Max Lorenz

Sänger (1901−1975)

Karsten Lehl (Düsseldorf)

Max Lorenz als 'Siegfried' in Wagners 'Götterdämmerung', 1936. (Gemeinfrei)

Max Lo­renz war ein deut­scher Te­nor, der zu den be­deu­tends­ten In­ter­pre­ten der Hel­den­rol­len Ri­chard Wag­ners (1813−1883) in den 1930er und 1940er Jah­ren ge­zählt wird. Ne­ben in­ter­na­tio­na­len Er­fol­gen in die­sem Rol­len­fach galt er auch im deutsch­spra­chi­gen Raum als we­sent­li­cher In­ter­pret der Hel­den­rol­len Giu­sep­pe Ver­dis (1813–1901). Nach sei­nem Büh­nen­ab­schied wirk­te er als ge­such­ter Päd­ago­ge am Salz­bur­ger Mo­zar­te­um.

Max Lo­renz wur­de am 10.5.1901 als Kind de­s Düs­sel­dor­fer Metz­ger­meis­ters Al­bert Sül­zen­fuß und sei­ner Frau Ma­ria, ge­bo­re­ne Lo­renz, ge­bo­ren. Ei­ne gro­ße Kin­der­schar im Haus mach­te das Wirt­schaf­ten schwie­rig, zu­mal auch ge­schäft­li­che Sor­gen das Fa­mi­li­en­le­ben über­schat­te­ten: Be­reits 1894 war Al­bert Sül­zen­fuß an sei­nem vor­he­ri­gen Wohn­ort El­ber­feld (heu­te Stadt Wup­per­tal) zur Kon­kurs-An­mel­dung ge­zwun­gen ge­we­sen, wor­auf­hin sei­ne Ehe­frau ge­richt­lich Gü­ter­tren­nung erstritt. In Düs­sel­dorf je­doch kam es er­neut zu Zah­lungs­schwie­rig­kei­ten, so dass 1908 das auf Ehe­frau Ma­ria ein­ge­tra­ge­ne Wohn­haus auf der De­ren­dor­fer Stra­ße zwangs­ver­stei­gert wer­den soll­te. Dies konn­te in letz­ter Mi­nu­te ab­ge­wen­det wer­den, doch be­reits 1913 fin­det sich im Amts­blatt der Re­gie­rung ein er­neu­ter Zwangs­voll­stre­ckungs­be­scheid – es ist kaum ver­wun­der­lich, dass der Künst­ler kein In­ter­es­se für das el­ter­li­che Ge­schäft zeig­te, das ihm si­cher kei­ne un­be­schwer­te Ju­gend er­mög­lich­te, und sich spä­ter durch die Wahl sei­nes Künst­ler­na­mens zu dis­tan­zie­ren ver­such­te. Sei­ne Lie­be zum Thea­ter be­reits in jun­gen Jah­ren stieß um­ge­kehrt bei den El­tern auf we­nig Ge­gen­lie­be. So wur­de er nach Be­en­di­gung der Schu­le zu ei­ner zwei­jäh­ri­gen Aus­bil­dung in ei­nem In­dus­trie­bü­ro ge­zwun­gen. Be­reits zu die­ser Zeit nahm er je­doch ne­ben­bei pri­va­ten Ge­sangs­un­ter­richt.

Viel­leicht führ­ten das Kriegs­en­de und die nach­fol­gen­de wirt­schaft­li­che Un­si­cher­heit zu ei­nem Um­den­ken des Va­ters – je­den­falls wur­de Max Sül­zen­fuß 1918 Schü­ler des Te­nors Max Pau­li (1864–nach 1929) am Köl­ner Kon­ser­va­to­ri­um. Die­ser hat­te of­fen­bar Mü­he, die be­din­gungs­lo­se Mu­sik­be­geis­te­rung sei­nes Schü­lers zu­guns­ten ei­ner fun­dier­ten Stimm­tech­nik zu zü­geln. Je­den­falls wech­sel­te der jun­ge Sän­ger 1923 in ein re­gu­lä­res Mu­sik­stu­di­um nach Ber­lin zu Ernst Gren­ze­bach (1871–1936) und än­der­te sei­nen Na­men in Max Lo­renz. Gren­ze­bach galt als wich­ti­ger Ge­sangs­päd­ago­ge mit ei­ner Rei­he be­deu­ten­der Na­men un­ter sei­nen Stu­die­ren­den – rück­bli­ckend muss dies al­ler­dings dif­fe­ren­ziert wer­den: Vie­le der be­kann­tes­ten Na­men auf der Lis­te sei­ner Ver­diens­te wie et­wa Me­ta Sei­ne­mey­er (1895–1929), Paul Schöff­ler (1897–1977), Pe­ter An­ders (1908–1954) oder Lau­ritz Mel­chi­or (1890–1973) hat­ten auch Un­ter­richt von an­de­ren her­aus­ra­gen­den Päd­ago­gen er­hal­ten oder ver­voll­stän­dig­ten dort ih­re Aus­bil­dung nach dem Aus­schei­den aus Gren­ze­bachs Klas­se. Er scheint eher ein Ge­spür für Dar­stel­lungs­stra­te­gi­en und den Auf­bau ei­ner be­reits ge­sund an­ge­leg­ten Ge­sangs­stim­me be­ses­sen zu ha­ben als die Fä­hig­keit, grund­le­gen­de Tech­nik des Kunst­ge­san­ges zu ver­mit­teln. In­so­fern war Gren­ze­bach si­cher ge­eig­net, Lo­renz in den Tei­len sei­ner Aus­bil­dung zu un­ter­stüt­zen, die dem Sän­ger selbst am wich­tigs­ten wa­ren, doch la­gen (ge­ra­de im Ver­gleich et­wa zu sei­nem Fach­kol­le­gen Lau­ritz Mel­chi­or) die tech­ni­schen De­fi­zi­te sei­ner Aus­bil­dung durch sei­ne ge­sam­te – auch hier­durch viel­leicht un­nö­tig be­schränk­te – Kar­rie­re hin­durch of­fen zu Ta­ge.

 

Zu Be­ginn führ­te das Un­ge­stüm des jun­gen Te­nors öf­ters fast zum En­de sei­ner Kar­rie­re. Be­reits 1924 wur­de Lo­renz zur Ar­beit mit dem Ka­pell­meis­ter Karl Kit­tel (1874–1945) nach Bay­reuth ein­ge­la­den. So­wohl sei­ne kör­per­li­che Er­schei­nung als auch die kraft­vol­le Stimm­füh­rung ent­spra­chen ei­gent­lich dem von Co­si­ma Wag­ner (1837–1930) be­vor­zug­ten Typ des Wag­ner-Hel­den; doch die Stim­me hielt der ihr vom Sän­ger auf­ge­leg­ten Be­las­tung ge­ra­de ei­ne Wo­che stand, so dass Lo­renz de­pri­miert nach Ber­lin zu­rück­kehr­te, oh­ne über­haupt auf­ge­tre­ten zu sein. Es dau­er­te lan­ge, bis sei­ne Stim­me halb­wegs wie­der­her­ge­stellt war, und auch ein viel­leicht ver­früh­tes Vor­sin­gen an der Ber­li­ner Staats­oper wur­de zum völ­li­gen Miss­er­folg. Lo­renz trug sich mit dem Ge­dan­ken, die Kar­rie­re auf­zu­ge­ben. Sein Leh­rer je­doch kann­te die Stär­ken des Schü­lers und hat­te ihn oh­ne des­sen Wis­sen bei ei­nem Ge­sangs­wett­be­werb an­ge­mel­det. Hier zeig­te sich 1926 zum ers­ten Mal öf­fent­lich ein Phä­no­men, dass ty­pisch für Max Lo­renz war: Im­mer wie­der ge­lang es ihm spä­ter, durch die völ­li­ge Iden­ti­fi­ka­ti­on mit sei­nen Rol­len und künst­le­ri­sches Wol­len sei­ne Män­gel aus dem Mo­ment her­aus zu be­zwin­gen. So auch hier: Mit wei­tem Ab­stand der Ju­ry­stim­men wur­de er zum Sie­ger er­klärt und er­hielt in der Fol­ge ein En­ga­ge­ment an der Staats­oper in Dres­den als ly­ri­scher Te­nor. Auch in Dres­den war sei­ne Kar­rie­re ge­fähr­det: Die Be­mer­kung des Re­gis­seurs wäh­rend der Pro­ben zu sei­ner ers­ten Auf­füh­rung, wer so un­be­gabt sei, müs­se ei­gent­lich in Mei­ßen an­fan­gen, stürz­te Lo­renz aber­mals in ei­ne künst­le­ri­sche Kri­se. Ei­nen ent­schei­den­den Er­folg in die­ser Si­tua­ti­on er­ziel­te er aber­mals au­ßer­halb des Opern­hau­ses: Lo­renz sang 1927 die Te­n­or­par­tie in der Dresd­ner Ur­auf­füh­rung des „Psal­mus Hun­ga­ri­cus“ von Zol­tán Ko­dá­ly (1882–1967) und er­rang ei­nen ent­schei­den­den Er­folg nicht nur für sich, son­dern auch für das an­spruchs­vol­le Werk. Kurz dar­auf be­ein­druck­te er mit Wag­ner-Frag­men­ten in ei­nem Kon­zert der Dresd­ner Phil­har­mo­ni­ker un­ter Mu­sik­di­rek­tor Edu­ard Mö­ri­ke (1877–1929). Nun wur­den ihm auch in sei­nem Haus, des­sen Mit­glied er bis 1937 blei­ben soll­te, all­mäh­lich die schwe­re­ren hel­di­schen und mu­si­ka­lisch for­dern­den Rol­len über­tra­gen, die aus gu­tem Grund solch ver­gleichs­wei­se jun­gen Sän­gern im All­ge­mei­nen vor­ent­hal­ten wer­den.

Auch auf Fest­spiel­büh­nen und im in­ter­na­tio­na­len Be­trieb ent­wi­ckel­te sich all­mäh­lich ei­ne be­acht­li­che Kar­rie­re. Nach Er­fol­gen bei der Zop­po­ter Waldoper 1930 er­reich­te ihn ein An­ge­bot der New Yor­ker Me­tro­po­li­tan Ope­ra, wo er von 1931 bis 1934 sang. Im di­rek­ten Ver­gleich mit Lau­ritz Mel­chi­or blieb Lo­renz je­doch um­strit­ten – sei­ne dra­ma­ti­schen Qua­li­tä­ten ka­men in dem rie­si­gen Haus und dar­über hin­aus bei ei­nem Pu­bli­kum, das we­nig Deutsch ver­stand, kaum zum Tra­gen, und Ma­te­ri­al und Tech­nik Mel­chi­ors be­ein­druck­ten in die­sem Um­feld mehr. An der Pa­ri­ser Grand Opé­ra, dem Tea­tro Colón in Bue­nos Ai­res und der Mai­län­der Sca­la er­wie­sen sich die Ver­hält­nis­se als güns­ti­ger. Gast­spie­le im Aus­land blie­ben je­doch Epi­so­de, denn im deutsch­spra­chi­gen Raum wur­de Max Lo­renz bald zur all­ge­gen­wär­ti­gen Grö­ße. Bei den Mün­che­ner Wag­ner­fest­spie­len 1932 kam es zu ei­ner ers­ten Be­geg­nung mit Aloys Burg­stal­ler (1871–1945). Die­ser war ein in vie­ler­lei Hin­sicht ty­pi­sches Pro­dukt der Bay­reu­ther Schu­le: Von Co­si­ma Wag­ner ge­för­dert und von ih­rem Ka­pell­meis­ter Ju­li­us Knie­se (1848–1905) stimm­lich aus­ge­bil­det, sang er in Bay­reuth be­reits als 25-Jäh­ri­ger den Sieg­mund in der „Wal­kü­re“, wei­te­re schwe­re Par­ti­en folg­ten eben­falls zu früh – mit nicht ein­mal 40 Jah­ren war sei­ne Kar­rie­re fak­tisch be­en­det. Er hat­te je­doch aus ei­ge­nen Feh­lern ge­lernt und wur­de zum ge­such­ten Rat­ge­ber an­de­rer Hel­den­te­nö­re bei stimm­li­chen Pro­ble­men. Auch Lo­renz schrieb rück­bli­ckend: „Wir […] ha­ben kaum ge­sun­gen, aber durch ihn er­reich­te ich, was mir bei al­len vor­he­ri­gen Leh­rern nicht ge­lun­gen war: Burg­stal­ler öff­ne­te mir die Hö­he, vor der ich mich bis­her ge­fürch­tet hat­te, und die erst seit­dem mei­ne ei­gent­li­che Stär­ke wur­de.“ Als Mel­chi­or aus po­li­ti­schen Grün­den 1933 in Bay­reuth nicht mehr auf­tre­ten woll­te, kehr­te Max Lo­renz mit neu­em Selbst­be­wusst­sein schlie­ß­lich zu­rück und wur­de bis Kriegs­en­de der dort meist­be­schäf­tigs­te Hel­den­te­nor. Ne­ben sei­ner Dresd­ner Ver­pflich­tung war er be­reits 1933 Mit­glied der Ber­li­ner Staats­oper ge­wor­den, und auch re­gel­mä­ßi­ge Gast­spie­le an der Staats­oper in Wien führ­ten 1936 zu ei­nem En­sem­ble-Ver­trag. Ge­mein­sam mit sei­nen Gast­spie­len war dies ein ge­ra­de­zu über­mensch­li­ches Ar­beits­pen­sum, das der Sän­ger sei­ner Stim­me zu­mu­te­te.

Dies hat­te ver­mut­lich nicht nur künst­le­ri­sche Grün­de. Max Lo­renz war ho­mo­se­xu­ell, was ei­ner Kar­rie­re im da­ma­li­gen Kli­ma kei­nes­wegs för­der­lich war. Er hat­te 1932 ei­ne be­freun­de­te Sän­ge­rin ge­hei­ra­tet, um ent­spre­chen­de Dis­kus­sio­nen zu um­ge­hen. Char­lot­te Apel (1897–1964) hat­te den­noch ein en­ges per­sön­li­ches Ver­hält­nis zu Lo­renz und fun­gier­te spä­ter auch als sei­ne Ma­na­ge­rin. Al­ler­dings war sie jü­di­scher Ab­stam­mung, was ab 1933 im fa­schis­ti­schen Deutsch­land eben­falls ein mas­si­ves Pro­blem dar­stell­te. Lo­renz je­doch be­wies mehr Cha­rak­ter als manch an­de­rer Kul­tur­schaf­fen­der und war kei­nes­wegs be­reit, sich von sei­ner Frau zu tren­nen. Dies hat­te, al­len Er­fol­gen zum Trotz, auch Ein­fluss auf sei­ne Kar­rie­re, denn vor­erst konn­te er nur mit ei­ner Son­der­ge­neh­mi­gung der Reichs­thea­ter­kam­mer über­haupt noch in Deutsch­land auf­tre­ten. Es mag auch hier­mit zu­sam­men­hän­gen, dass er 1936 den Ver­trag in Wien un­ter­schrieb, das ja da­mals zu­min­dest in der Theo­rie noch neu­tra­les Aus­land war. Doch wei­te­re Gast­spie­le in Mai­land, Rom, Ant­wer­pen, Bu­da­pest, Stock­holm und Zü­rich be­wie­sen zu­sätz­lich, dass Lo­renz auch au­ßer­halb Deutsch­lands ge­fragt war; ver­mut­lich wur­de er des­halb schlie­ß­lich am 2.3.1939 doch noch als re­gu­lä­res Mit­glied in die Thea­ter­kam­mer auf­ge­nom­men. Um­ge­kehrt war der Te­nor nach Mög­lich­keit zu­rück­hal­tend mit Er­ge­ben­heits­adres­sen: Le­dig­lich vom Au­gust 1934 ist ei­ne Ma­nu­skript-Ko­pie mit dem Ti­tel „Was die Künst­ler Hit­ler ver­dan­ken“, ge­schrie­ben für die Ber­li­ner „Nacht­aus­ga­be“ (im Ar­chiv der Reichs­kul­tur­kam­mer) er­hal­ten, ob der Text über­haupt ge­druckt wur­de, ist mo­men­tan nicht fest­stell­bar. An­fein­dun­gen und Über­grif­fen war Max Lo­renz je­doch per­ma­nent aus­ge­setzt. Ein Pro­zess we­gen sei­ner se­xu­el­len Ori­en­tie­rung konn­te durch In­ter­ven­ti­on von Wi­ni­f­red Wag­ner (1897–1980) be­ein­flusst wer­den, da sie Hit­ler ge­gen­über Be­fürch­tun­gen äu­ßer­te, oh­ne Lo­renz sei­en die Bay­reu­ther Fest­spie­le der­zeit nicht durch­führ­bar. Der Ver­such, sei­ne Frau und sei­ne Schwie­ger­mut­ter wäh­rend der Ab­we­sen­heit des Künst­lers von der SS ver­haf­ten zu las­sen, schei­ter­te, da Char­lot­te Lo­renz mit Hil­fe der Schwes­ter Her­mann Gö­rings te­le­fo­nisch ei­ne vor­ge­setz­te Stel­le er­rei­chen konn­te, die die Un­ter­ge­be­nen zu­rück­rief. Max Lo­renz tob­te und droh­te mit der Ab­sa­ge ei­ner Vor­stel­lung, bei der Hit­ler als Eh­ren­gast er­schei­nen woll­te. Schlie­ß­lich de­kre­tier­te Her­mann Gö­ring (1893−1946) per­sön­lich am 21.3.1943: „Der Kam­mer­sän­ger Max Lo­renz von mei­ner Staats­oper un­ter­steht mei­nem per­sön­li­chen Schutz. Je­des Vor­ge­hen ge­gen ihn, sei­ne Frau und sei­ne Schwie­ger­mut­ter (70 Jah­re) hat zu un­ter­blei­ben.“[1] Doch Sti­che­lei­en und De­nun­zia­tio­nen gin­gen wei­ter. Der Si­cher­heits­dienst mel­de­te noch im Som­mer 1943, dass auch die jü­di­sche Frau Lo­renz sich nicht nur in den Bay­reu­ther Fest­spiel­räu­men, son­dern auch im Re­stau­rant auf­ge­hal­ten ha­be, was bei der Par­tei­ge­nos­sen­schaft „ehr­li­che Ent­rüs­tun­g“ her­vor­ge­ru­fen ha­be. Ein Gast­spiel in der Schweiz im De­zem­ber 1944 wur­de aus Angst, der Sän­ger könn­te sich viel­leicht doch noch ab­set­zen, ver­wei­gert, ein an­de­res in Bu­da­pest hin­ge­gen ge­neh­migt – Pla­nungs­si­cher­heit hat­te Max Lo­renz bis zum Zu­sam­men­bruch des „Drit­ten Rei­ches“ nicht.

Das in kul­tu­rel­len Krei­sen stets of­fe­ne Ge­heim­nis der Le­bens­ver­hält­nis­se Lo­ren­zʼ führ­te da­zu, dass er nach Kriegs­en­de rasch sei­ne Kar­rie­re fort­set­zen konn­te. Be­reits 1945 gas­tier­te er wie­der an der Wie­ner Staats­oper, de­ren re­gu­lä­res Mit­glied er 1948 er­neut wur­de. En­de 1947 un­ter­zeich­ne­te er ei­nen neu­en Ver­trag mit der Me­tro­po­li­tan Ope­ra und war da­mit der ers­te deut­sche Büh­nen­künst­ler über­haupt, der nach dem Krieg ei­nen Ver­trag in den Ver­ei­nig­ten Staa­ten er­hielt. Auch in Pa­ris, Mai­land und Bue­nos Ai­res war er bald wie­der zu Gast. Bay­reuth al­ler­dings stand nicht mehr im Zen­trum sei­nes Wir­kens. Was of­fi­zi­ell als Re­sul­tat ei­nes po­li­ti­schen Neu­an­fangs wir­ken moch­te, konn­te eben­so mit al­ten Res­sen­ti­ments zu tun ha­ben – es gab dort wie­der Al­ter­na­ti­ven zu ei­nem Sän­ger mit du­bio­sen Nei­gun­gen und ei­ner jü­di­schen Ehe­frau. Den­noch stand Max Lo­renz hier zur Ver­fü­gung, wenn Be­set­zungs­eng­päs­se droh­ten. 1952 sang er dort noch­mals den „Sieg­frie­d“, und zwei Jah­re spä­ter er­setz­te er in letz­ter Mi­nu­te Ramón Vinay (1911–1996) als „Sieg­mun­d“. Doch war dort nicht mehr zu über­hö­ren, dass die jah­re­lan­ge Über­an­stren­gung bis Kriegs­en­de nun ih­ren Tri­but for­der­te. Wäh­rend Ken­ner im­mer noch von der in­ten­si­ven Dar­stel­lung über­wäl­tigt wur­den, fiel es un­be­darf­te­ren Opern­be­su­chern schwer, über Pro­ble­me bei Phra­sie­rung und In­to­na­ti­on hin­weg­zu­hö­ren. Auch Lo­renz selbst ver­ab­schie­de­te sich all­mäh­lich von sei­nen Lieb­lings­rol­len und wand­te sich an sei­nem neu­en Le­bens­mit­tel­punkt Ös­ter­reich zu­neh­mend dem Cha­rak­ter­fach zu. Vor al­lem in mu­si­ka­lisch schwie­ri­gen, nicht all­zu gro­ßen Par­ti­en konn­te er mu­si­ka­lisch und dar­stel­le­risch nach wie vor wert­vol­le Ar­beit leis­ten. Ne­ben der Wie­ner Staats­oper wur­den nun die Salz­bur­ger Fest­spie­le zum Mit­tel­punkt sei­nes Wir­kens. Dort sang er et­wa in Ur­auf­füh­run­gen wich­ti­ger Wer­ke wie 1953 „Der Pro­zes­s“ von Gott­fried von Ei­nem (1918–1996), 1954 „Pe­ne­lope“ von Rolf Lie­ber­mann (1910–1999), 1955 „Iri­sche Le­gen­de“ von Wer­ner Egk (1901–1983) und 1961 „Das Berg­werk zu Fa­lun“ von Ru­dolf Wag­ner-Ré­ge­ny (1903–1969). Bei ei­nem Gast­spiel in Dres­den sang Max Lo­renz 1960 als „Tris­tan“ ver­mut­lich sei­nen letz­ten Wag­ner-Hel­den, 1962 ver­ab­schie­de­te er sich be­schei­den und oh­ne gro­ße An­kün­di­gung als „He­ro­des“ in Ri­chard Straus­sʼ (1864–1949) „Sa­lo­me“ von der Wie­ner Staats­oper und von der Büh­ne über­haupt. Bis 1974 be­treu­te Max Lo­renz pri­vat in Mün­chen und am Salz­bur­ger Mo­zar­te­um noch zahl­rei­che Schü­ler wie et­wa Ja­mes King (1925–2005), Jess Tho­mas (1927–1993) oder Karl-Jo­sef He­ring (1929-1998). In der Öf­fent­lich­keit wur­de er je­doch seit dem Tod sei­ner Frau 1964 zu­neh­mend sel­ten ge­se­hen. Auch wenn er herz­lich und ge­sel­lig wirk­te, klag­te er ge­gen­über en­gen Freun­den über ei­ne zu­neh­men­de Ver­ein­sa­mung. 

Max Lo­renz starb am 11.1.1975 in Wien und fand sei­ne letz­te Ru­he ge­mein­sam mit sei­ner Frau in ei­nem Eh­ren­grab auf dem Wie­ner Zen­tral­fried­hof. Freun­de und Kol­le­gen ge­dach­ten sei­ner mit Zu­nei­gung und Re­spekt. Schon nach dem Tod Char­lot­te Lo­ren­zʼ hat­te ihm sein Schwa­ger aus Is­ra­el ge­schrie­ben: „[W]as Du in mensch­li­cher Be­zie­hung ge­tan hast, wird für mich im­mer ein Vor­bild sein.“ Ja­mes King er­in­ner­te sich an ihn als „Po­et un­ter den Hel­den­te­nö­ren“, und Diet­rich Fi­scher-Dies­kau (1925–2012) lob­te: „Er hat­te so et­was Ur­sprüng­li­ches. […] Er stellt nicht die Tö­ne vor sich hin, son­dern er ist die Tö­ne.“ So fand Max Lo­renz viel­leicht sei­ne grö­ß­ten Mo­men­te im ex­zes­si­ven Kampf ge­gen al­le Fein­de gleich­zei­tig: Die Wi­der­sa­cher auf der Büh­ne, die ei­ge­ne Stim­me und die Be­dro­hung durch die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten. 

Literatur

Fi­scher, Jens Mal­te, Gros­se Stim­men: von En­ri­co Ca­ru­so bis Jes­sye Nor­man, Stutt­gart 1993.
Lu­ther, Ein­hard, Hel­den an ge­weih­tem Ort. Bio­gra­phie ei­nes Stimm­fa­ches, Teil 2: Wag­ner­te­nö­re in Bay­reuth (1884−1914), Ber­lin 2002.
Prie­berg, Fred K., Hand­buch deut­sche Mu­si­ker 1933–1945. Ver­si­on 1.2 [elek­tro­ni­sche Re­sour­ce: CD-ROM], Au­près des Zom­bry 2005. 

Max Lorenz in der Rolle des 'Walther von Stolzing' in Wagners Oper 'Die Meistersinger von Nürnberg', Bayreuth, 1933. (Gemeinfrei)

 
Zitationshinweis

Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.

Lehl, Karsten, Max Lorenz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/max-lorenz/DE-2086/lido/5e8481bb7e2916.88985862 (abgerufen am 12.12.2024)