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Während infolge der Reformation vor allem Geistliche und Gelehrte um die theologische und juristische Wahrheit kämpften und aus dem Versuch der Erneuerung der einen Kirche allmählich verschiedene Konfessionen wurden, interessierte sich der Adel kaum für die inhaltlichen Fragen des Glaubens, sofern man sein Handeln als Ermessensgrundlage für diese Einschätzung heranziehen darf. Vielfach ist der persönliche Glaube nur schwer oder gar nicht aus den Quellen einzuschätzen; deutlich erkennbar jedoch ist, dass sich die adligen Familien durchweg ganz überwiegend von dynastischen Interessen leiten ließen. Katholische Geistliche, die eine Lebenspartnerin und anerkannte Nachkommen hatten, die sich mal für den Erhalt des alten Glaubens einsetzten und mal die Einführung einer protestantischen Ordnung beförderten – es sind nur scheinbare Widersprüche, wie Lebensläufe wie der Georgs von Braunschweig-Wolfenbüttel zeigt.
Georg war der vierte Sohn des Herzogs Heinrich I. von Braunschweig (1463-1514) und der Katharina von Pommern (gestorben 1526). In dessen Regierungszeit fällt durch eine der zahlreichen Landesteilungen die Begründung der Linie Braunschweig-Wolfenbüttel des weit verzweigten Fürstengeschlechts. Geboren wurde Georg am 22.11.1494 und wird wie seine Brüder die für nachgeborene adlige Söhne übliche Laufbahn, das heißt die Vorbereitung auf ein hohes geistliches Amt, durchlaufen haben. Über seine Jugendjahre ist, durchaus bemerkenswert, nichts bekannt, denn sicher konnte er in diesem Zusammenhang auch schon erste Pfründen erwerben.
Tatsächlich erscheint er erst wieder im Jahr 1527, nachdem Johann II. von Blankenfelde (um 1471-1527) gestorben und das Erzbistum Riga damit vakant geworden war. Riga lag allerdings fern der Heimat in einem konfessionell und machtpolitisch instabilen Gebiet, die Bevölkerung hatte sich schon früh mehrheitlich der neuen Lehre angeschlossen. Gegen Georgs Bischofswahl polemisierte der livländische Landmeister des Deutschen Ordens, Walter von Plettenberg (um 1450-1535), so dass der Braunschweiger schnell resignierte und sich stattdessen auf den Erwerb von Ämtern und Dignitäten im Kerngebiet des Reiches, insbesondere den hochadligen Stiften Köln und Straßburg bemühte.
Die Liste von Georgs Pfründen ist lang: 1534 erwarb er zwei Propsteien an Hildesheimer Stiftskirchen, 1535 wurde er vom Metropolitankapitel auch in Köln zum Dompropst gewählt. 1536 folgte Bremen, und daneben hielt er noch weitere Kanonikate etwa an St. Gereon in Köln und am Straßburger Domkapitel in der Hand. Aus all diesen Besitzungen flossen gute Einnahmen, mit deren Hilfe er sich eine standesgemäße Hofhaltung ermöglichen konnte. So galt er als feinsinniger, gebildeter und großzügiger Fürst, der sich besonders für die Wissenschaft und Künste interessierte. Im geistlichen Stand war ihm eine Ehe zwar unmöglich; dennoch lebte er in offenem Konkubinat mit Ottilie Loxima, mit der er zwei Söhne, Wilhelm und Heinrich, hatte. Konfessionellen Fragestellungen gegenüber war er wie die allermeisten seiner Standesgenossen indifferent.
Dementsprechend strebte er auch keine Weihe an, als er im Oktober 1554 zum Bischof von Minden gewählt wurde, als Nachfolger seines Neffen Julius (1528-1589). Dieser rückte, nachdem seine Brüder Karl Viktor (1525-1553) und Philipp Magnus (1527-1553) bei der Schlacht von Sievershausen gefallen waren, an die Stelle des Thronerben des Hauses Braunschweig-Wolfenbüttel und verließ deshalb den geistlichen Stand wieder – durchaus typisch für die Zeit und im Hinblick auf die Rolle der geistlichen Stifte und Orden als „Spitäler des Adels“. Wohl weil Georg die starken konfessionellen Kräfte im Bistum Minden gewähren ließ, ohne für eine Seite Partei zu ergreifen oder die Auseinandersetzung noch zu befördern, wie es sein Vorvorgänger Franz von Waldeck (1491-1553) im protestantischen Sinn versucht hatte, beruhigte sich die Situation im Bistum merklich, ein Verdienst, das bei den folgenden Wahlen Georgs zum Erzbischof von Bremen und zum Bischof von Verden im Jahr 1558 durchaus ebenso eine Rolle gespielt haben dürfte wie der Erhalt der welfischen Machtposition.
Denn in beiden Fällen folgte Georg seinem Bruder Christoph (1487-1558), der sich den unrühmlichen Beinamen „der Verschwender“ verdient hatte, weil er sich rücksichtlos zahlreiche Besitztümer angeeignet und daraus ein zügelloses Fürstenleben finanziert hatte. Noch einmal wird deutlich, wie sehr Konfessionspolitik bis zum Ende des 16. Jahrhunderts von den dynastischen Interessen des die Reichskirche dominierenden Adels bestimmt war. Gleichwohl gelang es Georg oder vielmehr seinen fähigen Räten wie dem Kanzler Heinrich Borcholt (1531-1585), die aufgebrachte Stimmung in den beiden Territorien zu befrieden und stabile Verhältnisse zu schaffen. Dazu gehörte auch die einheitliche Einführung einer evangelischen Kirchenordnung, der sich Georg, formal katholisch, nicht widersetzte. Im Gegenteil traf er mit der Annahme Eberhards von Holle (1531/32-1586) als Koadjutor in Verden eine Nachfolgeregelung, die einer säkularen Reformation den Weg bereitete.
Ganz anders verhielt Georg sich in Köln, wo er neben Verden lebte. Obwohl sich hier in den 1530er und 1540er Jahren der wohl stärkste Konfessionsstreit in einem geistlichen Territorium abspielte – Erzbischof Hermann von Wied führte 1543 die Reformation offiziell ein, musste auf Druck des Papstes, des Kaisers und der Kölner Geistlichkeit allerdings 1547 zugunsten des katholischen Adolf vom Schaumburg abdanken –, trat der Braunschweiger in diesem Konflikt fast überhaupt nicht in Erscheinung und behielt seine Dignität als Dompropst vor, während und nach des Reformationsversuchs Hermanns von Wied bis zum seinem Tod am 4.12.1566. Auf dem Sterbebett soll er die Kommunion in beiderlei Gestalt genommen haben.
Literatur
Bistum Verden. 770 bis 1648, hg. Gesellschaft für die Geschichte des Bistums Verden e.V., 2001.
Nordsiek, Hans, Vom Fürstbistum zum Fürstentum Minden. Verfassungsrechtliche, politische und konfessionelle Veränderungen von 1550 bis 1650, in: Westfälische Zeitschrift 140 (1990), S. 253-273.
Rotermund, Heinrich Wilhelm, Vom Anfange der Reformation im Erzstifte Bremen und Stifte Verden in den Zeiten der Erzbischöfe Christoph und Georg aus dem Braunschweig-Lüneburgschen Hause, Lüneburg 1825.
Online
Wohltmann, Hans, „Georg von Braunschweig-Wolfenbüttel“, in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 208-209. [Online]
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Bock, Martin, Georg von Braunschweig, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/georg-von-braunschweig/DE-2086/lido/584d957aa0e6c6.39162013 (abgerufen am 06.10.2024)