Johann Heinrich Franz Freiherr von Wittgenstein

Politiker, Unternehmer, Präsident des Zentral-Dombau-Vereins, Regierungspräsident in Köln (1797-1869)

Katharina Thielen (Bonn)

Porträt von Johann Franz Heinrich Freiherr von Wittgenstein, Gemälde von Julius Friedrich Anton Schrader, 1863. (Rheinisches Bildarchiv/rba_mf058965)

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Als Hein­rich von Witt­gen­stein im Zu­ge der re­vo­lu­tio­nä­ren Um­brü­che am 27.3.1848 zum Re­gie­rungs­prä­si­den­ten von Köln er­nannt wur­de, hat­te sich das preu­ßi­sche In­nen­mi­nis­te­ri­um zu­vor an­geb­lich nicht nach sei­ner Be­reit­schaft für das Amt er­kun­digt. Sei­ne Er­nen­nung zum obers­ten Staats­be­am­ten vor Ort war nicht nur ein sym­bo­lisch wich­ti­ges Zu­ge­ständ­nis an die Köl­ner Be­völ­ke­rung, son­dern auch ei­ne An­er­ken­nung sei­ner Ver­diens­te für Kom­mu­ne und Ge­sell­schaft. Als Spross ei­ner alt­ein­ge­ses­se­nen Ho­no­ra­tio­ren­fa­mi­lie, die mehr­fach Köl­ner Bür­ger­meis­ter ge­stellt hat­te, war ihm das En­ga­ge­ment für das Ge­mein­wohl selbst­ver­ständ­lich.

Hein­rich von Witt­gen­stein wur­de am 20.4.1797 als Sohn von Jo­hann Ja­kob von Witt­gen­stein (1754-1823) und sei­ner Ehe­frau Ma­ria The­re­se, ver­wit­we­te von Co­els (1758-1835), in Köln ge­bo­ren. Die ur­sprüng­lich aus Bo­chum stam­men­de und En­de des 17. Jahr­hun­derts nach Köln ein­ge­wan­der­te ka­tho­li­sche Fa­mi­lie war über Ge­ne­ra­tio­nen füh­rend in Po­li­tik und Wirt­schaft ver­tre­ten. Der Va­ter war Rats­herr ge­we­sen, 1790-1796 der letz­te reichs­städ­ti­sche Bür­ger­meis­ter und 1803-1815 fran­zö­si­scher Mai­re Kölns. Schon der Gro­ßva­ter Mel­chi­or Diet­mar von Witt­gen­stein (1720-1784) war Rats­herr und zwei­mal (1780/1781, 1783/1784) in das höchs­te Amt der Reichs­stadt ge­wählt wor­den. Die Mut­ter war die Toch­ter von Fried­rich Jo­seph de Ha­es (1718-1786), dem höchs­ten welt­li­chen Be­am­ten Kur­k­ölns. Hein­richs äl­te­rer Stief­bru­der aus der ers­ten Ehe sei­ner Mut­ter, Jo­hann Fried­rich von Co­els von der Brügg­hen (1784-1856), dien­te dem preu­ßi­schen Staat 1818-1848 als Land­rat in Aa­chen. Sei­ne Stief­schwes­ter Eli­sa­beth von Co­els (1783-1842) war mit dem ein­fluss­rei­chen Köl­ner Ban­kier, Ab­ge­ord­ne­ten des Pro­vin­zi­al­land­tags und Prä­si­den­ten der Han­dels­kam­mer Pe­ter Hein­rich Mer­kens (1777-1854) ver­hei­ra­tet.

Hein­rich von Witt­gen­stein wuchs in ei­nem gro­ßzü­gi­gen, für Wis­sen­schaft und Kunst auf­ge­schlos­se­nen El­tern­haus auf. Nach dem Be­such des Gym­na­si­ums stu­dier­te er Rechts­wis­sen­schaf­ten in Ber­lin und Hei­del­berg. Da­ne­ben be­gab er sich auf die für die da­ma­li­ge Zeit üb­li­che Grand Tour und er­wei­ter­te durch Rei­sen sei­nen Ho­ri­zont. 1823 wur­de er Aus­kulta­tor, 1825 Ge­richts­re­fe­ren­dar beim Ap­pel­la­ti­ons­ge­richts­hof Köln.

Sei­ne Ehe­schlie­ßung am 18.4.1829 mit Ma­ria The­re­se Fran­cis­ka Schaaff­hau­sen (um 1808/09-1885), Toch­ter des lang­jäh­ri­gen Kol­le­gen sei­nes Va­ters, des Ban­kiers, Rats­herrn und Han­dels­ge­richts­prä­si­den­ten Abra­ham Schaaff­hau­sen (1756–1824) und sei­ner Frau The­re­se, ge­bo­re­ne de Ma­es (1777-1867), ver­band ihn mit ei­ner der reichs­ten und ein­fluss­reichs­ten Fa­mi­li­en Kölns. Aus der Ehe gin­gen elf Kin­der her­vor. Der äl­tes­te Sohn Carl von Witt­gen­stein (1832–1913) war 1868-1884 Land­rat des Krei­ses Köln.

1825 trat Hein­rich von Witt­gen­stein in das Kol­le­gi­um ein, dem die Ar­men­ver­wal­tung der Stadt ob­lag. In der Ar­men­ver­wal­tung war das er­heb­li­che Ver­mö­gen der Stadt, das der Ar­men­für­sor­ge, den Hos­pi­tä­lern und Wai­sen­häu­sern dien­te, zu­sam­men­ge­fasst. Das un­be­sol­de­te Amt bot er­heb­li­che Wir­kungs­mög­lich­kei­ten.

Die Kom­mu­nal­po­li­tik war 1830 durch ei­ne an­ge­spann­te po­li­ti­sche At­mo­sphä­re und den Aus­bruch der Ju­li-Re­vo­lu­ti­on in Frank­reich ge­prägt. Ein­zel­ne Pro­tes­te in Köln und in an­de­ren Städ­ten der Rhein­pro­vinz nach der Ju­li-Re­vo­lu­ti­on in Frank­reich wur­den durch ei­ne zu­neh­men­de Ver­teue­rung der Grund­nah­rungs­mit­tel und die re­strik­ti­ve Po­li­tik des preu­ßi­schen Staa­tes be­feu­ert. In die­ser Si­tua­ti­on er­klär­te sich Witt­gen­stein da­zu be­reit, das un­be­sol­de­te Amt ei­nes Bei­ge­ord­ne­ten der Stadt zu über­neh­men und im bes­ten Sin­ne dem „Ge­mein­wohl“ zu die­nen. Fort­an re­gel­te er die fi­nan­zi­el­len Ver­hält­nis­se zwi­schen dem Stadt­rat und der Ar­men­ver­wal­tung. Im Zu­sam­men­wir­ken mit Schwa­ger Mer­kens und an­de­ren gut ver­netz­ten Ho­no­ra­tio­ren der Stadt be­stand ei­ne sei­ner ers­ten Auf­ga­ben dar­in, mit der Be­schaf­fung von Brot zur Ver­bes­se­rung der Grund­ver­sor­gung der rund 65.000 Stadt­be­woh­ne­rin­nen und -be­woh­ner bei­zu­tra­gen. Au­ßer­dem grün­de­te er im ehe­ma­li­gen Mi­no­ri­ten­klos­ter ei­ne Ar­beits­an­stalt, wäh­rend sei­ne ver­wit­we­te Schwie­ger­mut­ter The­re­se Schaaff­hau­sen für den Frau­en­ver­ein ei­ne Ar­men­mäd­chen­schu­le un­ter­hielt.

Ne­ben sei­ner Tä­tig­keit im Rat­haus zeig­te er sich ge­gen­über den li­be­ra­len Ide­en sei­ner Zeit auf­ge­schlos­sen. So war er bei­spiels­wei­se als ers­ter Prä­si­dent der All­ge­mei­nen Cöl­ni­schen Kar­ne­vals­ge­sell­schaft (KG) seit 1823 nicht nur für die Re­or­ga­ni­sa­ti­on der köl­ni­schen Fest­kul­tur ver­ant­wort­lich, son­dern stand auch für die Ver­brei­tung frei­heit­li­cher Grund­sät­ze und kri­ti­scher Mei­nun­gen wäh­rend der Kar­ne­vals­zeit ein. 1829 for­der­te man in der lo­ka­len Kar­ne­vals­zei­tung et­wa zwi­schen den Zei­len ei­ne Ver­fas­sung für Preu­ßen, was das Ver­bot der ver­meint­lich un­po­li­ti­schen Sa­ti­re­schrift nach sich zog. Witt­gen­stein und die Kar­ne­vals­ge­sell­schaft po­si­tio­nier­ten sich dar­auf­hin öf­fent­lich ge­gen die re­strik­ti­ve preu­ßi­sche Po­li­zei- und Zen­sur­po­li­tik, in­dem sie den Ro­sen­mon­tags­zug ab­sag­ten. To­ten­zet­tel auf den Kar­ne­val wur­den ver­teilt, Hans­wurst in Ket­ten ge­legt.

Ne­ben sei­nem En­ga­ge­ment im Stadt­rat, im Kar­ne­val und in der Ar­men­für­sor­ge war Witt­gen­stein viel­fäl­tig in Kul­tur, Wirt­schaft und Ver­kehrs­we­sen tä­tig. Er üb­te zeit­wei­se das Amt des Vor­sit­zen­den des Thea­ter­ko­mi­tees aus, war Mit­in­itia­tor des Ver­eins zur Be­för­de­rung des Taub­stum­men­un­ter­richts, Prä­si­dent der Köln-Min­de­ner-Ei­sen­bahn­ge­sell­schaft und Mit­glied des Ver­wal­tungs­rats der Dampf­schif­fahrts­ge­sell­schaft, der Dampf­schlepp­schiff­fahrts­ge­sell­schaft so­wie der Co­lo­nia-Feu­er­ver­si­che­rungs­ge­sell­schaft. Er un­ter­stütz­te den Ge­wer­be­ver­ein, den Köl­ni­schen Kunst­ver­ein, die Köl­ni­sche Ha­gel­ver­si­che­rungs­ge­sell­schaft und nicht zu­letzt die Rhei­ni­sche und die Köln-Bon­ner Ei­sen­bahn­ge­sell­schaft. Da­mit war er an na­he­zu al­len in­no­va­ti­ven Kul­tur- und vor al­lem Wirt­schafts­in­itia­ti­ven des Köl­ner Groß­bür­ger­tums be­tei­ligt.

1842 er­lang­te er au­ßer­dem als Prä­si­dent des Zen­tral-Dom­bau-Ver­eins über­re­gio­na­le Be­kannt­heit, in­dem er zum lo­ka­len Re­prä­sen­tan­ten des rhei­nisch-preu­ßi­schen Pres­ti­ge­pro­jekts ge­wählt wur­de und ma­ß­geb­lich zur För­de­rung des Wei­ter­baus des Köl­ner Doms bei­trug. In der Ge­mein­de­rats­wahl 1846 und in der Re­vo­lu­ti­on 1848 brach­ten ihm wei­te Tei­le der Be­völ­ke­rung durch die Wahl zum Ge­mein­de­ver­ord­ne­ten, zum Kom­man­dan­ten der Bür­ger­wehr und zum Ab­ge­ord­ne­ten der preu­ßi­schen Na­tio­nal­ver­samm­lung gro­ßes Ver­trau­en ent­ge­gen.

Ot­to Cam­phau­sen (1812-1896) - der spä­te­re preu­ßi­sche Fi­nanz­mi­nis­ter - be­stä­tig­te die ein­fluss­rei­che Stel­lung Witt­gen­steins in ei­nem Brief vom 22.4.1842 an sei­nen Bru­der Lu­dolf und äu­ßer­te die An­sicht, dass sich im Lau­fe der 1840er Jah­re al­ler­hand fremd­ar­ti­ge Ele­men­te Bahn bre­chen, von de­nen man­chen dem künf­ti­gen Ober­bür­ger­meis­ter [Witt­gen­stein] gar zu un­be­quem sind, die er aber nicht al­le of­fen be­kämp­fen mag und gar noch we­ni­ger al­le al­lein­ste­hend be­wäl­ti­gen kann.[1] In der Rück­schau schien er mit die­sem Ur­teil Recht zu be­hal­ten, denn das ein­gangs er­wähn­te Amt des Re­gie­rungs­prä­si­den­ten soll­te Witt­gen­stein in der Re­vo­lu­ti­on 1848 nach nur sechs Mo­na­ten an den West­fa­len Edu­ard von Möl­ler (1814-1880) ab­ge­ben und das ihm an­ge­tra­ge­ne Amt des Ober­bür­ger­meis­ters zwei Jah­re spä­ter aus Ge­sund­heits­grün­den ab­leh­nen. Dem Stadt­rat und zahl­rei­chen Ver­ei­nen ge­hör­te er wei­ter­hin bis kurz vor sei­nem Tod an. Er starb am 29.3.1869 in Köln, be­gra­ben wur­de er in der Grab­stät­te sei­ner Fa­mi­lie auf dem Fried­hof Me­la­ten.

Literatur

Bö­nisch, Ge­org, Köln und Preu­ßen. Kul­tur- und so­zi­al­ge­schicht­li­che Skiz­ze des 19. Jahr­hun­derts mit ei­nem Ex­kurs über den Köl­schen Klün­gel, Köln 1982.

Han­sen, Jo­seph, Rhei­ni­sche Brie­fe und Ak­ten zur Ge­schich­te der po­li­ti­schen Be­we­gung 1830–1850, Band 1: 1830–1845, Es­sen/Leip­zig 1919, ND Düs­sel­dorf 1997.

Her­born, Wolf­gang, Zur Re­kon­struk­ti­on und Edi­ti­on der Köl­ner Bür­ger­meis­ter­lis­te, in: Rhei­ni­sche Vier­tel­jahrs­blät­ter 36, 1972, S. 89-183.

Her­res, Jür­gen, Köln in preu­ßi­scher Zeit 1815-1871 (Ge­schich­te der Stadt Köln 9), Köln 2012 .

Ro­meyk, Horst, Die lei­ten­den staat­li­chen und kom­mu­na­len Ver­wal­tungs­be­am­ten der Rhein­pro­vinz, Düs­sel­dorf 1994, S. 824-825.

We­del, Has­so von, Hein­rich von Witt­gen­stein (1797–1869), in: Rhei­ni­sche Le­bens­bil­der 8, 1980, S. 205–223.

We­del, Has­so von, Hein­rich von Witt­gen­stein (1797–1869) – Un­ter­neh­mer und Po­li­ti­ker in Köln, Köln 1981. 

 
Anmerkungen
Zitationshinweis

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Thielen, Katharina, Johann Heinrich Franz Freiherr von Wittgenstein, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-heinrich-franz-freiherr-von-wittgenstein/DE-2086/lido/63ff570e773587.05020690 (abgerufen am 25.04.2024)