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Maria Gräfin von Linden war eine der Pionierinnen des Frauenstudiums. Sie war die erste Studentin der Universität Tübingen und wurde zu einer der führenden Zoologinnen Deutschlands. 1910 erhielt sie als erste deutsche Frau den Professorentitel.
Maria Gräfin von Linden-Aspermont wurde am 18.7.1869 auf Gut Burgberg bei Heidenheim an der Ostalb als Tochter des Oberleutnants Edmund von Linden (1833-1893) und dessen Frau Eugenie, geborene Freiin Hiller von Gärtringen (1837-1901), geboren. Sie stammte aus einer traditionsreichen Familie, die viele Gelehrte, hohe Beamte und Militärs hervorgebracht hatte.
Ihre höhere Schulbildung erhielt Maria von Linden 1883-1887 auf dem privaten Victoria-Pensionat in Karlsruhe. Schon früh zeigte sie ein großes Interesse in den naturkundlichen Fächern, das in ihr - gegen den erklärten Willen ihres Vaters - den Wunsch nach einem naturwissenschaftlichen Universitätsstudium reifen ließ. Das Frauenstudium war Ende des 19. Jahrhunderts jedoch weder im Großherzogtum Baden noch im Königreich Württemberg möglich. Die erste Hürde auf dem Weg zum Studium bestand bereits in der Erlangung der Hochschulreife, denn das Karlsruher Victoria-Pensionat führte als Höhere Töchterschule nicht zum Abitur. Maria von Linden bemühte sich daher um die Aufnahme auf einem Realgymnasium. Doch war zunächst kein Gymnasium bereit, eine Frau aufzunehmen. Sie bildete sich daher zu Hause selbstständig fort, um ihre Bildungslücken insbesondere in Latein und den Naturwissenschaften zu schließen. Dabei orientierte sie sich an den Aufnahmevoraussetzungen des Zürcher Polytechnikums, dem Vorläufer der heutigen ETH Zürich. Gleichzeitig publizierte sie wissenschaftliche Arbeiten in Fachzeitschriften. Ihr erster Aufsatz über „Die Indusienkalke der Hürbe“ wurde 1890 mit großem Interesse aufgenommen und brachte sie in Kontakt mit dem Tübinger Geologen Friedrich August Quenstedt (1809-1889). Durch die Unterstützung ihres Onkels, des ehemaligen leitenden württembergischen Ministers Joseph Freiherr von Linden (1804-1895), gelang es ihr schließlich, die Zulassung zur Abiturprüfung als Externe am Stuttgarter Realgymnasium (dem heutigen Dillmann-Gymnasium) zu erwirken, die sie 1891 bestand.
Die nächste Hürde bildete die Immatrikulation an einer Universität. Bereits seit 1888 hatte sich von Linden um die Aufnahme an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen bemüht, an der bislang noch keine Frau studiert hatte. Wiederum unterstützte sie ihr Onkel, der vom württembergischen König eine Sondererlaubnis erwirkte, mit der sie im Wintersemester 1892/1893 das Studium der Zoologie, der Mineralogie, der Physik und der Mathematik in Tübingen aufnehmen konnte. Mit zehn zu acht Stimmen sprach sich der Senat der Universität für die Zulassung von Lindens aus. Die Vollimmatrikulation wurde ihr als Frau jedoch verweigert, sie konnte sich nur als Gasthörerin einschreiben. Finanziell unterstützt wurde sie durch ein Stipendium des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins, der sich die Förderung der Frauenbildung zum Ziel gesetzt hatte. Ihr wissenschaftliches Talent, insbesondere auf dem Gebiet der Zoologie wurde schnell erkannt. Zu ihrem akademischen Mentor wurde der Zoologe Theodor Eimer (1843-1898), der von Linden einen Arbeitsplatz in seinem Institut anbot. 1895 schloss sie ihre Dissertation bei Theodor Eimer über „Die Entwicklung der Skulptur und der Zeichnung der Gehäuseschnecken des Meeres“ ab und wurde als erste Frau Deutschlands zum Doktor der Naturwissenschaften promoviert.
Nach ihrer Promotion arbeitete von Linden zunächst als Vertretung des Assistenten am Zoologischen Institut in Halle, bevor sie 1897 als Assistentin Eimers nach Tübingen zurückkehrte. Nach dem Tod Eimers wechselte sie 1899 auf eine Assistentenstelle bei Professor Hubert Ludwig (1852-1913) am Zoologischen und Vergleichenden Anatomischen Institut der Universität Bonn, wo Maria von Linden ein Umfeld fand, das ihr die freie Forschung ermöglichte und von dem sie sich wissenschaftliche Anerkennung erhoffte. Schwerpunkt ihrer Forschungen bildeten zunächst verschiedene Ansätze zur Tuberkulosebekämpfung. Dabei entdeckte sie die antiseptische Wirkung des Kupfers und machte sie für die pharmazeutische Industrie nutzbar. Zusammen mit der Firma Paul Hartmann in Heidenheim entwickelte sie ein Patent für einen kupferhaltigen Verbandstoff, der keimtötend wirkte. Neben ihren bakteriologischen und parasitologischen Untersuchungen forschte sie weiterhin auch auf dem Feld der Zoologie. Im Jahr 1900 wurde ihr von der französischen Akademie der Wissenschaften der Da-Gama-Machado-Preis für ihre Arbeit „Die Farben der Schmetterlinge und ihre Ursachen“ verliehen.
1906 wechselte sie als Assistentin zum Anatomischen Institut der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn. Im selben Jahr ersuchte sie um Genehmigung zur Habilitation im Fach Vergleichende Biologie. Zwei Jahre vergingen, bis eine endgültige Entscheidung getroffen wurde: 1908 lehnte der preußischen Kultusminister ihr Habilitationsgesuch ab. Wegen ihrer fehlenden venia legendi war es ihr nicht erlaubt, eigenständige Lehrveranstaltungen durchzuführen. Sie musste sich auf Demonstrationen im Anschluss an die Vorlesungen über Hygiene und auf Übungen im Erkennen, Konservieren und Züchten tierischer Parasiten beschränken.
Wenn ihr auch die akademische Lehrbefugnis versagt wurde, so wurden ihre wissenschaftlichen Leistungen auch von ihren männlichen Kollegen anerkannt. Auf Antrag Professor Dittmar Finklers (1852-1912) wurde ihr 1908 die Leitung der neugegründeten Parasitologischen Abteilung des Hygienischen Instituts an der Universität Bonn übertragen und am 30.4.1910 schließlich durch den preußischen Kultusminister das Prädikat „Professor“ verliehen. Maria von Linden war damit die erste Frau Deutschlands, die den Professorentitel führen durfte. Mit dem Titel war allerdings weder die Übertragung eines Lehrstuhls noch die Erteilung der Lehrbefugnis verbunden.
Nach diesen Erfolgen sah von Linden ihrer Zukunft in Bonn optimistisch entgegen. Als ihr 1914 die Leitung der Bakteriologischen Abteilung der Universität Rostock angeboten wurde, lehnte sie ab, obwohl ihr dabei die Habilitation in Aussicht gestellt wurde. Doch sollten sich ihre an die Universität Bonn geknüpften Hoffnungen nicht erfüllen. Die Besoldung von Lindens blieb lange Zeit weit hinter dem Üblichen zurück. Erst 1920 erhielt sie auf Antrag eine deutliche Gehaltserhöhung, die es ihr ermöglichte, ihren Lebensunterhalt selbstständig zu bestreiten. 1921 wurde sie schließlich als Laboratoriumsvorsteherin verbeamtet, bereits 1928 aber als planmäßige Assistentin eingestuft, was eine finanzielle Schlechterstellung bedeutete. Mit der Anerkennung ihrer wissenschaftlichen Leistungen ging keine Akzeptanz als gleichberechtigtes Mitglied des Lehrkörpers einher. Es gelang von Linden als Frau nie, eine ihrer wissenschaftlichen Qualifikation angemessene Stellung zu erreichen.
Auch ihre Bemühungen um die Eigenständigkeit der Parasitologischen Abteilung führten nicht zum Ziel. Zwar wurde diese vom Hygienischen Institut getrennt und als eigenständiges Parasitologisches Laboratorium weitergeführt, es kam jedoch nie zur Anerkennung als eigenständiges Universitätsinstitut. Vielmehr zeichnete sich Ende der 1920er Jahre ab, dass auch diese Eigenständigkeit mit der Pensionierung von Lindens ein Ende haben würde. Ihre Stelle als Laboratoriumsvorsteherin wurde als künftig wegfallend vorgemerkt.
Nach der Ernennung Adolf Hitlers (1889-1945) zum Reichskanzler am 30.1.1933 geriet Maria von Linden in das Visier der Nationalsozialisten. Eine Frau als Professorin passte nicht in die nationalsozialistische Ideologie. Zudem war von Linden eine erklärte Gegnerin der neuen Machthaber. Bereits nach dem Hitlerputsch 1923 hatte sie sich gegen den Radikalismus Hitlers ausgesprochen. Früh erkannte sie die existenzielle Bedrohung der deutschen Juden und bemühte sich um eine Ausreisemöglichkeit für die Familie des verstorbenen Physikers Heinrich Hertz (1857-1894) nach Norwegen. Seit Beginn ihrer Bonner Zeit wohnte von Linden im Haus der Familie Hertz und war dieser freundschaftlich verbunden. Doch auch von Linden selbst wurde zum Opfer der nationalsozialistischen Gesetzgebung. Zum 1.10.1933 wurde sie unter Berufung auf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Ihr Versuch, sich durch ein Forschungsstipendium die Möglichkeit zur weiteren wissenschaftlichen Arbeit zu erhalten, scheiterte. Als sie erkennen musste, dass ihr jede Möglichkeit zur Fortsetzung ihrer Arbeit an der Universität Bonn genommen worden war, emigrierte sie nach Liechtenstein. Das elterliche Gut, das sie geerbt hatte, musste sie wenige Jahre später aus finanziellen Gründen aufgeben. Am 26.8.1936 verstarb Maria von Linden in Schaan/Liechtenstein an den Folgen einer Lungenentzündung.
Trotz ihrer engen Kontakte zur Tübinger Frauenrechtlerin Mathilde Weber (1829-1901), die sich als Vorstandsmitglied des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins intensiv für das Studium der Frauen einsetzte, engagierte sich von Linden nicht aktiv in der Frauenbewegung. Ihr vordringliches Interesse galt der wissenschaftlichen Forschung. Als Vorreiterin für die höhere Frauenbildung sah sie sich nie, passte sich im Gegenteil stark an ihr männliches Umfeld an und imitierte dieses auch durch ihre Kleidung. Dennoch wurde sie für viele Wissenschaftlerinnen zum Vorbild.
Im Jahre 1999 wurde in Calw-Stammheim ein Gymnasium nach Maria von Linden benannt. Ebenso trägt ein 2006 an der Universität Bonn entwickeltes Frauenförderprogramm den Namen von Bonns erster Professorin.
Schriften (Auswahl)
Die Indusienkalke der Hürbe, in: Bericht der XXIII. Versammlung des Oberrheinischen Geologen-Vereins zu Sigmaringen, 1890.
Die Entwicklung der Skulptur und der Zeichnung der Gehäuseschnecken des Meeres, Leipzig 1896, zugleich. Dissertation Univ. Tübingen 1895.
Die Farben der Schmetterlinge und ihre Ursachen, in: Leopoldina. Mitteilungen der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina 38 (1902), S. 124-133.
Literatur
Flecken, Susanne, Maria Gräfin von Linden (1869-1936), in: Kuhn, Annette [u.a.] (Hg.), 100 Jahre Frauenstudium. Frauen der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Bonn 1996, S. 117-125.
Flecken, Susanne, Maria Gräfin von Linden. Wissenschaftlerin an der Universität Bonn von 1899 bis 1933, in: Barrieren und Karrieren, Berlin 2000, S. 253-269.
Flecken-Büttner, Susanne, Maria Gräfin von Linden (1869-1936). Erste Titularprofessorin in Bonn, in: Mättig, Ursula [u. a.] (Hg.), Vor-Bilder. Wissenschaftlerinnen der Universität Bonn. Historische, soziologische und künstlerische Perspektiven, Bonn 2003, S. 46-54.
Junginger, Gabriele (Hg.), Maria Gräfin von Linden. Erinnerungen der ersten Tübinger Studentin, Tübingen 1991.
Kretschmer, Johanna, Maria von Linden - die erste Studentin der Universität Tübingen, in: Attempto 8 (1962), S. 78-88.
Online
Melanie Stelly, Corinna Schneider, Maria Gräfin von Linden. Die erste Studentin an der Universität Tübingen. [Online]
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George, Christian, Maria von Linden, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/maria-von-linden/DE-2086/lido/57c941968584e2.87691865 (abgerufen am 11.11.2024)