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Hugo Thiel war ein ranghoher Ministerialbeamter, der zwischen 1873 und 1911 eine federführende Rolle bei der administrativen Neuorganisation des Agrarsektors, der Reform des höheren landwirtschaftlichen Bildungswesens und der Verwaltung der Staatsdomänen in Preußen einnahm. In der Rheinprovinz erwarb er sich als Förderer des staatlichen Weinbaus nachhaltige Verdienste.
Carl Emil Hugo Thiel wurde am 2.6.1839 in Bonn als viertes Kind des evangelischen Geheimen Rechnungsrats Wilhelm Thiel (1791-1869) und dessen Ehefrau Elmire Hoestermann (1810-1875) geboren. Seine Großväter waren der Justizkommissar und Notar Johann Christian Thiel (1760-1831) und der Regierungsrat Wilhelm Heinrich Gottlieb Hoestermann (1771-1859). Thiels Vater bekleidete das Amt des Quästors der Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn und bewohnte mit seiner Familie eine Wohnung im Poppelsdorfer Schloss.
Im August 1857 bestand Hugo Thiel nach achtjährigem Aufenthalt die Abiturprüfung am Königlichen Gymnasium in Bonn. Das von ihm angestrebte Studium der Agrarwissenschaften setzte allerdings eine zweijährige praktische Lehrzeit voraus, die er zwischen 1857 und 1859 auf dem zum Besitz des Grafen Carl von Bismarck-Bohlen (1832-1878) gehörenden Ritterguts Uenglingen bei Stendal absolvierte. Im Anschluss trat er für die Dauer von zwei weiteren Jahren in die Dienste des Freiherrn Friedrich von Diergardt (1795-1869), der ihm die Verwaltung des Guts Morsbroich (heute Stadt Leverkusen) übertrug. Im Sommersemester 1861 immatrikulierte sich Thiel an der Landwirtschaftlichen Akademie in Poppelsdorf und wurde Mitglied des dortigen Akademisch Landwirtschaftlichen Vereins. Nachdem er am 8.8.1863 die landwirtschaftliche Abschlussprüfung bestanden und am 27.3.1865 an der philosophischen Fakultät der Universität Bonn mit einer Arbeit zum Thema „De radicum plantarum quarundam ab agricolis praecipue cultarum directione et extensione“ promoviert wurde, übernahm er mit Beginn des Wintersemesters 1865/1866 das Amt des Administrators des landwirtschaftlichen Versuchsfeldes der Poppelsdorfer Akademie. Zugleich erhielt er eine Anstellung als Privatdozent für die Fächer Landwirtschaftliche Literatur, Tierproduktion und Handelsgewächsbau.
Mit seiner Ernennung zum ordentlichen Professor für landwirtschaftliche Betriebslehre an der Polytechnischen Hochschule in Darmstadt trat Thiel am 1.9.1869 in den Staatsdienst des Großherzogtums Hessen. Neben seiner Lehrtätigkeit übernahm er auch das Amt des Dekans der dem Polytechnikum angegliederten Landwirtschaftlichen Schule. Auf Vermittlung des Agrikulturchemikers Julius Alexander Lehmann (1825-1894) folgte er im August 1872 einem Ruf auf eine ordentliche Professur für landwirtschaftliche Betriebslehre, Gerätekunde und Taxationslehre an der Technischen Hochschule in München. Der Zeitraum seines Wirkens an dieser unzureichend ausgestatteten Bildungseinrichtung endete jedoch vorzeitig nach Ablauf des Wintersemesters 1872/1873. Bereits am 1.4.1873 trat Thiel als Generalsekretär des Landesökonomiekollegiums und als Hilfsarbeiter im Ministerium für Landwirtschaft in den preußischen Verwaltungsdienst ein. Zeitgleich erfolgte die Ernennung zum Landesökonomierat. Als Kandidat der Nationalliberalen Partei wurde er darüber hinaus für den Wahlkreis 2 des Regierungsbezirks Magdeburg sowohl in den Preußischen Landtag (1873-1878), als auch in den Reichstag (1874-1877) gewählt. Am 1.6.1877 heiratete er in Opladen (heute Stadt Leverkusen) Julia Ulenberg (1851-1934), eine Tochter des Fabrikbesitzers Wilhelm Ulenberg (1818-1882).
Nach seiner Ernennung zum Regierungsrat und vortragenden Rat im Jahr 1879 wurde Thiel die Umwandlung des seit 1859 bestehenden Landwirtschaftlichen Lehrinstituts in Berlin zur Landwirtschaftlichen Hochschule übertragen, wobei er sich als herausragender Verwaltungsfachmann und Wissenschaftsorganisator erwies. In seiner Doppelfunktion als Referent und Kurator trug er maßgeblich zur Etablierung der 1881 ihren Lehrbetrieb aufnehmenden Hochschule als einer international führenden agrarwissenschaftlichen Bildungsstätte bei. Im Jahr 1885 wurde Thiel zum Ministerialdirektor und Geheimen Oberregierungsrat, 1897 zum Wirklichen Geheimen Oberregierungsrat und 1907 zum Wirklichen Geheimen Rat mit dem Prädikat Exzellenz ernannt. Am 1.4.1911 erfolgte die Versetzung in den Ruhestand.
Über die Bedeutung seines Wirkens für die administrative Neuordnung des Agrarsektors äußerte der Nationalökonom Max Sering (1857-1939), es habe „wohl kein wichtiges Gesetz für die Landwirtschaft und keine große Verwaltungsmaßnahme“ gegeben, „die während dieser Zeit in Preußen ohne Thiels eingreifende Mitwirkung zustande gekommen wären.“ Zu seinen wichtigsten Leistungen zählte die 1894 eingeleitete Einrichtung der an die Stelle der landwirtschaftlichen Zentralvereine tretenden Landwirtschaftskammern als öffentlich-rechtliche Körperschaften der agrarischen Selbstverwaltung. Bedeutung erlangte Thiel auch als Förderer des vom Sozialreformer Friedrich Wilhelm Raiffeisen begründeten ländlichen Genossenschaftswesens. Ungeachtet starker politischer Widerstände konnte er Kaiser Wilhelm I. (Regentschaft 1858/1861-1888, ab 1871 als Deutscher Kaiser) von der Sinnhaftigkeit der Raiffeisen-Vereine überzeugen und zur Bereitstellung erheblicher Finanzmittel zu deren Unterstützung bewegen.
Im Zuge seiner Ernennung zum Wirklichen Geheimen Regierungsrat wurde Thiel 1897 die Leitung der II. Abteilung des Ministeriums für Landwirtschaft, Domänen und Forsten und damit die Verwaltung der preußischen Staatsdomänen übertragen. In seiner 14-jährigen Amtszeit verstand er es, die vielfach unzureichend verwalteten staatlichen Güter in rentable landwirtschaftliche Musterbetriebe umzuwandeln. Einen Schwerpunkt dieser Tätigkeit bildete die mit hohem finanziellem Aufwand betriebene Modernisierung des Weinbaus im Mosel- und Nahegebiet. Am wirtschaftlichen Aufschwung dieser bis zu diesem Zeitpunkt als strukturschwach einzustufenden Regionen hatte Thiel wesentlichen Anteil. Als Vorsitzendem der Königlichen Kommission zur Aufteilung der Domäne Dahlem bei Berlin oblag ihm ab 1897 auch die Verantwortung für die Umwandlung des weitläufigen Areals in eine Villenkolonie einschließlich der großflächigen Ansiedlung wissenschaftlicher Institutionen.
Thiels agrar- und wissenschaftspolitisches Wirken reichte weit über seinen dienstlichen Verantwortungsbereich hinaus. Seit den 1870er Jahren engagierte er sich im Verein für Sozialpolitik, dessen Vorstand er zwischen 1877 und 1902 angehörte. Im Jahr 1891 war er an der organisatorischen Umsetzung der von diesem initiierten und von dem Nationalökonomen Max Weber (1864-1920) ausgewerteten Landarbeiterenquete beteiligt. Eine prägende Bedeutung erlangte Thiel auch in der 1883 vom Agraringenieur Max Eyth (1836-1906) ins Leben gerufenen Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG). Im Jahr 1892 wurde er in deren Vorstand gewählt und hatte zwischen 1896 und 1918 das Amt des stellvertretenden Vorsitzenden inne. Er fungierte darüber hinaus als Vorsitzender des „Kuratoriums der Berliner Mastviehausstellung“, des „Klubs der Landwirte“ in Berlin, des „Vereins für Wohlfahrtspflege auf dem Lande“, der „Zentral-Moorkommission in Preußen“, der „Deutschen Gartenbau-Gesellschaft“ und des „Reichsverbandes für den deutschen Gartenbau“. Zwischen 1878 und 1918 wirkte er als Herausgeber der „Landwirtschaftlichen Jahrbücher" und gehörte ab 1913 dem Vorstand der preußischen Central-Bodenkredit AG an. 39 Jahre nach Beendigung seiner akademischen Lehrtätigkeit wurde er 1912 zum Honorardozenten für landwirtschaftliche Verwaltung an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin ernannt.
Neben dem anlässlich seiner Pensionierung verliehenen Roter Adler-Orden I. Klasse mit Eichenlaub war Thiel Träger des Komturkreuzes I. Klasse vom Königlich Sächsischen Albrechts-Orden und vom Herzoglich Sachsen-Ernestinischen Hausorden, des Großkomturkreuzes vom Mecklenburgisch-Schwerinschen Greifen-Orden und vom Oldenburgischen Haus- und Verdienstorden des Herzogs Peter Friedrich Ludwig, des Osmanischen Mecidiye-Ordens II. Klasse mit Stern sowie der Goldenen Nathusius-Medaille und der von der DLG verliehenen Goldenen Max Eyth-Medaille. Er war darüber hinaus Kommandeur der Französischen Ehrenlegion und des Schwedischen Wasa-Ordens.
Hugo Thiel starb am 13.1.1918 in Berlin-Steglitz „nach kurzem Krankenlager“ an den Folgen einer Lungenentzündung. Seine Verdienste wurden bereits zu seinen Lebzeiten gewürdigt. Unter anderem stand sein Name Pate für die Kartoffelzüchtung „Geheimrat Thiel“. In der Domäne Avelsbach nordwestlich von Trier wurde 1910 die „Thiels-Burg“ errichtet. Der mit einer bronzenen Porträtplatte versehene turmartige Zentralbau erinnert weithin sichtbar an die von Thiel initiierten Investitionen in den Weinbau an der Mosel.
Literatur
Gaede, Helmut, Auf dem Felde der Aehre. Landwirtschaftliches Kulturerbe in Deutschland, Magdeburg 2004, S. 218-219.
Gerber, Theophil, Persönlichkeiten aus Land- und Forstwirtschaft, Gartenbau und Veterinärmedizin, Biographisches Lexikon, Band 2, Berlin 2004, S. 774.
Hainbuch, Dirk/Tennstedt, Florian (Bearb.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1871 bis 1945, Band 1, Kassel 2010, S. 162-163.
Hansen, Joachim, Thiels Burg - Denkmal des preußischen Engagements für den Weinbau in Trier, in: Neues Trierisches Jahrbuch 2000, S. 103.
Tennstedt, Florian, Hugo Thiel und der Verein für Sozialpolitik, in: Zeitschrift für Sozialreform 34/9 (1988), S. 524-537.
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Thomann, Björn, Hugo Thiel, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/hugo-thiel/DE-2086/lido/5e0dc2f557c360.98990386 (abgerufen am 06.10.2024)