Heinrich Werkmeister

Violoncellist, Komponist und Dirigent (1883-1936)

Joachim Dorfmüller (Wuppertal)

Streichquartett mit August Junker Violine (links) und Heinrich Werkmeister (zweiter von links) in Tokyo. (Privatbesitz)

Als ers­ter im Tal der Wup­per zwi­schen Bey­en­burg und Voh­win­kel ge­bo­re­ner Mu­si­ker scheint Hein­rich Werk­meis­ter ins „Land der auf­ge­hen­den Son­ne“ aus­ge­wan­dert zu sein und dort Kar­rie­re ge­macht zu ha­ben. Kai­ser Wil­helm II. hat­te ihn 1907 nach glän­zen­dem Stu­di­en­ab­schluss an der Ber­li­ner Mu­sik­hoch­schu­le dem 123. Ten­nō Tais­hō an­emp­foh­len, um am Auf­bau ei­nes am eu­ro­päi­schen Mu­sik­le­ben ori­en­tier­ten mo­der­nen ja­pa­ni­schen Mu­sik­le­bens mit­zu­wir­ken.

Wohl von An­fang an auf das Vio­lon­cel­lo­spiel hin ori­en­tiert, er­hielt der am 30.3.1883 in Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal) Ge­bo­re­ne ers­ten Mu­sik­un­ter­richt von sei­nem aus San­ger­hau­sen in Sach­sen-An­halt na­he der thü­rin­gi­schen Gren­ze stam­men­den Va­ter glei­chen Na­mens (1838-1924). Die­ser war An­fang der 1880er Jah­re in ei­ner da­mals kei­nes­wegs un­ge­wöhn­li­chen und un­üb­li­chen Dop­pel­funk­ti­on als Fa­got­tist und Kon­tra­bas­sist Mit­glied des von An­ton Krau­se (1837-1907) ge­lei­te­ten Städ­ti­schen Or­ches­ters Bar­men-El­ber­feld ge­wor­den. Mit der eben­falls aus San­ger­hau­sen stam­men­den Al­wi­ne ge­bo­re­ne Neb­lung (1855-1916) hat­te er drei Kin­der, von de­nen au­ßer dem drit­ten Kind Hein­rich noch in San­ger­hau­sen 1877 Sohn Fe­lix, der Ar­chi­tekt wur­de, und 1880 Toch­ter El­sa, die den Be­ruf der Kla­vier­leh­re­rin er­griff, zur Welt ka­men.

 

Wel­che Schu­len Hein­rich Werk­meis­ter in Bar­men be­such­te, kann nicht mit Si­cher­heit ge­sagt wer­den. Auf­grund der lo­ka­len Nä­he könn­te es als wei­ter­füh­ren­de Schu­le das Bar­mer Re­al­gym­na­si­um an der Se­dan­stra­ße ge­we­sen sein. Si­cher ist, dass er mu­si­ka­lisch hoch­be­gabt war, denn sonst hät­te er 18-jäh­rig wohl kaum die ho­hen An­for­de­run­gen bei der Auf­nah­me­prü­fung zur Kö­nig­li­chen Mu­sik­aka­de­mie Ber­lin er­fül­len kön­nen. An der im Mu­sik­hoch­schul­ran­king nach Leip­zig an zwei­ter Stel­le in Deutsch­land ste­hen­den Hoch­schu­le stu­dier­te er Vio­lon­cel­lo bei Ro­bert Haus­mann (1852-1909), dem Mit­glied des in­ter­na­tio­nal re­nom­mier­ten Jo­seph-Joa­chim-Quar­tetts, so­wie Mu­sik­theo­rie, Ton­satz und Kom­po­si­ti­on bei Karl Leo­pold Wolf (1840-1932), der als Schü­ler Fried­rich Kiels (1821-1885) am Leip­zi­ger Kon­ser­va­to­ri­um in­zwi­schen un­ter an­de­rem mit ei­ner Sin­fo­nie, Kla­vier­wer­ken und Lie­dern her­vor­ge­tre­ten war. Die sti­lis­ti­sche Ori­en­tie­rung, die Hein­rich Werk­meis­ter bei ihm er­fuhr, soll­te rich­tung­wei­send blei­ben. Die Stu­di­en schloss er nach sechs Jah­ren 1907 mit so ho­her Aus­zeich­nung ab, dass ihn Kai­ser Wil­helm II. (Re­gent­schaft 1888-1918) per­sön­lich nach To­kyo de­le­gier­te, wo er mit­hel­fen soll­te, für die deut­sche Mu­sik zu wer­ben und das ja­pa­ni­sche Mu­sik­le­ben nach deut­schem Vor­bild wei­ter auf­zu­bau­en. An der erst 1887 ge­grün­de­ten Gei­dai-Aka­de­mie über­nahm er ei­ne Vio­lon­cel­lo-Klas­se, lehr­te tra­di­tio­nel­le eu­ro­päi­sche Kom­po­si­ti­ons­tech­ni­ken und grün­de­te ein Or­ches­ter, mit dem er eu­ro­päi­sche Sin­fo­nie- und Kam­mer­kon­zer­te gab so­wie im pri­va­ten Rah­men Opern oder we­nigs­tens Opern­sze­nen ein­stu­dier­te und wohl häu­fig zu kon­zer­tan­ten Erst­auf­füh­run­gen in Ja­pan brach­te.

Hein­rich Werk­meis­ter war da­mit Kol­le­ge des schon 1899 aus Ber­lin nach To­kyo ent­sand­ten Gei­gers Au­gust Jun­ger (1868-1944) ge­wor­den, der Schü­ler des Brahms-Freun­des Jo­seph Joa­chim (1831-1921) und zum Kon­zert­meis­ter der Ber­li­ner Phil­har­mo­ni­ker avan­ciert war. Ihm war ei­ne Kom­po­si­ti­ons­klas­se an­ver­traut, der un­ter an­de­rem Ko­sa­ku Yama­da (1886-1965) an­ge­hör­te, der 1919, al­so wohl bald nach Ab­schluss sei­ner Stu­di­en bei Werk­meis­ter, das ers­te ja­pa­ni­sche Sin­fo­nie­or­ches­ter grün­de­te und im west­lich-ro­man­ti­schen Stil nicht we­ni­ger als fünf Sin­fo­ni­en, sechs Sin­fo­ni­sche Dich­tun­gen und et­wa 700 (!) Lie­der und Chö­re schrieb. Kom­po­si­to­risch schul­te Werk­meis­ter auch sei­nen Vio­lon­cel­lo-Schü­ler Kiyo­shi No­bu­to­ki (1887-1965) so­wie den Ko­rea­ner Eak-Tai Ahn (1906-1965), der sei­ne Kom­po­si­ti­ons­stu­di­en bei Zol­tán Ko­dá­ly (1882-1967) in Bu­da­pest fort­setz­te, als in­ter­na­tio­nal agie­ren­der Di­ri­gent Kar­rie­re mach­te und 1937 die Me­lo­die zur ko­rea­ni­schen, heu­te für Süd­ko­rea gül­ti­gen Na­tio­nal­hym­ne „Ae­guk­ga“ („Lied der Lie­be für das Lan­d“) schrieb.

Bis 1921 nahm Hein­rich Werk­meis­ter sei­ne Hoch­schul­äm­ter wahr, leg­te sie dann je­doch, in­zwi­schen 38 Jah­re alt ge­wor­den, nie­der, um frei­schaf­fend kon­zer­tie­ren und kom­po­nie­ren so­wie sei­ne ja­pa­ni­schen Sprach­kennt­nis­se per­fek­tio­nie­ren zu kön­nen. In die­ser Zeit ent­stand un­ter an­de­rem ei­ne Sui­te in d-Moll „für Vio­lon­cel­lo mit Be­glei­tung des Pia­no­for­te“, wie es auf dem Ti­tel­blatt hei­ßt, mit der Satz­fol­ge Prae­lu­di­um – Me­nu­ett – Lar­go – Gigue, die 1925 vom Ber­li­ner Ver­lag Ries & Er­ler zu­sam­men mit ei­ner von ihm für die­sel­be Be­set­zung ge­schrie­be­nen Samm­lung pu­bli­ziert wur­de. Dem 1920-1926 als Ge­sandt­schafts­rat an der Deut­schen Bot­schaft in To­kyo tä­ti­gen Dr. Erich Mi­chel­sen (1879-1948) ge­wid­met, ist die­se Kom­po­si­ti­on ex­em­pla­risch zu se­hen für Hein­rich Werk­meis­ters be­wuss­tes Be­wah­ren tra­di­tio­nel­ler eu­ro­päi­scher, kon­kret spät­ro­man­ti­scher Satz­kunst. Die Ten­denz zur Far­big­keit ro­man­ti­scher Har­mo­nik macht denn auch Hein­rich Werk­meis­ters Nä­he et­wa zu Jo­seph Ga­bri­el Rhein­ber­ger (1839-1901), zum frü­hen Max Re­ger (1873-1916) oder zum frü­hen Sig­frid Karg-Elert (1877-1933) un­über­hör­bar, wie es denn – um nur ein Ex­em­pel zu sta­tu­ie­ren – das D-Dur-Lar­go der er­wähn­ten Sui­te für Vio­lon­cel­lo und Kla­vier be­stä­tigt. Die­se be­wah­ren­de Ori­en­tie­rung po­si­tio­niert Hein­rich Werk­meis­ter so­mit weit ent­fernt von pro­gres­siv, ja, avant­gar­dis­tisch aus­ge­rich­te­ten Kom­po­nis­ten­kol­le­gen glei­chen Jahr­gangs wie An­ton von We­bern (1883-1945), Jo­seph Mat­thi­as Hau­er (1883-1959) und Ed­gar Varè­se (1883-1965), auch mei­len­weit ent­fernt von nur we­nig äl­te­ren Weg­be­rei­tern der Mu­sik des 20. Jahr­hun­derts wie Bé­la Bar­tók (1881-1945), Zol­tán Ko­dá­ly und Igor Stra­wins­ky (1882-1971).

1923 stieg Hein­rich Werk­meis­ter wie­der ins ak­ti­ve Be­rufs­le­ben ein, nach­dem ihm der 123. Ten­nō Tais­hō ei­ne An­stel­lung als Haus­leh­rer und Lei­ter sei­nes Ho­for­ches­ters an­ge­bo­ten hat­te. In un­mit­tel­ba­rer Pa­last­nä­he stand ihm ein Gar­ten­häus­chen als Woh­nung zur Ver­fü­gung, von dem aus er oh­ne be­son­de­re For­ma­li­tä­ten Zu­gang zu den kai­ser­li­chen Ge­bäu­den hat­te. Es gab wohl kaum ei­ne Fest­lich­keit, die oh­ne Hein­rich Werk­meis­ters mu­si­ka­li­sche Be­tei­li­gung statt­ge­fun­den ha­ben dürf­te. Doch schon ein hal­bes Jahr spä­ter en­de­te die­se wahr­haft ex­klu­si­ve Tä­tig­keit jäh, als am 1.9.1923 die Mil­lio­nen­me­tro­po­len To­kyo und Yo­ko­ha­ma von ei­nem schwe­ren Erd­be­ben heim­ge­sucht wur­de, bei dem et­wa 140.000 Men­schen zu To­de ka­men. Werk­meis­ter konn­te zwar das nack­te Le­ben ret­ten, ver­lor je­doch mit sei­ner Woh­nung all sein Hab und Gut, auch sei­nen aus Deutsch­land per Schiff ein­ge­führ­ten Flü­gel, von dem nur der de­for­mier­te Ei­sen­rah­men aus den Trüm­mern her­aus­rag­te. Ver­nich­tet wur­de sei­ne kom­plet­te Bi­blio­thek mit den Au­to­gra­phen ei­ge­ner Kom­po­si­tio­nen, so un­ter an­de­rem ei­ner Sym­pho­nie in c-Moll, meh­re­rer Kla­vier­lie­der, ei­nem Vio­lin- und ei­nem Vio­lon­cel­lo­kon­zert. Ver­lo­ren ge­gan­gen sind auch die Au­to­gra­phe zwei­er frü­her Opern, die bei­de im Kai­ser­li­chen Thea­ter in To­kyo wohl un­ter Werk­meis­ters Ein­stu­die­rung und Lei­tung zu Ur­auf­füh­run­gen ka­men: 1910 „Der Schmet­ter­lin­g“ und 1912 „Shaka“ („Bud­dha“). Ge­ret­tet wur­den je­ne we­ni­gen Kom­po­si­tio­nen, die Werk­meis­ter zu­vor dem Ber­li­ner Ver­lag Ries & Er­ler zum Druck an­ge­bo­ten hat­te und in­zwi­schen er­schie­nen wa­ren.

Hein­rich Werk­meis­ter blieb nichts an­de­res üb­rig, als auf dem See­weg Ja­pan zu ver­las­sen und nach Bar­men zu­rück­zu­keh­ren, das er im­mer­hin 16 Jah­re lang nicht ge­se­hen hat­te. Er wohnt bei sei­ner eben­falls un­ver­hei­ra­tet und wohl auch kin­der­los ge­blie­be­nen Schwes­ter El­sa (1880-1943), er­teil­te Pri­vat­un­ter­richt im Vio­lon­cel­lo­spiel und gab ge­le­gent­lich Kon­zer­te. Er plan­te über­dies mit sei­nem Bru­der Fe­lix (1877-?)  in Bar­men ein ja­pa­ni­sches Kul­tur­zen­trum, zu des­sen Er­rich­tung es al­ler­dings nicht mehr kom­men soll­te.

Nach fünf Jah­ren in der Hei­mat kehr­te er in die ja­pa­ni­sche Me­tro­po­le zu­rück, nahm ei­nen Ruf zu­nächst an die Ku­nit­a­chi-Mu­sik­aka­de­mie an, ging 1928 je­doch wie­der an die Gei­dai-Aka­de­mie zu­rück. Ne­ben sei­nem Un­ter­richt im Vio­lon­cel­lo­spiel und in Kom­po­si­ti­on kon­zer­tier­te er so­lis­tisch so­wie im Trio mit dem ukrai­ni­schen Pia­nis­ten jü­di­scher Her­kunft und Fer­ruc­cio Bu­so­ni-Schü­ler Leo Si­ro­ta (1885-1965) und dem un­ga­ri­schen Gei­ger Fer­ry Lo­rant. 1935 wur­de ihm für sei­ne Ver­diens­te um die Ver­brei­tung deut­scher Mu­sik in der Deut­schen Bot­schaft To­kyo der Pro­fes­so­ren­ti­tel eh­ren­hal­ber ver­lie­hen.

Die Sogakudo Konzerthalle der Kunsthochschule in Tokyo, 2008. (CC BY-SA 3.0/PekePON)

 

Bald lie­ßen je­doch – auf­grund wel­cher Krank­heit scheint nicht über­lie­fert – sei­ne Kräf­te merk­lich nach. Hein­rich Werk­meis­ter starb im Al­ter von nur 53 Jah­ren am 16.8.1936 und wur­de auf dem Ta­ma-Rei­en-Fried­hof in To­kyo-Fu­chu be­stat­tet. Das Grab exis­tiert noch, wie der eben­falls aus Deutsch­land stam­men­de Ku­nit­a­chi-Kom­po­si­ti­ons­pro­fes­sor Tho­mas Mey­er-Fie­big (ge­bo­ren 1949) mit­teilt. Auch den nächs­ten An­ge­hö­ri­gen Hein­rich Werk­meis­ters war kein lan­ges Le­ben be­schie­den: Bru­der Fe­lix kam mit sei­ner Frau beim Bom­ben­an­griff auf Bar­men am 30.5.1943 ums Le­ben, ver­mut­lich auch sei­ne Schwes­ter El­sa, die als Kla­vier­leh­re­rin zu­letzt im eben­falls zer­stör­ten Dop­pel­haus Zwing­li­stra­ße 13/15 mit­ten in der Bar­mer Ci­ty ge­wohnt hat­te.

Werke (außer der Suite in d-Moll wohl nur handschriftlich)

Opern:
Der Schmet­ter­ling (1910)
Sha­ka (1912)
 
Sui­te in d-Moll für Vio­lon­cel­lo mit Be­glei­tung des Pia­no­for­te (Ries & Er­ler, Ber­lin 1915)
Sin­fo­nie in c-Moll
Kon­zert für Vio­li­ne und Or­ches­ter
Kon­zert für Vio­lon­cel­lo und Or­ches­ter
Kla­vier­lie­der  

Literatur

Dorf­mül­ler, Joa­chim, Ein Bar­mer am Ho­fe des Ten­no. Zu Le­ben und Werk des Kom­po­nis­ten, Vio­lon­cel­lis­ten und Mu­sik­päd­ago­gen Hein­rich Werk­meis­ter. In: Ber­gi­sche Blät­ter 20 (1997), Nr. 7, S. 13 f.
Nach­ruf auf Hein­rich Werk­meis­ter: Ge­ne­ral-An­zei­ger der Stadt Wup­per­tal vom 18.8.1936, S. 6. 

Heinrich Werkmeisters Grabstein auf dem Tama-Reien-Friedhof in Tokyo-Fuchu, 2016, Foto: Thomas Meyer-Fiebig. (Privatbesitz)

 
Zitationshinweis

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Dorfmüller, Joachim, Heinrich Werkmeister, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-werkmeister/DE-2086/lido/5f1028083e0315.35636098 (abgerufen am 07.10.2024)