Irmgard Keun

Schriftstellerin (1905-1982)

Heidi Krementz (Holzkirchen)

Irmgard Keun, Porträtfoto, Anfang der 30er Jahre. (Privatbesitz)

Irm­gard Keun war in den 1930er Jah­ren die meist­ge­le­se­ne deut­sche Schrift­stel­le­rin. Den­noch wur­de ih­re li­te­ra­ri­sche Be­deu­tung erst spät er­kannt. Die Mei­nun­gen über ih­re Wer­ke gin­gen weit aus­ein­an­der. In der NS-Zeit un­ter­stell­te man ihr ei­ne rei­ne Mi­lieu­dar­stel­lung ar­mer Leu­te mit an­ti­deut­scher Ten­denz, spä­ter sprach die Kri­tik ab­schät­zig von Un­ter­hal­tungs­ro­ma­nen für Frau­en, wäh­rend sie für die fe­mi­nis­ti­sche Li­te­ra­tur­be­we­gung ei­ne Vor­rei­ter­rol­le ge­wann. Nach 1945 ge­riet sie in Ver­ges­sen­heit und er­leb­te erst in den 1970er Jah­ren ei­ne Re­nais­sance, ih­re Bü­cher wur­den wie­der auf­ge­legt und er­neut zu Best­sel­lern.

Das Ge­burts­da­tum von Irm­gard Keun war lan­ge um­strit­ten, da sie sich selbst fünf Jah­re jün­ger ge­macht hat­te. Ab 1975, nach­dem sie wie­der ent­deckt wor­den war, gab sie ver­mehrt In­ter­views, in de­nen sie ge­schickt ih­re Bio­gra­phie va­ri­ier­te. Heu­te steht fest, dass sie am 6.2.1905 in Char­lot­ten­burg (heu­te Ber­lin) als Toch­ter des Kauf­manns Edu­ard Keun und sei­ner Frau El­sa Char­lot­te, ge­bo­re­ne Hä­se, ge­bo­ren wur­de. 1913 zog sie mit ih­ren El­tern und ih­rem fünf Jah­re jün­ge­ren Bru­der nach Köln. Auf ei­nem Ly­ze­um in Köln-Lin­den­thal ab­sol­vier­te sie die mitt­le­re Rei­fe und be­such­te da­nach ei­ne Han­dels­schu­le. Von 1925 bis 1927 nahm sie Schau­spiel­un­ter­richt. Dar­auf­hin hat­te sie zwar ei­ni­ge En­ga­ge­ments, doch blieb der Er­folg aus. Des­halb brach sie zwei Jah­re spä­ter ih­re Schau­spiel­kar­rie­re ab und be­gann, von Al­fred Dö­blin (1878-1957) an­ge­regt, zu schrei­ben. Ihr ers­ter Ro­man „Gil­gi – ei­ne von uns" er­schien 1931 und mach­te sie auf An­hieb sehr be­kannt.

Auch Kurt Tuchol­s­ky (1890-1935) war be­geis­tert von der jun­gen Schrift­stel­le­rin und ih­rem Erst­lings­werk. Der zwei­te, 1932 ent­stan­de­ne Ro­man „Das kunst­sei­de­ne Mäd­chen" war eben­falls sehr er­folg­reich. Zwar wur­den Pla­gi­ats­vor­wür­fe laut, sie ha­be bei Ro­bert Neu­manns Ro­man „Kar­rie­re", der 1931 er­schie­nen war, ab­ge­schrie­ben; doch die­ser stell­te 1966 klar, er ha­be nie der­glei­chen be­haup­tet.

Irm­gard Keun schrieb iro­nisch, ge­sell­schafts­kri­tisch und scharf­sin­nig über Frau­en, die selb­stän­dig wer­den woll­ten. Sie war ei­ne wich­ti­ge Ver­tre­te­rin der „Neu­en Sach­lich­keit", zeig­te au­then­tisch die Ar­beits­welt der Frau­en in der Wei­ma­rer Re­pu­blik.

Von 1932 bis 1937 war Irm­gard Keun mit Jo­han­nes Tra­low (1882-1968) ver­hei­ra­tet. Ge­gen den Rat ih­rer El­tern und Freun­de hat­te sie den viel äl­te­ren Re­gis­seur und Schrift­stel­ler ge­hei­ra­tet. Be­reits nach we­ni­gen Mo­na­ten wur­de sie von ihm be­tro­gen, wes­halb sie wie­der zu ih­ren El­tern zog. Sie lern­te den Arzt Ar­nold Strauss (1902-1965) ken­nen, der sie hei­ra­ten woll­te, doch war sie auf dem Pa­pier noch ehe­lich an Jo­han­nes Tra­low ge­bun­den. Da Ar­nold Strauss Ju­de war, emi­grier­te er 1933 nach Hol­land. Bei­de wech­sel­ten vie­le Brie­fe, in de­nen es oft dar­um ging, dass sie in Geld­not steck­te. 1935 emi­grier­te Ar­nold Strauss in die USA, wo Irm­gard Keun ihn ein­mal be­such­te.

Ihr schrift­stel­le­ri­scher Er­folg wur­de un­ter­bro­chen, als 1933 die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten an die Macht ka­men. Ihr An­trag, in den Reichs­ver­band deut­scher Schrift­stel­ler auf­ge­nom­men zu wer­den, wur­de ab­ge­lehnt und ihr Buch „Das kunst­sei­de­ne Mäd­chen" auf die „schwar­ze Lis­te" ge­setzt, be­schlag­nahmt und ver­nich­tet, eben­so ihr Ro­man „Gil­gi – ei­ne von uns". Dar­auf­hin durf­te sie we­der schrei­ben noch ver­öf­fent­li­chen. Als sie 1935 die Re­gie­rung we­gen der Be­schlag­nah­me ih­rer Bü­cher im Ver­lag und des da­mit ver­bun­de­nen Ver­dienst­aus­falls ver­klag­te, wur­de sie von der Ge­sta­po ver­hört und ih­re Kla­ge wur­de ab­ge­wie­sen. 1936 wur­de ihr An­trag, in die Reichs­schriftums­kam­mer auf­ge­nom­men zu wer­den, end­gül­tig ab­ge­lehnt. Dar­auf­hin emi­grier­te Irm­gard Keun oh­ne ih­ren Ehe­mann Jo­han­nes Tra­low nach Bel­gi­en und spä­ter nach Hol­land. Im Exil schrieb und ver­öf­fent­lich­te sie ih­re Ro­ma­ne "Das Mäd­chen, mit dem die an­de­ren Kin­der nicht ver­keh­ren durf­ten", "D-Zug drit­ter Klas­se", „Kind al­ler Län­der" und „Nach Mit­ter­nacht". Die im Exil ent­stan­de­nen Ro­ma­ne wur­den in meh­re­re Spra­chen über­setzt. Mit dem Ro­man „Nach Mit­ter­nacht", in dem sie sich kri­tisch mit dem Na­tio­nal­so­zia­lis­mus aus­ein­an­der­setz­te, fei­er­te sie ei­nen wei­te­ren li­te­ra­ri­schen Er­folg. Zu ih­rem da­ma­li­gen Freun­des­kreis ge­hör­ten Egon Er­win Kisch (1885-1948), Her­man Kes­ten (1900-1996), Ernst Tol­ler (1893-1939), Ste­fan Zweig (1881-1942) und Hein­rich Mann (1871-1950). Von 1935 bis 1938 hat­te sie mit Jo­seph Roth (1894-1939) ei­ne Af­fä­re.

 

Als 1940 die deut­sche Wehr­macht in Hol­land ein­mar­schier­te, kehr­te Irm­gard Keun heim­lich nach Köln zu­rück. Da zu die­ser Zeit vie­le Künst­ler Selbst­mord be­gin­gen, kam es zu der Falsch­mel­dung, auch Irm­gard Keun sei tot. Des­halb konn­te sie un­be­merkt nach Deutsch­land ein­rei­sen und leb­te ver­steckt bis zum En­de des Krie­ges in Köln.

In der Nach­kriegs­zeit konn­te sie zu­nächst nicht an ih­re frü­he­ren Er­fol­ge an­knüp­fen. Sie schrieb 1947 zwar klei­ne­re Ar­ti­kel in Zei­tun­gen und pu­bli­zier­te ver­schie­de­ne Glos­sen, doch die Klein­kunst lag ihr nicht. 1950 er­schien das Buch „Fer­di­nand, der Mann mit dem freund­li­chen Her­zen", das al­ler­dings kaum ver­kauft wur­de. 1951 wur­de ih­re un­ehe­li­che Toch­ter Mar­ti­na ge­bo­ren; den Na­men des Va­ters hielt sie so­gar vor ih­rer Toch­ter ge­heim. Irm­gard Keun ge­riet zu­neh­mend in Ver­ges­sen­heit und wur­de von Me­di­ka­men­ten und Al­ko­hol ab­hän­gig. 1966 wur­de sie ent­mün­digt und in die Psych­ia­trie in Bonn ein­ge­wie­sen. Erst nach sechs Jah­ren durf­te sie die Kli­nik wie­der ver­las­sen und leb­te dann zu­rück­ge­zo­gen in Köln.

Nach­dem 1977 in der Il­lus­trier­ten „Stern" ein Por­trät über sie er­schie­nen war, kam un­er­war­tet der Er­folg zu­rück. Ih­re Bü­cher wur­den wie­der auf­ge­legt und ver­kauf­ten sich er­neut gut. Sie hielt Le­sun­gen ab und gab vie­le In­ter­views. 1981 er­schien ein au­to­bio­gra­phi­sches Ge­spräch mit Klaus An­tes in der „Süd­deut­schen Zei­tung". Be­son­ders die Frau­en­be­we­gung in­ter­es­sier­te sich für ih­re Wer­ke. 1981 er­hielt sie den Ma­rie­lui­se-Flei­ßer Preis, ih­re ein­zi­ge Li­te­ra­tur­aus­zeich­nung. Ih­re Au­to­bio­gra­phie mit dem Ar­beits­ti­tel „Kein An­schluß un­ter die­ser Num­mer", aus der sie ge­gen­über vie­len Ge­sprächs­part­nern am Te­le­fon zi­tiert hat­te, hat höchst wahr­schein­lich nie exis­tiert, da in ih­rem Nach­lass nichts der­glei­chen zu fin­den war. Druck­reif aus ei­nem ima­gi­nä­ren Buch „vor­zu­le­sen" -  das zeigt ein­mal mehr ih­re her­vor­ra­gen­den li­te­ra­ri­schen Qua­li­tä­ten.

Irmgard Keun, Porträtfoto, 27.4.1955. (Privatbesitz)

 

Am 5.5.1982 starb Irm­gard Keun an Lun­gen­krebs und wur­de auf dem Fried­hof Me­la­ten in Köln be­er­digt. Im Fi­gu­ren­pro­gramm des Köl­ner Rat­haus­turms ist sie durch ei­ne Sand­stein­plas­tik ver­ewigt. In Ber­lin-Char­lot­ten­burg gibt es für sie in der Mei­ne­ke­stra­ße 6 ei­ne Ge­denk­ta­fel. Im Jahr 2020 wur­de an Keuns ehe­ma­li­gem Bon­ner Wohn­haus (Brei­te Stra­ße 115) ei­ne Ge­denk­ta­fel ent­hüllt.

Werke

Das Werk, hg. im Auf­trag der Deut­schen Aka­de­mie für Spra­che und Dich­tung der Wüs­ten­rot-Stif­tung v. Hein­rich De­te­ring u. Bea­te Ken­ne­dy, 3 Bän­de, Göt­tin­gen 2017.

Literatur (Auswahl)

Arend, Ste­fa­nie / Mar­tin, Aria­ne (Hg.), Irm­gard Keun 1905/2005. Deu­tun­gen und Do­ku­men­te, Bie­le­feld 2005.
Ben­der, Ste­pha­nie, Le­bens­ent­wür­fe im Ro­man­werk Irm­gard Keuns, Tau­nus­stein 2000.
Beu­tel, Hei­ke / Hadin, An­na Bar­ba­ra (Hg.), Irm­gard Keun, Rein­beck 2001.
Häntzschel, Hil­trud, Irm­gard Keun, Rein­bek 2001.
Irm­gard Keun, in: Köh­ler-Lut­ter­beck, Ur­su­la / Sie­den­topf, Mo­ni­ka, Frau­en im Rhein­land, Köln 2001, S. 226-232.
March­le­witz, In­grid, Irm­gard Keun. Le­ben und Werk, Würz­burg 1999.
Schül­ler, Lia­ne, Vom Ernst der Zer­streu­ung. Schrei­ben­de Frau­en am En­de der Wei­ma­rer ­Re­pu­blik: Ma­rie­lui­se Fleiß­ner, Irm­gard Keun und Ga­brie­le Ter­git, Bie­le­feld 2005.
Wei­der­mann, Vol­ker, Das Buch der ver­brann­ten Bü­cher, Köln 2008. 

Online

Auf­fen­berg, Frank, Von ei­ner die aus­zog, das Glück zu su­chen und die For­schung zu ver­wir­ren, in: Kri­ti­sche Aus­ga­be-Zeit­schirft für Ger­ma­nis­tik und Li­te­ra­tur 1/2000, S. 41-43(PDF-Da­tei auf der Web­site der Kri­ti­schen Aus­ga­be). [On­line]
Hors­ley, Jo­ey, Irm­gard Keun (In­for­ma­ti­on auf der Web­site  Fem­Bio.org des Fem­Bio Frau­en-Bio­gra­phie­for­schung e.V.). [On­line]
Irm­gard Keun (In­for­ma­ti­on auf der Web­site exil-ar­chiv.de der El­se-Las­ker-Schü­ler-Stif­tung). [On­line]
Pe­trow­ski, Mi­ri­am / Zim­mer­mann, Da­ni­el, Irm­gard Keun(On­line-Do­ku­men­ta­ti­on des Pro­jekt­se­mi­nars "Li­te­ra­tur und Ver­fol­gung ab 1933" des Ger­ma­nis­ti­schen Se­mi­nars der Uni­ver­si­tät Düs­sel­dorf 2003). [On­line]

Gedenktafel für Irmagrd Keun an ihrem Bonner Wohnhaus in der Breite Straße 115. (Foto: Rolf Ilge, Bonn)

 
Zitationshinweis

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Krementz, Heidi, Irmgard Keun, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/irmgard-keun/DE-2086/lido/57c9342ed5ba25.78775690 (abgerufen am 16.04.2024)