Gerhard von Are

Propst des Cassiusstifts in Bonn (um 1100–1169)

Josef Niesen (Bonn)
Veröffentlicht am 31.08.2016, zuletzt geändert am 05.05.2020

Tumba Gerhards von Are, Zeichnung von Joseph Michael Laporterie aus dem Jahr 1788 (Ausschnitt). (LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland)

Ger­hard von Are war der wohl be­deu­tends­te Propst de­s Bon­ner St. Cas­si­us­stifts; er war der Bau­herr der Müns­ter­kir­che in ih­rer heu­ti­gen Ge­stalt. Zu­dem is­t ­sein Na­me eng ver­knüpft mit der Er­he­bung der Ge­bei­ne der Hei­li­gen Cas­si­us und Flo­ren­ti­us im Jah­re 1166.

Ge­bo­ren wur­de er um 1100 auf Burg Are ober­halb von Al­te­n­ahr, dem Stamm­sitz des gleich­na­mi­gen rhei­ni­schen Adels­ge­schlechts, als zwei­ter Sohn des Gra­fen (co­mes) Theo­de­rich I. (be­zeugt 1087-1126), dem Er­bau­er der Burg und ers­tem na­ment­lich be­kann­ten In­ha­ber des Gra­fen­am­tes im Ahr­gau. Ger­hards äl­te­rer Bru­der, Lo­thar I. (ge­stor­ben 1140) über­nahm das vä­ter­li­che Er­be. Die jün­ge­ren Brü­der wa­ren: Fried­rich II. von Are, Bi­schof von Müns­ter (Epis­ko­pat 1152-1168), Ul­rich (ge­stor­ben 1197), Vogt der Ab­tei Ma­ria Laach und Be­grün­der der Li­nie Are-Nür­burg, Ot­to (ge­stor­ben 1162), Be­grün­der der Li­nie Are-Hoch­sta­den, der der spä­te­re Köl­ner Erz­bi­schof Kon­rad von Hoch­sta­den ent­stamm­te, un­d Hu­go (ge­stor­ben 1179), Köl­ner Dom­de­chant. 

Ger­hards ge­nau­es Ge­burts­jahr liegt, eben­so wie sei­ne Ju­gend, Bil­dung und Er­zie­hung, we­gen feh­len­der Quel­len im Dun­keln. In Er­schei­nung tritt er erst­mals in ei­ner Ur­kun­de des Köl­ner Erz­bi­schof­s Fried­rich I. aus dem Jahr 1124, in der er als Ger­har­dus pre­po­si­tus Bun­nen­sis in der Zeu­gen­lis­te ­ge­nannt ist.[1]  Da laut ei­ner frü­he­ren Ur­kun­de vom 11. Fe­bru­ar des­sel­ben Jah­res noch Ek­ke­bert als Stell­ver­tre­ter des vor­he­ri­gen, seit 1117 nicht mehr er­wähn­ten Props­tes Sieg­fried die Ge­schäf­te führ­te, kann man Ger­hards Er­nen­nung zum Vor­ste­her des St. Cas­si­us­stifts für das Jahr 1124 an­neh­men. An­lass für Ger­hards Auf­stieg in das ein­fluss­rei­che Amt war wohl der un­mit­tel­bar zu­vor statt­ge­fun­de­ne und dem ge­schick­ten po­li­ti­schen Tak­tie­ren sei­nes Va­ters ge­schul­de­te Ver­kauf des Klos­ters Stein­feld aus Are­schem Be­sitz an den Köl­ner Erz­bi­schof. Durch das Amt­des Bon­ner Stift­sprops­tes ge­lang den Gra­fen von Are der Zu­gang zum geist­li­chen Füh­rungs­kreis de­s Köl­ner Erz­stifts und die Aus­deh­nung ih­res­ ­Macht­be­reich bis zum Rhein. 

 

Als Ger­hard sein neu­es Amt an­trat, war es um die Gü­ter des Stifts nicht zum Bes­ten be­stellt; es be­saß nicht ein­mal mehr das nach den kirch­li­chen Vor­schrif­ten er­for­der­li­che Hos­pi­tal. So war es zu­nächst ei­nes sei­ner wich­tigs­ten An­lie­gen, den Be­sitz des Stif­tes zu fes­ti­gen und durch wei­te­re Er­wer­bun­gen zu meh­ren. In nur sie­ben Jah­ren ver­grö­ßer­te er das Stifts­gut der­ge­stalt, dass Papst In­no­zenz II. (Pon­ti­fi­kat 1130–1143) am 31.3.1131 in ei­ner um­fang­rei­chen Ur­kun­de dem Stift den Be­sitz von ins­ge­samt 30 Kir­chen, ei­ner Ka­pel­le und fünf Teil­rech­ten an Kir­chen, meh­re­ren Hö­fen, Wein­ber­gen und Wal­dun­gen, da­zu Ob­la­tio­nen, Stol­ge­büh­ren und Zehnt­ein­nah­men be­stä­ti­gen konn­te.[2]  Das Ge­biet er­streck­te sich im wei­ten Um­kreis um die Stadt Bonn, durch den ge­sam­ten Au­el­gau und Ahr­gau bis hin zum Ei­fel­gau, von Al­ten­kir­chen bis Blan­ken­heim und von Daun bis Rheidt (heu­te Stadt Nie­der­kas­sel). Ne­ben wei­te­ren Hö­fen, Wein­ber­gen und Län­de­rei­en folg­ten spä­ter noch die Bur­gen Dra­chen­fels (1149) und Pop­pels­dorf (zwi­schen 1149 und 1166) zur Si­che­rung des um­fang­rei­chen Be­sit­zes. Ge­schick­ter­wei­se war Ger­hard von An­be­ginn dar­auf be­dacht, die er­wor­be­nen Gü­ter durch ei­ne ge­son­der­te Ge­neh­mi­gung des Kö­nigs vogt­frei stel­len zu las­sen, um sie der welt­li­chen Ge­richts­bar­keit zu ent­zie­hen, was dem Stift in der Fol­ge grö­ß­te Un­ab­hän­gig­keit brach­te. 1145 ge­lang es ihm so­gar Kraft sei­nes Am­tes als Ar­ch­idia­kon, die en­ge­re Im­mu­ni­tät des Cas­si­us­stifts, die für die Kir­che selbst und die um­lie­gen­den Kle­ri­ker­häu­ser be­stand, auf sämt­li­che props­tei­li­chen Gü­ter in Bonn und der di­rek­ten Um­ge­bung aus­deh­nen zu las­sen. Selbst die Mi­nis­te­ria­len, Stifts­die­ner und Stifts­hand­wer­ker so­wie die zum Kir­chen­bau zu­ge­zo­ge­nen Bau­hand­wer­ker (alio­rum of­fi­cio­rum ar­ti­fices), egal ob sie im Stift oder der Stadt wohn­ten, wur­den nun der props­tei­li­chen Ge­richts­bar­keit un­ter­wor­fen.

Doch Ger­hard bau­te nicht nur die wirt­schaft­li­che Macht des Stifts aus, son­dern auch des­sen geist­li­che Vor­rang­stel­lung. Da­zu schärf­te er vor al­lem das mit der Bon­ner Props­tei ver­knüpf­te Ar­ch­idia­ko­nal­recht, das bis da­hin noch nicht in sei­nen Be­fug­nis­sen und Rech­ten fest­ge­legt war, und schuf erst­mals kla­re Rechts­ver­hält­nis­se. Zu­nächst zog er die Füh­rung der vier zum Bon­ner Ar­ch­idia­ko­nat ge­hö­ren­den De­ka­na­te an sich, in­dem er die bei­den un­bot­mä­ßi­gen De­ka­na­te Zül­pich­gau und Ahr­gau durch ein De­kret Papst In­no­zenz‘ II. zum Ge­hor­sam zwang. Dann ließ er sich in ei­nem ge­nia­len Schach­zug am 25.5.1135 un­ter den per­sön­li­chen Schutz der Ku­rie stel­len und er­lang­te als spe­cia­lis fi­li­us St. Eccle­siae Ro­ma­nae (be­son­de­rer Sohn der Hei­li­gen Rö­mi­schen Kir­che) das Pri­vi­leg der frei­en Ap­pel­la­ti­on an den apos­to­li­schen Stuhl un­ter Um­ge­hung sei­nes Erz­bi­schofs, was ihn weit­ge­hend un­ab­hän­gig von der Köl­ner Kir­che wer­den ließ. Von die­sem Recht mach­te Ger­hard im In­ter­es­se sei­nes Stifts spä­ter reich­lich Ge­brauch, auch wenn die deut­schen Bi­schö­fe ver­geb­lich da­ge­gen pro­tes­tier­ten. Der nächs­te Schritt war die Er­lan­gung des frei­en Vi­si­ta­ti­ons­rechts, das sich Ger­hard in ei­ner Ur­kun­de vom 16.12.1139 von Papst In­no­zenz II. be­stä­ti­gen ließ.[3]  Be­mer­kens­wert ist da­bei die Straf­ge­walt, die der Papst in die Hän­de des Bon­ner Props­tes leg­te. Soll­te es näm­lich der Köl­ner Erz­bi­schof trotz ei­ner Auf­for­de­rung Ger­hards ver­säu­men, die Geg­ner der Bon­ner Props­tei zu stra­fen, so soll­te der Propst das Recht ha­ben, die­se nach den üb­li­chen Vor­la­dun­gen mit Bann und In­ter­dikt zu be­le­gen.

Den Hö­he­punkt in Ger­hards Kar­rie­re bil­de­te das Jahr 1156, in dem er nach dem Tod des Köl­ner Erz­bi­schof­s Ar­nolds II. von Wied vom Dom­ka­pi­tel als Nach­fol­ger für ­den Erz­stuhl ge­wählt wur­de. Doch muss­te Ger­hard sich durch die bei der Wahl ent­stan­de­ne Patt­si­tua­ti­on – kei­ner der bei­den Kon­tra­hen­ten konn­te die er­for­der­li­che Zwei­drit­tel­mehr­heit er­rei­chen – dem Schieds­spruch Kai­ser Fried­richs I. Bar­ba­ros­sa (Re­gie­rungs­zeit 1152-1190) un­ter­wer­fen, der Fried­rich II. von Berg den Vor­zug gab. 

Ger­hards grö­ß­te Le­bens­leis­tung be­stand al­ler­dings im Aus­bau der Bon­ner Müns­ter­ba­si­li­ka. Er ließ seit 1140 den ka­ro­lin­gi­schen Bau durch ei­nen ge­wal­ti­gen, von zwei Flan­ken­tür­men be­glei­te­ten Ost­chor er­wei­tern und an der Süd­sei­te der Kir­che ei­nen von Stifts­ge­bäu­den um­ge­be­nen Kreuz­gang er­rich­ten, der in sei­ner ge­schlos­se­nen Er­hal­tung heu­te ein­ma­lig im Rhein­land ist. Die mit ei­ner Zwerch­ga­le­rie ab­schlie­ßen­de drei­ge­schos­si­ge Ap­sis (Rhei­ni­scher Eta­gen­chor) mit ih­rer be­son­ders dif­fe­ren­zier­ten Ge­stal­tung war die ers­te ih­res Typs am Nie­der­rhein und präg­te für na­he­zu 100 Jah­re das Er­schei­nungs­bild vie­ler Kir­chen im rhei­ni­schen Raum durch Um- und Neu­bau­ten (bei­spiels­wei­se St. Ge­re­on in Köln oder Ab­tei­kir­che Ma­ria Laach). Die so ge­schaf­fe­ne, am 13.9.1153 ein­ge­weih­te gro­ße Ba­si­li­ka bil­de­te den fei­er­li­chen Rah­men für die Er­he­bung der Ge­bei­ne der Hei­li­gen Cas­si­us und Flo­ren­ti­us am 2.5.1166, die Ger­hard in An­we­sen­heit des Köl­ner Erz­bi­schof­s Rai­nald von Das­sel nach ei­ner ­Pro­zes­si­on über den Müns­ter­platz in kost­ba­ren Schrei­nen auf dem Hoch­al­tar ber­gen ließ. 

Zwei Jah­re dar­auf, am 23.2.1169 ver­starb Propst Ger­hard von Are nach ei­ner lan­gen, er­folg­rei­chen Amts­zeit von 45 Jah­ren und wur­de in der Cy­ria­cus­ka­pel­le im öst­li­chen Ka­pi­tel­haus des Kreuz­gangs des Bon­ner Müns­ters bei­ge­setzt. Durch ihn war das Prop­st­amt des Cas­si­us­stifts zur ei­ner der höchs­ten Wür­den in der Köl­ner Erz­diö­ze­se ge­wor­den. Wäh­rend sei­ner Amts­zeit er­lang­te das Stift elf Papstur­kun­den und ei­ne Kö­nigs­ur­kun­de, was in die­ser Häu­fung ein­ma­lig in der Ge­schich­te des Stifts ge­blie­ben ist.  

Anmerkungen

(1) H. Förs­ter, Ei­ne un­be­kann­te Ur­kun­de Erz­bi­schofs Fried­richs I. von Köln (1100-1131), in: An­na­len des His­to­ri­schen Ver­eins für den Nie­der­rhein 121 (1932) S. 132-133. 
(2) Gün­ther, Co­dex di­plo­ma­ti­cus Rhe­no-Mo­sel­la­nus, Teil 1, 
Nr. 104.
(3) Gün­ther, Co­dex di­plo­ma­ti­cus Rhe­no-Mo­sel­la­nus, Teil 1, 
Nr. 125.

Quellen

Brack­mann, Al­bert, Nie­der­rhei­ni­sche Ur­kun­den des 12. Jahr­hun­derts, in: An­na­len des His­to­ri­schen Ver­eins für den Nie­der­rhein 81 (1906), S. 112-130, be­son­ders S. 112-117.
Gün­ther, Wil­helm, Co­dex di­plo­ma­ti­cus Rhe­no-Mo­sel­la­nus, Teil 1, Ko­blenz 1822.
La­com­blet, Theo­dor Jo­seph, Ur­kun­den­buch für die Ge­schich­te des Nie­der­rheins, Band 4, Düs­sel­dorf 1840–1858, Nach­druck 1966.
Die Re­ges­ten der Erz­bi­schö­fe von Köln im Mit­tel­al­ter, Band 2, be­arb. von Ri­chard Knip­ping, Bonn 1901.

Literatur

Ba­der, Ute, Ge­schich­te der Gra­fen von Are bis zur Hoch­sta­den­schen Schen­kung (1246), Bonn 1979.
Höroldt, Diet­rich, Das Stift St. Cas­si­us zu Bonn von den An­fän­gen der Kir­che bis zum Jah­re 1580, 2. Auf­la­ge, Bonn 1984. Nie­sen, Jo­sef, Ger­hard von Are, Propst des Bon­ner St. Cas­si­us­stifts von 1124 bis 1169, in: Bon­ner Ge­schichts­blät­ter 57/58 (2008), S. 11-39.
Nie­sen, Jo­sef, Ger­hard von Are (um 1100-1169), in: Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon 31 (2010), Sp. 500-501.
Nie­sen, Jo­sef, Bon­ner Per­so­nen­le­xi­kon, 3. Auf­la­ge, Bonn 2011, S. 163-164.
Oedi­ger, Fried­rich Wil­helm, Das Bis­tum Köln von den An­fän­gen bis zum En­de des 12. Jahr­hun­derts (Ge­schich­te des Erz­bis­tums Köln 1), 2. Auf­la­ge, Köln 1964, Nach­druck 1991.
Rey, Man­fred van, Bonn-St. Cas­si­us, in: Nord­rhei­ni­sches Klos­ter­buch, Teil 1, hg. von Man­fred Gro­ten [u. a.], Band 1, Sieg­burg 2009, S. 360-384. 

Kreuzgang des Bonner Münsters, Foto: Josef Niesen, 2011.

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Niesen, Josef, Gerhard von Are, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/gerhard-von-are/DE-2086/lido/57c6c7d2a3e018.63979389 (abgerufen am 19.01.2025)