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Joseph Beuys zählt weltweit zu den bedeutendsten Künstlern des 20. Jahrhunderts. Mit seinem erweiterten Kunstbegriff eröffnete er den nachfolgenden Generationen von Kunstschaffenden neue Möglichkeiten und Wege, die Kunst um die Vielfältigkeit von Aktionen und Lebenskonzepten zu erweitern. Sein Engagement war nicht allein auf die bildende Kunst beschränkt. Ungeachtet seiner immer wieder bekräftigten gegenteiligen Selbstaussagen („Ich habe nichts mit Politik zu tun – ich kenne nur Kunst") war Beuys auch politisch aktiv. Insbesondere gilt er als Mitbegründer der Partei der Grünen in Deutschland.
Joseph Beuys wurde am 12.5.1921 in Krefeld als Sohn des Kaufmanns Josef Jakob Beuys und dessen Ehefrau Johanna Maria Margarete, geborene Hülsermann, geboren und wuchs in Kleve am Niederrhein auf. Dort verbrachte er auch die Schulzeit und legte 1941 das Abitur ab. Im gleichen Jahr erhielt er den Einberufungsbefehl in die Wehrmacht. Er meldete sich zur Luftwaffe und wurde zur Luftnachrichtenschule in Posen abkommandiert. Sein Ausbilder dort war der vier Jahre ältere Unteroffizier Heinz Sielmann (1917-2006), der nach dem Krieg ein populärer Tierfilmer werden sollte. Beuys profitierte von den profunden naturwissenschaftlichen Kenntnissen Sielmanns. Die beiden unternahmen gemeinsam Wanderungen und analysierten ihre Naturbeobachtungen. Beuys war schon damals ein großer Natur- und Tierliebhaber.
Nach der Ausbildung als Funker in Posen wurde er ab 1941 zum Sturzkampfflieger ausgebildet. Das Ereignis, das einen besonderen Einfluss auf Joseph Beuys und seine Zukunft haben sollte, war der Absturz auf der Krim im Winter 1943/1944. Am 16.3.1944 wurde sein Sturzkampfflugzeug vom Typ Junkers JU 87 (Stuka) nach einem Angriff auf eine russische Flakstellung bei einem Abfangmanöver getroffen. Dem Piloten gelang es gerade noch, die Maschine hinter die eigenen Linien zu steuern. Dann versagte plötzlich der Höhenmesser und ein Schneesturm setzte ein. Das Flugzeug stürzte ab. Beuys wurde bei dem Aufprall herausgeschleudert und verlor das Bewusstsein, der Pilot erlag seinen Verletzungen. Dass Beuys diesen Absturz überlebte, war ein Wunder. Eine Gruppe nomadisierender Tataren fand das Wrack und den schwer verletzten, ohnmächtigen Flieger im hohen Schnee. Seiner eigenen Erzählung nach brachten sie ihn in eines ihrer Zelte, pflegten ihn acht Tage lang aufopfernd mit ihren Hausmitteln, salbten seine schweren Wunden mit tierischem Fett, wickelten ihn in Filz ein und flößten ihm Nahrung in Form von Milchquark und Käse ein. Nach einer anderen Version sollen Krimtataren das abgestürzte Flugzeug entdeckt und ein deutsches Suchkommando benachrichtigt haben.
Die Bilder, die das Leben bei den Tataren in ihm auslösten, sollte Beuys niemals vergessen. In manchen Aktionen hat er sie auf seine Art und Weise transformiert. Filz und Fett wurden seine wesentlichen plastischen Materialien. Am 18.7.1963 trat Joseph Beuys erstmals mit einer Fettarbeit an die Öffentlichkeit. Bei der Galerie Zwirner in Köln stellte Beuys eine kleine Kiste aus verzinktem Eisenblech aus, die mit Fett gefüllt war. Dieser ersten Fettarbeit folgte ein Jahr später „Fettstuhl I", dessen Sitzfläche mit einer Schicht aus ungereinigtem tierischen Fett versehen war. Außerdem gehörte ein mit einer Fettecke ausgebildeter Küchenstuhl zu dieser Arbeit. Seine erste „soziale Plastik" mit Filz war der so genannte „Warme Spazierstock" von 1968.
Im Frühjahr 1947 nahm Joseph Beuys sein Studium an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf auf. Er besuchte die Klasse bei Ewald Mataré und beschäftigte sich mit Leonardo Da Vinci, Johann Wolfgang von Goethe und Rudolf Steiner. Im Frühjahr 1951 lernte Beuys die Brüder Hans und Franz-Josef van der Grinten aus Kranenburg am Niederrhein kennen, die ihn Zeit seines Lebens als Sammler und Freunde begleiten sollten. 1961 wurde er in den Lehrkörper der Düsseldorfer Kunstakademie berufen. Er verfolgte damals schon seinen erweiterten Kunstbegriff. Im Zentrum stand die so genannte „soziale Plastik" als ein gesellschaftliches Kunstwerk. Wenn Beuys sagte, dass jeder Mensch ein Künstler sei, dann meinte er damit nicht, jeder Mensch sei ein Maler oder ein Bildhauer. Der Sinn war vielmehr, dass jeder Mensch kreative Fähigkeiten besitze, die er anwenden und ausbilden müsse und die auch in die Wahrnehmung von Kunst einflössen.
1959 heiratete Joseph Beuys die Kunsterzieherin Eva-Maria Wurmbach, Tochter des bekannten Bonner Zoologieprofessors Hermann Wurmbach (1903-1976). 1961 kam Sohn Wenzel, 1964 Tochter Jessika zur Welt. Beuys nahm die Aufgabe des Akademie-Lehrers sehr ernst. Grundsätzlich war er der Meinung, dass jeder, der Kunst studieren wolle, auch Kunst studieren solle. Das damalige Mappenverfahren unterlief er, indem er ankündigte, er werde alle abgelehnten Studierwilligen in seine Klasse aufnehmen, weil er eine Beurteilung in so kurzer Zeit nicht akzeptieren wolle. Das war Sprengstoff, denn Beuys griff damit die Strukturen der Akademie an. Als der Konflikt ausbrach, hatte er ungefähr 400 Schüler.
Am 10.10.1972 besetzte Joseph Beuys zusammen mit 54 abgewiesenen Studienbewerbern und etlichen Studenten das Sekretariat der Düsseldorfer Kunstakademie. Am Abend desselben Tages wurde Beuys seine Entlassung durch Johannes Rau, Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein Westfalen, mitgeteilt. Gegen die Kündigung erfolgte eine Welle internationaler Proteste; sie wurde jedoch vom Land NRW nicht zurückgenommen. Nachdem Beuys erfolgreich gegen seine Entlassung geklagt hatte, kam es 1980 zu einem Vergleich mit dem Land NRW, wonach er den Professorentitel weiter führen und sein Atelier in der Akademie nutzen konnte.
Am 1.6.1971 schuf Beuys mit der Gründung der „Organisation der Demokratie durch Volksabstimmung (freie Volksinitiative e.V.)" ein wichtiges Instrument zur Darstellung seines erweiterten Kunstbegriffs. Praktisch nutzte er in jener Zeit nahezu alle seine Ausstellungen, Aktionen und Vorträge zur Propagierung seiner radikal demokratischen Ideen und Programme. Diese Tätigkeit, die für ihn künstlerischer Natur war, mündete folgerichtig in seine Beteiligung an der V. documenta 1972 in Kassel. Nach 1964 und 1968 bestritt er zum dritten Mal eine documenta; auch 1977 und 1982 stand er im Zentrum dieser Weltveranstaltung der Kunst.
Auf der V. documenta 1972 jedoch stand Beuys 100 Tage lang von morgens bis abends im Informationsbüro der „Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung" einem großen und neugierigen Publikum Rede und Antwort. Intensiv und geduldig diskutierte er, nicht ohne Humor, aber doch im vollen Ernst, mit den Besuchern. Dies war sein plastischer Beitrag zur Ausstellung. Auf der VI. documenta 1977 war Beuys mit der „freien internationalen Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung" sowie mit einer riesigen „Honigpumpe am Arbeitsplatz" vertreten. Auch auf der VIII. documenta 1987 war das Werk des zuvor Verstorbenen präsent.
Werk und Wirkung von Joseph Beuys sind komplex und nur in Ansätzen kurz zu charakterisieren. Seit Aufnahme seines Studiums an der Düsseldorfer Kunstakademie 1947 bis zu seinem Tode im Januar 1986 führte er 75 Aktionen und an die 50 Installationen aus. Zu sehen war er in etwa 130 Einzelausstellungen. Daneben führte er unzählige Aktivitäten durch, im verstärkten Maße ab Mitte der 1970er Jahre, die im Zusammenhang mit seinem politischen Engagement entstanden. Beuys bediente sich in seiner späteren Schaffenszeit nahezu aller künstlerischen Ausdrucksformen. Ausgehend von seinem humanistischen Sendungsbewusstsein führte er in seinen Arbeiten die verloren gegangene Einheit von Natur und Geist wieder zusammen. Er verwendete Fett, Filz, Kupfer, Honig und sich aufladende Batterien, technische Geräte wie Aggregate, Empfänger, Filter, Sender, Kondensatoren, Dynamos, Tonbandgeräte, Videorekorder, Telefone und Röntgenbilder. Er arbeitete mit Blut und mit Dreck, mit Mullbinden, Heftpflastern, Gaze, Injektionsnadeln, Knochen, Haaren, Fingernägeln und Gelatine und brachte sie immer wieder in neue Sinnzusammenhänge.
Ein wichtiges Projekt war die Pflanzung der ersten von 7.000 Eichen anlässlich der VII. documenta 1982 in Kassel. Das Motto dieser Aktion lautete „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung". Am ersten Tag der VIII. documenta 1986 wollte Beuys den letzten Eichenbaum pflanzen. Der Tod hinderte ihn daran. Er starb am 23.1.1986 in Düsseldorf, wenige Monate vor seinem 65. Geburtstag.
Literatur
Stachelhaus, Heiner, Joseph Beuys, Berlin 2004.
Online
Website des Museums Schloss Moyland (darin Zugang zum Katalog des Joseph-Beuys-Archivs und der Bibliothek auf Schloss Moyland). [Online]
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Uelsberg, Gabriele, Joseph Beuys, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/joseph-beuys-/DE-2086/lido/57c580443c4fb6.91259631 (abgerufen am 12.12.2024)