Friedrich Dickel

Innenminister der DDR (1913–1993)

Helmut Müller-Enbergs (Berlin)

Friedrich Dickel, Porträtfoto. (Militärhistorisches Museum der Bundeswehr, Dresden)

Der aus Wup­per­tal stam­men­de Fried­rich Di­ckel war Mit­glied der DKP und wäh­rend der NS-Herr­schaft im kom­mu­nis­ti­schen Wi­der­stand eu­ro­pa­weit ak­tiv. Von 1963 bis 1989 war er Mi­nis­ter des In­nern der DDR. 

Ge­bo­ren wur­de Fried­rich Di­ckel in Voh­win­kel (heu­te Stadt Wup­per­tal) am 9.2.1913 als Sohn ei­nes Mau­rer­po­liers. Nach dem Be­such der Volks­schu­le in Voh­win­kel be­such­te er von 1928 bis 1931 die Be­rufs­schu­le in Ha­an, wo er das For­mer- und Gie­ßer­hand­werk er­lern­te. Im Be­ruf war er nur kurz­zei­tig tä­tig, dann ar­beits­los und ab Ja­nu­ar 1932 zeit­wei­se als Wohl­fahrts­ar­bei­ter be­schäf­tigt. Be­reits als 15-jäh­ri­ger trat er dem Kom­mu­nis­ti­schen Ju­gend­ver­band Deutsch­lands (KJVD) bei und war in Voh­win­kel 1929 bis 1931 Po­li­ti­scher Lei­ter der Orts­grup­pe. Eben­falls in Voh­win­kel trat er an­schlie­ßend mit 18 Jah­ren 1931 der KPD bei, in de­ren Stat­teil­grup­pe er mit der Funk­ti­on ei­nes Or­ga­ni­sa­ti­ons-Lei­ters ver­se­hen wur­de; au­ßer­dem ge­hör­te er di­ver­sen kom­mu­nis­ti­schen Or­ga­ni­sa­tio­nen wie der Ro­ten Hil­fe oder dem Rot­front­kämp­fer­bund an. 

Mit der Macht­über­nah­me der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ar­bei­te­te Fried­rich Di­ckel il­le­gal po­li­tisch wei­ter, wur­de je­doch im März 1933 in „Schutz­haf­t“ ge­nom­men, auch in den fol­gen­den Wo­chen mehr­fach ver­haf­tet, bis er im Ju­li 1933 ins Saar­ge­biet zog, das zu die­sem Zeit­punkt noch nicht zum Deut­schen Reich ge­hör­te. Die KPD be­auf­trag­te ihn als In­struk­teur für Ju­gend­ar­beit im Un­ter­be­zirk Dud­wei­ler-Sulz­bach, was ihm 1934 drei Mo­na­te Haft we­gen „Wi­der­stands ge­gen die Staats­ge­wal­t“ ein­brach­te. Im An­schluss dar­an setz­te ihn die KPD in Frank­reich als Ju­gend­in­struk­teur in Pa­ris ein, 1935 in Hol­land, wo er die Or­ga­ni­sa­ti­ons­lei­tung für die deut­schen kom­mu­nis­ti­schen Emi­gran­ten in Ams­ter­dam-Nord in­ne­hat­te. Mit Be­ginn des Spa­ni­schen Bür­ger­krie­ges schick­te ihn die KPD nach Spa­ni­en, wo er in­ner­halb der XI. Bri­ga­de, dem „Thäl­mann-Ba­tail­lon“, zum Lei­ter der Auf­klä­rungs­ab­tei­lung und schlie­ß­lich zum Kom­pa­nie­füh­rer avan­cier­te. 

Im April 1937 er­hielt Fried­rich Di­ckel in Schod­na (bei Mos­kau) ei­ne nach­rich­ten­dienst­li­che Aus­bil­dung durch den Nach­rich­ten­dienst der Ro­ten Ar­mee, ins­be­son­de­re als Fun­ker. Mit die­ser Auf­ga­be ge­lang­te er zwei­mal in Grie­chen­land zum Ein­satz, konn­te sich aber dort nicht aus­rei­chend le­ga­li­sie­ren. In der So­wjet­uni­on, in die er zu­rück­ge­kehrt war, lern­te er 1940 sei­ne Ehe­frau, die in Ka­na­da 1921 ge­bo­re­ne fin­ni­sche Staats­bür­ge­rin Do­ris Ai­leen (ge­bo­ren 1921) ken­nen; sie hei­ra­te­ten 1941. Im Ju­ni 1941 ent­sand­te ihn der Nach­rich­ten­dienst als Re­si­dent, und sei­ne Frau als sei­ne „Ge­hil­fin“ nach Shang­hai, wo er als lu­xem­bur­gi­scher Staats­bür­ger auf­trat. Al­ler­dings ge­lang es dem ja­pa­ni­schen Nach­rich­ten­dienst – Ja­pan hat­te Shang­hai be­setzt – die Re­si­den­tur zu ent­tar­nen und Fried­rich Di­ckel wur­de bei den Ver­hö­ren schwer miss­han­delt, schwieg aber gleich­wohl. 1943 vor ein ja­pa­ni­sches Kriegs­ge­richt ge­stellt, wur­de er zu fünf Jah­ren Haft ver­ur­teilt und erst im Zu­ge der ame­ri­ka­ni­schen Be­set­zung Shang­hais ent­las­sen. Fried­rich Di­ckel setz­te sei­ne nach­rich­ten­dienst­li­che Ar­beit in ei­nem ame­ri­ka­ni­schen Kon­struk­ti­ons­bü­ro in Shang­hai fort. Im Mai 1946 kehr­te er nach Mos­kau zu­rück und ging von dort im De­zem­ber 1946 nach Ost-Ber­lin. Das Mit­glied der SED kam in der po­li­ti­schen Po­li­zei im Prä­si­di­um in Leip­zig – K 5 ge­nannt – zum Ein­satz, lei­te­te das Aus­län­der­amt, dann die Ab­tei­lung Pass- und Mel­de­we­sen. In den fol­gen­den Jah­ren durch­lief Fried­rich Di­ckel mit auf­stei­gen­der Ten­denz ver­schie­de­ne Sta­tio­nen in­ner­halb der Po­li­zei. Nach dem Be­such der Hö­he­ren Po­li­zei­schu­le in Koch­stedt war er Lei­ter der Po­li­ti­schen Ver­wal­tung der Leip­zi­ger Po­li­zei, dann ab Ok­to­ber 1949 Lei­ter der Po­lit-Kul­tur-Schu­le der Haupt­ver­wal­tung für Aus­bil­dung – der spä­te­ren Ka­ser­nier­ten Volks­po­li­zei (KVP) – in Tor­gau, dann in Ber­lin-Trep­tow, wo­bei ihm ein Ruf be­son­de­rer Här­te an­hing. Das be­scher­te ihm 1952 den Rang ei­nes Ge­ne­ral­ma­jors und ein Jahr spä­ter die Funk­ti­on als Stell­ver­tre­ter des Lei­ters der Po­lit­ver­wal­tung der KVP. Von 1955 bis 1957 über­nahm er die Auf­ga­be als Chef der Po­li­ti­schen Ver­wal­tung der KVP.

Mit dem 1.3.1956 er­wuchs aus der KVP die Na­tio­na­le Ver­tei­di­gungs­ar­mee (NVA) des Mi­nis­te­ri­ums für Na­tio­na­le Ver­tei­di­gung. In die­sem Zu­sam­men­hang wur­de er zum 1. stell­ver­tre­ten­den Mi­nis­ter und zum Chef der Po­li­ti­schen Ver­wal­tung der NVA er­nannt. Auf­grund die­ser Funk­ti­on wur­de er zum Zwei­jah­res­lehr­gang an die Ge­ne­ral­stabsaka­de­mie der UdSSR de­le­giert, die er im Sep­tem­ber 1959 als Di­plom-Mi­li­tär ver­ließ. Nach sei­ner Rück­kehr in der DDR wur­de er als stell­ver­tre­ten­der Ver­tei­di­gungs­mi­nis­ter ein­ge­setzt, zu­stän­dig für Tech­nik und Be­waff­nung. Die­se Auf­ga­be gab er, un­ter­des­sen zum Ge­ne­ral­leut­nant er­nannt, im Ok­to­ber 1963 auf.

Fried­rich Di­ckel wur­de am 15.11.1963 zum Mi­nis­ter des In­nern er­nannt, lös­te den bis­he­ri­gen Mi­nis­ter Karl Ma­ron (1903-1975) ab, und be­hielt die­ses Amt bis zum 17.11.1989, als der 76-jäh­ri­ge Di­ckel mit der DDR-Re­gie­rung un­ter Wil­li Stoph (1914-1999) zu­rück­trat. Er selbst hat­te er­wo­gen, das Mi­nis­te­ri­um bis zu sei­nem 80. Ge­burts­tag zu füh­ren.

Fried­rich Di­ckel wur­de zwar 1984 zum Ar­mee­ge­ne­ral er­nannt, drang je­doch nie­mals in den in­ners­ten Zir­kel der Macht in der DDR auf. Er ge­hör­te seit 1967 als Mit­glied dem SED-Zen­tral­ko­mi­tee an, nicht je­doch wie der Mi­nis­ter für Ver­tei­di­gung Heinz Hoff­mann (1910-1985) oder der Mi­nis­ter für Staats­si­cher­heit Erich Mie­l­ke (1907-2000) dem ge­wich­ti­ge­ren SED-Po­lit­bü­ro. In­so­weit be­zeich­net die funk­tio­na­le Stel­lung Fried­rich Di­ckels auch die sei­nes Mi­nis­te­ri­ums im Ver­hält­nis zum Ver­tei­di­gungs­mi­nis­te­ri­um und dem Staats­si­cher­heits­dienst, das sei­ner­seits durch in­of­fi­zi­el­le Mit­ar­bei­ter und Of­fi­zie­re im be­son­de­ren Ein­satz das In­nen­mi­nis­te­ri­um un­ter Kon­trol­le hielt. Den­noch ge­hör­te Fried­rich Di­ckel im Ok­to­ber und No­vem­ber 1989 zu den Hard­li­nern, die we­sent­lich das mas­si­ve Vor­ge­hen ge­gen De­mons­tran­ten am 6./7.10.1989 zu ver­ant­wor­ten ha­ben, wo­bei er Be­fug­nis­über­schrei­tun­gen und Ge­set­zes­ver­stö­ße noch im No­vem­ber 1989 ein­räum­te. Zu­gleich war sein Mi­nis­te­ri­um mit der Rei­se­re­ge­lung aus der DDR be­traut, die Gün­ter Scha­bow­ski (ge­bo­ren 1929) am 9.11.1989 auf ei­ner Pres­se­kon­fe­renz vor­stell­te und die fak­tisch zum Mau­er­fall führ­te. Im Au­gust 1961, als die Mau­er ge­baut wur­de, hat­te Fried­rich Di­ckel zum dar­an be­tei­lig­ten Stab des Na­tio­na­len Ver­tei­di­gungs­ra­tes ge­hört.

Nach lan­ger Krank­heit starb Fried­rich Di­ckel, der „Par­tei­sol­dat aus Wup­per­tal“, am 23.10.1993 in Ber­lin. 

Werke

Auf­ga­ben und Ver­ant­wor­tung der Schutz- und Si­cher­heits­or­ga­ne für die Durch­set­zung der so­zia­lis­ti­schen Ge­setz­lich­keit, Ber­lin 1981.
Ge­schich­te der Deut­schen Volks­po­li­zei, 2 Bän­de, Ber­lin 1987.

Literatur

Herbst, An­dre­as, Fried­rich Di­ckel – GRU-Agent, NVA-Ge­ne­ral und In­nen­mi­nis­ter der DDR, in: Eh­lert, An­dre­as /Wag­ner, Ar­min (Hg.), Ge­nos­se Ge­ne­ral! Die Mi­li­tä­re­li­te der DDR in bio­gra­phi­schen Skiz­zen, Ber­lin 2003, S. 192–208.
Hert­le, Hans-Her­mann, Chro­nik des Mau­er­falls. Die dra­ma­ti­schen Er­eig­nis­se um den 9. No­vem­ber 1989, Ber­lin 2009.
Lin­den­ber­ger, Tho­mas, Volks­po­li­zei. Herr­schafts­pra­xis und öf­fent­li­che Ord­nung im ­SED-Staat 1952–1968, Köln 2003.
Süß, Wal­ter, Staats­si­cher­heit am En­de. War­um es den Mäch­ti­gen nicht ge­lang, 1989 ei­ne Re­vo­lu­ti­on zu ver­hin­dern, Ber­lin 1999.
Wag­ner, Ar­min, Wal­ter Ul­bricht und die ge­hei­me Si­cher­heits­po­li­tik der ­SED. Der Na­tio­na­le Ver­tei­di­gungs­rat der DDR und sei­ne Vor­ge­schich­te (1953–1971), Ber­lin 2002.

 
Zitationshinweis

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Müller-Enbergs, Helmut, Friedrich Dickel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/friedrich-dickel-/DE-2086/lido/57c69343a9d7d5.13755586 (abgerufen am 23.04.2024)