Zu den Kapiteln
Hans Reingruber war Minister für Verkehrswesen in der DDR und als Hochschullehrer maßgebend in Fragen des Eisenbahn-, Straßen- und Tunnelbaus.
Hans Reingruber wurde am 30.4.1888 in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) als Sohn des bei den Farbenwerken Bayer & Co. in Elberfeld tätigen Chefchemikers Dr. Friedrich Reingruber geboren. Hans Reingruber legte sein Abitur 1908 am Gymnasium in Barmen (heute Stadt Wuppertal) ab und studierte Bauingenieurswesen beziehungsweise technische Wissenschaften an der Technischen Hochschule zu Hannover, an der er sich am 22.4.1908 immatrikulierte und das Studium 1912 als Ingenieur abschloss. Angesichts der „tüchtigen Erkenntnisse“ händigte der Minister für Öffentliche Arbeiten Hans Reingruber, der als Regierungsbauführer für das Eisenbahn- und Straßenbaufach ausgewiesen wurde, eine Geldprämie aus. 1915 gewann er den angesehenen, noch heute existierenden Schinkel-Wettbewerb mit einem Entwurf zur Umgestaltung des Stettiner Bahnhofs und des Bahnhofs Gesundbrunnen in Berlin sowie der dazwischen liegenden Eisenbahnstrecke. Dafür wurden ihm der Staatspreis und als Vereinsandenken die Schinkelgedenkmünze zuerkannt.
Spätestens 1916, wohl eher 1912, trat er als Beamter in den Dienst des Preußischen Ministeriums für Öffentliche Arbeiten ein, das seit 1919 als Reichsverkehrsministerium firmierte. Konkret gehörte er der Reichsbahndirektion in Hannover an, wo er 1920 zum Regierungsbaurat ernannt wurde. Der spätere Ministerialrat Hans Reingruber promovierte 1924 zum Dr. Ing. in Hannover mit einem „Beitrag zur Frage der zweckmäßigen Überhöhung in Gleiskrümmungen“.
Hans Reingruber, 1932/1933 für den Bau und Betrieb von Eisenbahnen im Reichsverkehrsministerium zuständig, weigerte sich, der NSDAP beizutreten – er blieb parteilos – und orientierte sich nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten beruflich um. Er bewarb sich um den seit dem 1.10.1933 vakanten Lehrstuhl für Eisenbahn-, Straßen- und Tunnelbau an der Technischen Hochschule in Dresden – und wurde genommen. Zunächst ließ er sich für 1934 als Ministerialrat ohne Bezüge beurlauben, um erst danach zu entscheiden, ob er den Ruf annahm. Das geschah Ende 1934 und das Sächsische Ministerium für Volksbildung erhob keine Bedenken gegen ihn. 1936 übernahm er das Lehrgebiet Eisenbahnsicherungswesen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Hans Reingruber zu den ersten Professoren, die die Lehre wieder aufnahmen. Die 1948 gebildete Fakultät Verkehrswissenschaften der TH Dresden baute er, unterdessen zum Prorektor (1946-1948) und Dekan der Fakultät für Bauwesen (1950-1952) ernannt, 1952 als Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List“ aus. Ein besonderes Kennzeichen dieser, wesentlich durch Hans Reingruber geprägten Hochschule war ein ganzheitliches, die einzelnen Verkehrsträger übergreifendes Denken, verbunden mit einem praxisnahen Studium. Vermittelt wurden in der Lehre betriebliche Abläufe, Entwerfen, Planen, Betreiben und Bewerten von Verkehrssystemen sowie Optimierungsfragen, womit Kenntnisse über Infrastruktur, Fahrzeugtechnik und Verkehrsbetrieb, sowohl unter juristischen als auch ökonomischen Gesichtspunkten, vermittelt wurden. Eine Neuerung stellte der 1952 eingeführte Diplomstudiengang Verkehrsingenieurwesen dar. Dieses Engagement trug ihm 1953 die Ehrendoktorwürde der Hochschule ein. Zugleich leitete er kommissarisch bis 1949 als Institut für Straßenbau.
Hans Reingruber übernahm eine Reihe von Funktionen, zunächst auf regionaler und dann auch auf sächsischer Landesebene. 1946 wurde er Mitglied des Gelehrtenrates für Wissenschaft und Forschung und der einzige Abgeordneter des Kulturbundes im Sächsischen Landtag, dem er 1946 bis 1950 angehörte. Er war überdies Stadtverordneter von Dresden und Mitglied des Ratsausschusses für den Wiederaufbau der Stadt.
1948 folgte Hans Reingruber überdies dem Ruf der Deutschen Wirtschaftskommission nach (Ost-)Berlin, bei der es sich um die zentrale Verwaltungsinstanz mit regierungsähnlichen Funktionen in der Sowjetischen Besatzungszone handelte. Dort wurde ihm die Leitung der Hauptverwaltung Verkehr der Deutschen Wirtschaftskommission übertragen, zugleich gehörte er dem Deutschen Volksrat an, aus dem die Provisorische Volkskammer der DDR entstand. Es verwundert daher nicht, dass er in der am 7.10.1949 gegründeten DDR die Funktion des Ministers für Verkehrswesen übernahm, die er bis zum 30.4.1953 innehatte, und – wie es damals hieß – aus gesundheitlichen Gründen aufgab. Während seiner Amtszeit wurde die Glienicker Brücke, die Potsdam mit West-Berlin verbindet und wegen des dort stattgefundenen Agentenaustausches berühmt wurde, rekonstruiert; Hans Reingruber gab ihr den Namen „Brücke der Einheit“.
Hans Reingruber übernahm nach der Ministerzeit wieder seinen Lehrstuhl, den er bis zu seiner Emeritierung am 1.9.1957 behielt. Zusammen mit Horst-Erich Ruprecht , Willy Fritz und Berthold Grau verfasste er eine Reihe von Lehrbriefen, die regelmäßig ab 1955 im VEB Verlag Technik erschienen. Sie befassten sich mit „Bahnhofsanlagen einschließlich der Grundzüge des Eisenbahnsicherungswesens“, der „Linienführung und Bahngestaltung der Eisenbahnen“ oder der „Fahrdynamik der Verkehrsmittel“, die teilweise noch nach seinem Ableben aufgelegt wurden. Hans Reingruber starb am 14.1.1964 in Dresden.
Werke (Auswahl)
Beitrag zur Frage der zweckmäßigsten Überhöhung in Gleiskrümmungen. Hannover 1924.
Bahnhofsanlagen einschließlich der Grundzüge des Eisenbahnsicherungswesens. Lehrbriefe 1 – 4. Berlin 1955, 1957, 1960 und 1966.
Fahrdynamik der Verkehrsmittel. Berlin. Lehrbrief 1, Berlin 1955.
Linienführung und Bahngestaltung der Eisenbahnen. Lehrbriefe 1 – 5, Berlin 1967.
Literatur
Gottwaldt, Alfred/Schulle, Diana, „Juden ist die Benutzung von Speisewagen untersagt“. Die antijüdische Politik des Reichsverkehrsministeriums zwischen 1933 und 1945. Forschungsgutachten, Berlin 2007.
Hochschule für Verkehrswesen „Friedrich List“ Dresden: Ehrenkolloquium aus Anlaß des 100. Geburtstages von Prof. Dr. Hans Reingruber. Ausgewählte Vorträge, Dresden 1989.
Parak, Michael, Hochschule und Wissenschaft in zwei deutschen Diktaturen. Elitenaustausch an sächsischen Hochschulen 1933–1952, Köln 2004.
Pommerin, Reiner, Geschichte der TU Dresden 1828–2003, Köln 2003.
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Müller-Enbergs, Helmut, Hans Reingruber, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hans-reingruber/DE-2086/lido/57cd1d3723f832.82777943 (abgerufen am 04.10.2024)