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Julia Dünner gehörte zu den ersten Frauen, die in der Weimarer Republik Karriere in der Berliner Ministerialbürokratie machten. Sie setzte Impulse in der Wohlfahrtspflege und initiierte im Sinne einer praktischen Umsetzung des Subsidaritätsprinzips die Vernetzung der öffentlichen und privaten Wohlfahrtspflege und deren Verbände. In jüngeren Publikationen zur Geschichte der Sozialen Arbeit findet sie keine Erwähnung, abgesehen von gelegentlichen Hinweisen auf sie als Herausgeberin des „Handwörterbuchs zur Wohlfahrtspflege“ von 1924/1929.
Juliane Bernhardine Caroline Dünner, von frühester Kindheit an Julia genannt, wurde am 9.10.1883 in Mülheim am Rhein (heute Stadt Köln) in ein katholisch geprägtes Elternhaus hinein geboren. Sie war das jüngste von drei Kindern. Der Vater, Johann Hubert Dünner, war Hefegroßhändler und beruflich viel unterwegs, weit über das Rheinland hinaus. Die Mutter, Christina Maria Dünner, geborene Herberg, zeichnete für den Haushalt und die Erziehung der Kinder verantwortlich. Die tiefgläubigen Eltern, die sich ehrenamtlich in ihrer Kirchengemeinde engagierten, legten großen Wert auf die religiöse Erziehung ihrer Kinder. In Mülheim besuchte Julia die Höhere Töchterschule der Ursulinen. Nach einem zweijährigen Besuch eines deutschen Internats in Holland absolvierte sie noch eine einjährige hauswirtschaftliche Ausbildung auf einem rheinischen Rittergut. Zurück im Elternhaus, arbeitete sie ehrenamtlich in caritativen Einrichtungen und nahm Privatstunden, unter anderem in Sozialpolitik und Volkswirtschaft, lernte Englisch, Französisch und die universitäre Zugangssprache Latein.
Mit fast 30 Jahren fasste Julia Dünner den Entschluss, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und ging 1912 nach München, wo sie an dem 1908 von Ellen Ammann (1870-1932) eingerichteten einjährigen „Schulungskurs für ehrenamtlich tätige Frauen zu social-caritativen Themen“ der „Sozialen Sektion des Münchener Katholischen Frauenbundes“ teilnahm. Daneben besuchte sie an der Universität Vorlesungen in Volks- und Staatswissenschaften, unter anderem bei dem renommierten Nationalökonomen und Sozialreformer Lujo Brentano (1844-1931). Ellen Ammann, Landesvorsitzende des Katholischen Frauenbundes in Bayern, übte großen Einfluss auf ihre Schülerin aus. Die frauenbewegte Katholikin konnte Julia Dünner für die katholische Frauenbewegung gewinnen, der sie bis an ihr Lebensende treu blieb. Der sozialen Ausbildung folgte ein „Volkswirtschaftlicher Kursus“ beim „Volksverein für das katholische Deutschland“ in Mönchengladbach. Zugleich hörte Julia Dünner, zunächst als Hospitantin, da sie kein dem Abitur entsprechendes Reifezeugnis besaß, Vorlesungen an der 1901 in Köln gegründeten „Hochschule für soziale und kommunale Verwaltung“. Am 14.7.1914 legte sie die Ersatzreifeprüfung ab und immatrikulierte sich an der „Hochschule für soziale und kommunale Verwaltung“.
Das Studium beendete sie mit zwei Diplomabschlüssen: 19.11.1915 für Sozialbeamte und 25.2.1916 für Kommunalbeamte. Folgend studierte sie Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Bonn und Tübingen. In Tübingen, wo sie sich in der katholischen Studentinnenbewegung engagierte, wurde Julia Dünner am 17.12.1917 mit der Dissertation „Der deutsche Arbeitsnachweis im Kriege bis zum Erlaß des Hilfsdienstgesetzes“ mit dem Prädikat magna cum laude zum Dr. rer. pol. promoviert.
Die Doktorin der Staatswissenschaften kehrte nach Köln zurück und übernahm an der Verwaltungs-Hochschule einen Lehrauftrag, der in der Folge auch für die 1919 neugegründete Universität Köln erteilt wurde. Sie hielt in den ersten beiden Semestern speziell für das „Frauen-Hochschulstudium für soziale Berufe“ Vorlesungen über „Die Wohnungsreform und das Wohnungsgesetz vom 28. März 1918“, zur „Frauenbewegung in Geschichte und Gegenwart“, später auch zu Fragen der Wohlfahrtspflege und Sozialpolitik. Sie kann daher als erste Kölner Hochschuldozentin gelten.
Hauptamtlich arbeitete Julia Dünner in der Zentrale des Katholischen Frauenbundes, wo sie zusammen mit Emmy Wingerath (1894-1975) für die staatsbürgerlichen Schulungskurse verantwortlich zeichnete. Sie organisierte u. a. Schulungskurse in Gelsenkirchen, Essen, Münster, Meschede, Lippstadt, Frankfurt a.M., Köln, Koblenz, Speyer und München. Im Kontext der staatsbürgerlichen Schulung verfasste sie Broschüren aus katholischer Sicht zur Mitarbeit von Frauen in der Kommunalpolitik, über die rechtliche Stellung der Frau in der deutschen Reichsverfassung, über die Bedeutung der Gemeindewahlen oder über die Gefahren des Lichtspieltheaters. Auch für „Die christliche Frau“, Organ des Katholischen Frauenbundes Deutschlands, schrieb sie zahlreiche Beiträge.
Julia Dünner war nur kurz in Köln tätig, denn im November 1920 wurde sie als Referentin in das Reichsarbeitsministerium in Berlin, Abteilung V Wohlfahrtspflege (Soziale Fürsorge, Wohnungs- und Siedlungswesen), Referat 2, berufen. Bereits ein Jahr später wurde sie Regierungsrätin. Der Oberbürgermeister von Köln, Konrad Adenauer, bemühte sich 1923 die Regierungsrätin als Leiterin des Wohlfahrtsamtes zu gewinnen, die jedoch lieber in Berlin blieb. Die von Konrad Adenauer Julia Dünner angebotene Stelle übernahm die gerade 25-Jährige Hertha Kraus. 1924 wurde Julia Dünner zur Oberregierungsrätin und 1927 zur Ministerialrätin ernannt.
Julia Dünner war an großen Gesetzgebungswerken der Weimarer Zeit beteiligt. So wirkte sie beispielsweise am Reichsjugendwohlfahrtsgesetz vom 9.7.1922, das am 1.4.1924 in Kraft trat, mit. Ein besonderes Anliegen war ihr die gesetzliche Anerkennung der freien Wohlfahrtspflege, die finanzielle Unterstützung ihrer Einrichtungen, ihre organisatorische Verbindung mit den verschiedenen Verbänden sowie mit der öffentlichen Wohlfahrtspflege anderer Länder. Unter ihrer federführenden Mitwirkung gründeten 1921 die etablierten Wohlfahrtsverbände die „Reichsarbeitsgemeinschaft der Hauptverbände der Freien Wohlfahrtspflege“. Drei Jahre später wurde der Dachverband in „Liga der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege“ umbenannt. Zudem stellte sie Richtlinien auf für die Ausbildung und Erziehung der Kriegswaisen sowie der Kinder von Kriegsbeschädigten.
Ein weiterer Meilenstein war das von ihr 1924 mitinitiierte und herausgegebene „Handwörterbuch zur Wohlfahrtspflege“, seinerzeit das einzige einschlägige Fachlexikon. Es erschien 1929 in zweiter, völlig neubearbeiteter Auflage. Das Handwörterbuch fand nicht nur Zustimmung. Hedwig Wachenheim (1891-1969), um nur eine gewichtige Stimme zu nennen, bemängelte, dass die nichtkonfessionellen Wohlfahrtsverbände von der katholischen Kirche nahestehenden Autoren ganz einseitig dargestellt würden. Bei der Darstellung der Angestelltenversicherung beispielsweise fehlten alle Vorschläge zur Reform, das gleiche gelte für die Fürsorgeerziehung und selbstverständlich würde die Abtreibung in Grund und Boden verdammt, ohne dass Vorschläge für eine Reform der gesetzlichen Bestimmungen gemacht würden.
Da Julia Dünner aus dem Reichsministerium auszuscheiden beabsichtigte, fragte sie im letzten Quartal 1932 bei der Kölner Universitätsadminstration an, ob die Möglichkeit für eine nebenamtliche Honorarprofessur zum Thema Wohlfahrtspflege/Wohlfahrtsrecht bestünde. Ihr war ja bereits an der damaligen „Hochschule für kommunale und soziale Verwaltung“ die Lehrbefähigung erteilt worden. In ihrem Brief vom 1.10.1932 wies Julia Dünner darauf hin, dass noch keine deutsche Universität einen eigenen Lehrstuhl für Wohlfahrtswissenschaften errichtet habe und legte einen detailliert ausgearbeiteten Vorlesungsplan vor. Alle Bemühungen waren vergebens. Benedikt Schmittmann, Professor für Sozialwissenschaften, äußerte sich recht abfällig über die lexikonhaften Veröffentlichungen von Frau Ministerialrat. Der renommierte Sozialwissenschaftler und Sozialpolitiker, einer der ersten Vertreter einer katholischen Soziallehre, bemängelte weiter, dass ihr die Verbindung mit der Wissenschaft als auch mit der Praxis fehle, Fräulein Dr. Dünner sich irre, wenn sie meine, dass bis heute keine Universität einen Lehrstuhl für Wohlfahrtspflege habe. Er erinnerte an Christian Jasper Klumker (1868-1949) in Frankfurt, Franz Keller (1873-1944) und Joseph Beeking (1891-1947) in Freiburg und natürlich auch an sein Seminar.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten war Julia Dünners Karriere mit einem Schlag beendet. Am 15.8.1933 wurde sie aufgrund von § 5 des Gesetzes vom 7.4.1933 zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums an das Versorgungsamt Koblenz auf eine Planstelle als Regierungsrat versetzt, erhielt aber weiterhin Bezüge als Ministerialrat.
Über ihren weiteren Lebensweg ist wenig bekannt. Die überzeugte Katholikin lebte fortan sehr zurückgezogen und trat auch nicht mehr mit Publikationen oder als Referentin an die Öffentlichkeit. Die einflussreiche Politikerin Helene Weber konstatierte, dass sie manches Mal mit dem Leiter des Versorgungsamtes Koblenz gesprochen und dieser ihr immer versichert habe, dass Frau Julia Dünner seine beste Kraft gewesen sei. Wie aus einer von Julia Dünner selbst verfassten Laufbahnbeschreibung hervorgeht, wurde sie am 1.1.1945 wegen Dienstunfähigkeit in den dauernden Ruhestand versetzt. Ende der 1940er Jahre übersiedelte sie mit ihrer Freundin, einem Fräulein Thönnissen, nach Bad Godesberg (heute Stadt Bonn), um in der Nähe des Bundestags und des Katholischen Frauenbundes zu bleiben. Auch wollte sie in der Nähe der Bonner Universität sein, um dort Vorlesungen zu hören. Die Pensionistin war von 1953 bis 1957 ehrenamtliches Mitglied des Landesverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz. Für ihre Verdienste hatte sie zwei Auszeichnungen erhalten: den päpstlichen Orden Pro Ecclesia et Pontifice und das Ehrenzeichen des Roten Kreuzes.
Julia Dünner starb am 30.5.1959 in Koblenz.
Schriften (Auswahl)
Der deutsche Arbeitsnachweis im Kriege bis zum Erlaß des Hilfsdienstgesetzes, Regensburg [u.a.] 1918; Tübingen, Staatswiss. Diss., 1918.
Die Bedeutung der Gemeindewahlen, Köln [um 1919].
Die rechtliche Stellung der Frau gemäß der deutschen Reichsverfassung, Köln 1919.
Zur Verfassung und Verwaltung der Gemeinden mit besonderer Berücksichtigung des rheinischen Gemeinderechts, des Gemeindewahlrechts und der Mitarbeit der Frau in der Gemeinde, Köln 1919.
Neue Wege zur Bekämpfung der Gefahren des Lichtspieltheaters, Köln 1920.
Reichsfürsorgerecht. [Verordnung über die Fürsorgepflicht]. Die Fürsorgepflichtverordnung vom 13. Februar 1924 nebst den damit zusammenhängenden Gesetzen und Verordnungen des Reiches und der Länder. Textausgabe mit Verweisungen und Sachregister, München 1925.
Die soziale Wohlfahrtsrente, Berlin 1927.
Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege, 2., völlig neubearbeitete Auflage, Berlin 1929.
Wohlfahrtspflege, in: Staatslexikon, 5. Auflage, Band 5, Freiburg 1932, Spalten 1426-1434.
Quellen
Universitätsarchiv Köln, Bestand Zug. 70/9.
Landeshauptarchiv Koblenz, Bestand 860 P/Nr. 339.
Literatur
Berger, Manfred, Dünner, Juliane Bernhardine Caroline, in: Maier, Hugo (Hg.), Who is who der Sozialen Arbeit, Freiburg im Breisgau 1998, S. 153-154.
Franken, Irene [u.a.], „Ja, das Studium der Weiber ist schwer!“ Studentinnen und Dozentinnen an der Kölner Universität bis 1933, Köln 1995, S. 29-31.
Pabst, Klaus, Konrad Adenauers Personalpolitik und Führungsstil, in: Stehkämper Hugo (Hg.), Konrad Adenauer. Oberbürgermeister von Köln, Köln 1976, S. 249-294, 709-73.
Prégardier, Elisabeth/Mohr, Anne, Politik als Aufgabe. Engagement christlicher Frauen in der Weimarer Republik, Annweiler/Essen 1990.
Sack, Birgit, Zwischen religiöser Bindung und moderner Gesellschaft. Katholische Frauenbewegung und politische Kultur in der Weimarer Republik (1918/19-1933), Münster 1998.
Weber, Helene, Julia Dünner †, in: Die Christliche Frau 48 (1959), S. 108-110.
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Berger, Manfred, Julia Dünner, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/julia-duenner/DE-2086/lido/63e36088ae81d7.45592706 (abgerufen am 10.12.2024)