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Jan Joest, landläufig nach seinem Hauptwerk genannt von Kalkar, war einer der bedeutendsten Maler des niederrheinischen/niederländischen Raums um 1500. Als sein Hauptwerk gelten die zwischen 1505 und 1508 geschaffenen Bildtafeln des Hochaltarretabels in der Pfarrkirche St. Nicolai in Kalkar.
Jan Joest, als dessen Geburtsort Wesel angenommen wird, dessen Geburtsdatum archivalisch jedoch nicht gesichert ist, war vermutlich ein Neffe des westfälisch-niederrheinischen Malers Derick Baegert. Obwohl daraus gefolgert werden dürfte, dass er in dessen Werkstatt zumindest zeitweilig ausgebildet worden ist, treten größere formale, stilistische und erzählerische Unterschiede zwischen den Oeuvres beider Meister zutage. Zudem bereiten die Häufigkeit des Namens Jan Joest in den zeitgenössischen Quellen im niederrheinisch-niederländischen Raum und die Tätigkeit eines gleichnamigen Malers, der in Haarlem mit qualitätvollen Aufträgen betraut wurde und der als Meister im ersten Register der Haarlemer St. Lukasgilde (1502-1507) geführt wurde, Probleme, mit letzter Gewissheit die Identität des in Kalkar zeitweilig arbeitenden Malers Jan Joest zu klären.
1505 wurde diesem der Auftrag erteilt, 20 Tafeln der Flügel des Kalkarer Hochaltarretabels zu bemalen. Die Entstehungsgeschichte sowie Auftragsvergabe des Retabels durch die Kalkarer Bruderschaft „Unser Lieben Frau" sind sehr gut dokumentiert. Danach verlegte Joest seine Werkstatt dorthin; seine Mitarbeiter waren mit hoher Wahrscheinlichkeit der namhafte, seit 1511 als Freimeister in Antwerpen tätige Joos van der Beke, genannt von Cleve (circa 1485-1540), sowie der noch junge, später in Köln zu großem Renommee gelangte Bartholomäus Bruyn der Ältere der vermutlich auch Joests Schwiegersohn wurde.
Das Altarretabel mit hohem Auszug ist für zwei Wandlungen vorgesehen: Den äußeren unbemalten Flügelpaaren folgen ein großes und ein kleines bemaltes Flügelpaar, die auf den Außenseiten beginnend mit der „Verkündigung an Maria" die Kindheitsgeschichte und das junge Erwachsenenleben Jesu Christi thematisieren. Die Innenseiten führen die Erzählung mit Passionsszenen fort. Der Mittelschrein, der von den Bildhauern Arnt van Zwolle und dem aus Marburg kommenden Ludwig Jupan (1486-1538) geschaffen wurde, zeigt ein figurenreiches, um die Kreuzigung Christi gestaltetes Panorama, angereichert mit Passionsszenen.
Ursprünglich konnte die Predella, die Szenen des Einzugs nach Jerusalem, des Abendmahls und der Fußwaschung zeigt, mit zwei von Jan Joest bemalten, nicht erhalten gebliebenen Predellenschiebern verschlossen werden. Das Retabel, das 1508/1509 vollendet wurde, stellt nicht nur aufgrund seiner imposanten Größe eines der bedeutendsten Hauptwerke der Kunst um 1500 dar.
Die Kunst Jan Joests zeichnet sich durch eine hohe Aneignung der Wirklichkeit aus, kenntlich in der Erschließung des Bildraums mit noch nicht vollständig überzeugender, doch gelungener Integration der Figuren in den Landschafts- und Architekturraum und der Wiedergabe von Naturbeobachtungen. Besondere Aufmerksamkeit schenkte Joest Lichtphänomenen – so schuf er eine der ersten erhalten gebliebenen Nachtdarstellungen seiner Zeit. Seinen Erzählstil – vorgetragen mit einem psychisch motivierten Mienenspiel der Protagonisten sowie expressiven Gebärden einzelner Figuren – erlebt der Betrachter mit hoher Eindringlichkeit. Auch die Intensität des Kolorits spricht für die hohe Qualität seiner Kunst. Nicht nur wurden Portraits der Stifter mit in das narrative Programm integriert, auch markante Gebäude der Stadt Kalkar bilden die zeitgenössische Kulisse für das historische Geschehen.
Jan Joests Kunst weist große Parallelen (unter anderem in Stil, Typenbildung, Kolorit) mit der altniederländischen Malerei auf, besonders mit der Kunst von Gerard David (circa 1460-1523) und Hans Memling (1433/1440-1494), so dass ein vorangegangener Aufenthalt Joests in Brügge wahrscheinlich ist. Anregungen wird er zudem über die zeitgenössische Druckgraphik, unter anderem durch Israhel van Meckenem (circa 1440-1503) und Martin Schongauer (1445/1450-1491) empfangen haben. Ein Vergleich zwischen den Schriften von Anhängern der devotio moderna und den Bildinszenierungen Jan Joests lässt große Parallelen im Stimmungsgehalt beider Medien offenkundig werden. Der gesteigerte empfindsame Ausdruck in den Texten scheint eine Umsetzung in der individuellen gefühlsbetonten Bildsprache Joests gefunden zu haben.
Nach seiner Kalkarer Tätigkeit übersiedelte Joest vermutlich nach Haarlem, wo der dort in der St. Lukasgilde eingeschriebene Maler für Aufträge in der St. Bavokirche herangezogen wurde. Neben der Vergoldung einer Liebfrauenskulptur (1509) fasste er eine Skulptur des Heiligen Willibrord und bemalte kunstvoll einen Pfeiler (1512). Das seit 1710 verschollene Hochaltarretabel der Benediktinerabtei Werden wurde – folgt man späteren Quellen – 1512 bei Joest in Auftrag gegeben. Als Programm zeigte es Passionsszenen sowie Episoden aus dem Leben des Heiligen Luidger.
Einfluss genommen hat Joests Kunst vor allem über Bartholomäus Bruyn auf die Kölner Malerei, insbesondere auf die Glasmalerei mit ihren Zeugnissen in der heutigen Trappistenabtei Mariawald (Stadt Heimbach) und dem ehemaligen Kloster Steinfeld (heute London, V & A Museum). Einzig eine nur als Foto dokumentierte „Ecce-Homo"-Tafel könnte sich als weiteres eigenhändiges Werk erweisen.
Jan Joest starb vermutlich 1519 in Haarlem und hinterließ seinen Erben ein ansehnliches Vermögen.
Literatur
Roelen, Martin Wilhelm, Wesel – Haarlem – Köln. Neues zum Verwandtschaftsverhältnis von Jan Joest und Bartholomäus Bruyn d. Ä., in: Arand, Werner (Hg), Neue Schätze, Städtisches Museum Wesel, Auswahl der Neuerwerbungen 1994-2000, Wesel 2000, S. 12-22.
Schollmeyer, Lioba, Jan Joest. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte des Rheinlandes um 1500, Bielefeld 2004.
Wolff-Thomsen, Ulrike, Jan Joest von Kalkar. Ein niederländischer Maler um 1500, Bielefeld 1997.
Online
Wallrath, Rolf, Artikel "Jan, gen. von Kalkar, Joest", in: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 465-466. [Online]
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Wolff-Thomsen, Ulrike, Jan Joest, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/jan-joest-/DE-2086/lido/57c92d5348ba02.79529473 (abgerufen am 11.11.2024)