Zu den Kapiteln
Stark beeinflusst von den sozialen Ideen Wilhelm von Kettelers (1811-1877) und Adolph Kolpings und politisch geprägt durch Johannes Albers (1890-1963), Karl Arnold und Jakob Kaiser (1888-1961), hat Hans Katzer mehr als ein Vierteljahrhundert die Entwicklung des bundesdeutschen Sozialstaats maßgeblich mitgestaltet.
Sein Weg in die Politik war vorgezeichnet, als Hans Katzer am 31.1.1919 als sechstes Kind des aus Böhmen stammenden, auf seiner Wanderung im Rheinland gebliebenen Schreinergesellen Karl Katzer (1877-1950) und seiner Ehefrau Rosa geborene Franke in der Altstadt von Köln geboren wurde. Durch das Elternhaus kam er mit der Katholischen Soziallehre und dem politischen Katholizismus in Berührung. Vater Katzer war seit 1902 Verbandsgeschäftsführer der katholischen Gesellenvereine Deutschlands und hauptamtlicher Redakteur des „Kolpingblattes". Außerdem saß er als Mitglied der Zentrumsfraktion von 1919 bis 1933 im Rat der Stadt Köln. Wie selbstverständlich schloss sich Hans Katzer der katholischen Jugendbewegung an. Im Bund Neudeutschland, dem Verband der katholischen Schüler an höheren Lehranstalten, nahm er die Funktion des Kölner Leiters wahr, die er bis zur erzwungenen Auflösung des Verbandes 1939 ausübte.
Die nationalsozialistische Machtergreifung mit der Ernennung Adolf Hitlers (1889-1945) zum Reichskanzler am 30.1.1933 markierte einen tiefen Einschnitt im Leben der Familie Katzer. Karl Katzer verlor mit der Gleichschaltung und Zerschlagung der christlichen Gewerkschaften seine Arbeitsstelle, Sohn Hans, der Architekt werden wollte, musste daraufhin aus finanziellen Gründen seine gymnasiale Ausbildung abbrechen und ging zu einer Kölner Textilfirma in die kaufmännische Lehre. Dieses persönliche Schicksal ließ später den Politiker Hans Katzer fordern, Bildungspolitik nicht als Privileg der Bessergestellten zu verstehen, sondern als Angebot an die breite Masse.
Nach Abschluss seiner Ausbildung zum Textilkaufmann wurde er zum Reichsarbeitsdienst und anschließend zur Wehrmacht eingezogen. Im Winter 1941/1942 in Russland schwer verwundet, lag er ein Jahr lang im Lazarett und wurde nach seiner Genesung zur Offiziersausbildung nach Metz kommandiert. Nach kurzer Kriegsgefangenschaft kehrte er 1945 in seine Heimatstadt zurück. Köln und das Rheinland waren Hans Katzer zeitlebens privater wie beruflicher und politischer Bezugspunkt.
Verbitterung und Resignation waren nicht die Sache dieses lebhaften und lebensfrohen Kölners, der zu den Männern der ersten Stunde beim Neuaufbau des politischen Lebens nach dem totalen Zusammenbruch zählte. Er gehörte zum weiteren Gründerkreis der CDU und setzte sich für die Reorganisation der Gewerkschaften ein. Als Mitglied der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) engagierte er sich stark für die Bildung und Erhaltung der Einheitsgewerkschaft, weil er die verhängnisvolle Zersplitterung in Richtungsgewerkschaften als Mitursache des Untergangs der Weimarer Demokratie erkannt hatte. Für dieses Engagement zeichnete ihn der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) 1987 mit dem „Hans-Böckler-Preis" aus. In seiner Laudatio würdigte der DGB Katzer als einen Mann, der ein Stück deutscher Sozialgeschichte geschrieben habe und im besten Sinne für die Tradition der christlich-sozialen Bewegung und für die Zusammenarbeit der Demokraten in der Einheitsgewerkschaft stehe.
Sein politischer Ziehvater Johannes Albers brachte ihn beim Kölner Arbeitsamt unter, wo er schnell zum Abteilungsleiter aufstieg, zuständig für berufliche Weiterbildung und Umschulung. Auch sein privates Glück fand er hier: Im Kölner Arbeitsamt lernte er seine Ehefrau Elisabeth (geboren 1921??) kennen, die Tochter des christlichen Gewerkschafters und späteren Bundesministers Jakob Kaiser (1888-1961), dem er nicht nur privat, sondern auch politisch eng verbunden war. Aus der 1949 geschlossenen Ehe stammt die Tochter Marietheres.
1950 übernahm Katzer das Amt des Hauptgeschäftsführers der CDU-Sozialausschüsse, deren Vorsitzender Kaiser war. Im selben Jahr begann auch die parlamentarische Laufbahn Katzers, zunächst in der Kommunalpolitik als Mitglied im Kölner Stadtrat. 1957 folgte als Direktkandidat des Wahlkreises 68 (Köln III) die Wahl in den Deutschen Bundestag, in dem er sich rasch als führender Sozialpolitiker der CDU/CSU-Fraktion profilierte. Die Förderung der Vermögensbildung in breiten Schichten durch das so genannte „312-DM-Gesetz" von 1961 ging auf seinen Einfluss zurück. Als Vorsitzender des Bundestagsausschusses für wirtschaftlichen Besitz des Bundes bemühte er sich erfolgreich darum, bei der Privatisierung von Bundesvermögen durch die Ausgabe von Volksaktien die Beteiligung am Produktivvermögen auch für Menschen mit niedrigerem Einkommen zu ermöglichen.
Mit der Wahl zum Vorsitzenden der CDU-Sozialausschüsse 1963 als Nachfolger des verstorbenen Johannes Albers rückte Katzer in den engeren Führungskreis der CDU auf. Folgerichtig wurde er nach der Bundestagswahl von 1965 zum Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung berufen, ein Amt, das er auch nach dem Sturz der Regierung Ludwig Erhard (Amtszeit 1963-1966) in der ersten Großen Koalition bis 1969 ausfüllte.
Während seiner vierjährigen Amtszeit trieb Katzer den Ausbau des Sozialstaats voran: Die Pflichtgrenze in der Angestelltenversicherung wurde aufgehoben, so dass ab 1968 alle Angestellten versicherungspflichtig waren. Die Lohnfortzahlung für Arbeiter im Krankheitsfall stellte diese den Angestellten gleich und kam mehr als drei Millionen Bürgern zugute. Dabei achtete er darauf, das sozialpolitisch Wünschenswerte mit dem wirtschaftlich und finanziell Möglichen zu verbinden. Dem Erfordernis einer stärkeren Verzahnung zwischen Sozial-, Wirtschafts- und Finanzpolitik diente die Aufstellung eines Sozialbudgets, das während seiner Amtszeit erstmals von der Bundesregierung erarbeitet wurde. Auch erfolgte in diesen vier Jahren eine Akzentverschiebung von der Sozialpolitik zur Gesellschaftspolitik. Der traditionelle Begriff der Sozialpolitik, dem der Charakter der Fürsorge anhing, wandelte sich. Zu nennen sind hier das „Arbeitsförderungsgesetz" vom 25.6.1969 und das „Berufsbildungsgesetz" vom 14.8.1969.
Das Arbeitsförderungsgesetz war eine neue Grundlage für die Arbeitsmarktpolitik. Die Zielrichtung wurde in der Umbenennung der bisherigen „Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung" in „Bundesanstalt für Arbeit" deutlich. Die Aufgabe der Arbeitsämter erweiterte sich damit erheblich: Vorrang vor bloßer Arbeitsvermittlung und Zahlung von Lohnersatzleistungen bei Arbeitslosigkeit sollte nunmehr die Beratung bei der Berufswahl und die Förderung der Berufsausbildung und Fortbildung genießen, um vor allem strukturell und technisch bedingte Arbeitslosigkeit und minderwertige Beschäftigung zu vermeiden. Ebenso bedeutungsvoll war das Berufsbildungsgesetz, das erstmals die bis dahin in zahlreichen Einzelgesetzen und Richtlinien der Industrie- und Handelskammern verstreuten Rechtsvorschriften über die Ausbildung von Lehrlingen aller Gewerbe, einschließlich des Bergwesens, der Landwirtschaft und des öffentlichen Dienstes zusammenfasste und einheitliche Grundsätze für die Anerkennung von Ausbildungsberufen und den Erlass von Ausbildungsordnungen sowie die Qualifikation von Ausbildern schuf. Das in aller Welt berühmte „duale" System für berufliche Ausbildung (praktische Ausbildung im Betrieb kombiniert mit Berufsschulpflicht) erhielt damit erstmals eine übersichtliche und einheitliche Grundlage nach neuesten Erkenntnissen.
In den Jahren der Opposition nach dem Machtwechsel von 1969 behielt er als stellvertretender Vorsitzender der Bundespartei wie der Bundestagsfraktion zunächst seine politische Bedeutung. Mit Oppositionsführer Rainer Barzel (1924-2006) verband ihn seit 1945, als sich die beiden Politiker in den Trümmern Kölns kennen gelernt hatten, eine fortwährende persönliche und politische Freundschaft. Nach dem Rücktritt von Barzel als Partei- und Fraktionsvorsitzender 1973 schwand auch der Einfluss Katzers, was sich nicht zuletzt im November 1973 auf dem CDU-Bundesparteitag in Hamburg zeigte, als er in der Frage der betrieblichen Mitbestimmung seine innerparteilich schmerzlichste Niederlage erlitt. Das von ihm entwickelte „Katzer-Modell", das bei der Mitbestimmung ein Gleichgewicht der Faktoren Kapital und Arbeit vorsah, fand auf dem Parteitag keine Mehrheit. Es setzte sich der Vorschlag des CDU-Bundesvorstands durch, der auch von einem partnerschaftlichen Verhältnis ausging, aber bei Patt-Situationen den Kapitaleignern die Entscheidung zubilligte.
Zu dem neuen CDU-Vorsitzenden und späteren Bundeskanzler Helmut Kohl (Amtszeit 1982-1998) fand er nicht den richtigen Kontakt. Auch innerhalb der CDU-Sozialausschüsse verlor er zusehends an Rückhalt. 1977 beugte er sich schließlich dem Druck der nachrückenden Generation um den späteren Bundesarbeitsminister Norbert Blüm (Amtszeit 1982-1998) und gab den Vorsitz der Sozialausschüsse auf.
Der letzte Abschnitt seiner politischen Laufbahn begann 1979 mit dem Einzug in das erste direkt gewählte Europäische Parlament, dessen Mitglied er für eine Legislaturperiode bis 1984 war. Seit den frühen 1950er Jahren hatte er sich für die Einigung Europas eingesetzt. Im Kölner Stadtrat hatte er dazu aufgerufen, dem nationalstaatlichen Souveränitätswahn, dem in grausamen Kriegen Millionen von Menschen zum Opfer gefallen sind, entgegenzutreten. Er [der Kölner Bürger] soll wissen, dass wir den Zusammenschluss der freiheitlichen Völker bejahen, weil wir zuerst und zuvorderst die Freiheit des Menschen garantieren wollen. Wir dürfen gewiss sein, dass insbesondere bei der jungen und mittleren Generation die Idee der Vereinigung der europäischen Staaten im Herzen lebendig ist. Ein besonderes Anliegen von Katzer war die soziale Ausgestaltung des Einigungsprozesses mit der Schaffung einer „Sozialunion" als Endziel. Der Entwicklung einer europäischen Sozialpolitik diente auch die von ihm mitinitiierte Gründung einer Europäischen Union Christlich-Demokratischer Arbeitnehmer, deren erster Präsident er 1977 wurde.
Die Wiedervereinigung Deutschlands stellte für ihn als Schwiegersohn Jakob Kaisers die Erfüllung eines Lebenstraums dar. Als Vorsitzender der von ihm schon 1961 gegründeten Jakob-Kaiser-Stiftung veranlasste er die Errichtung einer neuen Tagungsstätte in Weimar. Weimar schien ihm sowohl wegen der Haft seiner Frau – Elisabeth Katzer war als Tochter Jakob Kaisers nach dem gescheiterten Hitler-Attentat vom 20.7.1944 als „Sippenhäftling" nach Buchenwald verschleppt worden – und wegen der Symbolkraft als Ort, an dem sich von der Weimarer Klassik bis zum KZ die gesamte Bandbreite deutscher Geschichte zeigte, besonders geeignet.
Im Alter von 77 Jahren starb Hans Katzer am 18.7.1996 in seiner Heimatstadt Köln.
Werke (Auswahl)
Aktuelle Probleme der Gesellschaftspolitik. Vortrag, gehalten am 21.4.1970 vor den Mitgliedern des Industrie/Club Düsseldorf.
Aspekte moderner Sozialpolitik, Köln 1969.
Beschäftigungspolitik im Wandel durch Beruf und Technik, Köln 1967.
Literatur (Auswahl)
Buchstab, Günter, Hans Katzer (1919–1996), in: Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Band 11, Münster 2004, S.300-312.
Fink, Ulf (Hg.): Hans Katzer – Partnerschaft statt Klassenkampf, Köln 1989.
Schroeder, Wolfgang, Katzer, Hans, in: Schroeder, Wolfgang, Gewerkschaftspolitik zwischen DGB, Katholizismus und CDU 1945 bis 1960, Köln 1990, S. 162-177.
Online
Hans Katzer (Biographische Information auf der Website der Jakob-Kaiser-Stiftung e.V.). [Online]
Hans Katzer (1919-1996). Zum neunzigsten Geburtstag eines der profiliertesten Sozialpolitiker der Union (Umfangreiche Information auf der Website der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.). [Online]
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Marx, Stefan, Hans Katzer, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-katzer/DE-2086/lido/57c932e63d39a0.68961710 (abgerufen am 30.05.2023)