Karl Theodor Welcker

Rechtsgelehrter, liberaler Politiker (1790-1869)

David von Mayenburg (Bonn)

Karl Welcker, 1848. (Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn)

Der li­be­ral und pa­trio­tisch ge­sinn­te Staats- und Straf­recht­ler und spä­te­re Ab­ge­ord­ne­te der Ba­di­schen Zwei­ten Kam­mer und des Pauls­kir­chen­par­la­ments Karl Theo­dor Wel­cker war im Vor­märz Pro­fes­sor für Straf­recht in Bonn. We­gen sei­ner po­li­ti­schen Tä­tig­keit wur­den meh­re­re ­po­li­zei­li­che und straf­recht­li­che Ver­fah­ren ge­gen ihn an­ge­strengt.

Der Le­bens­lauf Wel­ckers legt es zu­nächst nicht un­be­dingt na­he, ihn un­ter die „rhei­ni­schen Köp­fe" zu zäh­len: Ge­bo­ren am 29.3.1790 im ober­hes­si­schen Ober­of­lei­den (heu­te Stadt Hom­berg an der Ohm), ver­brach­te der Pfar­rers­sohn die meis­te Zeit sei­nes aka­de­mi­schen und po­li­ti­schen Le­bens au­ßer­halb des Rhein­lands. Nach dem Ab­itur nahm er 1806 sein Stu­di­um an der na­he ge­le­ge­nen Uni­ver­si­tät Gie­ßen auf und schloss die­ses in Hei­del­berg ab, wo er am 24.4.1813 pro­mo­viert wur­de und sich noch im sel­ben Jahr ha­bi­li­tier­te. Sein ers­ter Ruf als Straf­rechts­leh­rer führ­te ihn 1814 nach Kiel, wo er or­dent­li­cher Pro­fes­sor der Rech­te wur­de. Im Ju­li 1817 wech­sel­te er in glei­cher Funk­ti­on nach Hei­del­berg, ehe er schlie­ß­lich durch sei­nen Ruf nach Bonn 1819 erst­mals mit dem Rhein­land in Be­rüh­rung kam. Doch be­reits 1822 wech­sel­te er an die Uni­ver­si­tät Frei­burg, wo er nicht nur zu ei­nem der be­deu­tends­ten Staats­recht­ler sei­ner Zeit auf­stieg, son­dern sich auch als Po­li­ti­ker her­vor­trat und von 1831 an für fast 20 Jah­re der Zwei­ten Kam­mer des ba­di­schen Land­tags an­ge­hör­te.

Im Rah­men sei­ner par­la­men­ta­ri­schen Tä­tig­keit setz­te er sich vor al­lem für die Pres­se- und Wis­sen­schafts­frei­heit ein. Sei­ne nach da­ma­li­ger Auf­fas­sung ra­di­ka­len po­li­ti­schen An­sich­ten ver­wi­ckel­ten ihn je­doch nicht nur in di­ver­se Pro­zes­se, son­dern führ­ten auch zu re­pres­si­ven Maß­nah­men der ba­di­schen Re­gie­rung, die sei­ne Lehr­tä­tig­keit an­fäng­lich be­hin­der­te und schlie­ß­lich völ­lig un­ter­band. Als 1848 der Li­be­ra­lis­mus den Kampf um die po­li­ti­sche Macht in Deutsch­land zu ge­win­nen schien, nahm Wel­cker ent­schei­den­den An­teil an der Or­ga­ni­sa­ti­on der par­la­men­ta­ri­schen Ar­beit: Zu­nächst wirk­te er im so ge­nann­ten Sie­be­ner­aus­schuss mit, der die Ar­beit des Par­la­ments vor­be­rei­te­te, spä­ter spiel­te er ei­ne be­deu­ten­de Rol­le im Vor­par­la­ment und schlie­ß­lich auch in der Pauls­kir­chen­ver­samm­lung, wo er dem wich­ti­gen Ver­fas­sungs­aus­schuss an­ge­hör­te. Zeit­wei­se war er gleich­zei­tig auch Ver­tre­ter der ba­di­schen Re­gie­rung am Bun­des­tag in Frank­furt am Main.

Nach dem Schei­tern der Pauls­kir­chen­ver­fas­sung zog sich Wel­cker ent­täuscht nach Hei­del­berg zu­rück, wo er sich kaum noch po­li­tisch be­tä­tig­te, son­dern vor al­lem wis­sen­schaft­lich ar­bei­te­te. In den 1860er Jah­ren ver­such­te er sich noch­mals als Po­li­ti­ker, muss­te aber bald das Schei­tern sei­ner Hoff­nung auf ei­ne Reich­s­ei­ni­gung un­ter Be­tei­li­gung Ös­ter­reichs er­ken­nen. Am 10.3.1869 starb Wel­cker in Neu­en­heim na­he Hei­del­berg.

Scheint Wel­cker da­mit über den Gro­ß­teil sei­nes Le­bens re­gio­nal eher im süd­deut­schen Raum be­hei­ma­tet, so recht­fer­ti­gen es doch die Er­eig­nis­se wäh­rend sei­ner kur­zen Bon­ner Epi­so­de, ihn un­ter die „rhei­ni­schen Köp­fe" zu zäh­len. Sei­ne Bon­ner Zeit kann näm­lich mit gu­ten Grün­den als Wen­de­punkt in sei­ner wis­sen­schaft­li­chen und po­li­ti­schen Kar­rie­re be­trach­tet wer­den. Um die­se Wen­de zu ver­ste­hen, emp­fiehlt sich ein Rück­blick auf Wel­ckers An­fän­ge. Seit sei­ner Gym­na­si­al­zeit las­sen sich zwei gro­ße In­ter­es­sen­schwer­punk­te er­ken­nen: Die Lei­den­schaft für die Wis­sen­schaft und ein nicht zu­letzt durch Zeit­er­eig­nis­se her­vor­ge­ru­fe­nes po­li­ti­sches In­ter­es­se. Zu Be­ginn sei­ner Kar­rie­re do­mi­nier­te ein­deu­tig die Wis­sen­schaft. Von An­fang an zähl­te sein sechs Jah­re äl­te­rer Bru­der, der Alt­phi­lo­lo­ge Fried­rich Gott­lieb (1784-1868), zu Wel­ckers gro­ßen Vor­bil­dern. Er weck­te schon im El­tern­haus sein In­ter­es­se für den deut­schen Idea­lis­mus, dem er auch im Stu­di­um wei­ter nach­ging. Mit dem Straf­recht­ler Karl von Grol­man (1775-1829) in Gie­ßen und dem Ro­ma­nis­ten An­ton Fried­rich Jus­tus Thi­baut (1772-1840) ge­hör­ten zwei der be­deu­tends­ten Ju­ris­ten ih­rer Zeit zu Wel­ckers Leh­rern. Ob­wohl er sich spä­ter ge­gen Pla­gi­ats­vor­wür­fe weh­ren muss­te, ge­lang es ihm mit sei­ner Ha­bi­li­ta­ti­ons­schrift über „Die letz­ten Grün­de von Recht, Staat und Stra­fe" in Fach­krei­sen auf An­hieb be­rühmt und be­reits in sehr jun­gen Jah­ren zum Pro­fes­sor er­nannt zu wer­den. Schon die­ses Früh­werk zeigt, wie sehr Wel­cker Staat, Po­li­tik und Recht stets in ih­rer wech­sel­sei­ti­gen Ver­schrän­kung sah: So for­mu­liert er sei­ne al­ler­dings an­satz­wei­se syn­kre­tis­ti­sche (ge­dank­lich aus un­ter­schied­li­chen Quel­len her­bei­ge­führ­te) Grund­le­gung der Stra­fe nicht für ir­gend­ei­nen Staat, son­dern für den von ihm als Flucht­punkt der Ge­schich­te ge­hal­te­nen „Staat der Ver­nunft", den Rechts­staat. Bis zu sei­nem Ruf nach Bonn be­schäf­tig­te sich Wel­cker aber nur ge­le­gent­lich mit staats­recht­li­chen Pro­ble­men und blieb an­sons­ten zu­nächst der Straf­rechts­wis­sen­schaft treu. Es war so­mit nicht der spä­ter als sol­cher be­kannt ge­wor­de­ne li­be­ra­le po­li­ti­sche Pu­bli­zist, um des­sent­wil­len die neu ge­grün­de­te Uni­ver­si­tät Bonn Wel­cker 1819 be­rief, son­dern der durch­aus in­no­va­ti­ve und in der Leh­re be­son­ders er­folg­rei­che Straf­recht­ler.

Um­ge­kehrt über­rascht aber doch, dass Wel­cker, im­mer­hin aus Hei­del­berg kom­mend, den Ruf nach Bonn an­nahm. Denn im nun­mehr zu Preu­ßen ge­hö­ren­den Rhein­land galt nach wie vor das Recht Frank­reichs, der Code Na­po­lé­on, und die­ser war auch Ge­gen­stand der Vor­le­sun­gen, die der be­ken­nen­de deut­sche Pa­tri­ot Wel­cker nun­mehr zu hal­ten hat­te. Ob­wohl sich Wel­cker in sei­ner Kie­ler Zeit mit den dort selbst­be­wusst auf­tre­ten­den dä­ni­schen Stu­den­ten in der na­tio­na­len Fra­ge ent­zweit hat­te, schien ihm der Wech­sel in das eben­falls nicht durch­gän­gig deutsch­na­tio­nal ge­sinn­te Rhein­land nicht schwer ge­fal­len zu sein. Viel­leicht hat­te er sich, ähn­lich wie sein be­rühm­ter Kol­le­ge, der Straf­recht­ler Carl Jo­seph An­ton Mit­ter­mai­er (1787-1867), von ei­nem ver­stärk­ten Stu­di­um des da­mals mo­derns­ten fran­zö­si­schen Rechts ei­ne Ver­tie­fung sei­ner ju­ris­ti­schen Er­kennt­nis­se ver­spro­chen. Viel­leicht hat­te er aber auch auf den Ge­nuss der Lehr­frei­heit an der von Preu­ßen mit viel re­for­me­ri­schem Ei­fer ge­grün­de­ten, le­ben­di­gen und ex­zel­lent be­setz­ten Bon­ner Uni­ver­si­tät ge­hofft. In Bonn traf Wel­cker nicht nur sei­nen stets tief ver­ehr­ten Bru­der Fried­rich Gott­lieb wie­der, son­dern auch an­de­re li­be­ra­le Ge­sin­nungs­ge­nos­sen wie Ernst Mo­ritz Arndt und den schon er­wähn­ten Mit­ter­mai­er. Je­den­falls ist über­lie­fert, dass Wel­cker sei­ne Pro­fes­sur in Bonn mit gro­ßem En­thu­si­as­mus an­trat.

Die­se Be­geis­te­rung wich al­ler­dings bald ei­nem Zu­stand des Schocks: Am frü­hen Mor­gen des 15.7.1819 ver­schaff­te sich die Po­li­zei un­ter ei­nem Vor­wand Ein­lass in Wel­ckers Haus und be­schlag­nahm­te auf Be­fehl des Lei­ters des Po­li­zei­mi­nis­te­ri­ums, Karl Al­bert von Kamptz (1769-1849), sämt­li­che Ak­ten und Pa­pie­re. Wel­cker war, wie Arndt und sein Bru­der, Op­fer der von der preu­ßi­schen Re­gie­rung nach den Karls­ba­der Be­schlüs­sen 1819 mit gro­ßer Här­te durch­ge­führ­ten Dem­ago­gen­ver­fol­gun­gen ge­wor­den. Erst nach lang­wie­ri­gen Un­ter­su­chun­gen er­fuhr er, was die preu­ßi­schen Be­hör­den ihm vor­war­fen: Noch in sei­ner Gie­ße­ner Zeit war er dem Auf­ruf Arndts zur Grün­dung „va­ter­län­di­scher Ge­sell­schaf­ten" ge­folgt und hat­te sich 1814 an der Grün­dung ei­ner al­ler­dings sehr kurz­le­bi­gen „Teut­schen Le­se­ge­sell­schaft" be­tei­ligt. Au­ßer­dem be­zich­tig­te man Wel­cker der Mit­wis­ser­schaft hin­sicht­lich des Wart­burg­fes­tes 1817 und hielt ihm an­geb­lich um­stürz­le­ri­sche An­sich­ten vor, die er in di­ver­sen Brie­fen und Ma­nu­skrip­ten zu Pa­pier ge­bracht hat­te. Dies al­les war aber auch nach da­ma­li­ger Rechts­la­ge kaum ge­eig­net, den Vor­wurf des Hoch­ver­rats zu recht­fer­ti­gen. Die preu­ßi­sche Re­gie­rung zog da­her das Ver­fah­ren im­mer wei­ter in die Län­ge und be­schloss 1822, Wel­cker ei­nem Dis­zi­pli­nar­ver­fah­ren zu un­ter­wer­fen, wäh­rend die­ser aber sei­nen Stand­punkt lie­ber vor ei­nem Straf­ge­richt ge­recht­fer­tigt hät­te. Doch die Sa­che kam letzt­lich nicht mehr zur Ver­hand­lung, denn nach­dem Wel­cker ei­nen Ruf der Uni­ver­si­tät Frei­burg im Gro­ßher­zog­tum Ba­den an­ge­nom­men hat­te, wur­de das Ver­fah­ren schlie­ß­lich ein­ge­stellt.

So­wohl po­li­tisch als auch wis­sen­schaft­lich kann die Bon­ner Epi­so­de als Wen­de­punkt im Le­ben Wel­ckers in­ter­pre­tiert wer­den. Die oh­ne Wah­rung rechts­staat­li­cher An­for­de­run­gen rück­sichts­los ge­gen ihn ex­er­zier­te Un­ter­su­chung führ­te bei Wel­cker zu ei­ner ma­ß­lo­sen Ent­täu­schung über den von ihm zu­nächst durch­aus po­si­tiv be­ur­teil­ten preu­ßi­schen Staat und sei­ne Ver­wal­tung. Be­mer­kens­wer­ter­wei­se nahm der glü­hen­de deut­sche Pa­tri­ot aber die rhei­ni­sche Jus­tiz, die sich da­mals strikt an fran­zö­si­schem Recht ori­en­tier­te, von die­ser ne­ga­ti­ven Be­ur­tei­lung aus und be­zog sich so­gar in sei­nen vie­len Ein­ga­ben an die preu­ßi­sche Ver­wal­tung auf die fran­zö­si­sche Ver­fas­sung und den „code d’in­struc­tion cri­mi­nel­le" von 1808. Wel­ckers Aver­si­on ge­gen Preu­ßen soll­te auch in sei­nem spä­te­ren po­li­ti­schen Han­deln er­kenn­bar blei­ben, et­wa als er sich in der Na­tio­nal­ver­samm­lung 1848 lan­ge Zeit für die gro­ß­deut­sche Lö­sung aus­sprach und auch ge­gen En­de sei­nes Le­bens auf Sei­ten der süd­deut­schen Staa­ten stand.

Sei­ne Ver­wick­lung in die Dem­ago­gen­ver­fol­gung än­der­te auch Wel­ckers Selbst­ver­ständ­nis als Wis­sen­schaft­ler. Als „po­li­ti­scher Pro­fes­sor" wid­me­te er sich fort­an vor al­lem ver­fas­sungs­recht­li­chen Fra­gen, kämpf­te auf Sei­ten der Li­be­ra­len ak­tiv als Po­li­ti­ker für Mei­nungs-, Wis­sen­schafts- und Pres­se­frei­heit. Auch in sei­nem seit 1834 ge­mein­sam mit dem His­to­ri­ker Karl von Rotteck (1775-1840) her­aus­ge­ge­be­nen epo­che­ma­chen­den „Staats-Le­xi­kon" ver­such­te Wel­cker, sei­ne ju­ris­ti­schen Kennt­nis­se in den Dienst der li­be­ra­len Sa­che zu stel­len. Es ist vor al­lem die­ses auch als „Rotteck-Wel­cker­sche Staats­le­xi­kon" be­zeich­ne­te Werk, für das er et­wa 200 Ar­ti­kel ver­fass­te, durch das Wel­cker sei­ne bis heu­te rei­chen­de Be­deu­tung er­langt hat.

Werk

Wel­cker, Karl Theo­dor, Oef­fent­li­che ac­ten­mä­ßi­ge Vert­hei­di­gung ge­gen die öf­fent­li­che Ver­däch­ti­gung der Theil­nah­me oder Mit­wis­ser­schaft an dem­ago­gi­schen Um­trie­ben in und mit Ab­hand­lun­gen für das öf­fent­li­che Recht, Stutt­gart 1823.

Literatur

Gall, Bernd, Die in­di­vi­du­el­le An­er­ken­nungs­theo­rie von Karl Theo­dor Wel­cker. Ein Bei­trag zum Be­griff der Rechts­pflicht, Bonn 1971.
Mül­ler-Dietz, Heinz, Das Le­ben des Rechts­leh­rers und Po­li­ti­kers Karl Theo­dor Wel­cker, Frei­burg i.Br. 1968.
Wild, Karl, Karl Theo­dor Wel­cker. Ein Vor­kämp­fer des äl­te­ren Li­be­ra­lis­mus, Hei­del­berg 1913.

Online

Weech, Fried­rich von, Ar­ti­kel "Wel­cker, Karl Theo­dor", in: All­ge­mei­ne Deut­sche Bio­gra­phie 41 (1896), S. 660-665. [On­line]

 
Zitationshinweis

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von Mayenburg, David, Karl Theodor Welcker, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/karl-theodor-welcker/DE-2086/lido/57c92c2d284935.53290211 (abgerufen am 28.03.2024)