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Mathilde Wesendonck war eine aus großbürgerlichem Hause stammende Lyrikerin. Sie verfasste zahlreiche Gedichte, die oftmals vertont wurden, aber auch Romane, Abhandlungen sowie Kinderbücher. Die bekanntesten Gedichte von ihr fanden als „Wesendoncklieder“ Richard Wagners (1813-1883) Eingang in die Musikgeschichte. Mathilde Wesendonck gilt als Muse des Bayreuther Tonsetzers und beeinflusste seine Kompositionen stark.
Mathilde Wesendonck wurde am 23.12.1828 in Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) als Agnes Luckemeyer in der Kipdorfstraße geboren, einer von Schmieden und Hämmern gesäumten Straße der frühindustrialisierten Stadt. Ihr Vater, der königliche Kommerzienrat Carl Luckemeyer (1801-1875), führte dort ein Geschäft, zog jedoch bereits drei Jahre später nach Düsseldorf. Gemeinsam mit seiner Frau Johanna, geborene Stein (1801-1862), hatte er vier Kinder, die Söhne Eduard (1830-1807) und Rudolf (geboren 1826) kamen noch in Elberfeld zur Welt, die jüngste Tochter Marie, verheiratete Deus (1836-1874), bereits in Düsseldorf. Agnes wuchs in gutsituierten, wirtschaftsbürgerlichen Verhältnissen auf. Ihr Vater war in der Logistikbranche tätig und investierte in die neuen Transporttechniken der Frühphase der Industrialisierung an Rhein und Ruhr. 1835 war der erfolgreiche Kaufmann Mitbegründer der Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahngesellschaft, deren Verwaltungsrat er angehörte, und bereits 1836 gründete er gemeinsam mit Partnern, unter anderem mit Daniel von der Heydt (1802-1874), die Dampfschiffahrtsgesellschaft für Nieder- und Mittelrhein (DGNM), deren erster Direktor er wurde. Die Gesellschaft wurde 1853 nach Fusion mit der Preußisch-Rheinischen Dampfschiffahrtsgesellschaft Ursprung der Köln-Düsseldorfer Deutsche Rheinschiffahrt.
Agnes besuchte in Düsseldorf bis 1846 die Liethsche Privatschule, eine höhere Töchterschule, wo sie Schulfreundin von Bertha (1828-1902) und Alwine von der Heydt (1831-1905) war. 1846 besuchte sie für zwei Jahre ein Mädchenpensionat in Dünkirchen (Frankreich). 1847 lernte sie auf einer Hochzeit in Düsseldorf den ebenfalls aus Elberfeld stammenden Unternehmer Otto Friedrich Ludwig Wesendonck (1815-1896) kennen, der auch als Kaufmann tätig und in Deutschland und den USA zu großem Reichtum gelangt war. Wesendonck war lange in New York tätig gewesen und erst kurz zuvor, 1843, in das Rheinland, nach Düsseldorf, zurückgekehrt. Dort war er Teilhaber des Handelshauses Loeschigk, Wesendonck & Comp. in der Hofaue, und wurde Bevollmächtigter für das Europageschäft. Das Unternehmen handelte vornehmlich mit Seide und importierte diese im großen Stil nach Mitteleuropa. Otto Wesendonck war bereits einmal verheiratet gewesen, mit Mathilde, geborene Eckard (1819-1844), die jedoch auf der Hochzeitsreise nach Italien an Typhus erkrankt und in Florenz verstorben war. Am 12.1.1848 verlobten sich Wesendonck und Agnes Luckemeyer, am 19.5.1848 wurde in Düsseldorf geheiratet. Die Hochzeitsreise ging diesmal nicht nach Italien, sondern unter anderem nach Frankfurt am Main, wo Ottos Bruder, der Jurist Hugo Maximilian Wesendonck (1817-1900), Gründer des Düsseldorfer „Vereins für demokratische Monarchie“, Abgeordneter in der Nationalversammlung war und den linken Fraktionen angehörte (zunächst dem „Deutschen Hof“, später dem „Donnersberg“).
Agnes Luckemeyer nannte sich seit der Verlobung 1848 aus Liebe zu ihrem Mann nach dessen verstorbener erster Frau Mathilde. Das Paar sollte vier Kinder haben: Paul (1849-1850), Myrrha (1851-1888), Guido (1855-1858) und Karl (1857-1934), von denen Mathilde drei überlebte.
1850 reiste die ebenso schlagfertige wie sprachbegabte und weltgewandte Mathilde mit ihrem Mann in seine alte Heimat, nach New York. Big Apple hinterließ bei ihr jedoch nur wenig Eindruck, lediglich an den Zollbeamten erinnerte sie sich immer mal wieder scherzend. Denn als dieser ihre Koffer öffnete und mit ernster Miene meinte: „Aber alles neue Sachen!“, erwiderte sie: „Sie wollen doch nicht, dass ich in Washingtons Heimat alte Kleider trage?“[1]
Bereits im April 1851 zogen die Wesendoncks aus geschäftlichen Gründen nach Zürich, wo das Ehepaar zunächst im Hôtel Baur au Lac wohnte. 1855 begannen sie mit dem Bau ihrer Villa „Grüner Hügel“ in Enge bei Zürich. Nach diesem Herrenhaus mit seinen parkähnlichen Anlagen sollte später auch der „Grüne Hügel“ in Bayreuth benannt werden. Richard Wagner war bereits 1849 aufgrund der Revolutionswirren über Paris nach Zürich geflohen und arbeitete dort als Dirigent der Allgemeinen Musikgesellschaft, die ihre Konzerte im Aktien-Theater gab. Die Wesendoncks waren dort Stammgäste und sahen Wagner erstmals im Januar 1852 am Pult. Nach dem zweiten von ihnen besuchten Wagnerkonzert nur zwei Monate später - er dirigierte unter anderem die Tannhäuser-Ouvertüre zum ersten Akt - lernten sie den Tonsetzer kennen. Wagner und die Wesendoncks kamen sich schnell näher und es entstand eine enge Beziehung zwischen dem Künstler und der Unternehmerfamilie. Bereits 1853 erhielt der ständig verschuldete und stets über seine Verhältnisse lebende Künstler eine Darlehenszusage von Otto Wesendonck, der ihn nicht nur aufgrund seiner Kunst unterstützte. Vielmehr sah Wesendonck in Wagner wohl auch den geflohenen Revolutionär von 1848, der für die gleiche Sache wie sein Bruder Hugo gekämpft hatte. Wagner bedankte sich für die Unterstützung mit zahlreichen Widmungen. Für die erste Finanzierung sandte er dem Ehepaar am 20.6.1853 als Dank die Sonate Nr. 3 in As-Dur für Klavier (WWV 85), Wagners letztes Klavierwerk, und schrieb dazu: „Um mein neues Schuldverhältnis zu Ihnen würdig und vertrauenerweckend anzutreten, zahle ich heute eine alte Schuld: geben Sie Ihrer Frau die beiligende Sonate, meine erste Composition seit der Vollendung des Lohengrin (es ist 6 Jahre her!)“[2]. Ob es nur eine Aufmerksamkeit Wagners für die finanziellen Hilfen oder ob es mehr war, ist offen. 1876 veröffentlichte er aus Geldnot die Sonate und bezeichnete gegenüber seiner zweiten Frau Cosima (1837-1930) das Stück als „elegante Nichtigkeit“. Widmungen dieser Art waren nicht ungewöhnlich, insbesondere nicht in den Kreisen, in denen sich die Wesendoncks und Wagner trafen .Otto und Mathilde Wesendonck unterhielten intensive Bekanntschaften mit zahlreichen Künstlern wie etwa dem Schweizer Komponisten Wilhelm Baumgartner (1820-1867), der Mathilde 1854 ebenfalls ein Stück gewidmet hatte. Zu einem klassischen Salon wurde das Heim der Wesendoncks mit dem Umzug in ihre neue Villa am 22.8.1857. Hier gaben sich Musiker, Schriftsteller und Architekten von internationalem Rang die Türklinke in die Hand: Gottfried Semper (1803-1879), Gottfried Keller (1819-1890), François (1811-1896) und Eliza Wille (1809-1893), der bereits erwähnte Wilhelm Baumgartner, Friedrich Theodor Vischer (1807-1887), Wendelin Weißheimer (1838-1910) und viele weitere waren zu Gast in der „Villa Wesendonck“, die nunmehr auch „Wahlheim“ genannt wurde. Mathilde sah sich als Teil dieser Gesellschaft, schrieb sie doch selbst Gedichte und Romane. Fünf ihrer Gedichte sollten von Richard Wagner später als die sogenannten „Wesendoncklieder“ vertont werden.
Inzwischen war die Beziehung der Wesendoncks zu Richard Wagner intensiv und freundschaftlich. Man traf sich oft, man schrieb sich zudem regelmäßig Briefe. Vor allem mit Mathilde unterhielt der Komponist einen regen Austausch und sie hatte zunehmend Einfluss auf sein Seelenleben und vor allem auf seine musikalische Entwicklung. Als nun die Wesendoncks nach Enge in ihren Neubau zogen, lebte dort der Freund bereits in direkter Nähe. Wagner war schon ein Jahr zuvor auf das Grundstück des Ehepaars gezogen. Diese hatten im April 1857 das Nachbargrundstück mit Landhaus gekauft und ihm als „Asyl“ zur Verfügung gestellt. Hier wurde Mathilde Wesendonck, die bis an ihr Lebensende betonte, dass ihre Beziehung zu Richard Wagner rein platonischer Natur gewesen sei, endgültig zur Muse des Tonsetzers und Richard Wagner zum engsten Freund der Familie. „Onkel Wagners Garten“ nannten die Wesendonckkinder Haus und Garten des Wagner-Asyls. Richard Wagner animierte Mathilde immer wieder zum Schreiben. Die gemeinsame Zeit in Enge war nicht nur für den Komponisten kreativ, auch Mathilde schrieb in dieser Zeit zahlreiche Gedichte, oftmals animiert und angeregt von ihrem Musenfreund. Fast gleichzeitig mit der Vollendung von fünf Gedichten durch Mathilde, begann Wagner mit deren Vertonung, den sogenannten Wesendonckliedern. 1857 wurden „Der Engel“, „Träume“ und „Schmerzen“ vollendet, 1858 dann „Stehe still“ und „Im Treibhaus“. Die Vertonungen, die wohl zu den schönsten und intensivsten Stücken Wagners gehören, sind allesamt von grandioser Tiefe und deuten zahlreiche Leitmotive des kurze Zeit später komponierten „Tristan“ (Tristan und Isolde, Uraufführung 1865) an, dessen erste Skizzen jedoch bereits in die Zeit vor dem Umzug ins Wesendonck-Asyl reichen. Jedoch erhielt die Idee, sich an den Tristan-Mythos heranzuwagen, in der Nähe Mathildes neuen Auftrieb.
1857, nach dem Umzug ins Asyl, unterbrach Wagner sogar die Arbeiten am „Siegfried“, um sich, inspiriert von der Philosophie Arthur Schopenhauers (1788-1860) und animiert durch die Nähe zu Mathilde, ganz dem „Tristan“ zu widmen. Der verliebte Künstler sah sich selbst als Tristan, Mathilde als Isolde und Mathildes Ehemann Otto als König Marke, der zwischen ihrer Liebe stand. Vor allem „Im Treibhaus“ und „Träume“ betrachtete Wagner als „Tristan-Studien“. Sie deuten Stil und Motivik der wohl komplexesten und gewagtesten Oper Richard Wagners bereits an. Wie die Lyrik Mathilde Wesendoncks einzuordnen ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Der bekannte Schriftsteller und Kulturkritiker Georg Kaiser (1878-1945) äußerte zur Lyrik Mathilde Wesendoncks zehn Jahre nach ihrem Tod: „Außer im „Tristan“ selber spricht sich diese Einheit des Fühlens der beiden unverbundenen Verbundenen aus in der Vertonung der fünf Gedichte Mathildes, von denen „Der Engel“, „Träume“ und „Schmerzen“ die bekanntesten sind. Trotz entgegengesetzter Urteile einzelner wird man diese Poesien als Proben eines starken lyrischen Talents zu bezeichnen und in ihnen einen anderen Beweis von Mathildes künstlerischer Veranlagung zu sehen haben“[3].
Richard Wagner sah dies möglicherweise anders. Er selbst überschrieb die Wesendoncklieder mit dem Sammeltitel: „Fünf Dilettanten-Gedichte für eine Frauenstimme“. Im Erstdruck von 1862 hieß der Titel nur noch: „Fünf Gedichte für eine Frauenstimme mit Pianoforte-Begleitung“, später wurde der Name in „Fünf Gedichte von Mathilde Wesendonk für eine Frauenstimme und Klavier“ geändert, danach hießen sie meist nur noch „Wesendoncklieder“. Das Originalautograph befand sich bis zum Tod Otto Wesendoncks im Besitz Mathildes. 1897 übergab sie es dem Archiv der „Villa Wahnfried“ in Bayreuth. Über seine Komposition selbst hatte Wagner eine positive Meinung, wie er seinem Tagebuch 1858 bei einem Aufenthalt in Venedig anvertraute: „Besseres, als diese Lieder, habe ich nie gemacht, und nur sehr weniges von meinen Werken wird ihnen zur Seite gestellt werden können.“ Jedoch nicht nur der „Tristan“ ist eng mit Mathilde Wesendonck verbunden. Auch die Walküre, die zweite Oper aus dem Ring des Nibelungen, stand unter dem Vorzeichen dieser Liaison. So widmete Wagner das Vorspiel der Walküre seiner Muse mit den Worten: „G(esegnet) S(ei) M(athilde)“.
Die Zeit des vertrauten Austauschs zwischen Mathilde und Richard währte nicht lange. Doch die Monate im Asyl waren von intensiver und lyrischer Zuneigung geprägt. Nicht nur Mathilde schrieb Gedichte und Briefe, auch Wagner widmete seiner Angebeteten zahlreiche bittersüße Elaborate, wie etwa jenes aus dem Herbst 1856:
Glückliche Schwalbe, willst du brüten,
Dein eignes Nest bau'st du dir aus;
Will ich zum Brüten Ruh' mir hüten,
Ich kann's nicht baun, das stille Haus!
Das stille Haus von Holz und Stein -
Ach, wer will meine Schwalbe sein?
An Silvester 1857 widmete er ihr noch die Begleitverse zum ersten Aufzug des „Tristan“. Doch schon im Mai des folgenden Jahres trennten sich ihre Wege. Es war zu einem Eklat gekommen. Wagners Ehefrau Minna (1809-1866), die 1849 unwillig ihrem Mann nach Zürich gefolgt und ob der Entfernung zu ihrer sächsischen Heimat unglücklich war, störte sich an der Nähe ihres Mannes zu Mathilde Wesendonck und verließ ihn mit großer Dramatik in Richtung Dresden. Wagner ging in der Folge ebenfalls aus Zürich weg und schrieb in Venedig am „Tristan“ und am „Ring“ weiter. Die Verbindung zu den Wesendoncks brach jedoch nicht ab. Otto Wesendonck finanzierte den Komponisten weiterhin mit großzügigen Honoraren, doch der Briefwechsel zwischen Mathilde Wesendonck und Richard Wagner wurde unregelmäßiger. Inzwischen war mit Cosima von Bülow eine weitere Frau in das Leben des Tonsetzers getreten.
Mathilde Wesendonck intensivierte nun ihre literarischen Arbeiten, oft noch im Dialog mit und unter dem Einfluss von Richard Wagner. Sie schrieb weiterhin Gedichte und verfasste Romane. Ende 1862 erschien die Sammlung „Gedichte, Volkslieder, Legenden, Sagen“, ihre erste Veröffentlichung. Die Sammlung wurde vom Verlag E. Kiesling in Zürich gedruckt. 1874 erschien eine zweite und stark erweiterte Auflage des Bandes. Weitere Komponisten wie Otto Leßmann (1844-1918), Reinhold Becker (1842-1924), Richard Sternfeld (1858-1926), Louis Große und Heinrich Schulz-Beuthen (1838-1915) wurden auf die Gedichte aufmerksam und vertonten sie. Mindestens 41 Gedichte Mathilde Wesendoncks wurden so musikalisch verewigt. Zuletzt auch in einem Liederzyklus von Cyril Plante (geboren 1975), den „Neuen Wesendonckliedern“.
Ihr erster Roman erschien 1872 unter dem Titel „Edith oder die Schlacht bei Hastings“. 1878 folgten „Odysseus“ und 1900 „Märchenspiele“. Bereits 1864 veröffentlichte Mathilde ihr erstes Kinderbuch „Märchen und Märchenspiele“. Es kamen weitere Kinderbücher, aber auch Dramen und Abhandlungen hinzu. Ihr Buch „Natur-Mythen“ von 1865 widmete sie ihrer Freundin und Vertrauten, der Schriftstellerin Eliza Wille (1809-1893), mit der sie auch die Nähe zu Wagner geteilt hatte. Mathildes Haus war weiterhin Ort der kulturellen Begegnung. Gottfried Kinkel nutzte ihre Bibliothek zu Studien und Johannes Brahms (1833-1897) hielt engen Kontakt zu den Wesendoncks. Brahms lehnte jedoch das Angebot ab, wie schon sein musikalisches Feindbild Wagner im „Asyl“ zu wohnen.
1870/1871 erlebten die Wesendoncks eine Zeit wachsender Anfeindungen in Zürich. Nicht zuletzt die Angriffe gegen alles Deutsche allgemein und gegen ihre Villa, die bei Ausschreitungen wegen des Deutschen-Französischen Kriegs beinahe abgebrannt worden wäre, veranlassten sie, in das neugegründete Deutsche Reich nach Dresden überzusiedeln. Dort kauften sie sich 1872 eine Stadtvilla, die von Manfred Semper (1838-1913) ausgebaut wurde. 1876 besuchte Mathilde und Otto Wesendonck gemeinsam die ersten Bayreuther Festspiele und hörten den gesamten „Ring“.
Der Umzug nach Dresden brachte auch für Mathildes literarische Arbeit neuen Schwung. Dort wurde ihr Schauspiel „Alkestis“ 1881 uraufgeführt. Auch nahm das Ehepaar wieder seine Kulturkonversation auf. Das Haus war auch in Dresden offen für bekannte Künstler und Gelehrte. Johannes Brahms besuchte das Paar häufig und der Kirchenmusiker Otto Richter (1865-1936) war ein guter Freund der Familie. 1882 folgte ein weiterer Umzug nach Berlin in die Tiergartenstraße 16. Vom Tode Richard Wagners 1883 überrascht und getroffen, widmete die Lyrikerin ihm noch einmal wenige Zeilen:
Ein Schmerzensruf geht durch die Welt,
Eine düstere Trauerkunde
Geht mitten durch der Menschheit Herz
Und klaget von Mund zu Munde!
Mathilde schrieb nun weniger, häufig Lyrik, seltener Prosa. Doch sie engagierte sich mit ihrem Mann in der Kulturszene der Stadt. Beide waren Mitglieder der Goethe-Gesellschaft, 1886 wurden sie Mitglied des Bayreuther Patronatsvereins. Auch in Berlin führte Mathilde wieder einen literarischen Salon, ihre Gemäldesammlung war legendär und auch für die Wissenschaft von großem Interesse.
1896 starb ihr Ehemann Otto nach langer Krankheit. Er wurde jedoch nicht in Berlin, sondern in Bonn auf dem Alten Friedhof im Familiengrab der Wesendoncks bestattet. Die Wesendoncks hatten eine besondere Beziehung zu der Universitätsstadt am Rhein. Hier hatten zwei ihrer Söhne studiert, hier hatte auch Ottos Bruder ein juristisches Studium absolviert. Und hier residierte der Geschäftspartner Ottos, der amerikanische Unternehmer Wilhelm Loeschigk (1808-1887) im Palais Schaumburg. Nach dem Tod Ottos bewohnte Mathilde gemeinsam mit ihrem Sohn Karl (1857-1934) die Villa in Berlin. Nur wenige Zeit später, am 31.8.1902, verstarb auch sie nach kurzer Krankheit unerwartet. Sie wurde von Berlin nach Bonn überführt und dort im Familiengrab der Wesendoncks unweit des Grabes von Robert und Clara Schumann (1819-1896) bestattet.
Während große Teile ihrer Literatur, wohl zu Unrecht, inzwischen vergessen sind, lebt sie in den wohl berühmtesten Kunstliedern, den Wesendonckliedern Richard Wagners nicht nur als Muse, sondern auch als Lyrikerin fort. Mathilde Wesendonck war an allen Orten, an denen sie lebte, eine prägende Gestalt in der Kunst- und Kulturszene. Sie förderte mit Sinn für Qualität und Größe Malerei, Musik, Wissenschaft und Literatur. Darüber hinaus war vor allem ihre Lyrik anerkannt; zahlreiche Vertonungen ihrer Lieder sind ein Hinweis darauf, welchen Status sie bei Zeitgenossen und welches Ansehen speziell die Schriftstellerin hatte. An sie erinnert seit 1951 im Bonner Westen die Wesendonckstraße, die auf die Richard-Wagner-Straße stößt.
Werke (Auswahl)
Märchen und Märchen-Spiele, Zürich 1864.
Natur-Mythen, Zürich 1865.
Gudrun. Schauspiel in fünf Akten, Zürich 1865.
Puppenspiele, 1869. [Bearbeitete Version von Märchen und Sagen für ihre Kinder und Enkel].
Friedrich der Große. Schauspiel in drei Aufzügen, Berlin 1871.
Edith oder die Schlacht bei Hastings. Trauerspiel in fünf Akten, Stuttgart 1872.
Gedichte, Volksweisen, Legenden und Sagen, 2. erweiterte Auflage, Leipzig 1874.
Der Baldur-Mythus, Dresden 1875.
Odysseus. Ein dramatisches Gedicht in zwei Theilen und einem Vorspiel, Dresden 1878.
Alkestis. Schauspiel in vier Aufzügen, Leipzig 1881.
Deutsches Kinderbuch in Wort und Bild, Stuttgart 1869.
Alte und neue Kinder-Lieder und Reime, Neuauflage des 1869 erschienen Deutschen Kinderbuchs in Wort und Bild, Berlin 1890.
Quellen
Golther, Wolfgang (Hg.), Richard Wagner an Mathilde Wesendonck. Tagebuchblätter und Briefe 1853–1871, 74.–83. Auflage, Leipzig 1920.
Kapp, Julius (Hg.), Richard Wagner an Mathilde und Otto Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe, Leipzig o.J.
Literatur
Bissing, Friedrich Wilhelm Freiherr von: Mathilde Wesendonck. Die Frau und die Dichterin, in: Kaiser Wilhelm-Institut für Kulturwissenschaft im Palazzo Zuccari, Rom. Erste Reihe. Vorträge (23.11.1940), Heft 32/33, Wien 1942.
Cabaud, Judith, Mathilde Wesendonck ou le rêve d´Isolde, Arles 1990.
Kaiser, Georg, Mathilde Wesendonk. Ein Gedenkblatt zu ihrem zehnjährigen Todestage, in: Brandes, Friedrich (Hg.), Neue Zeitschrift für Musik. Organ des Verbandes Deutscher Orchester- und Chorleiter (E. V.). Begründet 1834 von Robert Schumann. 79, (1912), Heft 36/37, S. 493-496.
Schad, Martha, Meine erste und einzige Liebe. Richard Wagner und Mathilde Wesendonck, München 2002.
Walton, Chris/Langer, Axel, Minne, Muse und Mäzen. Otto und Mathilde Wesendonck und ihr Zürcher Künstlerzirkel, Zürich 2002.
Online
Blog "Otto und Mathilde Wesendonck. Leben - Werk - Wirkung" [Online]
Richard Wagner an Mathilde Wesendonk. Tagebuchblätter und Briefe, 1853-1871, hrsg. v. Wolfgang Golther, Berlin 1904 [Online]
Rieger, Eva, Artikel "Wesendonck, Mathilde", in: Fembio.org [Online]
Website "Otto und Mathilde Wesendonck", betreut von Thomas Seidel [Online]
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Rönz, Helmut, Mathilde Wesendonck, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/mathilde-wesendonck-/DE-2086/lido/5c8011e86c1c25.96953509 (abgerufen am 07.10.2024)