Zu den Kapiteln
Der Benediktiner Ildefons Herwegen, von 1913 bis 1946 Abt von Maria Laach, zählte zu den Mitbegründern der Liturgischen Bewegung im Rheinland und 1933 zu den exponiertesten Vertretern des Rechtskatholizismus.
Peter Herwegen wurde am 27.11.1874 im späteren Kölner Stadtteil Junkersdorf als Sohn von Gertrud und Peter Herwegen geboren. Der Vater war Lehrer. Herwegen besuchte das Kölner Apostelgymnasium, wo er sich mit dem Mitschüler Konrad Adenauer anfreundete, dann das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium und zuletzt bis zum Abitur das Gymnasium der Benediktiner im österreichischen Seckau. 1895 trat er in die Benediktinerabtei Maria Laach ein und erhielt den Ordensnamen Ildefons. Zur Vorbereitung auf die Priesterweihe 1901 studierte er in Maria Laach Philosophie und in der Erzabtei Beuron Theologie. Weiterführende Studien führten ihn nach Rom, in die belgische Benediktinerabtei Maredsous und von 1904 bis 1907 an die Universität Bonn.
Unter Anleitung von Ulrich Stutz entstanden erste Arbeiten zur Geschichte des kirchlichen Rechts. Ferner schrieb Herwegen über den hl. Benedikt von Nursia (um 480 – um 547), Grundfragen der Liturgie und christliche Kunst, etwa die Fresken (Wandmalereien) der Schwarzrheindorfer Doppelkirche oder den Kapitelsaal von Brauweiler.
Seine schwache Gesundheit ließ Herwegen zunächst für die Übernahme wichtiger Klosteraufgaben ungeeignet erscheinen. Dennoch wählten ihn die Laacher Mönche am 26.6.1913 zu ihrem Abt. Das Kloster mit damals mehr als 130 Ordensmännern besaß durch die besondere Gunst und fünf Besuche Wilhelms II. (Regierungszeit 1888-1918) auch außerhalb der katholischen Kirche große Bekanntheit. Im Mai 1918 besuchte Abt Herwegen den Kaiser im Hauptquartier im belgischen Spa, um ihm eine von Laacher Mönchen geschaffene Statue des Erzengels Michael zu verehren. Bei Kriegsende erhoffte der Abt die „Gründung eines selbständigen Rheinstaates" bzw. einer „rheinisch-westfälischen Republik", da er in Deutschland Ausschreitungen gegen die Kirche und die Aufhebung seines Klosters befürchtete. Dem ins niederländische Exil gegangenen Kaiser weiterhin verbunden, stand er der Weimarer Republik, obwohl sie der Kirche bis dahin ungeahnte Freiheiten einräumte, kritisch gegenüber. Die Zusammenarbeit der katholischen Zentrumspartei mit den Sozialdemokraten lehnte er entschieden ab.
Mit seinem Konvent wollte Herwegen dazu beitragen, die religiösen Fundamente für eine neue gesellschaftliche Ordnung zu legen. Daher übernahm die Abtei 1914 die geistliche Begleitung des „Katholischen Akademikerverbands". Um die Akademiker als gesellschaftliche Elite wieder stärker zur Kirche hinzuführen, setzte Herwegen gegen die individuelle Frömmigkeit auf die Ausstrahlung der „objektiven" Liturgie. Seit 1913 versammelten sich die Akademiker jedes Jahr zur Mitfeier der Karliturgie in Maria Laach, wo ihnen der Abt und andere Mönche Vorträge hielten. 1938 nahmen daran 400 Personen teil. Seit 1918 gab Abt Herwegen die allgemeinverständliche, aber gehobene Schriftenreihe „Ecclesia orans" heraus. Der erste Band „Vom Geist der Liturgie" stammte von Romano Guardini (1885-1968) und gehört im katholischen Bereich zu den bekanntesten und einflussreichsten Schriften des 20. Jahrhunderts. In zahllosen Vorträgen in und außerhalb Deutschlands warben Laacher Mönche für die Ideen der „Liturgischen Bewegung", die vor allem im Katholischen Akademikerverband und der katholischen Jugendbewegung großen Anklang fand. 1921 feierten sie in der Krypta von Maria Laach erstmals eine „Missa recitata", bei der die anwesenden Gläubigen stärker als bis dahin üblich beteiligt waren und der Priester mit dem Gesicht zum Volk an einem frei stehenden Altar zelebrierte.
Ab Mitte der 1920er Jahre verfasste Herwegen programmatische Schriften über das „liturgische Apostolat" der Abtei. 1929 rechtfertigte er diese Aktivität gegen innerkirchliche Kritik auch von Bischöfen und anderen Benediktinern in einer Denkschrift für Papst Pius XI. (Pontifikat 1922-1939). Er forderte eine stärkere innere Teilnahme der Gläubigen an den gottesdienstlichen Feiern. Im Bündnis mit der kirchlichen Jugendbewegung erzielte die „Liturgische Bewegung" eine nachhaltige Wirkung und trug wesentlich zu den liturgischen Reformen des Zweiten Vatikanischen Konzils bei.
Im eigenen Kloster ermöglichte Abt Herwegen zahlreichen Mönchen ein Hochschulstudium. Einige von ihnen, etwa P. Odo Casel (1886-1948) und P. Kunibert Mohlberg (1878-1963), profilierten sich zu hervorragenden Gelehrten. Teilweise publizierten sie ihre Forschungsergebnisse in eigenen Reihen bzw. Zeitschriften wie den „Beiträge[n] zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens", den „Liturgiegeschichtliche[n] Quellen", den „Liturgiegeschichtliche[n] Forschungen" und dem „Jahrbuch für Liturgiewissenschaft". 1931 errichtete Herwegen in Maria Laach eine „Benediktinerakademie für Liturgische und Monastische Studien". Erfolglos blieb dagegen sein Einsatz für die Errichtung einer deutschsprachigen katholischen Universität.
Stattdessen wurden 1931 die Salzburger Hochschulwochen von der theologischen Fakultät des Erzbistums Salzburg, dem Katholischen Akademikerverband, der Görres-Gesellschaft sowie der deutschsprachigen Benediktinerkonförderation eingerichtet. Dort hielt Herwegen 1931 Vorträge über „Antike, Germanentum und Christentum". Sein unpräziser Gebrauch von Begriffen wie „Reich" und „Volk" machte es ihm Anfang der 1930er Jahre möglich, in der nationalsozialistischen Ideologie Anknüpfungspunkte zu entdecken. Mit dem „Katholischen Akademikerverband" sammelte Herwegen um Maria Laach einen losen Kreis von Ideologen und Politikern, die sich für einen an mittelalterlichen Vorbildern orientierten, autoritären Ständestaat einsetzten. Ihre „Soziologischen Sondertagungen" in der Abtei 1931, 1932 und 1933 erregten großes Aufsehen, zumal in der letzten Hitlers Vizekanzler Franz von Papen (1879-1969) den soeben erfolgten Abschluss des Reichskonkordats verkündete. Im Eröffnungsreferat dieser Veranstaltung meinte Abt Herwegen: „Was auf religiösem Gebiet die liturgische Bewegung ist, ist auf politischem Gebiet der Faschismus". Der Abt beauftragte P. Damasus Winzen (1901-1971) mit dem Entwurf einer „Reichstheologie" als Brückenschlag zwischen Theologie und Nationalsozialismus. Im Mai 1933 meinte Herwegen bei einem vom „Frontkriegerbund" organisierten Vortrag im Kölner Gürzenich: „Deutschland ist zu sich selbst heimgekehrt, es hat sich selbst wieder gefunden. Führer und Gefolgschaft, das ist der Grundbegriff des neuen Deutschland". Kurzzeitig schien es, als wäre Herwegen dem Regime damals als Bischofskandidat genehm gewesen.
Gleichzeitig aber nahm er im April 1933 den als Kölner Oberbürgermeister von den Nationalsozialisten abgesetzten und bedrohten Konrad Adenauer als Gast in seinem Kloster auf. Adenauer blieb ein Jahr lang bis April 1934 und war für die gewährte Hilfe zeitlebens dankbar. Als Gast stellte er im März 1934 eine veränderte Einstellung Herwegens und seines Konvents gegenüber dem Nationalsozialismus fest. Bewirkt hatte diese Abkehr die inzwischen unübersehbare kirchenfeindliche Positionierung des Regimes. Zudem wurden Abt Herwegen und sein Kloster seit Beginn des Jahres Opfer von Schikanen: Verhöre, Hausdurchsuchungen, Bespitzelungen. Abt Herwegen selbst ging 1935 und 1937 aus Furcht vor einer drohenden Verhaftung für einige Zeit in die Schweiz. Überlegungen, mit dem ganzen Konvent ins Ausland zu fliehen, erwiesen sich als undurchführbar.
Als die Nationalsozialisten 1941 zahlreiche Klöster beschlagnahmten, blieb Maria Laach verschont. Dennoch verlor es in dieser Zeit viel von seinen politischen und gesellschaftlichen Wirkungsmöglichkeiten. Herwegen nutzte die neue Situation, um seine Gedanken über die Grundfragen des benediktinischen Mönchtums zusammenfassen. 1944 veröffentlichte er das Ergebnis unter dem Titel: „Sinn und Geist der Benediktinerregel". Er sprach von einem besonderen Wirken des Heiligen Geistes, den er damals „Pneuma" nannte, im Mönchtum und betonte ungewöhnlich stark die Abtsautorität. Das traf bei anderen Benediktinern auf Kritik und führte zum Verbot des Buches durch das Heilige Offiz (die heutige Kongregation für die Glaubenslehre).
Während und nach der Befreiung hielt sich Abt Herwegen politisch zurück. Gesundheitlich bereits stark geschwächt, eröffnete er seiner Abtei neue Perspektiven, als er Anfang 1946 einen eigenen Jugendseelsorger bestellte.
Herwegen starb am 2.9.1946 in Maria Laach im Beisein aller Mönche des Klosters, ausgezeichnet mit Ehrendoktoraten der Universitäten Bonn und Freiburg im Breisgau. 1948 wurde die „Benediktinerakademie für Liturgische und monastische Studien" in „Abt-Herwegen-Institut" umbenannt.
Der vielseitig begabte und interessierte Abt und Wissenschaftler Herwegen hat es verstanden, nicht nur unter den Mönchen von Maria Laach, sondern weit darüber hinaus intellektuelle, künstlerische und menschliche Fähigkeiten zu entdecken und zu fördern. Im überaus erfolgreichen Netzwerk der Persönlichkeiten, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts um die Erneuerung des rheinischen Katholizismus bemühten, nahm er eine Schlüsselstellung ein. Seine bald korrigierte Fehleinschätzung des Nationalsozialismus wurzelte in der politischen Prägung durch den Wilhelminismus, fundamentaler aber in einem nicht ausreichend reflektierten Verhältnis zur Moderne.
Werke (Auswahl)
_Herausgeberschaft
_ Beiträge zur Geschichte des alten Mönchtums und des Benediktinerordens 1, Münster 1912-1922, Münster 1944.
Ecclesia orans. Zur Einführung in den Geist der Liturgie, Freiburg/B. 1918-1922, Freiburg/B. 1939.
_Aufsatzsammlungen
_ Alte Quellen neuer Kraft. Gesammelte Aufsätze, Düsseldorf 1920, 2. Auflage 1922.
Lumen Christi. Gesammelte Aufsätze, München 1924.
Antike, Germanentum und Christentum. Drei Vorlesungen, Salzburg 1932.
Vom christlichen Sein und Leben. Gesammelte Vorträge, Berlin 1931, 2. Auflage 1938.
_
Monographien
_ Das Pactum des hl. Fruktuosus von Braga. Ein Beitrag zur Geschichte des suevisch--westgothischen Mönchtums und seines Rechtes, Stuttgart 1907, Neudruck Amsterdam 1965.
Geschichte der benediktinischen Professformel, Münster 1912.
Das Kunstprinzip der Liturgie, Paderborn 1912, 5. Auflage 1929.
Persönlichkeit und Liturgie. Skizziert nach der Regel des hl. Benedikt, Düsseldorf 1915.
Der hl. Benedikt, Ein Charakterbild, Düsseldorf 1917, 5. Auflage 1980.
Väterspruch und Mönchsregel, Münster 1937, Neudruck 1977.
Sinn und Geist der Benediktinerregel, Einsiedeln/ Köln 1944.
Literatur
Albert, Marcel, Die Benediktinerabtei Maria Laach und der Nationalsozialismus, Paderborn u.a. 2004.
Albert, Marcel, Ildefons Herwegen, in: Sebastian Cüppers (Hg.), Kölner Theologen, Köln 2004, S. 356-387.
Bautz, Friedrich Wilhelm, Artikel „Herwegen, Ildefons", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 2 (1990), Sp. 775-776.
Klöckener, Martin, Artikel „Herwegen", in: Martin Klöckener, Bio-bibliographisches Repertorium der Liturgiewissenschaft, in: Archiv für Liturgiewissenschaft 41 (1999), S. 63-120, hier Nr. 2083, S. 82-83.
Severus, Emmanuel von, Artikel „Herwegen", in: Bibliographie der deutschsprachigen Benediktiner, Band 2, St. Ottilien 1987, S. 650-652._
Online
Abt-Herwegen-Institut (Information auf der Homepage der Benediktinerabtei Maria Laach).
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Albert, Marcel, Ildefons Herwegen, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ildefons-herwegen/DE-2086/lido/57c82e8ea97441.95455986 (abgerufen am 03.10.2024)