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Als erster im Tal der Wupper zwischen Beyenburg und Vohwinkel geborener Musiker scheint Heinrich Werkmeister ins „Land der aufgehenden Sonne“ ausgewandert zu sein und dort Karriere gemacht zu haben. Kaiser Wilhelm II. hatte ihn 1907 nach glänzendem Studienabschluss an der Berliner Musikhochschule dem 123. Tennō Taishō anempfohlen, um am Aufbau eines am europäischen Musikleben orientierten modernen japanischen Musiklebens mitzuwirken.
Wohl von Anfang an auf das Violoncellospiel hin orientiert, erhielt der am 30.3.1883 in Barmen (heute Stadt Wuppertal) Geborene ersten Musikunterricht von seinem aus Sangerhausen in Sachsen-Anhalt nahe der thüringischen Grenze stammenden Vater gleichen Namens (1838-1924). Dieser war Anfang der 1880er Jahre in einer damals keineswegs ungewöhnlichen und unüblichen Doppelfunktion als Fagottist und Kontrabassist Mitglied des von Anton Krause (1837-1907) geleiteten Städtischen Orchesters Barmen-Elberfeld geworden. Mit der ebenfalls aus Sangerhausen stammenden Alwine geborene Neblung (1855-1916) hatte er drei Kinder, von denen außer dem dritten Kind Heinrich noch in Sangerhausen 1877 Sohn Felix, der Architekt wurde, und 1880 Tochter Elsa, die den Beruf der Klavierlehrerin ergriff, zur Welt kamen.
Welche Schulen Heinrich Werkmeister in Barmen besuchte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Aufgrund der lokalen Nähe könnte es als weiterführende Schule das Barmer Realgymnasium an der Sedanstraße gewesen sein. Sicher ist, dass er musikalisch hochbegabt war, denn sonst hätte er 18-jährig wohl kaum die hohen Anforderungen bei der Aufnahmeprüfung zur Königlichen Musikakademie Berlin erfüllen können. An der im Musikhochschulranking nach Leipzig an zweiter Stelle in Deutschland stehenden Hochschule studierte er Violoncello bei Robert Hausmann (1852-1909), dem Mitglied des international renommierten Joseph-Joachim-Quartetts, sowie Musiktheorie, Tonsatz und Komposition bei Karl Leopold Wolf (1840-1932), der als Schüler Friedrich Kiels (1821-1885) am Leipziger Konservatorium inzwischen unter anderem mit einer Sinfonie, Klavierwerken und Liedern hervorgetreten war. Die stilistische Orientierung, die Heinrich Werkmeister bei ihm erfuhr, sollte richtungweisend bleiben. Die Studien schloss er nach sechs Jahren 1907 mit so hoher Auszeichnung ab, dass ihn Kaiser Wilhelm II. (Regentschaft 1888-1918) persönlich nach Tokyo delegierte, wo er mithelfen sollte, für die deutsche Musik zu werben und das japanische Musikleben nach deutschem Vorbild weiter aufzubauen. An der erst 1887 gegründeten Geidai-Akademie übernahm er eine Violoncello-Klasse, lehrte traditionelle europäische Kompositionstechniken und gründete ein Orchester, mit dem er europäische Sinfonie- und Kammerkonzerte gab sowie im privaten Rahmen Opern oder wenigstens Opernszenen einstudierte und wohl häufig zu konzertanten Erstaufführungen in Japan brachte.
Heinrich Werkmeister war damit Kollege des schon 1899 aus Berlin nach Tokyo entsandten Geigers August Junger (1868-1944) geworden, der Schüler des Brahms-Freundes Joseph Joachim (1831-1921) und zum Konzertmeister der Berliner Philharmoniker avanciert war. Ihm war eine Kompositionsklasse anvertraut, der unter anderem Kosaku Yamada (1886-1965) angehörte, der 1919, also wohl bald nach Abschluss seiner Studien bei Werkmeister, das erste japanische Sinfonieorchester gründete und im westlich-romantischen Stil nicht weniger als fünf Sinfonien, sechs Sinfonische Dichtungen und etwa 700 (!) Lieder und Chöre schrieb. Kompositorisch schulte Werkmeister auch seinen Violoncello-Schüler Kiyoshi Nobutoki (1887-1965) sowie den Koreaner Eak-Tai Ahn (1906-1965), der seine Kompositionsstudien bei Zoltán Kodály (1882-1967) in Budapest fortsetzte, als international agierender Dirigent Karriere machte und 1937 die Melodie zur koreanischen, heute für Südkorea gültigen Nationalhymne „Aegukga“ („Lied der Liebe für das Land“) schrieb.
Bis 1921 nahm Heinrich Werkmeister seine Hochschulämter wahr, legte sie dann jedoch, inzwischen 38 Jahre alt geworden, nieder, um freischaffend konzertieren und komponieren sowie seine japanischen Sprachkenntnisse perfektionieren zu können. In dieser Zeit entstand unter anderem eine Suite in d-Moll „für Violoncello mit Begleitung des Pianoforte“, wie es auf dem Titelblatt heißt, mit der Satzfolge Praeludium – Menuett – Largo – Gigue, die 1925 vom Berliner Verlag Ries & Erler zusammen mit einer von ihm für dieselbe Besetzung geschriebenen Sammlung publiziert wurde. Dem 1920-1926 als Gesandtschaftsrat an der Deutschen Botschaft in Tokyo tätigen Dr. Erich Michelsen (1879-1948) gewidmet, ist diese Komposition exemplarisch zu sehen für Heinrich Werkmeisters bewusstes Bewahren traditioneller europäischer, konkret spätromantischer Satzkunst. Die Tendenz zur Farbigkeit romantischer Harmonik macht denn auch Heinrich Werkmeisters Nähe etwa zu Joseph Gabriel Rheinberger (1839-1901), zum frühen Max Reger (1873-1916) oder zum frühen Sigfrid Karg-Elert (1877-1933) unüberhörbar, wie es denn – um nur ein Exempel zu statuieren – das D-Dur-Largo der erwähnten Suite für Violoncello und Klavier bestätigt. Diese bewahrende Orientierung positioniert Heinrich Werkmeister somit weit entfernt von progressiv, ja, avantgardistisch ausgerichteten Komponistenkollegen gleichen Jahrgangs wie Anton von Webern (1883-1945), Joseph Matthias Hauer (1883-1959) und Edgar Varèse (1883-1965), auch meilenweit entfernt von nur wenig älteren Wegbereitern der Musik des 20. Jahrhunderts wie Béla Bartók (1881-1945), Zoltán Kodály und Igor Strawinsky (1882-1971).
1923 stieg Heinrich Werkmeister wieder ins aktive Berufsleben ein, nachdem ihm der 123. Tennō Taishō eine Anstellung als Hauslehrer und Leiter seines Hoforchesters angeboten hatte. In unmittelbarer Palastnähe stand ihm ein Gartenhäuschen als Wohnung zur Verfügung, von dem aus er ohne besondere Formalitäten Zugang zu den kaiserlichen Gebäuden hatte. Es gab wohl kaum eine Festlichkeit, die ohne Heinrich Werkmeisters musikalische Beteiligung stattgefunden haben dürfte. Doch schon ein halbes Jahr später endete diese wahrhaft exklusive Tätigkeit jäh, als am 1.9.1923 die Millionenmetropolen Tokyo und Yokohama von einem schweren Erdbeben heimgesucht wurde, bei dem etwa 140.000 Menschen zu Tode kamen. Werkmeister konnte zwar das nackte Leben retten, verlor jedoch mit seiner Wohnung all sein Hab und Gut, auch seinen aus Deutschland per Schiff eingeführten Flügel, von dem nur der deformierte Eisenrahmen aus den Trümmern herausragte. Vernichtet wurde seine komplette Bibliothek mit den Autographen eigener Kompositionen, so unter anderem einer Symphonie in c-Moll, mehrerer Klavierlieder, einem Violin- und einem Violoncellokonzert. Verloren gegangen sind auch die Autographe zweier früher Opern, die beide im Kaiserlichen Theater in Tokyo wohl unter Werkmeisters Einstudierung und Leitung zu Uraufführungen kamen: 1910 „Der Schmetterling“ und 1912 „Shaka“ („Buddha“). Gerettet wurden jene wenigen Kompositionen, die Werkmeister zuvor dem Berliner Verlag Ries & Erler zum Druck angeboten hatte und inzwischen erschienen waren.
Heinrich Werkmeister blieb nichts anderes übrig, als auf dem Seeweg Japan zu verlassen und nach Barmen zurückzukehren, das er immerhin 16 Jahre lang nicht gesehen hatte. Er wohnt bei seiner ebenfalls unverheiratet und wohl auch kinderlos gebliebenen Schwester Elsa (1880-1943), erteilte Privatunterricht im Violoncellospiel und gab gelegentlich Konzerte. Er plante überdies mit seinem Bruder Felix (1877-?) in Barmen ein japanisches Kulturzentrum, zu dessen Errichtung es allerdings nicht mehr kommen sollte.
Nach fünf Jahren in der Heimat kehrte er in die japanische Metropole zurück, nahm einen Ruf zunächst an die Kunitachi-Musikakademie an, ging 1928 jedoch wieder an die Geidai-Akademie zurück. Neben seinem Unterricht im Violoncellospiel und in Komposition konzertierte er solistisch sowie im Trio mit dem ukrainischen Pianisten jüdischer Herkunft und Ferruccio Busoni-Schüler Leo Sirota (1885-1965) und dem ungarischen Geiger Ferry Lorant. 1935 wurde ihm für seine Verdienste um die Verbreitung deutscher Musik in der Deutschen Botschaft Tokyo der Professorentitel ehrenhalber verliehen.
Bald ließen jedoch – aufgrund welcher Krankheit scheint nicht überliefert – seine Kräfte merklich nach. Heinrich Werkmeister starb im Alter von nur 53 Jahren am 16.8.1936 und wurde auf dem Tama-Reien-Friedhof in Tokyo-Fuchu bestattet. Das Grab existiert noch, wie der ebenfalls aus Deutschland stammende Kunitachi-Kompositionsprofessor Thomas Meyer-Fiebig (geboren 1949) mitteilt. Auch den nächsten Angehörigen Heinrich Werkmeisters war kein langes Leben beschieden: Bruder Felix kam mit seiner Frau beim Bombenangriff auf Barmen am 30.5.1943 ums Leben, vermutlich auch seine Schwester Elsa, die als Klavierlehrerin zuletzt im ebenfalls zerstörten Doppelhaus Zwinglistraße 13/15 mitten in der Barmer City gewohnt hatte.
Werke (außer der Suite in d-Moll wohl nur handschriftlich)
Opern:
Der Schmetterling (1910)
Shaka (1912)
Suite in d-Moll für Violoncello mit Begleitung des Pianoforte (Ries & Erler, Berlin 1915)
Sinfonie in c-Moll
Konzert für Violine und Orchester
Konzert für Violoncello und Orchester
Klavierlieder
Literatur
Dorfmüller, Joachim, Ein Barmer am Hofe des Tenno. Zu Leben und Werk des Komponisten, Violoncellisten und Musikpädagogen Heinrich Werkmeister. In: Bergische Blätter 20 (1997), Nr. 7, S. 13 f.
Nachruf auf Heinrich Werkmeister: General-Anzeiger der Stadt Wuppertal vom 18.8.1936, S. 6.
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Dorfmüller, Joachim, Heinrich Werkmeister, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/heinrich-werkmeister/DE-2086/lido/5f1028083e0315.35636098 (abgerufen am 07.10.2024)