Zu den Kapiteln
Schlagworte
Max Lorenz war ein deutscher Tenor, der zu den bedeutendsten Interpreten der Heldenrollen Richard Wagners (1813−1883) in den 1930er und 1940er Jahren gezählt wird. Neben internationalen Erfolgen in diesem Rollenfach galt er auch im deutschsprachigen Raum als wesentlicher Interpret der Heldenrollen Giuseppe Verdis (1813–1901). Nach seinem Bühnenabschied wirkte er als gesuchter Pädagoge am Salzburger Mozarteum.
Max Lorenz wurde am 10.5.1901 als Kind des Düsseldorfer Metzgermeisters Albert Sülzenfuß und seiner Frau Maria, geborene Lorenz, geboren. Eine große Kinderschar im Haus machte das Wirtschaften schwierig, zumal auch geschäftliche Sorgen das Familienleben überschatteten: Bereits 1894 war Albert Sülzenfuß an seinem vorherigen Wohnort Elberfeld (heute Stadt Wuppertal) zur Konkurs-Anmeldung gezwungen gewesen, woraufhin seine Ehefrau gerichtlich Gütertrennung erstritt. In Düsseldorf jedoch kam es erneut zu Zahlungsschwierigkeiten, so dass 1908 das auf Ehefrau Maria eingetragene Wohnhaus auf der Derendorfer Straße zwangsversteigert werden sollte. Dies konnte in letzter Minute abgewendet werden, doch bereits 1913 findet sich im Amtsblatt der Regierung ein erneuter Zwangsvollstreckungsbescheid – es ist kaum verwunderlich, dass der Künstler kein Interesse für das elterliche Geschäft zeigte, das ihm sicher keine unbeschwerte Jugend ermöglichte, und sich später durch die Wahl seines Künstlernamens zu distanzieren versuchte. Seine Liebe zum Theater bereits in jungen Jahren stieß umgekehrt bei den Eltern auf wenig Gegenliebe. So wurde er nach Beendigung der Schule zu einer zweijährigen Ausbildung in einem Industriebüro gezwungen. Bereits zu dieser Zeit nahm er jedoch nebenbei privaten Gesangsunterricht.
Vielleicht führten das Kriegsende und die nachfolgende wirtschaftliche Unsicherheit zu einem Umdenken des Vaters – jedenfalls wurde Max Sülzenfuß 1918 Schüler des Tenors Max Pauli (1864–nach 1929) am Kölner Konservatorium. Dieser hatte offenbar Mühe, die bedingungslose Musikbegeisterung seines Schülers zugunsten einer fundierten Stimmtechnik zu zügeln. Jedenfalls wechselte der junge Sänger 1923 in ein reguläres Musikstudium nach Berlin zu Ernst Grenzebach (1871–1936) und änderte seinen Namen in Max Lorenz. Grenzebach galt als wichtiger Gesangspädagoge mit einer Reihe bedeutender Namen unter seinen Studierenden – rückblickend muss dies allerdings differenziert werden: Viele der bekanntesten Namen auf der Liste seiner Verdienste wie etwa Meta Seinemeyer (1895–1929), Paul Schöffler (1897–1977), Peter Anders (1908–1954) oder Lauritz Melchior (1890–1973) hatten auch Unterricht von anderen herausragenden Pädagogen erhalten oder vervollständigten dort ihre Ausbildung nach dem Ausscheiden aus Grenzebachs Klasse. Er scheint eher ein Gespür für Darstellungsstrategien und den Aufbau einer bereits gesund angelegten Gesangsstimme besessen zu haben als die Fähigkeit, grundlegende Technik des Kunstgesanges zu vermitteln. Insofern war Grenzebach sicher geeignet, Lorenz in den Teilen seiner Ausbildung zu unterstützen, die dem Sänger selbst am wichtigsten waren, doch lagen (gerade im Vergleich etwa zu seinem Fachkollegen Lauritz Melchior) die technischen Defizite seiner Ausbildung durch seine gesamte – auch hierdurch vielleicht unnötig beschränkte – Karriere hindurch offen zu Tage.
Zu Beginn führte das Ungestüm des jungen Tenors öfters fast zum Ende seiner Karriere. Bereits 1924 wurde Lorenz zur Arbeit mit dem Kapellmeister Karl Kittel (1874–1945) nach Bayreuth eingeladen. Sowohl seine körperliche Erscheinung als auch die kraftvolle Stimmführung entsprachen eigentlich dem von Cosima Wagner (1837–1930) bevorzugten Typ des Wagner-Helden; doch die Stimme hielt der ihr vom Sänger aufgelegten Belastung gerade eine Woche stand, so dass Lorenz deprimiert nach Berlin zurückkehrte, ohne überhaupt aufgetreten zu sein. Es dauerte lange, bis seine Stimme halbwegs wiederhergestellt war, und auch ein vielleicht verfrühtes Vorsingen an der Berliner Staatsoper wurde zum völligen Misserfolg. Lorenz trug sich mit dem Gedanken, die Karriere aufzugeben. Sein Lehrer jedoch kannte die Stärken des Schülers und hatte ihn ohne dessen Wissen bei einem Gesangswettbewerb angemeldet. Hier zeigte sich 1926 zum ersten Mal öffentlich ein Phänomen, dass typisch für Max Lorenz war: Immer wieder gelang es ihm später, durch die völlige Identifikation mit seinen Rollen und künstlerisches Wollen seine Mängel aus dem Moment heraus zu bezwingen. So auch hier: Mit weitem Abstand der Jurystimmen wurde er zum Sieger erklärt und erhielt in der Folge ein Engagement an der Staatsoper in Dresden als lyrischer Tenor. Auch in Dresden war seine Karriere gefährdet: Die Bemerkung des Regisseurs während der Proben zu seiner ersten Aufführung, wer so unbegabt sei, müsse eigentlich in Meißen anfangen, stürzte Lorenz abermals in eine künstlerische Krise. Einen entscheidenden Erfolg in dieser Situation erzielte er abermals außerhalb des Opernhauses: Lorenz sang 1927 die Tenorpartie in der Dresdner Uraufführung des „Psalmus Hungaricus“ von Zoltán Kodály (1882–1967) und errang einen entscheidenden Erfolg nicht nur für sich, sondern auch für das anspruchsvolle Werk. Kurz darauf beeindruckte er mit Wagner-Fragmenten in einem Konzert der Dresdner Philharmoniker unter Musikdirektor Eduard Mörike (1877–1929). Nun wurden ihm auch in seinem Haus, dessen Mitglied er bis 1937 bleiben sollte, allmählich die schwereren heldischen und musikalisch fordernden Rollen übertragen, die aus gutem Grund solch vergleichsweise jungen Sängern im Allgemeinen vorenthalten werden.
Auch auf Festspielbühnen und im internationalen Betrieb entwickelte sich allmählich eine beachtliche Karriere. Nach Erfolgen bei der Zoppoter Waldoper 1930 erreichte ihn ein Angebot der New Yorker Metropolitan Opera, wo er von 1931 bis 1934 sang. Im direkten Vergleich mit Lauritz Melchior blieb Lorenz jedoch umstritten – seine dramatischen Qualitäten kamen in dem riesigen Haus und darüber hinaus bei einem Publikum, das wenig Deutsch verstand, kaum zum Tragen, und Material und Technik Melchiors beeindruckten in diesem Umfeld mehr. An der Pariser Grand Opéra, dem Teatro Colón in Buenos Aires und der Mailänder Scala erwiesen sich die Verhältnisse als günstiger. Gastspiele im Ausland blieben jedoch Episode, denn im deutschsprachigen Raum wurde Max Lorenz bald zur allgegenwärtigen Größe. Bei den Münchener Wagnerfestspielen 1932 kam es zu einer ersten Begegnung mit Aloys Burgstaller (1871–1945). Dieser war ein in vielerlei Hinsicht typisches Produkt der Bayreuther Schule: Von Cosima Wagner gefördert und von ihrem Kapellmeister Julius Kniese (1848–1905) stimmlich ausgebildet, sang er in Bayreuth bereits als 25-Jähriger den Siegmund in der „Walküre“, weitere schwere Partien folgten ebenfalls zu früh – mit nicht einmal 40 Jahren war seine Karriere faktisch beendet. Er hatte jedoch aus eigenen Fehlern gelernt und wurde zum gesuchten Ratgeber anderer Heldentenöre bei stimmlichen Problemen. Auch Lorenz schrieb rückblickend: „Wir […] haben kaum gesungen, aber durch ihn erreichte ich, was mir bei allen vorherigen Lehrern nicht gelungen war: Burgstaller öffnete mir die Höhe, vor der ich mich bisher gefürchtet hatte, und die erst seitdem meine eigentliche Stärke wurde.“ Als Melchior aus politischen Gründen 1933 in Bayreuth nicht mehr auftreten wollte, kehrte Max Lorenz mit neuem Selbstbewusstsein schließlich zurück und wurde bis Kriegsende der dort meistbeschäftigste Heldentenor. Neben seiner Dresdner Verpflichtung war er bereits 1933 Mitglied der Berliner Staatsoper geworden, und auch regelmäßige Gastspiele an der Staatsoper in Wien führten 1936 zu einem Ensemble-Vertrag. Gemeinsam mit seinen Gastspielen war dies ein geradezu übermenschliches Arbeitspensum, das der Sänger seiner Stimme zumutete.
Dies hatte vermutlich nicht nur künstlerische Gründe. Max Lorenz war homosexuell, was einer Karriere im damaligen Klima keineswegs förderlich war. Er hatte 1932 eine befreundete Sängerin geheiratet, um entsprechende Diskussionen zu umgehen. Charlotte Apel (1897–1964) hatte dennoch ein enges persönliches Verhältnis zu Lorenz und fungierte später auch als seine Managerin. Allerdings war sie jüdischer Abstammung, was ab 1933 im faschistischen Deutschland ebenfalls ein massives Problem darstellte. Lorenz jedoch bewies mehr Charakter als manch anderer Kulturschaffender und war keineswegs bereit, sich von seiner Frau zu trennen. Dies hatte, allen Erfolgen zum Trotz, auch Einfluss auf seine Karriere, denn vorerst konnte er nur mit einer Sondergenehmigung der Reichstheaterkammer überhaupt noch in Deutschland auftreten. Es mag auch hiermit zusammenhängen, dass er 1936 den Vertrag in Wien unterschrieb, das ja damals zumindest in der Theorie noch neutrales Ausland war. Doch weitere Gastspiele in Mailand, Rom, Antwerpen, Budapest, Stockholm und Zürich bewiesen zusätzlich, dass Lorenz auch außerhalb Deutschlands gefragt war; vermutlich wurde er deshalb schließlich am 2.3.1939 doch noch als reguläres Mitglied in die Theaterkammer aufgenommen. Umgekehrt war der Tenor nach Möglichkeit zurückhaltend mit Ergebenheitsadressen: Lediglich vom August 1934 ist eine Manuskript-Kopie mit dem Titel „Was die Künstler Hitler verdanken“, geschrieben für die Berliner „Nachtausgabe“ (im Archiv der Reichskulturkammer) erhalten, ob der Text überhaupt gedruckt wurde, ist momentan nicht feststellbar. Anfeindungen und Übergriffen war Max Lorenz jedoch permanent ausgesetzt. Ein Prozess wegen seiner sexuellen Orientierung konnte durch Intervention von Winifred Wagner (1897–1980) beeinflusst werden, da sie Hitler gegenüber Befürchtungen äußerte, ohne Lorenz seien die Bayreuther Festspiele derzeit nicht durchführbar. Der Versuch, seine Frau und seine Schwiegermutter während der Abwesenheit des Künstlers von der SS verhaften zu lassen, scheiterte, da Charlotte Lorenz mit Hilfe der Schwester Hermann Görings telefonisch eine vorgesetzte Stelle erreichen konnte, die die Untergebenen zurückrief. Max Lorenz tobte und drohte mit der Absage einer Vorstellung, bei der Hitler als Ehrengast erscheinen wollte. Schließlich dekretierte Hermann Göring (1893−1946) persönlich am 21.3.1943: „Der Kammersänger Max Lorenz von meiner Staatsoper untersteht meinem persönlichen Schutz. Jedes Vorgehen gegen ihn, seine Frau und seine Schwiegermutter (70 Jahre) hat zu unterbleiben.“[1] Doch Sticheleien und Denunziationen gingen weiter. Der Sicherheitsdienst meldete noch im Sommer 1943, dass auch die jüdische Frau Lorenz sich nicht nur in den Bayreuther Festspielräumen, sondern auch im Restaurant aufgehalten habe, was bei der Parteigenossenschaft „ehrliche Entrüstung“ hervorgerufen habe. Ein Gastspiel in der Schweiz im Dezember 1944 wurde aus Angst, der Sänger könnte sich vielleicht doch noch absetzen, verweigert, ein anderes in Budapest hingegen genehmigt – Planungssicherheit hatte Max Lorenz bis zum Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ nicht.
Das in kulturellen Kreisen stets offene Geheimnis der Lebensverhältnisse Lorenzʼ führte dazu, dass er nach Kriegsende rasch seine Karriere fortsetzen konnte. Bereits 1945 gastierte er wieder an der Wiener Staatsoper, deren reguläres Mitglied er 1948 erneut wurde. Ende 1947 unterzeichnete er einen neuen Vertrag mit der Metropolitan Opera und war damit der erste deutsche Bühnenkünstler überhaupt, der nach dem Krieg einen Vertrag in den Vereinigten Staaten erhielt. Auch in Paris, Mailand und Buenos Aires war er bald wieder zu Gast. Bayreuth allerdings stand nicht mehr im Zentrum seines Wirkens. Was offiziell als Resultat eines politischen Neuanfangs wirken mochte, konnte ebenso mit alten Ressentiments zu tun haben – es gab dort wieder Alternativen zu einem Sänger mit dubiosen Neigungen und einer jüdischen Ehefrau. Dennoch stand Max Lorenz hier zur Verfügung, wenn Besetzungsengpässe drohten. 1952 sang er dort nochmals den „Siegfried“, und zwei Jahre später ersetzte er in letzter Minute Ramón Vinay (1911–1996) als „Siegmund“. Doch war dort nicht mehr zu überhören, dass die jahrelange Überanstrengung bis Kriegsende nun ihren Tribut forderte. Während Kenner immer noch von der intensiven Darstellung überwältigt wurden, fiel es unbedarfteren Opernbesuchern schwer, über Probleme bei Phrasierung und Intonation hinwegzuhören. Auch Lorenz selbst verabschiedete sich allmählich von seinen Lieblingsrollen und wandte sich an seinem neuen Lebensmittelpunkt Österreich zunehmend dem Charakterfach zu. Vor allem in musikalisch schwierigen, nicht allzu großen Partien konnte er musikalisch und darstellerisch nach wie vor wertvolle Arbeit leisten. Neben der Wiener Staatsoper wurden nun die Salzburger Festspiele zum Mittelpunkt seines Wirkens. Dort sang er etwa in Uraufführungen wichtiger Werke wie 1953 „Der Prozess“ von Gottfried von Einem (1918–1996), 1954 „Penelope“ von Rolf Liebermann (1910–1999), 1955 „Irische Legende“ von Werner Egk (1901–1983) und 1961 „Das Bergwerk zu Falun“ von Rudolf Wagner-Régeny (1903–1969). Bei einem Gastspiel in Dresden sang Max Lorenz 1960 als „Tristan“ vermutlich seinen letzten Wagner-Helden, 1962 verabschiedete er sich bescheiden und ohne große Ankündigung als „Herodes“ in Richard Straussʼ (1864–1949) „Salome“ von der Wiener Staatsoper und von der Bühne überhaupt. Bis 1974 betreute Max Lorenz privat in München und am Salzburger Mozarteum noch zahlreiche Schüler wie etwa James King (1925–2005), Jess Thomas (1927–1993) oder Karl-Josef Hering (1929-1998). In der Öffentlichkeit wurde er jedoch seit dem Tod seiner Frau 1964 zunehmend selten gesehen. Auch wenn er herzlich und gesellig wirkte, klagte er gegenüber engen Freunden über eine zunehmende Vereinsamung.
Max Lorenz starb am 11.1.1975 in Wien und fand seine letzte Ruhe gemeinsam mit seiner Frau in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof. Freunde und Kollegen gedachten seiner mit Zuneigung und Respekt. Schon nach dem Tod Charlotte Lorenzʼ hatte ihm sein Schwager aus Israel geschrieben: „[W]as Du in menschlicher Beziehung getan hast, wird für mich immer ein Vorbild sein.“ James King erinnerte sich an ihn als „Poet unter den Heldentenören“, und Dietrich Fischer-Dieskau (1925–2012) lobte: „Er hatte so etwas Ursprüngliches. […] Er stellt nicht die Töne vor sich hin, sondern er ist die Töne.“ So fand Max Lorenz vielleicht seine größten Momente im exzessiven Kampf gegen alle Feinde gleichzeitig: Die Widersacher auf der Bühne, die eigene Stimme und die Bedrohung durch die Nationalsozialisten.
Literatur
Fischer, Jens Malte, Grosse Stimmen: von Enrico Caruso bis Jessye Norman, Stuttgart 1993.
Luther, Einhard, Helden an geweihtem Ort. Biographie eines Stimmfaches, Teil 2: Wagnertenöre in Bayreuth (1884−1914), Berlin 2002.
Prieberg, Fred K., Handbuch deutsche Musiker 1933–1945. Version 1.2 [elektronische Resource: CD-ROM], Auprès des Zombry 2005.
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Lehl, Karsten, Max Lorenz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/max-lorenz/DE-2086/lido/5e8481bb7e2916.88985862 (abgerufen am 12.12.2024)