Franz Steinbach

Historiker (1895-1964)

Marlene Nikolay-Panter (Bonn)

Franz Steinbach, Porträtfoto, Foto: Foto Herff, Kaiserplatz 20, 5300 Bonn. (Universitätsarchiv Bonn)

Franz Stein­bach war ei­ner der füh­ren­den rhei­ni­schen Lan­des­his­to­ri­ker des 20. Jahr­hun­derts.

Franz Stein­bach wur­de am 10.10.1895 im ber­gi­schen Rom­mers­berg bei En­gels­kir­chen als zehn­tes von zwölf Kin­dern ge­bo­ren. Nach dem Be­such der Volks­schu­len in En­gels­kir­chen und Lind­lar so­wie des Pro­gym­na­si­ums in Ber­gisch Glad­bach mach­te er 1915 am hu­ma­nis­ti­schen Gym­na­si­um in Neuss das Kriegsa­b­itur. Nach der Rück­kehr aus dem Ers­ten Welt­krieg, an dem er als Kriegs­frei­wil­li­ger teil­ge­nom­men hat­te, be­gann er im Herbst 1918 sein Stu­di­um in Bonn in den Fä­chern Ge­schich­te, Ger­ma­nis­tik, Staats­wis­sen­schaf­ten und Phi­lo­so­phie. Zu sei­nen aka­de­mi­schen Leh­rern ge­hör­ten ne­ben Wal­ter Platz­hoff (1881-1969), Aloys Schul­te und Wil­helm Le­vi­son vor al­lem Her­mann Au­bin und Theo­dor Frings, un­ter de­ren Ägi­de 1920 das In­sti­tut für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de (IGL) an der Uni­ver­si­tät Bonn ge­grün­det wur­de.

Von der sich an die­sem In­sti­tut eta­blie­ren­den neu­en Lan­des­ge­schich­te mit ih­rem In­ter­es­se an Wirt­schaft und Ge­sell­schaft, Recht und Ver­fas­sung, Sied­lungs- und Stadt­ge­schich­te in in­ter­dis­zi­pli­nä­rer Ver­bin­dung mit Sprach­ge­schich­te und Volks­kun­de emp­fing Stein­bach die ent­schei­den­den An­re­gun­gen für sei­ne wis­sen­schaft­li­che Tä­tig­keit. Die Rhein­lan­de in den Gren­zen der al­ten preu­ßi­schen Rhein­pro­vinz bo­ten für die­se kul­tur­ge­schicht­li­chen und kul­tur­ver­glei­chen­den For­schun­gen zu­nächst den re­gio­na­len Rah­men, ver­bun­den mit dem An­spruch, die für das Rhein­land ge­won­ne­nen Er­kennt­nis­se auch für die all­ge­mei­ne Ge­schich­te frucht­bar zu ma­chen.

1922 wur­de Stein­bach bei Au­bin sum­ma cum lau­de mit ei­ner Ar­beit über „Ver­er­bung und Mo­bi­li­sie­rung des länd­li­chen Grund­be­sit­zes im ber­gi­schen Hü­gel­land" pro­mo­viert und an­schlie­ßend ers­ter As­sis­tent am Bon­ner In­sti­tut. Fra­gen der Agrar­ge­schich­te und der länd­lich-bäu­er­li­chen Rechts- und So­zi­al­ord­nung ge­hör­ten seit­dem zu ei­nem sei­ner be­vor­zug­ten For­schungs­fel­der. Her­vor­he­bung ver­dient in die­sem Zu­sam­men­hang sei­ne mit Erich Be­cker (1906-1981) ver­fass­te Ar­beit über die „Grund­la­gen der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tung" so­wie sein viel be­ach­te­ter Auf­satz über „Ge­wann­dorf und Ein­zel­hof", der zur Auf­ga­be der bis da­hin gül­ti­gen Leh­re von der alt­germa­ni­schen Her­kunft der Mark­ge­nos­sen­schaft führ­te.

1925 in Bonn ha­bi­li­tiert, über­nahm er be­reits ein Jahr spä­ter - 1926 - nach der Weg­be­ru­fung Au­bins nach Gie­ßen die Lei­tung des IGL. 1928 er­hielt er das neu ge­schaf­fe­ne Ex­tra­or­di­na­ri­at für Rhei­ni­sche Ge­schich­te und all­ge­mei­ne Wirt­schafts­ge­schich­te und wur­de for­mell zum Di­rek­tor des IGL er­nannt.

In sei­ner Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift „Stu­di­en zur west­deut­schen Stam­mes- und Volks­ge­schich­te", die mit ih­rem Er­kennt­nis­in­ter­es­se weit über das Rhein­land hin­aus­reich­te und west­eu­ro­päi­sche Zu­sam­men­hän­ge in den Blick nahm, knüpf­te Stein­bach me­tho­disch an den kul­tur­räum­li­chen An­satz sei­ner Leh­rer Au­bin und Frings an. Un­ter Ein­be­zie­hung his­to­ri­scher, sprach­li­cher und volks­kund­li­cher Be­fun­de kam er in fach­ver­glei­chen­der Syn­the­se zu dem Er­geb­nis, dass Völ­ker und Stäm­me nicht aus ur­ger­ma­ni­scher Zeit über­kom­me­ne Ge­mein­schaf­ten sei­en, son­dern dem his­to­ri­schen Wan­del un­ter­wor­fe­ne zeit­be­ding­te Ge­bil­de. Im Zu­sam­men­hang mit die­sem neu­en kul­tur­dy­na­mi­schen Ver­ständ­nis von „Volk" und „Stamm" kon­sta­tier­te er in ei­nem zwei­ten Schritt ei­nen ger­ma­nisch (= frän­kisch) do­mi­nier­ten Kul­tur­raum zwi­schen Rhein und Loire und in­ter­pre­tier­te die deutsch-fran­zö­si­sche Sprach­gren­ze als ei­ne Rück­zugs­li­nie der frän­ki­schen Sied­lungs­be­we­gung in Gal­li­en. Die­se viel be­ach­te­te, aber nicht un­wi­der­spro­chen ge­blie­be­ne The­se wur­de auf sei­ne An­re­gung hin von Franz Pe­tri in des­sen Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift wei­ter ver­folgt. Den Kul­tur­raum zwi­schen Rhein und Loire be­zeich­ne­te er in ei­ner spä­te­ren Pu­bli­ka­ti­on („Zur Grund­le­gung der eu­ro­päi­schen Ein­heit durch die Fran­ken", 1939) als „kern­eu­ro­päi­schen Raum".

Im An­schluss an sei­ne Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift stan­den seit Aus­gang der 1920er und in den 30er Jah­ren Fra­gen nach den Wech­sel­wir­kun­gen und zu­neh­mend den Ant­ago­nis­men zwi­schen ger­ma­ni­schem und ro­ma­ni­schem „Volks­tum" so­wie nach der „Volks­gren­ze im Wes­ten" im Mit­tel­punkt sei­ner wis­sen­schaft­li­chen In­ter­es­sen. In die­sem Kon­text ste­hen auch sei­ne um­fas­sen­den Ak­ti­vi­tä­ten im Vor­feld der Saarab­stim­mung von 1935. In den Zu­sam­men­hang der „West­for­schung" ge­hör­te eben­falls sein En­ga­ge­ment in der 1931 ge­grün­de­ten Rhei­ni­schen bzw. West­deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft, die er von 1931-1935 lei­te­te. Mit die­sen For­schun­gen, die von ei­nem ent­schie­de­nen Na­tio­nal­ge­fühl mo­ti­viert wa­ren, das na­tio­na­lis­ti­scher Zü­ge nicht ent­behr­te, und auf ei­ne Sicht­bar­ma­chung ger­ma­ni­scher Kul­tur­ein­flüs­se in den west­li­chen Nach­bar­län­dern ziel­te, emp­fahl sich Stein­bach den NS-Macht­ha­bern, de­nen sie als wis­sen­schaft­li­che Be­grün­dung für ih­re An­ne­xi­ons­be­stre­bun­gen im Wes­ten dien­ten. Gleich­wohl war das Ver­hält­nis des be­ken­nen­den Ka­tho­li­ken Stein­bach zum „Drit­ten Reich" am­bi­va­lent. Stein­bach war Mit­glied des Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Leh­rer­bun­des (NSLB) und des Na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Do­zen­ten­bun­des (NSD), nicht je­doch der NS­DAP.

Vom Au­gust 1939 bis Sep­tem­ber 1945 be­fand sich Stein­bach mit ge­ring­fü­gi­gen Un­ter­bre­chun­gen im Kriegs­ein­satz. Im Früh­jahr 1940 war er kurz­zei­tig als Lei­ter der Ab­tei­lung „Kul­tur und Volks­tum" bei der Mi­li­tär­ver­wal­tung für Bel­gi­en und Nord­frank­reich vor­ge­se­hen ge­we­sen, aber auf In­ter­ven­ti­on des SD nicht ein­ge­stellt wor­den. Auf Ver­an­las­sung der Mi­li­tär­ver­wal­tung nahm er dann im Win­ter­se­mes­ter 1940 / 1941 ei­ne Gast­pro­fes­sur an der Uni­ver­si­tät in Gent wahr, in de­ren An­schluss er für die Schaf­fung ei­nes deut­schen wis­sen­schaft­li­chen In­sti­tuts da­selbst plä­dier­te, das auf die Ver­bun­den­heit Bel­gi­ens mit dem Reich hin­ar­bei­ten soll­te. An­schlie­ßend war er bis Kriegs­en­de bei der Wehr­macht in Nor­we­gen ein­ge­setzt, zu­letzt als Re­gi­ments­kom­man­deur.

Nach sei­ner Rück­kehr aus dem Krieg im Sep­tem­ber 1945 er­lang­te Stein­bach im Fe­bru­ar 1946 die Wie­der­zu­las­sung als Hoch­schul­leh­rer. 1949 wur­de sein Ex­tra­or­di­na­ri­at - nach zwei­ma­li­gem ver­geb­li­chen Ver­such in den 1930er Jah­ren - in ein plan­mä­ßi­ges Or­di­na­ri­at um­ge­wan­delt und sei­ne Lehr­be­fug­nis zu­gleich auf „So­zi­al- und Wirt­schafts­ge­schich­te" und „Ge­schich­te der Rhein­lan­de" er­wei­tert. Im aka­de­mi­schen Jahr 1949 / 1950 war er De­kan.

Nach dem Krieg knüpf­te Stein­bach in wei­ten Tei­len the­ma­tisch und me­tho­disch an sei­ne Ar­bei­ten der 1920er und 30er Jah­re an, al­ler­dings mit ei­ner stär­ke­ren Be­rück­sich­ti­gung der Ver­fas­sungs-, So­zi­al- und Wirt­schafts­ge­schich­te. Ne­ben agrar­ge­schicht­li­chen The­men im wei­tes­ten Sin­ne, ins­be­son­de­re der Fra­ge nach dem Ur­sprung der Land­ge­mein­de, die er aus der Ge­richts­ge­mein­de her­lei­te­te, rich­te­te sich sein Blick nun ver­stärkt auch auf Bür­ger­tum und Stadt. Sei­ne For­schun­gen zur Ge­schich­te der deut­schen West­gren­ze nahm er nicht wie­der auf, eben­so wie die The­ma­tik des „Volks­tums" aus dem Blick ge­riet. Von „der ho­hen Be­deu­tung des frän­ki­schen An­teils an den fran­zö­si­schen Volks­grund­la­gen" blieb er gleich­wohl zeit­le­bens über­zeugt (Franz Pe­tri). In der Tra­di­ti­on der West­deut­schen For­schungs­ge­mein­schaft wur­de 1950 un­ter sei­nem Vor­sitz die vom Ge­samt­deut­schen Mi­nis­te­ri­um ge­för­der­te Ar­beits­ge­mein­schaft für west­deut­sche Lan­des- und Volks­for­schung ge­grün­det, die er bis 1964 lei­te­te und de­ren Ge­schäfts­füh­rung im IGL lag. Vor al­lem auch über die­se Ar­beits­ge­mein­schaft wur­den wis­sen­schaft­li­che Kon­tak­te ins west­li­che Aus­land ge­pflegt und er­neu­ert.

Das Le­bens­werk von Stein­bach ist un­trenn­bar ver­knüpft mit dem IGL, des­sen wis­sen­schaft­li­che Aus­rich­tung er in der Tra­di­ti­on sei­ner Leh­rer Au­bin und Frings präg­te und das seit sei­ner Grün­dung vie­le Jahr­zehn­te als „Leit­in­sti­tut" (Mat­thi­as Wer­ner) der neu­en deut­schen Lan­des­ge­schich­te wahr­ge­nom­men wur­de. Stein­bach führ­te die 1922 ins Le­ben ge­ru­fe­ne Rei­he „Rhei­ni­sches Ar­chiv" fort, be­grün­de­te 1931 zu­sam­men mit Adolf Bach und Jo­seph Mül­ler die In­sti­tuts­zeit­schrift „Rhei­ni­sche Vier­tel­jahrs­blät­ter" und war von 1926 bis 1961 Schrift­füh­rer des dem IGL na­he ste­hen­den „Ver­eins für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de". Un­ter sei­nem 35jäh­ri­gen Di­rek­to­rat wur­de das IGL zum Mit­tel­punkt der lan­des­ge­schicht­li­chen For­schun­gen im Rhein­land.

1960 wur­de Stein­bach eme­ri­tiert. Bei der Wie­der­be­set­zung wur­de sein Lehr­stuhl in ei­ne Pro­fes­sur für Ver­fas­sungs-, So­zi­al- und Wirt­schafts­ge­schich­te (Wolf­gang Zorn) und ei­ne für Rhei­ni­sche Lan­des­ge­schich­te (Franz Pe­tri) ge­teilt. Am 7.11.1964 ver­starb Franz Stein­bach in Bonn und wur­de auf dem Pop­pels­dor­fer Fried­hof bei­ge­setzt.

Werke

Bei­trä­ge zur Ber­gi­schen Agrar­ge­schich­te. Ver­er­bung und Mo­bi­li­sie­rung des länd­li­chen Grund­be­sit­zes im ber­gi­schen Hü­gel­land, Phil. Diss., Bonn 1922.
Collec­ta­nea Franz Stein­bach. Auf­sät­ze und Ab­hand­lun­gen zur Ver­fas­sungs-, So­zi­al- und Wirt­schafts­ge­schich­te, ge­schicht­li­chen Lan­des­kun­de und Kul­tur­raum­for­schung, hg. von Franz Pe­tri und Ge­org Dro­ege, Bonn 1967 [mit Schrif­ten­ver­zeich­nis].
Ge­schicht­li­che Grund­la­gen der kom­mu­na­len Selbst­ver­wal­tung in Deutsch­land. Un­ter Mit­wir­kung von Erich Be­cker, Bonn 1932 [Ab­druck der von Stein­bach ver­fass­ten Pas­sa­gen in: Collec­ta­nea Franz Stein­bach, Bonn 1967, S. 487-555] .
Stu­di­en zur west­deut­schen Stam­mes- und Volks­ge­schich­te, Je­na 1926, Nach­druck Darm­stadt 1962.

Festschrift, Nachruf

Brau­bach, Max/Pe­tri, Franz/Weis­ger­ber, Leo (Hg.), Aus Ge­schich­te und Lan­des­kun­de. For­schun­gen und Dar­stel­lun­gen. Franz Stein­bach zum 65. Ge­burts­tag ge­wid­met von sei­nen Freun­den und Schü­lern, Bonn 1960.
Pe­tri, Franz, Franz Stein­bach zum Ge­dächt­nis, in: Rhei­ni­sche Vier­tel­jahrs­blät­ter 29 (1964), S. 1-27.

Literatur

Ni­ko­lay-Pan­ter, Mar­le­ne, Ge­schich­te, Me­tho­de, Po­li­tik. Das In­sti­tut und die ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de, in: Rhei­ni­sche Vier­tel­jahrs­blät­ter 60 (1996), S. 233-262.
Rusi­nek, Bernd A., >West­for­schungs<-Tra­di­tio­nen nach 1945, in: Dietz, Burk­hard/Ga­bel, Hel­mut/Tie­dau, Ul­rich (Hg.), Griff nach dem Wes­ten. Die >West­for­schung< der völ­kisch-na­tio­na­len Wis­sen­schaf­ten zum nord­west­eu­ro­päi­schen Raum (1919-1960), Müns­ter u.a. 2003, S. 1141-1201.
Tie­dau, Ul­rich, Franz Stein­bach, in: Hand­buch der völ­ki­schen Wis­sen­schaf­ten, Mün­chen 2008, S. 661-666.

 
Zitationshinweis

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Nikolay-Panter, Marlene, Franz Steinbach, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/franz-steinbach/DE-2086/lido/57c95564389fa8.83735719 (abgerufen am 06.10.2024)