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Leopold Sello war von 1816 bis 1857 Leiter des saarländischen Staatsbergbaus und stellte in diesen Jahren die Weichen für die sich anschließende Industrielle Revolution. Die Bedeutung seines Amtes und sein langjähriges Wirken machten ihn zu einer einflussreichen Persönlichkeit im wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Leben an der Saar.
Er entstammte der königlich-preußischen Hofgärtnerfamilie Sello und wurde am 25.10.1785 als drittes Kind von Johann Wilhelm Sello (1756-1822) und seiner Ehefrau Caroline Rosina Katharina, geborene Calamé (1759-1848) in der Dienstwohnung seines Vaters, des Königlichen Hofgärtners und Planteurs Johann Wilhelm Sello, in der sogenannten "Kunstmühle" am Rande des Parks von Sanssouci bei Potsdam geboren. Nach einer praktischen Ausbildung im oberschlesischen Bergbau und dem Besuch der sächsischen Bergakademie in Freiberg bot ihm der Oberberghauptmann in Berlin am 30.1.1816 die interimistische Leitung der Bergamtskommission in Saarbrücken an. Der 30-jährige Bergfachmann ergriff die Chance und trat Mitte Februar 1816 die Reise in den äußersten Westen der Monarchie an. Das Bergamt befand sich im früheren Erbprinzenpalais. Am 22.9.1816 wurde Sello als Direktor des Königlich-Preußischen Bergamts mit dem Titel eines Bergmeisters bestätigt. 1822 erfolgte die Ernennung zum Bergrat, 1837 zum Oberbergrat und 1846 zum Geheimen Bergrat. Der Distrikt des Bergamts erstreckte sich über die südliche Rheinprovinz und hatte seinen Schwerpunkt im saarländischen Steinkohlenrevier. Insgesamt befanden sich 15 Gruben im Staatsbesitz.
Leopold Sello heiratete im Jahre 1821 Auguste-Dorothee Vopelius (1802-1883), die 19-jährige Tochter des Sulzbacher Glasfabrikanten Carl Philipp Vopelius (1764-1828), und fand damit Anschluss an die bürgerliche Oberschicht des Landes an der Saar. Er erwarb ein Haus in der Nähe des Schlosses, in dem er bis zu seinem Tode im Jahre 1874 lebte. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor, die standesgemäß in die Saarbrücker Oberschicht einheirateten. Dank des Vermögens seiner Ehefrau reichte sein Einkommen an das der vermögenden Saarbrücker Kaufleute heran.
Im Jahre 1830 erwarb Leopold Sello, nachdem sich Auguste-Dorothee von ihrem ererbten Unternehmensanteil getrennt hatte, die Wasserburg Kerpen (Gemeinde Illingen) mitsamt einem Landbesitz von rund 350 Hektar. Die Einnahmen aus umfangreichen Holzverkäufen überstiegen erheblich sein reguläres Gehalt. Hinzu kam ein politischer Statusgewinn. Als im Jahre 1846 die Gemeinderäte in der Rheinprovinz erstmals auf der Basis des Dreiklassenwahlrechts gewählt wurden, war Leopold Sello einer der 22 Bürger, die in der Stadt Saarbrücken in der I. Klasse wählen durften. Die Bezüge des Bergamtsleiters hätten nur zu einem Wahlrecht in der II. Klasse gereicht. Dank seines gesamten Einkommens gehörte er neben sieben Kaufleuten zu denen, deren Einkommen 3.000 Taler überstieg.
Mit dem Besitz der Burg Kerpen im Kreis Ottweiler verband sich ein adeliges Vorrecht, denn Leopold Sello wurde durch diesen in die Matrikel der landtagsfähigen Rittergüter der Rheinprovinz aufgenommen. Damit stand ihm ein Sitz im Kreistag des Kreises Ottweiler zu, und bei den Wahlen zum Provinziallandtag durfte er im Stand der Rittergutsbesitzer abstimmen, der im Regierungsbezirk Trier mit zwölf Berechtigten äußerst schwach besetzt war und an letzter Stelle in ganz Preußen lag. Die heute wieder restaurierte Wasserburg ließ Sello allerdings verfallen. Als Leiter des saarländischen Staatsbergbaus unterstand Leopold Sello mit dem Oberbergamt in Bonn einer Mittelbehörde, die wiederum der Oberberghauptmannschaft im preußischen Finanzministerium in Berlin unterstellt war. Anfragen, Berichte und Weisungen liefen über diese Instanzen, nicht über die für allgemeine Verwaltungsangelegenheiten zuständige Bezirksregierung in Trier. Der separate Instanzenzug führte zu Reibungen und Konflikten mit der Trierer Regierung. Die detaillierte Dienstanweisung, die Sello im Mai 1816 erhielt und die bis zum Jahre 1861 gültig blieb, beanspruchte eine straffe Leitung, ließ dem Bergamtsleiter aber einen großen Entscheidungsspielraum.
Mit Sello hielt der wirtschaftliche und technische Fortschritt Einzug im saarländischen Bergbau. Im Jahre 1817 wurden die an Privatleute verpachteten Gruben von der preußischen Regierung in eigene Regie übernommen. Im ersten Jahrzehnt nach der Besitzübernahme wurden neun kleine Gruben aus Rentabilitätsgründen geschlossen, andererseits wurden sechs neue Stollen angehauen. Erste Tiefbauschächte wurden 1826, elf Jahre früher als im Ruhrbergbau, auf der Grube Kronprinz angelegt. Der Übergang vom Stollenbau zur Tiefbautechnik erfolgte zeitgleich mit der Einführung der Dampfmaschine. Im Jahre 1829 kam die erste Fördermaschine im fiskalischen Bergbau an der Saar zum Einsatz. Der Kohlentransport auf Schienen wurde hingegen noch einige Jahrzehnte mit Pferden betrieben, da die ersten Experimente mit Dampfwagen scheiterten. Die Kohlenförderung stieg von 1817 bis 1850 von 117.179 Tonnen auf 718.761 Tonnen. Im Jahre 1819 waren 1.121 Personen im Kohlenbergbau beschäftigt, im Jahre 1850 5.869, der Anteil der Beschäftigten an der Gesamtbevölkerung wuchs von 0,9 auf 2,9 Prozent. Der Staatsbergbau war der größte Arbeitgeber an der Saar.
Mit den wachsenden Beschäftigtenzahlen war die Entwicklung des Arbeiterwohnungsbaus verknüpft. Sello gilt als Vater des saarländischen Bergmannshauses, das die mit der Industrialisierung vielfach verbundene Wohnungsnot wirksam bekämpfte. Als Anreiz sollte die Zahlung einer Prämie von 25 bis 40 Taler für den Erwerb eines Bauplatzes dienen. Zur Begleichung der Baukosten wurden Darlehen von 100 bis 150 Taler gewährt. Bis zum Ende von Sellos Amtszeit wurden über 1.000 Darlehen vergeben.
Der Bergamtsleiter entfaltete verschiedene Aktivitäten auf dem Bildungssektor. Schon im Jahre 1816 regte er die Errichtung einer Bergschule an, die den Eleven Bergbaukunde, Mineralogie und Gebirgslehre vermitteln sollte. Sechs Jahre später wurde ein geregelter Lehrbetrieb aufgenommen. Ferner bemühte er sich um die Hebung des Elementarwissens durch die Einrichtung von Sonntagsschulen. Speziell für Mädchen entstanden seit 1819 Industrieschulen zum Erlernen von hauswirtschaftlichen Fertigkeiten (wie Nähen, Stricken usw.) und zur Pflege der ‚Sittlichkeit’ (Reinlichkeit, Ordnung). Das saarländische Modell stand 1846 Pate für Schulen im Ruhrgebiet.
Der Eisenbahnbau gehörte zur Infrastruktur, deren Verbesserung ein vorzügliches Anliegen Sellos war. Im Ausbau des Schienennetzes sah er die wirksamste Lösung zur Hebung des Transportproblems für die Saarkohle. Am 15.11.1852 war es endlich so weit, dass in Saarbrücken der Schienenweg nach Mannheim freigegeben werden konnte. Um die Abseitslage des Saarreviers zu überwinden, plante Sello des Weiteren die Kanalisierung der Saar. 1841 war der Bau des Rhein-Marne-Kanals auf französischer Seite so weit gediehen, dass eine Abzweigung nach Saarbrücken projektiert werden konnte. Nach langen Diskussionen wurde der Plan 1862 bis 1866 ausgeführt.
Im Jahre 1846 wurde Leopold Sello in den Saarbrücker Stadtrat gewählt, dessen Mitglied er 25 Jahre lang war. Zusätzlich erhielt er am 2.1.1851 ein Mandat für den Rat der Bürgermeisterei Saarbrücken. Als er im Jahre 1857 mit 72 Jahren aus dem Berufsleben ausschied, intensivierte er seine politische Karriere und wurde Beigeordneter der Stadt Saarbrücken. Die politische Karriere führte Leopold Sello als Abgeordneten des Wahlkreises Saarbrücken-Ottweiler-St. Wendel für die zweite preußische Kammer von 1860 bis 1866 nach Berlin. Das letzte Mandat legte der 81-jährige aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig am 10.11.1866 nieder. Er war Kandidat der liberalen wie der konservativen Richtung. Im Abgeordnetenhaus vertrat er die Interessen seiner Wahlheimat. Strikt erklärte er sich gegen eine Veräußerung der Saargruben, als ein solches Gerücht aufkam. Noch gut sieben Jahre verblieben ihm in seinem wohlverdienter Ruhestand, bevor er hochbetagt am 17.5.1874 in Saarbrücken starb.
Literatur
Banken, Ralf, Die Industrialisierung der Saarregion 1815-1914, 2 Bände, Stuttgart 2000/2003.
Banken, Ralf, Von Leopold Sello bis Ottmar Fuchs. Die Leiter des preußischen Bergbaus zwischen unternehmerischer Initiative und staatlichem Reglement 1816-1919, in: Zeitschrift für die Geschichte der Saargegend 52 (2004), S. 67-82.
Burg, Peter, Saarbrücken 1789-1860. Von der Residenzstadt zum Industriezentrum, Blieskastel 2000.
Kiltz, Jürgen, Leopold Sello, Direktor des Bergamts Saarbrücken von 1816-1857, in: Saarbrücker Hefte 58 (1986), S. 43-92.
Veauthier, Sigrid, Leopold Sello, in: Saarländische Lebensbilder 3 (1986), S. 87-118.
Online
Slotta, Delf, Bergarbeiterwohnungsbau im Saarland. (Artikel auf der Homepage der stiftung für Wohnungsbau der Bergarbeiter). [Online]
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Burg, Peter, Leopold Sello, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/leopold-sello/DE-2086/lido/57c94dfb993b63.59987012 (abgerufen am 10.10.2024)