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Katharina von Kardorff-Oheimb war eine der bekanntesten Politikerinnen der Weimarer Republik. Sie gehörte 1920–1924 für die Deutsche Volkspartei (DVP) dem Reichstag an und führte in Berlin einen Salon, in dem die politische Elite der Republik verkehrte. Sie engagierte sich in der politischen Bildungsarbeit, veröffentlichte zahlreiche Meinungsartikel und trat auch als Rednerin und Buchautorin hervor. Vielzahl wie Vielfalt überlieferter Bild- und Textquellen zeugen von ihrer zeitgenössischen Prominenz, an die sie nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs nur noch schwer anknüpfen konnte.
Geboren in Neuss, führten ihre privaten Lebenswege die Rheinländerin über Düsseldorf, Frankfurt am Main, Wiesbaden schließlich nach Berlin und Goslar, wo sie nach dem Ende des Ersten Weltkriegs politisch aktiv wurde. 1948 verließ sie Berlin und kehrte über mehrere Zwischenstationen zurück ins Rheinland. 1962 verstarb sie in Düsseldorf und wurde auf eigenen Wunsch in Neuss beerdigt. Sie hatte sechs Kinder und war insgesamt viermal verheiratet. Entsprechend häufig änderte sich ihr Name: Die geborene Katharina van Endert hieß erst Daelen, dann Albert und eroberte als Katharina von Oheimb die politische Bühne, bevor sie 1927 Siegfried von Kardorff (1873–1945) ehelichte und fortan dessen Namen trug. In Zeitungsporträts und biographische Handbücher eingeschrieben hat sich dagegen die Benennung Katharina von Kardorff-Oheimb – eine zivilrechtlich nie festgelegte Namenskonstruktion, die in verkürzter Form auch in diesem Beitrag verwendet wird.
Am 2.1.1879 wurde in Neuss dem Ehepaar Rudolph van Endert (1835–1881) und Elisabeth geborene van Endert (1847–1928) als achtes von zehn Kindern eine Tochter geboren. Das Kind wurde auf den Namen Katharina Paula Franzisca (später auch Kathinka genannt) getauft. Die Eltern,– zwei Linien der flämischen Tuchhändlerfamilie van Endert entstammend, die sich um 1800 am Rhein niedergelassen hatten – führten am Marktplatz ein florierendes Handelshaus für Mode- und Tuchwaren. Die Familie zählte zur Neusser Oberschicht und repräsentierte ein rheinisch-katholisches Bürgertum, dessen städtisches Leben von wirtschaftlichem Wachstum einerseits und katholischer Traditionspflege andererseits geprägt war. Christliche Glaubenserziehung und bürgerlicher Bildungs- und Wertekanon bestimmten die Mädchensozialisation der Tochter Katharina, die gemeinsam mit ihren Schwestern von einer staatlich geprüften Lehrerin zu Hause unterrichtet wurde, bevor sie mit 15 Jahren auf ein katholisches Mädchenpensionat in Lyon kam. Eine mehrmonatige Bildungsreise unter anderem durch Italien beendete die schulische Laufbahn und läutete die Phase der Eheanbahnung ein, welche 1898 in die erste Heirat mit dem Metallindustriellen Felix Daelen und ihren Umzug nach Düsseldorf mündete.
Als Katharina Kardorff-Oheimb Ende 1918 politisch aktiv wurde, hatte sie in ihrem Leben schon einige Turbulenzen erlebt: Aus Liebe zu einem anderen, ihrem zweiten Ehemann hatte sie sich 1906 scheiden lassen und aufgrund des strengen Verschuldensgrundsatzes des Bürgerlichen Gesetzbuches von 1900 das Sorgerecht für ihre bis zu diesem Zeitpunkt geborenen vier Kinder verloren. Diese Erfahrung, zu der auch das Erleben sozialer Stigmatisierung als „Ehebrecherin“ und geschiedene Frau zählte, hatte sie für die Benachteiligung von Frauen durch das Ehe- und Familienrecht sensibilisiert und aktives Mitglied, zeitweilig auch Vorstandsmitglied in der Frankfurter Ortsgruppe des Bundes für Mutterschutz werden lassen. Zugleich hatte sie die Eheschließung mit dem Chemieindustriellen Ernst Albert (1877–1911) in die gesellschaftlichen Kreise des spätwilhelminischen Großbürgertums geführt, das in wirtschaftlicher Dominanz und ausgeprägter Soziabilität miteinander verwoben war. 1911 aber kam ihr zweiter Ehemann bei einem Bergunfall ums Leben, so dass Kardorff-Oheimb, die mit Ernst Albert noch einen Sohn und eine Tochter bekommen hatte, erneut auf sich allein gestellt war. Erbstreitigkeiten legte ein Erbauseinandersetzungsvertrag bei, der es der Witwe erlaubte, ein ökonomisch unabhängiges Leben zu führen. Neben mehreren Aktienpaketen gingen zwei keramische Fabriken im Rhein-Main-Gebiet, die zuvor ihr Mann geleitet hatte, in ihren Besitz über: die Keramischen Werke in Offstein und die Tonindustrie Klingenberg. Eine jährliche Rente aus dem Albertschen Vermögen sicherte sie und die beiden Kinder zusätzlich ab. Im Stande einer vermögenden Rentière und Fabrikbesitzerin zog sie 1912 nach Berlin – und heiratete wenig später Hans-Joachim von Oheimb (circa 1875–1953), einen aus Westfalen stammenden Reserveoffizier.
Kaum hatte Kardorff-Oheimb ihr Leben reorganisiert, begann der Erste Weltkrieg. In seinem Kontext und Verlauf erfuhr ihre als persönliche Emanzipierung begonnene Politisierung einen Schub. Nicht darauf angewiesen, ihren Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, brachte sie sich mit privaten Initiativen an der sogenannten Heimatfront ein, organisierte unter anderem Spendenaktionen zur Entsendung von Schauspielergruppen ins Feld und eröffnete in Berlin ein Erholungsheim für Unteroffiziere. Durch ihr kriegsbezogenes Engagement erweiterten sich ihre sozialen Kreise um wichtige Kontakte in politische und militärische Machtsphären sowie einflussreiche Frauennetzwerke. In Anerkennung ihrer gemeinnützigen Arbeit nahm der Deutsche Lyceumclub (DLC), der auf die Elite geistig schaffender Frauen zielte und zu seinen ordentlichen Mitgliedern renommierte Schriftstellerinnen, Akademikerinnen und Künstlerinnen zählte, Kardorff-Oheimb im Februar 1918 als außerordentliches Mitglied auf. Im letzten Kriegsjahr zog sie nach Goslar, wo sie das Jagdrecht im Stadtforst gepachtet hatte und sich regelmäßig zur Erholung aufhielt.
Als am 12.11.1918 der Rat der Volksbeauftragten das Frauenstimmrecht per Dekret einführte, stürzte sich Kardorff-Oheimb, im Alter von fast 40 Jahren, in die Politik. Noch vor Jahresende schloss sie sich der neu gegründeten Deutschen Volkspartei an, hielt vor den Wahlen für die Weimarer Nationalversammlung am 19.1.1919 ihre erste politische Rede und richtete eine Frauengruppe in Goslar ein, um vor Ort weibliche Mitglieder für die neue Partei Gustav Stresemanns (1878–1929) zu werben.
Gleichzeitig engagierte sie sich im Bereich staatsbürgerlicher Erziehung für Frauen, die erstmals an die Wahlurnen gerufen waren. Zunächst organisierte sie politische Informationsabende und entwickelte dann ein komplettes Kurskonzept, zu dessen Realisierung sie einen Verein gründete: Der Nationalverband deutscher Frauen veranstaltete im Juni 1919 den ersten von insgesamt drei politischen Bildungskursen in Goslar (der Verein wurde 1925 nach längerer Inaktivität aufgelöst). Das Programm der zwei- bis dreiwöchigen Seminare verband thematische Vorträge über zum Beispiel die Geschichte des Parlamentarismus und der Verfassung, wirtschafts- und sozialpolitische Fragen oder Forderungen der Frauenbewegung mit praktischen Übungen in Rede- und Argumentationstechniken. Als Referenten gewann Kardorff-Oheimb bekannte Staatsrechtler und Politiker – auch Politikerinnen wie Clara Mende (1869–1947) und Paula Müller-Otfried (1865–1946) – aus hauptsächlich volksparteilichen und deutschnationalen Kreisen.
Unterdessen unterstützte sie, vor allem auch finanziell, die DVP, die bei den Wahlen zur Nationalversammlung mit 4,4 Prozent schlecht abgeschnitten hatte, im Aufbau einer funktionsfähigen Organisation und stieg rasch in zentrale Parteigremien auf. Zu den Wahlen im Sommer 1920 kandidierte Kardorff-Oheimb erfolgreich im Wahlkreis Magdeburg-Anhalt und gehörte dem Reichstag während der ersten Legislaturperiode bis 1924 als eine von drei Frauen der insgesamt 65 Personen umfassenden DVP-Fraktion an. Zunehmend verlagerte sich der Schwerpunkt ihres Lebens und Arbeitens zurück nach Berlin, wo sie einen politischen Salon etablierte, in dem bedeutende Politiker wie der erste Reichspräsident der Weimarer Republik, Friedrich Ebert (1871-1925), Kabinettsmitglieder, hohe Ministerialbeamte, Diplomaten und Abgeordnete verschiedener Parteien verkehrten und der im Urteil zeitgenössischer Zeitungsberichte und Memoiren ihrer Gäste im politischen Berlin der 1920er Jahre eine starke Präsenz und Relevanz besaß.
Im Reichstag selbst trat die Politikerin nur wenig in Erscheinung, beteiligte sich kaum an der legislativen Arbeit, gehörte auch dem Ausschuss für soziale Angelegenheiten, der für die weiblichen Abgeordneten aller Parteien das zentrale Gremium politischer Mitgestaltung war und wichtige Gesetzesentwürfe zu Fragen des Arbeitsrechts, des Versicherungswesens, zum Mutterschutz oder zur Reichsjugendwohlfahrt verhandelte, nur für kurze Zeit an. Stattdessen verlegte sich Kardorff-Oheimb auf regierungs- und parteipolitische Fragen und bezog angesichts der innerparteilichen Richtungskämpfe um eine Mitte- oder Rechtsausrichtung der DVP im bürgerlichen Parteienspektrum deutlich Position: In Meinungsartikeln bekannte sie sich explizit zur Republik als der gegebenen Staatsform Deutschlands, zeigte sich aufgeschlossen für eine Koalition mit der SPD und verortete sich damit auf dem linken Parteiflügel, der gegenüber der schwer-industriellen Mehrheit in der DPV parteiintern zwar kaum etwas auszurichten vermochte, der Abgeordneten aber das Profil einer meinungsstarken liberalen Persönlichkeit verlieh.
Darüber hinaus engagierte sie sich vor allem in temporären Einzelaktionen. So war sie 1921 in die Gründung des „Frauenausschusses zur Bekämpfung der Schuldlüge“, der die deutsche Propaganda gegen Artikel 231 des Versailler Vertrags auf Frauenseite bündelte, involviert oder organisierte nach der Besetzung des Ruhrgebiets 1923 die zeitweilige Aufnahme sogenannter Ruhrkinder in Familien außerhalb des besetzten Gebietes. Parallel zu diesen Aktivitäten etablierte sich Kardorff-Oheimb als Dozentin in Kontexten politischer Wissensvermittlung. Im Auftrag der 1920 gegründeten Deutschen Hochschule für Politik (DHP) organisierte sie „Reichskurse“, mit denen die DHP ihr politologisches Bildungsprogramm ins Land zu tragen versuchte. An der Berliner Lessing-Hochschule, einer noch heute bestehenden freien Lehrstätte im Bereich der Erwachsenenbildung, die unter der Leitung Ludwig Lewins (1887–1967) in den 1920er Jahren international bekannte Persönlichkeiten zu ihren Dozenten und Dozentinnen zählte, hielt Kardorff-Oheimb Vorträge zu wechselnden politischen Themen und wurde 1922 – an Stelle des ermordeten Reichsaußenministers Walter Rathenau (1867–1922) – in das Ehrenpräsidium der Hochschule aufgenommen. Überhaupt war die Politikerin als Rednerin sehr gefragt, wie unter anderem ihre Einladung als Referentin zur Rheinlandfeier im Mai 1925 zeigt. Dort hielt sie eine Rede, in der sie ihre persönliche Verbundenheit mit dem Rheinland sowie dessen eigenständige Geschichte, Kultur und besonderen politischen „Geist“ betonte.
Wiederholte Konflikte mit der Parteirechten wie auch mit dem Vorsitzenden Stresemann führten indes dazu, dass Kardorff-Oheimb 1924 weder zu den Sommer- noch zu den Dezemberwahlen zum Reichstag kandidierte und im März 1925 die DVP ganz verließ. Vorübergehend war sie ausschließlich publizistisch tätig, wobei ihr die parteinahe Presse, in der sie bis dahin hauptsächlich publiziert hatte, nach dem Parteiaustritt nicht mehr zur Verfügung stand. Verstärkt schrieb sie nun für liberale Zeitungen, vor allem das „Berliner Tageblatt“ und das „8-Uhr-Abendblatt“. Einige Monate lang brachte sie auch eine eigene politische Wochenillustrierte, die „Aktuelle Bilder-Zeitung“, heraus, bevor diese aufgrund zu geringer Werbeeinnahmen ihr Erscheinen einstellen musste und Kardorff-Oheimb sich im Oktober 1925 der Reichspartei des deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei) anschloss. Über ihre Aktivitäten in dieser Partei, einer 1920 aus dem Zusammenschluss mehrerer mittelständischer Wirtschaftsverbände entstandenen rechts-bürgerlichen Interessenpartei, die 1924 erstmals im Reichstag vertreten war, ist so gut wie nichts bekannt. Anderthalb Jahre später erklärte sie auch bereits wieder ihren Austritt – wenige Tage nach der öffentlichen Bekanntgabe, dass sie sich mit dem volksparteilichen Reichstagsabgeordneten Siegfried von Kardorff verlobt hatte, was in der Presse weithin unter Schlagzeilen wie „Ein politisches Brautpaar“ oder „Politik in der Liebe“ gefeiert wurde.
Nach der Eheschließung, die am 9.4.1927 im engsten Familienkreis in Goslar vollzogen wurde, war das bekannte Paar verstärkt in der Politik präsent. Zwar gab Kardorff-Oheimb nach und nach ihren politischen Salon zugunsten kleiner, privater Zusammenkünfte auf, die eher nach dem Geschmack ihres Mannes waren. Auch überließ sie ihm, der dem Reichstag noch bis 1932 angehörte, das Feld parteipolitischer Aktivitäten und Meinungsäußerungen, während sie selbst parteilos blieb und sich, redend wie schreibend, auf frauenpolitische Themen konzentrierte. Erstmals trat sie nun auch als Buchautorin in Erscheinung. So verfasste sie für den von der Reichsregierung herausgebrachten Band „Zehn Jahre deutsche Geschichte 1918–1928“ den Aufsatz „Die Frau im modernen Staat“ und veröffentlichte 1929 zusammen mit der Psychologin Ada (Schmidt-)Beil das vielfach positiv rezensierte Buch „Gardinen-Predigten“, das in Form eines Briefwechsels die politische und soziale Stellung der Frau in Deutschland kritisch unter die Lupe nahm. Zwei Jahre später widmete sie sich dann einer Frage, die angesichts des ohnehin geringen, aber kontinuierlich zurückgehenden Frauenanteils in den Parlamenten in allen politischen Frauenkreisen diskutiert wurde: „Brauchen wir eine Frauenpartei?“ hieß der Titel eines Sammelwerkbeitrags wie auch einer Reihe von Vorträgen und Artikeln aus Kardorff-Oheimbs Feder. Darin sprach sie sich für die Einrichtung von Frauenlisten in den bestehenden Parteien aus, gestand der Gründung einer eigenen Frauenpartei aber eine Berechtigung als letzte Konsequenz und politisches Druckmittel zu.
Wie zu Beginn ihres politischen Engagements widmete sich Kardorff-Oheimb nun auch wieder vermehrt der politischen Bildung von Frauen. Nachdem sie zwei Jahre lang die an der Lessing-Hochschule 1928 neu eingerichtete Abteilung „Hochschule der Frau“ geleitet hatte, stellte sie ein eigenes, dezidiert politisches Kursprogramm unter der Bezeichnung „Hochschule der Frau zur politischen Erziehung“ zusammen. Träger der in Herbst- und Winterquartalen an wechselnden Orten in Berlin angebotenen Vorträge und Studienkreise war die Nationale Arbeitsgemeinschaft e.V., die Kardorff-Oheimb am 1.4.1930 mit dem doppelten Ziel der politischen Aktivierung und Sammlung bürgerlicher Frauenkreise gründete. Unter großem persönlichen Einsatz und begleitet von häufigen Erkrankungen suchte sie auf ihre Weise dem Zerfall des Parlamentarismus und Erstarken des Nationalsozialismus zu Beginn der 1930er Jahre etwas entgegenzusetzen – ein angesichts der politischen Großlage zwar aussichtsloses Unterfangen, das aber dennoch von Kardorff-Oheimbs enormem Antrieb zur politischen Mitgestaltung in der ersten deutschen Demokratie zeugt.
Unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme folgte das Aus der politischen Aktivitäten Kardorff-Oheimbs, die den Nationalsozialisten als prominente Vertreterin der Republik galt und schon zuvor in der NS-Presse diffamiert worden war.[1] Artikel aus ihrer Feder wurden nicht mehr gedruckt, die Nationale Arbeitsgemeinschaft löste sich unter der Drohung erzwungener Gleichschaltung am 30.8.1933 auf. Eigene Mitgliedschaften oder die ihres Mannes in nationalsozialistischen Organisationen sind nicht belegt; ebenso wenig gibt es Hinweise auf irgendeine Form widerständigen Verhaltens des Paares, das aller Kenntnis nach zurückgezogen und unbehelligt in Berlin lebte, bis sich Katharina und Siegfried von Kardorff unter dem Eindruck vermehrter Luftangriffe 1943 entschlossen, die Hauptstadt zu verlassen. In Ahrensdorf am Lübbesee im Kreis Templin verbrachten sie die letzten Kriegsjahre und erlebten Ende April 1945 den Einmarsch der Roten Armee. Von den sowjetischen Militärbehörden als „Hitlergegnerin“ eingestuft, wurde die ehemalige Reichstagsabgeordnete zur Bürgermeisterin von Ahrensdorf bestellt, musste dieses Amt nach sechs Wochen allerdings wieder abgeben. Schwer erkrankt begab sie sich zurück nach Berlin – ohne ihren bettlägerigen Mann, der im Oktober 1945 in Ahrensdorf verstarb.
Sobald es ihr gesundheitlicher Zustand zuließ, stürzte sich Kardorff-Oheimb wieder in die politische Arbeit und tauchte ähnlich wie im Winter 1918/1919 in eine politische Um- und Aufbruchsstimmung ein. Die private Lebenssituation der inzwischen 66-Jährigen war indes eine ganz andere als in der Zwischenkriegszeit. Ihr einstiger Wohnsitz, ein Haus in Schmargendorf, war durch Bombenabwurf zerstört, ihr Kapitalvermögen weitestgehend aufgezehrt. Der Großteil ihres beweglichen Guts befand sich zunächst unerreichbar im Odenwald, wo sie es vor ihrem Weggang aus Berlin deponiert hatte. Hinzu kamen wiederholt längere Krankenhausaufenthalte, die auch zu Lasten ihres politischen Engagements gingen. Dabei ergriff sie verschiedene Gelegenheiten, an ihre Tätigkeiten vor 1933 anzuknüpfen: Anderthalb Jahre lang engagierte sie sich im Landesverband Berlin der Liberal-Demokratischen Partei (LDP), leitete dessen Frauenarbeitsgemeinschaft und gehörte für kurze Zeit auch dem Vorstand an. Darüber hinaus wurde sie Vorstandsmitglied in dem von Agnes von Zahn-Harnack (1884–1950), der letzten Vorsitzenden des früheren Bundes deutscher Frauenvereine, gegründeten Wilmersdorfer Frauenbunds 1945 und stand in Austausch mit verschiedenen Organisationen, die sich der Idee einer europäischen Einigung verschrieben. Im Frühjahr 1947 reiste sie nach Bad Boll zur Interzonalen Frauenkonferenz und nahm auch ein Jahr später an dem Interzonalen Frauenkongress in Frankfurt am Main teil, der im Rahmen der Festwoche zur Jahrhundertfeier der Ersten Deutschen Nationalversammlung in der wiederaufgebauten Paulskirche stattfand.
Im selben Jahr, 1948, verließ Kardorff-Oheimb Berlin in Richtung Westzonen, wo sie bei wechselnden Freunden und Verwandten an verschiedenen Orten eine Unterkunft fand, bis sie schließlich nach Düsseldorf zog. So verbrachte sie ihre letzten Lebensjahre wieder im Rheinland und wurde hier zu Beginn der 1950er Jahre ein letztes Mal politisch aktiv – als Mitbegründerin des „Arbeitskreises für deutsche Verständigung und einen gerechten Friedensvertrag“, der sich gegen die von Konrad Adenauer betriebene Politik der Westbindung wandte und von der Bundesregierung als kommunistische Tarnorganisation diffamiert wurde. Auch in der aus dem Arbeitskreis hervorgehenden Deutschen Sammlung spielte sie als Präsidiumsmitglied noch eine Rolle, zog sich aber endgültig zurück, als sich im Mai 1953 aus den Reihen der Sammlungsbewegung die Partei „Bund der Deutschen“ gründete, sah sie in diesem Rahmen doch keinen Spielraum mehr für ihre „liberale Arbeitsweise“.[2] Wie elementar wichtig Kardorff-Oheimb aber das Gefühl einer politischen Heimat war, zeigt ihr Entschluss, sich im Alter von 82 Jahren – und in Erwartung ihres baldigen Todes –, der FDP anzuschließen. „Ich mußte wieder einer Partei angehören und ich bekannte mich zu Ihrer“, schrieb sie im März 1961 an den Vorsitzenden des FDP-Kreisverbandes Düsseldorf.[3]
Ihr Tod am 22.3.1962 führte Kardorff-Oheimb schließlich auch wieder in ihre Geburtsstadt Neuss. Neben dem Familiengrab der van Enderts auf dem Hauptfriedhof hatte sie eine Grabstätte für sich und Siegfried von Kardorff gekauft, dessen Leichnam dank der Vermittlung des Ost-Berliner Oberbürgermeisters Fritz Ebert – Sohn des ersten Reichspräsidenten Ebert – 1952 kremiert und nach Neuss überführt worden war.
Quellen
Bundesarchiv
N 1039: Nachlass Katharina von Kardorff-Oheimb
R 8034-III/337 u. 338: Reichslandbund-Pressearchiv / Sammlung Personalia, Artikel von und über Katharina von (Kardorff-)Oheimb
Landesarchiv Berlin
B Rep. 042, Nr. 9059: Amtsgericht Berlin-Mitte, Generalakten betr. 1. Nationale Arbeitsgemeinschaft, 2. Deutsche Frauenpartei (Nationale Arbeitsgemeinschaft)
Stadtarchiv Neuss
K 16 b 2,1 u. 2,2: „Rud van Endert“
ZG 219-00: von Kardorff, Kathinka geb. van Endert
Werke
Der Erfolg der Frau in unserer Zeit, in: Lewin, Ludwig (Hg.), Der erfolgreiche Mensch, Band 2: Der gesellschaftliche Erfolg: Menschenkenntnis – Wirkung auf Menschen – Umgang mit Menschen, Berlin 1928, S. 353–370.
Die Frau im modernen Staat, in: Zehn Jahre deutsche Geschichte 1918–1928, Berlin 1928, S. 525–534.
(mit Ada Beil) Gardinen-Predigten, Berlin 1929.
Brauchen wir eine Frauenpartei?, in: Schmidt-Beil, Ada (Hg.), Die Kultur der Frau. Eine Lebenssymphonie der Frau des XX. Jahrhunderts, Berlin 1931, S. 364–376. Politik und Lebensbeichte, hg. von Ilse Reicke, Tübingen o. J. [1965].
Literatur
Baddack, Cornelia, Bewegte Frau am Rande der Frauenbewegung. Die Politikerin Katharina von Kardorff-Oheimb (1879–1962) in der Weimarer Republik, in: Und sie bewegt sich doch! 150 Jahre Frauenbewegung in Deutschland – eine Jubiläumsausgabe, Ariadne 67/68 (2015), S. 90–98.
Baddack, Cornelia, Katharina von Kardorff-Oheimb (1879–1962) in der Weimarer Republik. Unternehmenserbin, Reichstagsabgeordnete, Vereinsgründerin, politische Salonnière und Publizistin, Göttingen 2016.
Baddack, Cornelia, Zäsuren, Leerstellen und Wiederanknüpfungsversuche. Zur Biografie der liberalen Politikerin Katharina von Kardorff-Oheimb (1879–1962) nach 1933, in: Jahrbuch zur Liberalismus-Forschung 28 (2016), S. 287–314.
- 1: So zum Beispiel in dem Beitrag „Frau von Kardorff ist mit den Männern unzufrieden“ im Völkischen Beobachter, Nr. 237, 5./6.10.1930.
- 2: Katharina v. Kardorff an Friedrich Maase, 13.6.1953, BArch N 1039/75, Bl. 200.
- 3: Katharina v. Kardorff an Willy Rasche (FDP Düsseldorf), 9.3.1961, BArch N 1039/57, Bl. 132.
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Baddack, Cornelia, Katharina von Kardorff-Oheimb, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/katharina-von-kardorff-oheimb/DE-2086/lido/60c097aba4f399.20483018 (abgerufen am 01.12.2024)