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Friedrich Christoph Dahlmann, ein Historiker, Politiklehrer und Verfassungspolitiker der deutschen Vormärzzeit und der Revolution von 1848/ 1849, hat in den letzten zwei Jahrzehnten seines wechselhaften Lebens an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn gewirkt.
Friedrich Christoph Dahlmann wurde am 13.5.1785 als Sohn von Johann Ehrenfried Jacob Dahlmann (1739-1805) und dessen Frau Lucie Auguste Friderica Jensen (1756-1788) in der Hansestadt Wismar an der Ostsee geboren, in der sein Vater das Amt des Bürgermeisters ausübte und die bis 1803 unter schwedischer Herrschaft stand
Dahlmanns Vorfahren waren Ratsherren und Bürgermeister im schwedischen Vorpommern. Er selbst studierte ab 1802 Altertumswissenschaften in Kopenhagen sowie Halle und wurde 1810 in Wittenberg promoviert. 1811 übernahm Dahlmann eine Dozentur für klassische Philologie an der Universität Kopenhagen und wurde im Jahr darauf auf Vermittlung seines Onkels Friedrich Christoph Jensen (1754-1827), der in der dänischen Hauptstadt der Kanzlei für die mit dem Königreich Dänemark in Personalunion verbundenen Herzogtümer Schleswig und Holstein vorstand, an deren Hochschule in Kiel als außerordentlicher Professor für Geschichte berufen.
1817 heiratete Dahlmann in Kiel die Professorentochter Julie Hegewisch (1795-1826). Von den gemeinsamen vier Kindern erreichten nur der spätere Landgerichtsdirektor Hermann Friedrich (1821-1894) und die einzige Tochter Dorothea (1822-1847) das Erwachsenenalter. In zweiter Ehe war Dahlmann ab 1829 mit Luise von Horn (1800-1856), Tochter eines dänischen Oberstleutnants, verheiratet.
Neben seiner breiten historischen Lehr- und Forschungstätigkeit setzte sich Dahlmann in den Jahren nach 1815 als Sekretär der schleswig-holsteinischen Prälaten und Ritterschaft nicht nur für die Bewahrung der traditionellen ständischen Rechte in den beiden Herzogtümern, sondern vor allem für deren Unteilbarkeit entsprechend dem Prinzip im Ripener Vertrag von 1460 (dat se bliwen ewich tosamende ungedelt) und für deren gemeinsame Einbeziehung in den deutschen Nationalverband ein. Im Herbst 1829, nachdem Dahlmann sich bei der dänischen Staatsbürokratie durch seine Aktivitäten für die Anliegen der schleswig-holsteinischen Einheitsbewegung so unbeliebt gemacht hatte, dass die versprochene Beförderung zum Ordinarius ausblieb, nahm er einen Ruf an die Universität Göttingen an.
An der hannoverschen Landesuniversität übernahm Dahlmann einen traditionsreichen Lehrstuhl mit der Verpflichtung, nicht nur über deutsche Geschichte, sondern auch über „Politik, Kameral-, Finanz- und Polizeiwissenschaft und Nationalökonomie" zu lesen. 1835 veröffentlichte er sein politikwissenschaftliches Hauptwerk: „Die Politik, auf den Grund und das Maaß der gegebenen Zustände zurückgeführt". Im Mittelpunkt dieser historisch wie vergleichend angelegten Verfassungslehre standen dabei im Anschluss an Aristoteles (384-322 vor Christus) Fragen einer guten Ordnung der politischen Gemeinschaft und einer gerechten Herrschaft.
Als überzeugter Anhänger der konstitutionellen Monarchie wirkte Dahlmann an der Ausarbeitung des hannoverschen Staatsgrundsgesetzes von 1833 mit. Als 1837 der neue König von Hannover Ernst August I. (Regierungszeit 1837-1851) diese Verfassung aufhob, legten sieben prominente Göttinger Professoren unter der Wortführerschaft Dahlmanns gegen diesen einseitigen Willkürakt eine Protestation ein. Sie wurden umgehend ihrer Professuren enthoben und drei von ihnen, mit Dahlmann an der Spitze, auch des Landes verwiesen. Als Wortführer dieser „Göttinger Sieben" wurde Dahlmann zur Symbolfigur der bürgerlich-liberalen Verfassungsbewegung Deutschlands im 19. Jahrhundert. Erst nach fünfjähriger akademischer Stellungslosigkeit wurde Friedrich Christoph Dahlmann im Herbst 1842 auf Vermittlung der Schriftstellerin und Königsfreundin Bettina von Arnim (1785-1859) von dem neuen preußischen König Friedrich Wilhelm IV. (Regierungszeit 1840-1858) an die Universität in Bonn auf einen Lehrstuhl für Staatswissenschaften und deutsche Geschichte berufen. An der rheinischen Hochschule unterrichtete Dahlmann mit großem Zuspruch nicht nur zahlreiche Söhne des deutschen Bürgertums, darunter viele künftige Staatsdiener und Gelehrte, sondern auch Prinzen und selbst spätere Monarchen. Dazu gehörte auch der preußische Thronfolger Friedrich Wilhelm (1831-1888), der 1888 für 99 Tage deutscher Kaiser wurde und dessen - zumal im Vergleich zu seinem Sohn Kaiser Wilhelm II. (Regierungszeit 1888-1918) - liberale Grundauffassungen auf Dahlmann als seinen akademischen Lehrer zurückgingen.
Die Popularität seiner „Politik", aber auch die praktische Überzeugungstreue, mit der Dahlmann die in diesem Buch vertretene Auffassung einer konstitutionellen Monarchie vertreten hatte, führte ihn schließlich im Mai 1848 in die Deutsche konstituierende Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche. Im katholisch dominierten Bonn allerdings erlitt der von seinem Freund und Kollegen Ernst Moritz Arndt unterstützte Protestant Dahlmann zunächst eine Wahlniederlage, woraufhin ihn sieben Wahlkreise in Hannover und Holstein kürten. Er nahm die fast einstimmige Wahl im holsteinischen Wahlkreis Segeberg an. Schon zuvor war der Bonner Professor im März 1848 durch Preußen in den Ausschuss der 17 Vertrauensmänner entsandt worden und arbeitete dort den ersten Entwurf eines Reichsgrundgesetzes aus. Als führendes Mitglied der erbkaiserlichen und später kleindeutschen Casino-Partei, welche die rechte Mitte der Nationalversammlung verkörperte, dominierte Dahlmann vor allem die Arbeit im Verfassungsausschuss und nahm in seinen großen Plenarreden zu grundlegenden Organisationsfragen Stellung.
Zum Höhe-, aber auch Wendepunkt im öffentlichen Ansehen wurde für den inzwischen fast 65-jährigen Bonner Politiklehrer und Historiker die erneute Auseinandersetzung mit der schleswig-holsteinischen Frage. Anfang September 1848 erreichte er den Vollzugsaufschub des von Preußen mit Dänemark abgeschlossenen Malmöer Waffenstillstandes, weil er darin einen Verrat an der Sache der Schleswig-Holsteiner und eine Unterwerfung unter das Vetorecht der europäischen Großmächte gegen die deutsche Einigung sah. Nach dem anschließenden Rücktritt der Reichsregierung sah es für kurze Zeit so aus, als ob der Bonner Professor selbst an deren Spitze treten würde.
Doch gelang es Dahlmann nicht, die negative Mehrheit gegen den Waffenstillstand aus linken, rechten und schleswig-holsteinischen Abgeordneten in eine positive Mehrheit für eine parlamentarische Regierung umzusetzen. Dahlmann und die Gegner des Malmöer Waffenstillstandes mussten sich schließlich den realpolitischen Verhältnissen beugen, der Beschluss gegen den Waffenstillstand war außen- wie innenpolitisch nicht zu halten.
Endgültig begraben musste die liberal-bürgerliche Mehrheit der deutschen Nationalversammlung ihre Hoffnungen, als im Mai 1849 König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die ihm von einer Deputation der Nationalversammlung unter Teilnahme Dahlmanns angetragene deutsche Kaiserkrone ablehnte. Dahlmann versuchte in den anderthalb Jahren nach dem Austritt aus der Paulskirche als Teilnehmer an der Gothaer Versammlung und als Mitglied des Erfurter Reichstages sowie der preußischen ersten Kammer zu retten, was an der bürgerlich-liberalen Einheitsbewegung noch zu retten war, doch scheiterten auch diese Bemühungen.
Im Herbst 1850 kehrte Friedrich Christoph Dahlmann endgültig nach Bonn zurück. Er übernahm keine politische Aufgabe und publizistische Tätigkeit mehr. Sein letztes Lebensjahrzehnt verbrachte er an der Bonner Universität in politischer Resignation und akademischem Rückzug auf seine Geschichtsvorlesungen, deren Themen sich immer mehr in die frühe Neuzeit verlagerten. Als Friedrich Christoph Dahlmann am 5.12.1860 starb, war sein Sehnen nach einem deutschen National- und Verfassungsstaat unerfüllt geblieben. Sein Grab auf dem Alten Friedhof in Bonn schmückt ein Erzrelief, das den markanten „Römerkopf" (Barthold Georg Niebuhr) des überzeugungstreuen Gelehrten und Verfassungspolitikers zeigt.
Werke
Die Politik auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt, hg. von Wilhelm Bleek, Frankfurt (Main) 1997 [Erstveröffentlichung Göttingen 1835].
Literatur
Bleek, Wilhelm, Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860), in: Bleek, Wilhelm / Lietzmann, Hans J. (Hg.), Klassiker der Politikwissenschaft, München 2005, S. 81-94.
Bleek, Wilhelm, Friedrich Christoph Dahlmann. Eine Biographie, München 2010.
Bracher, Karl Dietrich, Über das Verhältnis von Politik und Geschichte. Gedenkrede Friedrich Christoph Dahlmann, Bonn 1961.
Hansen, Reimer, Friedrich Christoph Dahlmann, in: Wehler, Hans-Ulrich (Hg.), Deutsche Historiker, Band 5, Göttingen 1972, S. 27-53.
Springer, Anton, Friedrich Christoph Dahlmann, 2 Bände, Leipzig 1870 und 1872.
Online
Große Forscher von der Förde: Friedrich Christoph Dahlmann (Biographie auf der Homepage der Christian-Albrechts-Universität Kiel). [Online]
Angermann, Erich, Artikel "Dahlmann, Friedrich Christoph", in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 478-480. [Online]
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Bleek, Wilhelm, Friedrich Christoph Dahlmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-christoph-dahlmann/DE-2086/lido/57c68ffe4ca390.17568727 (abgerufen am 03.10.2024)