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Ludwig Doll wirkte als evangelischer Pfarrer in der niederrheinischen Gemeinde Neukirchen (heute Stadt Neukirchen-Vluyn); dort gründete er ein Waisenhaus und eine Missionsgesellschaft. (heute „Kinderheimat im Verein für Mission und Diakonie“ und „Neukirchener Mission“).
Ludwig Christian Karl Doll erblickte am 22.11.1846 in Kirchen an der Sieg als jüngstes Kind des Pfarrers Jakob Doll (1811-1878) und seiner Ehefrau Susanne, geborene Leist (1812-1859) das Licht der Welt. Die Mutter war von schwacher Gesundheit und hinterließ bei ihrem frühen Tod die beiden Söhne Karl (1841-1920), der ebenfalls Pfarrer wurde, und Ludwig sowie die Tochter Maria Magdalena (1842-1909), die später ihren Vetter, den Pfarrer Friedrich Wilhelm Doll (1840-1904) heiratete. Nach privater Vorbereitung durch den Vater besuchte das lebhafte und kontaktfreudige, aber auch schnell entmutigte Kind von 1861 bis 1863 das Gymnasium in Wetzlar und danach das evangelische Gymnasium in Köln. 1867 bestand Ludwig Doll das Abitur.
In Köln kam Doll in Kontakt mit erweckten Kreisen aus der freikirchlichen „Brüderbewegung“, die ihn in der Überzeugung bestärkten, ein „verlorener Sünder“ zu sein, der des göttlichen Erbarmens bedürfe. Der lebenslustige und genussfreudige junge Mann entwickelte sich in kurzer Zeit, wohl auch unter dem Einfluss einer lebensbedrohenden Krankheit, vermutlich einer Tuberkulose, zu einem ernsten, um die Gnade Gottes ringenden Christen. Der missionarische Eifer, der Doll veranlasste, fromme Traktate zu verteilen und gegenüber jedermann unablässig von seinem Glauben und seinem Seelenheil zu sprechen, fand nicht die ungeteilte Zustimmung des Vaters. Der fürchtete ein Abdriften des Sohnes ins Sektiererische.
Noch als Gymnasiast muss Doll ein tiefgreifendes Bekehrungserlebnis gehabt haben, das ihn zur Gewissheit seiner Errettung führte. Seine Berufung wurde zum Beruf, Doll konnte nur Pfarrer werden. Wir finden den Theologiestudenten im Herbst 1867 in Erlangen, danach in Bonn, dann ein Semester in Tübingen und schließlich in Berlin. Doch die universitäre theologische Wissenschaft sprach ihn, dessen Glauben einfacher und fester war als bei den meisten seiner Lehrer, nicht an. Stattdessen war Doll bemüht, von seinen Studienorten aus bekannte Protagonisten der Erweckungsbewegung zu besuchen, zum Beispiel Wilhelm Löhe (1808-1872), den Begründer der Diakonie in Bayern im fränkischen Neuendettelsau, oder Gustav Knak (1806-1878) in Berlin. Auch Kontakte zu den Methodisten und zu anderen erweckten Gruppen und Gemeinden inner- wie außerhalb der Landeskirchen sind überliefert, Doll hatte keine Berührungsängste.
Der junge Pfarrer, der nach dem ersten Examen 1871 nach Wesel beordert worden war, machte bald durch seine Rednergabe und seine eindringliche, unkonventionelle Verkündigung auf sich aufmerksam. In Wesel erregte seine Predigt, die so offenbar den politischen Zeitgeist der 1870er und 1880er Jahre ignorierte, in der Gemeinde Anstoß. In Neukirchen war das Gegenteil der Fall. Als die Gemeinde dort einen Hilfsprediger suchte, der den alten Andreas Bräm, den Gründer des Neukirchener Erziehungsvereins, entlasten sollte, fiel die Wahl auf Ludwig Doll. 1872 wurde er Nachfolger Bräms auf der Pfarrstelle. Jetzt konnte er heiraten; 1873 traute der Vater ihn mit Elise Paschen (1848-1918), der Tochter eines Neukirchener Großbauern. Dem Ehepaar wurden in rascher Folge vier Töchter und zwei Söhne geboren, von denen allerdings nur drei Töchter überlebten.
Dolls Programm für sein Pfarramt war die Predigt von der totalen Sündhaftigkeit des Menschen und der freien Gnade Gottes, durch die der reuige Sünder im Opfertod Christi errettet und zum Glauben gebracht werde. Es war eine einfache und verständliche Theologie, die sein Denken bestimmte, und sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Schon bald nach seinem Arbeitsbeginn in Neukirchen gab es eine Erweckung in seiner Gemeinde, einige ihrer Glieder erlebten in mystischer Versenkung, manchmal aber auch geradezu rauschhaft die Nähe Gottes und wurden dadurch zur Gewissheit ihrer Erwählung und ihres Heils geführt. So ähnlich musste es ebenfalls Doll erlebt haben; so ähnlich verkündeten es auch die Boten der „Heiligungsbewegung“ unter dem Motto „Jesus errettet mich jetzt“. Anklänge an den Pietismus, an die Mystik Gerhard Tersteegens und an den Grafen Nikolaus Ludwig von Zinzendorf (1700–1760) sind unverkennbar.
In den Anfangsjahren seiner Tätigkeit in Neukirchen machte sich die schwere Krankheit, die zu Dolls Bekehrung geführt hatte, wieder bemerkbar. Es lag nahe, dass er zu dieser Zeit in den Sog der aus dem angelsächsischen Kulturkreis kommenden „Heilungsbewegung“ geriet, sogar zum Exponenten dieser Bewegung im Rheinland wurde. In der völligen Hingabe des gläubigen kranken Menschen an Christus im Gebet und unter Assistenz dazu berufener Helfer, die salbten und segneten, erwarteten die Anhänger dieser Bewegung die Heilung von allen seelischen wie körperlichen Gebrechen. Es scheint, dass Doll am eigenen Leib eine derartige „Glaubensheilung“ erlebte und dass daran zwei Mitglieder aus dem Umfeld einer Freien evangelischen Gemeinde, also gewissermaßen der Konkurrenz zur Landeskirche, beteiligt waren.
Wie viele Erweckte glaubte auch Doll, dass sich der wahre christliche Glaube vor allem durch das Wirken und Tätigwerden des Gläubigen erweise und bewähre. Um Gott die Ehre zu geben und aus Dankbarkeit für Gottes Treue, nicht vornehmlich aus drängender sozialer Not, wurde der Pfarrer in seiner Gemeinde aktiv. Im Mai 1878 richtete er in drei angemieteten Räumen ein Waisenhaus ein und gewann ein ehemaliges Mitarbeiterpaar der Betheler Anstalten als Hauseltern. Als die Zahl der Insassen 1880 auf 19 angewachsen war, wurde ein eigenes Haus für die Waisen gebaut. Das Grundstück dafür konnte Doll aus dem Besitz seiner Schwiegermutter zur Verfügung stellen, die Baukosten wurden durch Spenden gedeckt. Dabei befolgte man den Grundsatz, nicht um Unterstützung direkt zu bitten und auch auf Jahres- und anderen Festen nie Kollekten abzuhalten, wie die landeskirchlichen Vereine und Gruppen es taten, sondern darauf zu vertrauen, dass Gott schon für das Nötige sorgen werde.
Und das tat er gerade in den Anfangsjahren reichlich. Ein weitgespannter Freundeskreis gab immer wieder Geld, und die diesen verbindende Klammer wurde der „Missions- und Heidenbote“, eine Zeitschrift, die seit 1879 monatlich erschien, von Doll herausgegeben wurde und detailliert die äußere und innere Entwicklung des Waisenhauses schilderte sowie über jede Spende und jeden Spender berichtete. In den 1880er Jahren wuchs die Zahl der Abonnenten des Blattes auf über 3.200! Der eigentliche Zweck der Publikation war jedoch – wie schon ihr Titel sagt - , „in populärer Weise Nachrichten aus der Heidenwelt sowie über das Werk des Herrn“ zu bringen. Doll muss über gute Kontakte zu zahlreichen Missionaren verfügt haben, denn er veröffentlichte Berichte aus vielen Missionsgebieten. Auffallend war die große Bandbreite des Blattes, lutherische Stimmen kamen ebenso zu Wort wie methodistische und baptistische. Aus der publizistischen Beschäftigung mit der weltweiten Mission entstand der Wunsch, auch in seiner Gemeinde eine „Heidenmission“ zu starten und Missionare auszubilden. Nach ihrer Ausbildung sollten sie nicht ausgesandt werden, sondern in großer Freiheit dahin gehen, „wohin der Herr sie ruft“.
Für die bereits bestehenden Missionsgesellschaften war diese Art der Aussendung neu. Ungewohnt war auch das theologische Programm der Neukirchener Mission, ihr „reichsgeschichtlicher Ausblick“, wie Doll es nannte. Die Mission werde – so Doll - die Wiederkunft Christi beschleunigen und dazu beitragen, sein Reich zu errichten. Diese eschatologische Erwartung prägte seine Gründung und verlieh ihr eine bemerkenswerte Dynamik.
Das Neukirchener Waisenhaus war ohne die Genehmigung der preußischen Behörden errichtet worden. Als diese davon erfuhren, verboten sie ihm die Leitung des Hauses. Noch schärfer gingen sie gegen ihn vor, als er demonstrativ beim „Hoch“ auf den Kaiser sitzen blieb. Das war Majestätsbeleidigung, damals für einen Pfarrer ein Skandal. Doll wurde wegen seiner radikal theozentrischen Haltung offen angefeindet, die Kirchenleitung erwog sogar, ihn vom Pfarramt zu suspendieren. Unter diesen Bedingungen begann die Neukirchener Mission im November 1881 mit der Ausbildung erster Missionare. Sie verstand sich als eine „Glaubensmission“. Konfession und Kirchenordnung spielten keine Rolle, dazu wurde alles offene Bitten um Geld vermieden, weil die Missionare glaubten, dass Gott für das Nötige sorgen werde. Bereits im folgenden Jahr konnten die angehenden Missionare ein eigenes Haus, ein ehemaliges Wirtshaus im Dorf, beziehen.
Doll starb am 23.5.1883. Sein früher Tod stürzte das Waisenhaus und die Mission in eine tiefe Krise. Es fehlten jegliche rechtlichen und organisatorischen Grundlagen, alles war auf die charismatische Person des Gründers zugeschnitten. In der Person des damals 26-jährigen Theologen Julius Stursberg (1857-1909), den Doll 1880 als Missionslehrer engagiert hatte, fand das Unternehmen einen neuen Leiter.
Literatur
Brandl, Bernd, Ludwig Doll: Gründer der Neukirchener Mission als erste deutsche Glaubensmission, Nürnberg 2007.
Brandl, Bernd, Die Neukirchener Mission. Ihre Geschichte als erste deutsche Glaubensmission. Köln 1998.
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Wittmütz, Volkmar, Ludwig Doll, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ludwig-doll-/DE-2086/lido/57c6960e788670.71907118 (abgerufen am 06.10.2024)