­for­mance-Grup­pe „padlt no­idlt“, wo­bei Jan­sen spä­ter zu­meist das Pseud­onym „Pe­ter Padlt“ führ­te, wäh­rend Köll­ges als „Adam No­idlt“ auf­trat. Al­ler­dings er­klär­te Köll­ges in ei­nem In­ter­view in der für ihn ty­pi­schen Mi­schung aus Ernst­haf­tig­keit und iro­nisch ge­färb­tem Hu­mor, der Na­me stel­le das klang­li­che Er­geb­nis dar, das ent­ste­he, wenn ein pa­ra­no­id schi­zo­phre­ner Pa­ti­ent un­ter ei­ner Über­do­sis sei­ner Me­di­ka­ti­on ver­su­che, das Wort „pa­ra­no­id“ aus­zu­spre­chen.

 

Trotz die­ses frü­hen In­ter­es­ses an freie­ren Kunst­for­men be­gann Köll­ges 1970 mit ei­nem Schlag­zeug-Stu­di­um, das ihn zu­nächst nach Graz, dann nach Köln führ­te. Hier knüpf­te er nicht nur zahl­rei­che Kon­tak­te in die Jazz-, Klas­sik- und Kunst­sze­ne, son­dern eig­ne­te sich auch be­ein­dru­cken­de mu­si­ka­li­sche Fer­tig­kei­ten auf sei­nen In­stru­men­ten an, die es ihm in spä­te­ren Jah­ren er­mög­li­chen soll­ten, in na­he­zu je­der Si­tua­ti­on künst­le­risch auf ho­hem Ni­veau re­agie­ren zu kön­nen. Zu­nächst schien Köll­ges eher im Jazz ak­tiv zu sein. 1974 er­schien als pri­va­te Ver­öf­fent­li­chung die ers­te Schall­plat­te, an der er in we­sent­li­chen Funk­tio­nen mit­wirk­te: Auf zwei Ti­teln sei­nes Tri­os „Con­stel­la­ti­on“ prä­sen­tier­te Köll­ges sich auch als Kom­po­nist ei­nes Ti­tels und als Pia­nist. Auch in den kom­men­den Jah­ren war der vir­tuo­se Schlag­zeu­ger Mit­glied in zahl­rei­chen For­ma­tio­nen, in de­nen er oft ge­nug gleich­zei­tig ne­ben­ein­an­der spiel­te – Ru­he kann­te Frank Köll­ges sein Le­ben lang nicht. Für an­de­re, die sein Tem­po nicht mit­ge­hen konn­ten oder woll­ten, war er oft nur schwer zu er­tra­gen, da sei­ne Ide­en und As­so­zia­tio­nen eben­so in­spi­rie­rend wie un­barm­her­zig per­ma­nent her­aus­spru­del­ten. Al­lein sämt­li­che Künst­ler, mit de­nen Köll­ges zu­sam­men­ar­bei­te­te, hier nur na­ment­lich auf­zu­zäh­len, wür­de ge­nü­gen, um den Um­fang des Ar­ti­kels zu spren­gen. We­sent­li­che rei­ne Mu­sik­pro­jek­te Köll­ges' der 1970er Jah­re wa­ren et­wa 1975 „Key“ ge­mein­sam mit dem Trom­pe­ter Mar­kus Stock­hau­sen (ge­bo­ren 1957) und ab dem fol­gen­den Jahr die Grup­pe „Third Ey­e“, in der ne­ben den per­ma­nen­ten Mit­glie­dern Köll­ges und dem Bas­sis­ten Ali Hau­rand (1943–2018) ver­schie­de­ne Mu­si­ker im­mer wie­der in neu­en Kon­stel­la­tio­nen zu­sam­men­fan­den, dar­un­ter so un­ter­schied­li­che Künst­ler wie der Pia­nist Jan Huydts (ge­bo­ren 1937), die Sa­xo­pho­nis­ten Wil­ton Gay­n­air (1927–1995) und Alan Skid­mo­re (ge­bo­ren 1942) oder der Per­kus­sio­nist Ste­ve Bos­ton (1935–2017).

Doch auch „padlt no­idlt“ war nach wie vor ak­tiv. Auch hier er­wei­ter­te sich der Kreis der Mit­glie­der im Lau­fe der Zeit be­trächt­lich. Ei­nen er­heb­li­chen Zu­wachs an Aus­drucks­kraft brach­te vor al­lem der Kon­takt mit dem Bild- und Per­for­mance­künst­ler Mi­ke Hentz (ge­bo­ren 1954) , des­sen Ge­spür für die Wir­kung im öf­fent­li­chen Raum, ver­bun­den mit ana­ly­ti­scher Re­fle­xi­ons­fä­hig­keit be­züg­lich der ei­ge­nen Leis­tung, die Ar­beit der Grup­pe auf ein neu­es Le­vel hob. Zwi­schen 1976 und 1978 fan­den drei mehr­tä­gi­ge „padlt-no­idlt“ Fes­ti­vals in Graz statt, die teil­wei­se Künst­ler und Pu­bli­kum an die Gren­zen ih­rer Be­last­bar­keit führ­ten. Köll­ges war zu die­ser Zeit fas­zi­niert von ex­tre­men Dar­bie­tungs­for­men, die et­wa über meh­re­re Ta­ge in ei­nem ver­schlos­se­nen Raum statt­fan­den und so den Aus­tausch al­ler An­we­sen­den ge­ra­de­zu er­zwan­gen. Man­che schreck­te dies von vorn­her­ein ab, an­de­re be­gehr­ten noch wäh­rend der Per­for­man­ces ge­gen sol­che Zu­mu­tun­gen auf, vie­le emp­fan­den es als Be­rei­che­rung und An­lass zur Selbst­re­fle­xi­on – Lan­ge­wei­le je­doch kam nie auf. Auf­trit­te in der Düs­sel­dor­fer Ton­hal­le und das En­ga­ge­ment als „Wahn­sin­ni­ges Or­ches­ter“ im Zir­kus Ron­cal­li 1979 bil­de­ten wei­te­re Hö­he­punk­te des Wir­kens von „padlt no­idlt“.

Zu Be­ginn der 1980er Jah­re war es zu­neh­mend die avant­gar­dis­ti­sche Pop­mu­sik, die Köll­ges be­schäf­ti­ge. 1981 spiel­te er mit den „Krupp­s“ die ers­te Fas­sung von de­ren „Stahl­werks­in­fo­nie“ ein – ei­ne spä­ter pro­du­zier­te Ver­si­on auf Lang­spiel­plat­te wur­de vom „New Mu­si­cal Ex­pres­s“ zur Lang­spiel­plat­te der Wo­che er­klärt und gilt als Mei­len­stein der deut­schen In­dus­tri­al-Mu­sik. Zu die­sem Zeit­punkt war Köll­ges je­doch be­reits wei­ter­ge­zo­gen. Ihn be­schäf­tig­te nicht nur die eher in der Tra­di­ti­on von „Kraft­wer­k“ ste­hen­de, viel­leicht am ehes­ten der „Neu­en Deut­schen Wel­le“ zu­zu­ord­nen­de Band „ASLK“, son­dern auch die 1980 mit sei­nem jün­ge­ren Bru­der, dem Sa­xo­fo­nis­ten und Ma­ler Lutz Köll­ges (ge­bo­ren 1956), ins Le­ben ge­ru­fe­ne Jazz­for­ma­ti­on „Kli­mar­kan­t“.

Auch ne­ben der Mu­sik such­te Frank Köll­ges nach neu­en An­re­gun­gen. Auf dem Se­gel­schul­schiff „Sig­an­d­or“ ab­sol­vier­te er 1981 ei­ne Aus­bil­dung als Steu­er­mann und So­zi­al­päd­ago­ge. Das Kon­zept ei­ner rich­tungs­wei­sen­den Po­si­ti­on in ei­nem kom­ple­xen Kol­lek­tiv von Hand­wer­kern und tech­ni­schen Spe­zia­lis­ten pass­te her­vor­ra­gend zum Selbst­bild des Mul­ti­ma­chers und Ani­ma­tors und soll­te ihn in den kom­men­den Jah­ren we­sent­lich prä­gen. 1982 ent­stand die Band „Här­te 10“ mit dem Per­kus­sio­nis­ten Va­le­rie Kohl­metz (ge­bo­ren 1950) und dem Mul­ti­in­stru­men­ta­lis­ten Jür­gen Dah­men (ge­bo­ren 1956), der je­doch nach kur­zer Zeit wie­der aus­stieg und durch den Pia­nis­ten Mi­ke Her­ting (ge­bo­ren 1954) er­setzt wur­de. Drei Lang­spiel­plat­ten der Grup­pe fu­sio­nier­ten die un­ter­schied­li­chen Mu­sik­sti­le, in de­nen Köll­ges und sei­ne Mit­mu­si­ker sich bis da­hin ver­sucht hat­ten, zu ei­nem auf­re­gen­den Kon­glo­me­rat jen­seits ein­fa­cher Gen­re­zu­wei­sun­gen. Vor al­lem je­doch lo­te­te das Trio in hun­der­ten von Auf­trit­ten in der gan­zen Welt die Gren­zen zwi­schen Kon­zert und Per­for­mance aus. Er­gän­zend wur­de Köll­ges, von ihm selbst nicht vor­her­ge­se­hen und doch fast zwangs­läu­fig, zum Di­ri­gen­ten. Im Rah­men ei­ner Rei­he von Wahl­kampf-Ver­an­stal­tun­gen der SPD hat­te er 1984 das An­ge­bot er­hal­ten, ein Or­ches­ter zu di­ri­gie­ren. Er nahm an, da­von aus­ge­hend, dass Di­ri­gie­ren letzt­lich als mu­si­ka­li­sche Show mit ex­akt or­ga­ni­sier­ten Be­we­gun­gen in sei­nen Kom­pe­tenz­be­reich als Schlag­zeu­ger fiel. In der Tat ging zu­nächst al­les rei­bungs­los, bis am letz­ten Abend „der ers­te Trom­pe­ter jetzt heim­lich mit dem Or­ches­ter ver­ab­re­de­te: ‚Komm, heu­te spie­len wir mal ge­nau das, was Köll­ges di­ri­giert.‘ Und da­mit, in die­sem Au­gen­blick wur­de qua­si das ‚Wil­de Di­ri­gie­ren‘ ge­bo­ren, denn ich merk­te ganz schnell, dass je­der Feh­ler […] als Feh­ler jetzt ge­spielt wur­de. Das hei­ßt, ich mach­te jetzt ganz vie­le Feh­ler und […] di­ri­gier­te den vol­len Wahn­sinn, und die spiel­ten das mir von den Hän­den run­ter.“[1] 

Frank Köllges bei einer Aufführung im Jahr 1980 in Hamburg. (CC BY-SA 4.0/Dhfotos)

 

Hier­von aus­ge­hend, ent­wi­ckel­te er ein kom­ple­xes, aber in­tui­ti­ves Sys­tem von Zei­chen, wel­ches es ihm er­laub­te, mit ei­nem Or­ches­ter als In­stru­ment zu im­pro­vi­sie­ren, in­dem die Mu­si­ker oh­ne No­ten spiel­ten und er als „Steu­er­man­n“ durch sei­ne Ges­ten und Mi­mik lenk­te, wie die Mu­sik sich ent­wi­ckel­te. Auf die­ser Grund­la­ge ent­stand das „Adam No­idlt In­ter­mis­si­on Or­ches­ter“, das sich al­ler­dings nicht nur durch den Di­ri­gen­ten von her­kömm­li­chen Mu­si­kern un­ter­schied: Köll­ges' weit­ge­fass­te Kunst­vi­si­on hieß je­de Art von Bei­trag zum Gan­zen will­kom­men, die sich ex­akt pla­nen und wie­der­ho­len ließ. So ge­sell­ten sich zur Mu­sik bald Thea­ter, Kunst, Akro­ba­tik und so­gar Hand­werk. Hier­zu mein­te Köll­ges tro­cken: „Klei­ne Ta­len­te hat nun ja je­der Mensch […], und wenn das ge­formt war und in fünf Mi­nu­ten pass­te und ich das di­ri­gie­ren konn­te, durf­te der im Or­ches­ter mit­ma­chen.“ In­ter­mis­si­on war eben­so wie die 1999 hier­aus her­vor­ge­gan­ge­nen „Mis­si­les“ ei­ne Grup­pe von gren­zen­lo­ser Ein­setz­bar­keit, die im­mer wie­der un­ver­se­hens über ein ah­nungs­lo­ses Pu­bli­kum her­ein­bre­chen konn­te – so et­wa 1993 mit der Ak­ti­on „Die Bahn“ im Rah­men der „art co­lo­gne“, als die Mu­si­ker in der Köl­ner U-Bahn durch die Stadt reis­ten und die Wag­gons so un­ver­se­hens für die Dau­er der Fahrt von ei­ner Hal­te­stel­le zur nächs­ten in ei­nen Kon­zert­saal ver­wan­del­ten. Köll­ges war mit sei­nen En­sem­bles bei Mu­se­ums­er­öff­nun­gen eben­so prä­sent wie bei der „do­cu­men­ta“ in Kas­sel, vom klei­nen Club bis zur Köl­ner Phil­har­mo­nie wur­de je­der Raum ge­nutzt. In­ti­me­re For­ma­te er­gänz­ten im­mer wie­der Köll­ges' Gro­ß­pro­jek­te. So hat­te er seit den 1980er Jah­ren in Zu­sam­men­ar­beit mit dem Ly­ri­ker Tho­mas Kling (1957–2005) ei­ne Form der Au­to­ren­le­sung mit be­glei­ten­dem Schlag­werk ent­wi­ckelt, in der sich die Ta­len­te bei­der Künst­ler syn­er­ge­tisch ver­stärk­ten. Auch als Ein­zel­künst­ler war Köll­ges, der be­reits 1976 ei­ne So­lo-Schall­plat­te ver­öf­fent­licht hat­te, im­mer wie­der zu hö­ren. Aus Schlag­zeug, Key­board und klei­ner Ver­stär­ker­an­la­ge hat­te er sich ei­ne Ein­heit kon­stru­iert, die er „Brot­ma­schine“ nann­te, da sie ihm ge­stat­te­te, mo­bil zu blei­ben, nach Lust und Lau­ne zu rei­sen und über­all auf der Welt nach kur­zem Auf­bau das täg­li­che Brot zu ver­die­nen.

Al­le die­se An­sät­ze ver­dich­te­ten sich schlie­ß­lich zu ei­ner Vi­si­on, die lei­der bis zu Köll­ges' Tod ein Traum blieb: Das Kon­zept der „Pla­ne­ten­fah­rer“. Eben­so wie er mit sei­ner „Brot­ma­schine“ mo­bil sein konn­te, woll­te er die Kunst selbst in ein mo­bi­les Kol­lek­tiv ver­wan­deln. Grö­ße­re Fahr­zeu­ge und Schif­fe als Le­bens- und gleich­zei­tig Auf­tritts­raum soll­ten sich mit Crews aus Mu­si­kern, Künst­lern, Hand­wer­kern und Wis­sen­schaft­lern frei durch die Welt be­we­gen, zwi­schen­durch an­hal­ten, spon­ta­ne Auf­füh­run­gen ge­ben, Zu- und Ab­gän­ge er­mög­li­chen und sich bei Tref­fen an den Hal­te- oder An­le­ge­punk­ten aus­tau­schen. So soll­te ein so­zi­al und künst­le­risch ab­so­lut ba­sis­de­mo­kra­ti­sches Le­bens­ge­fühl ge­schaf­fen wer­den, in dem je­der Mensch sich frei und nach sei­nen Mög­lich­kei­ten ent­fal­ten und so zur Ge­stal­tung der Ge­sell­schaft und ih­res All­tags­le­bens bei­tra­gen konn­te. Im­mer­hin konn­te Köll­ges 1992 ein Pi­lot­pro­jekt rea­li­sie­ren: Ein ent­spre­chend um­ge­bau­tes Schiff fuhr mit dem In­ter­mis­si­on Or­ches­ter und Gäs­ten von Köln den Rhein hin­auf bis nach Ba­sel, wo ge­ra­de die „Art Ba­sel“ statt­fand. Trotz der un­ver­meid­li­chen Span­nun­gen durch so vie­le Men­schen auf engs­tem Raum, die auch den Päd­ago­gen Köll­ges täg­lich for­der­ten: Die­se „Art-Tour Rhein­stein“ zeig­te, was mög­lich ge­we­sen wä­re, hät­ten die Pla­ne­ten­fah­rer den Spon­sor ge­fun­den, der ei­ne ers­te, auf drei Jah­re an­ge­leg­te Ex­pe­di­ti­on fi­nan­ziert hät­te.

Was im rea­len Le­ben nicht ge­lang, ver­such­te Köll­ges über me­dia­len Aus­tausch we­nigs­tens in An­sät­zen zu rea­li­sie­ren: Die von ihm ge­schrie­be­ne Fern­seh­pro­duk­ti­on „Ka­by­lon – Adam im Wun­der­land der Me­di­en“, die Köll­ges auch als Haupt­dar­stel­ler er­le­ben lässt, zeigt die Ge­fah­ren der di­gi­ta­len Welt eben­so wie ih­re Fas­zi­na­ti­on. Auch das In­ter­net wur­de schnell zu ei­nem gern ge­nutz­ten Me­di­um und Trä­ger ei­ner spek­ta­ku­lä­ren Ak­ti­on 1999: Vom 23. Mai bis zum 24. Ju­ni im­pro­vi­sier­te Köll­ges im Köl­ner „Rhein­län­der“ täg­lich von 12 Uhr mit­tags bis tief in die Nacht öf­fent­lich mit Freun­den, Be­kann­ten und al­len Gäs­ten, die eben kom­men woll­ten, und ließ über das In­ter­net In­ter­es­sier­te an den Er­geb­nis­sen der Ses­si­ons teil­ha­ben. Wenn die Kunst nicht den Pla­ne­ten um­fah­ren durf­te, so woll­te doch Köll­ges of­fen­bar die gan­ze Kunst um­fah­ren. Seit 2000 spiel­te er nicht nur Jazz und Rock mit al­ten Freun­den, er wand­te sich auch wie­der ver­stärkt der klas­si­schen Mu­sik zu, die er seit sei­nem Stu­di­um eher ver­nach­läs­sigt hat­te. 2004 lei­te­te er ge­mein­sam mit dem Kom­po­nis­ten Howard Skemp­ton (ge­bo­ren 1947) die Ur­auf­füh­rung von des­sen „Wa­ves“ für zwei Or­ches­ter und 2009 war er als Schlag­zeu­ger der Ur­auf­füh­rung von Al­brecht Mau­rers (ge­bo­ren 1959) „Pro­tu­ber­an­za“ zu er­le­ben. Da­ne­ben setz­te er sich nach dem Tod sei­nes Freun­des Tho­mas Kling auch als Re­zi­ta­tor für des­sen Werk ein. Als Schau­spie­ler über­zeug­te er nicht nur in Leip­zig 2005 in der Rol­le des Obe­ron in der Shake­speare-Ad­ap­ti­on „Ein Spät­som­mer­nachts­traum“, son­dern be­glück­te in dem Kin­der­mu­si­cal „Rit­ter Ros­t“ auch klei­ne Thea­ter­neu­lin­ge. Ne­ben Aus­flü­gen in die in­ter­na­tio­na­le Kunst­welt von sei­nem Haus in Usch in der Ei­fel war er lo­kal eben­so prä­sent und di­ri­gier­te mo­nat­li­che Mu­sik-Hap­pe­nings von Land­ma­schi­nen, die so­gar in Rei­se­füh­rern Er­wäh­nung fan­den. Köll­ges grün­de­te Im­pro­vi­sa­ti­ons-Or­ches­ter und -Chö­re, die nach sei­nem Hand­zei­chen-Sys­tem ar­bei­te­ten, er ver­lieh in ei­ner Hör­spiel­fas­sung von Mi­cha­el En­des „Jim Knopf“ der Lo­ko­mo­ti­ve Em­ma mit sei­nem Schlag­zeug ei­ne un­ver­wech­sel­ba­re Stim­me und spiel­te schein­bar un­er­müd­lich mit al­ten und neu­en Freun­den. Nur, wer ihn nä­her kann­te, wuss­te von sei­ner Krebs­er­kran­kung und be­merk­te die nach­las­sen­den Kräf­te des Mu­si­kers. 2010 be­wies Köll­ges in ei­ner ein­drucks­vol­len So­lo-Per­for­mance „Ab­schied­neh­men“ am Ort des Love-Pa­ra­de-Un­glücks in Duis­burg, dass er nur mit ei­ner Hand­trom­mel auch ein Meis­ter lei­se­rer und an­rüh­ren­der Tö­ne sein konn­te. Noch we­ni­ge Ta­ge vor sei­nem Tod am 1.1.2012 in ei­nem Hos­piz in Neuss plan­te er neue Pro­jek­te, bis er dann doch auf­ge­ben muss­te und dem Köl­ner Pia­nis­ten An­dy Lumpp (ge­bo­ren 1957), mit dem er 1975 erst­mals auf­ge­tre­ten war, am Te­le­fon be­züg­lich ei­ner neu zu grün­den­den Band be­dau­ernd mit­teil­te, er ha­be nun lei­der an­de­re Pro­ble­me.

Köll­ges' künst­le­ri­scher Nach­lass, der im Düs­sel­dor­fer Hein­rich-Hei­ne-In­sti­tut auf­be­wahrt wird, um­fasst be­ein­dru­cken­de 262 Me­di­en­ein­hei­ten. 

Diskographie (Auswahl)

So­lo:
Knis­pel nie (1976)
sweet night­ma­res (1996)
To­sca­na Emo­ti­ons (1997)
Die Stei­ne der Sin­gen­den (2001)
Os­wald von Wol­ken­stein Mo­bi­li­sie­run‘ – Köll­ges liest Kling in Kon­stanz (2001)
The Best of The Usch-Ses­si­ons [mit Ger Schä­fer] (2007)

ASLK:
Klang... & KRANK! (Sin­gle; 1981)

Au­to­fab:
Au­to­fab (2003)

Con­stel­la­ti­on:
Tears / At­ti­tu­des (Sin­gle; 1974)

Chro­me­kraut:
chro­me­kraut li­ve (2009)

Frédé­ric Ra­bold Crew:
Flair (1972)

Här­te 10:
Här­te 10 (1983)
What is Un­der­ground (Sin­gle; 1984)
Wel­co­me To Ger­ma­ny (1985)
Gu­gu Da­da (1987)

In­ter­mis­si­on:
ei­ne per­ma­nen­te hel­le flä­che (1992)

Mis­si­les:
Li­ve at Rhein­län­der (1999)
Mensch Ma­schi­ne Mu­sik – 100 Jah­re BGG (2000)

Mo­dern Per­cus­sion Quin­tett:
Life im Pott (2001)

The Nail Nip­pers:
Bi­tin' Thru (1997)

Nor­bert Stein Pa­ta Or­ches­ter:
News of Rio Ubu (1997)
ri­tu­al life (1991)

Aernschd Born Stör­fall:
Tauch­sta­ti­on (Sin­gle; 1982)
Fa­ta Spon­ta­na (Sin­gle; 1983)

Third Eye:
Third Eye (1976)
Con­ne­xi­on (1977)
ME­TEC-Sound Cir­cle (Sin­gle; 1979)

Va­rious Ar­tists / Gast­auf­trit­te:
MI­CHA­EL SELL OR­CHES­TER: Vier Stü­cke für Or­ches­ter (1987)
MI­KE HER­TING: Wem ge­hört Bra­si­li­en (ver­A­Bra 1990)
Fa­s­te­loo­vend-Roots-Pro­jekt (Hum­ba 1990)
KÖS­TER HO­CKE: Je­d­ris­se Ba­by (2007)

Literatur

Stahl, En­no (Hg.), Duo-Krea­tio­nen. Tho­mas Kling & Frank Köll­ges, ge­mein­sam und mit an­de­ren, Düs­sel­dorf 2017.

Fotografie von Frank Köllges aus dem Jahr 1989. (Foto: Hans Kumpf)

 
Zitationshinweis

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Lehl, Karsten, Frank Köllges, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/frank-koellges/DE-2086/lido/6041ed1500b617.31637286 (abgerufen am 25.04.2024)