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Johann Rütger Brüning war einer der letzten, nach der alten Ratsverfassung der Stadt Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) gewählten Bürgermeister, bevor diese von der französischen Herrschaft 1807 beendet wurde. Die verwaltungsmäßige Tätigkeit muss Brüning gelegen haben, denn nach der preußischen Inbesitznahme ernannte man ihn 1814 zum ersten Oberbürgermeister der Stadt.
Die Familie Brüning gehört zu den Zuwanderern ins Wuppertal. Der Großvater Mathias Brüning, der wohl kurz vor 1700 geboren wurde, zog 1716 aus Haspe (heute Stadt Hagen) ins wirtschaftlich prosperierende Elberfeld und arbeitete vermutlich in der Garnbleicherei. Mathias Brüning starb 1760. Seinem Sohn Johann Rütger (1746-1796), dem Kaufmann und Vater des späteren Oberbürgermeisters, gelang die Einheirat in eine wohlhabende und alteingesessene Elberfelder Familie, er vermählte sich mit Johanna Maria Charlotte Schlieper (1752-1786). Am 13.8.1775 brachte diese ihr erstes Kind zur Welt: Johann Rütger. Dieser besuchte die reformierte Pfarrschule, dann die reformierte Lateinschule der Stadt und schließlich die angesehene Lateinschule im benachbarten Barmen (heute Stadt Wuppertal), um sich dort auf das Studium der Theologie vorzubereiten.
Dieser Plan ließ sich nicht verwirklichen. Beim Spielen mit einer Armbrust verlor der Jüngling das rechte Auge, worauf ihm das Lesen zunehmend schwerfiel. Wenige Jahre zuvor war die Mutter gestorben, und so nahm ihn der Vater mit ins eigene Unternehmen, nachdem er eine Handelsschule in Mülheim am Rhein (heute Stadt Köln) besucht und einige Zeit auswärts bei einem befreundeten Kaufmann verbracht hatte. Im Jahr 1796 starb der Vater. Jetzt musste Johann Rütger Brüning den Kommissionshandel in Leinengarn allein führen und für seine jüngeren Geschwister, einen Bruder und eine Schwester, sorgen. Zwei Jahre später heiratete er. Seine Frau Johanna Katharine, geborene Nickel (1776-1821) gebar ihm elf Kinder, von denen jedoch drei in frühem Kindesalter und eine Tochter mit 14 Jahren starben.
1802 wählten ihn die Elberfelder Bürger zu einem der drei „Gemeinsmänner“, den Vertretern der drei Stadtbezirke, die zusammen mit den neun Ratsverwandten, mit dem Bürgermeister, dem Syndikus und dem Ratsdiener den Magistrat der Stadt bildeten. 1803, 1804 und 1805 erfolgte die Wiederwahl und am 1.5.1806 wurde Brüning sogar zum Bürgermeister gewählt. Im folgenden Jahr übernahm er nach altem Brauch das Amt des Stadtrichters. 1807 beseitigte die französische Herrschaft im Großherzogtum Berg die alte Ratsverfassung Elberfelds und führte die französische Munizipalverfassung ein. 1808 wurde Brüning zum Mitglied des Munizipalrates, 1809 zum „Adjunkten“ (Beigeordneten) und 1812 durch ein Dekret Napoleons zum Maire ernannt.
In eine schwierige Lage geriet der Maire, als nach der verlorenen „Vielvölkerschlacht“ bei Leipzig vom 16.-19.10.1813 die zurückflutenden französischen Truppen scharfe Kontributionsforderungen stellten, denn ihnen war die Genugtuung der Elberfelder Bevölkerung über die Niederlage doch nicht verborgen geblieben. Sie drohten sogar, die Stadt mit ihren Kanonen zu beschießen. Nach zähen und schwierigen Verhandlungen und mit erheblichem persönlichem Einsatz gelang es Brüning, die Forderungen zu reduzieren und die Franzosen zum geordneten Abzug zu bewegen. Wenige Tage später rückten die Kosaken ein. Auch unter der Herrschaft der siegreichen Verbündeten blieb Brüning Bürgermeister, und der von ihnen zum General-Gouverneur des ehemaligen Großherzogtums Berg ernannte Verwaltungsjurist Justus Gruner (1777-1820) verlieh Brüning 1814 den Titel „Oberbürgermeister“ – „als Beweis meiner besonderen Zufriedenheit über die Verdienste Ihrer bisherigen Amtsführung“, wie es in der Urkunde hieß.
Überzeugt von der Notwendigkeit, im Sinne der preußischen Städteordnung von 1808 die Bürger Elberfelds für die Belange ihrer Stadt zu interessieren, gab Brüning seit 1814 jährlich in den „Annalen der Stadt Elberfeld“ einen Überblick über die wichtigsten städtischen Ereignisse. Es sind dies die ersten von einer preußischen Stadt regelmäßig veröffentlichten Verwaltungsberichte. Sie wurden von den Bürgern, die eine publizistische Unterrichtung über Angelegenheiten ihrer Stadt nicht gewohnt waren, mit viel Zustimmung aufgenommen und stellen heute eine einzigartige Quelle für den Stadthistoriker dar.
Nach den napoleonischen Kriegen erlebte Elberfeld einen Wachstumsschub. Während die Stadt 1816 etwa 21.000 Einwohner zählte, verdoppelte sich diese Zahl in den folgenden 30 Jahren. Neben der „natürlichen“ Bevölkerungsvermehrung durch den Geburtenüberschuss waren Wanderungsgewinne, die manchmal über die Hälfte des Zuwachses ausmachten, für diese Entwicklung verantwortlich. Der Oberbürgermeister bemühte sich nicht ohne Erfolg, die Erweiterung der Stadt einigermaßen geordnet zu gestalten. Er ließ Straßen im Tal der Wupper, auch auf den Engelnberg am Rande der Stadt und Brücken über den Fluss anlegen. Brüning förderte die Errichtung eines „Bürger-Krankenhauses“, eines städtischen Pfandhauses und einer Sparkasse „für Dienstboten, Gesellen und Lehrlinge“, eine der ersten ihrer Art im Rheinland, für die die Stadt Elberfeld die Garantie übernahm. Er trieb den Bau eines neuen Rathauses, in dem heute das Von-der-Heydt Museum untergebracht ist, der katholischen Laurentiuskirche, einer Stadtwaage, eines Schlachthauses und einer „Central-Wohlthätigkeitsanstalt“, ein städtisches Armenhaus, voran.
Einen gewichtigen Teil seiner Tätigkeit widmete Brüning dem Schulwesen Elberfelds. Seit 1825 galt die preußische Schulpflicht auch in der Rheinprovinz, und so mussten Schulbezirke in der Stadt abgesteckt, bestehende Schulen vereinheitlicht und neue Schulen eingerichtet werden. 1827 wurde eine Elberfelder Schulkommission unter dem Vorsitz des Oberbürgermeisters für diese Aufgabe gegründet. Ihre Befugnisse wurden 1829 auf die „Höhere Bürgerschule“ und die inzwischen als Gymnasium anerkannte reformierte Lateinschule erweitert.
Für die Not großer Bevölkerungskreise zeigte Brüning ein gewisses Verständnis. Er verurteilte die Zahlung der Löhne in Waren, das sogenannte Truck-System, und um die katastrophalen Wohnverhältnisse der Arbeiter zu verbessern, gründete er 1825 mit 30 Elberfelder Fabrikanten einen Bauverein zur Errichtung von Arbeiterwohnungen. In den kasernenartigen „Langen Häusern“ entstanden 96 Wohnungen, die allerdings nur mühsam Mieter fanden. Da die erhoffte Verzinsung des investierten Kapitals nicht erreicht wurde, wurde das einzigartige Unternehmen zwar interessiert beobachtet, aber nicht kopiert.
Auch höheren Ortes machte er auf sich aufmerksam, und so war er bereits 1822 nach Berlin gerufen worden, um an den Beratungen zur Einführung von Provinzialständen für die preußische Rheinprovinz teilzunehmen. In einer Eingabe vom 13.12.1822 schlug er schon damals weitsichtig die Vereinigung seiner Vaterstadt mit dem benachbarten Barmen vor.
Und er drang darauf, weitere Staatsbehörden in Elberfeld anzusiedeln – Zentrum eines Landkreises war die Stadt schon mit der preußischen Inbesitznahme 1816 geworden. 1831 erhielt die Stadt zusammen mit Barmen eine Handelskammer, eine der ersten in Deutschland. 1834 wurde das Landgericht von Düsseldorf nach Elberfeld verlegt. Ein Handelsgericht hatte die Stadt schon in der Zeit der französischen Herrschaft bekommen.
Schon bald litt Brünings Tätigkeit als Kaufmann und Fabrikant – er betrieb eine Baumwollspinnerei in Hückeswagen - unter seinem kommunalpolitischen Engagement. Es ging so weit, dass der Unternehmer Brüning seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte und den Konkurs seiner Firma anmelden musste; für einen Kaufmann damals eine tiefe Verletzung seiner Zuverlässigkeit und Ehre, geradezu eine Schande. Zu Anfang des Jahres 1823 trat Brüning deshalb von seinem Amt als Oberbürgermeister zurück. Viele Elberfelder Bürger waren bestürzt. Sie veranstalteten eine Unterschriften-Aktion mit dem Ziel, ihn wieder in sein Amt einzusetzen. Und in der Tat, diese frühe Bürgerinitiative hatte Erfolg, zunächst nur vorläufig, dann definitiv durch eine Kabinettsordre vom 19.10.1825 wurde Brüning erneut zum Oberbürgermeister Elberfelds ernannt.
Neben den administrativen Fähigkeiten Brünings zeigte sich bei ihm aber auch eine ausgeprägte Beflissenheit, geradezu Devotion gegenüber der Staatsgewalt. So war er ein eifriger „Demagogenverfolger“ und bemüht, allem „Umstürzlerischen“ in Elberfeld ein rasches Ende zu bereiten. Mutig und unbewaffnet stellte er sich 1830 einem aufrührerischen Haufen angeblicher Handwerker entgegen und trieb ihn auseinander, allein unter Hinweis auf die Würde seines Amtes, die ihm überhaupt wichtig war.
Am 22.7.1837 starb Johann Rütger Brüning an den Folgen eines Herzinfarkts. Die Beisetzung auf dem ehemaligen Friedhof auf der Baustraße gestaltete sich zu einer gewaltigen Trauerkundgebung. Der Elberfelder Dichter und Journalist Adolf Schults (1820-1858) würdigte das verstorbene Stadtoberhaupt mit einem Gedicht:
Klag’, Elberfeld, klag’. Deine Obern fallen./Ach, Deine Säulen bricht der Parze Hand,/
Und in ein fernes, nur geahntes Land /Läßt ihr Geheiß die Sorgenträger wallen.//
Klag’, Elberfeld. Er, dessen Nam’ vor allen / Dir hell geglänzt; Er, der am höchsten stand /
Im Bürgerkreis, ihn väterlich verband, / Er, unser Brüning ist ja heut gefallen.//
Gefallen? nein-, noch lange wird er stehen / Im Mund, im Herzen aller lebt er fort.
In Wuppertal erinnert heute die Brüningstraße an den ehemaligen Oberbürgermeister der Stadt Elberfeld. Seit 1954 verleiht die Stadt Wuppertal außerdem die Johann-Rütger Brüning Medaille für besondere Verdienste um die Stadt.
Literatur
Herberts, Hermann, Johann Rütger Brüning, in: Herberts, Hermann, Alles ist Kirche und Handel... Wirtschaft und Gesellschaft des Wuppertals im Vormärz und in der Revolution 1848/49, Neustadt/Aisch 1980, S. 149-158.
Liedhegener, Clemens, Johann Rütger Brüning, in: Wuppertaler Biographien, Band 2, Wuppertal 1960, S. 7-14.
Strutz, Edmund, Die Ahnentafeln der Elberfelder Bürgermeister und Stadtrichter von 1706-1808, 2. Auflage, Neustadt/Aisch 1963.
Ünlüdag, Tania, Historische Texte aus dem Wupperthale. Quellen zur Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts, Wuppertal 1989.
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Wittmütz, Volkmar, Johann Rütger Brüning, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/johann-ruetger-bruening/DE-2086/lido/674eecf7656c57.14371334 (abgerufen am 17.01.2025)