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Der Kardinal, Theologe, Philosoph, Jurist und Mathematiker Nikolaus von Kues, auch bekannt unter dem Namen Nikolaus Cusanus, gehört zu den einflussreichsten Denkern des 15. Jahrhunderts. An der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit stehend, prägte er wie kein anderer die Epoche und ermöglichte den denkerischen Überschritt zur Renaissance.
Im Jahr 1401 wurde Nikolaus Cryftz (Krebs) in Kues an der Mosel (heute Bernkastel-Kues) als Sohn des wohlhabenden Moselschiffers Johann Cryftz und dessen Frau Katharina, geborene Roemer geboren. Er wuchs in einer Zeit auf, in der sich mit den von Italien ausbreitenden Ideen der Renaissance der tiefgreifende Wandel vom Mittelalter zur Neuzeit bereits deutlich abzeichnete. Der junge Cusanus begann 1415 sein Studium der Artes liberales in Heidelberg, wechselte aber schon 1417 nach Padua, wo er 1423 als Doktor der Dekrete abschloss. 1425 ging er nach Köln und studierte bei Heymericus de Campo (1395-1460) Philosophie und Theologie. Hier kam er erstmals mit dem Versuch in Berührung, das aristotelische geprägte Denken der Scholastik mit dem wieder aufkommenden Neuplatonismus zu vereinen.
1427 kehrte er zurück in seine Heimatstadt und wurde Sekretär des Trierer Erzbischofs Otto von Ziegenhain.
1432 ging der Cusaner im Auftrag Ulrichs von Manderscheid nach Basel, um beim Konzil (1431-1449) dessen Interessen zu vertreten. Schon hier wie auch beim Konzil von Ferrara (1438-1442) wird deutlich, was sich immer mehr als der Telos seiner politischen und philosophischen Bemühungen herauskristallisieren sollte: der gelebte und gedachte Versuch der Einheit jenseits aller erfahrenen Gegensätze in Politik und Philosophie. Von diesen aktiven Bemühungen um concordantia (Übereinstimmung) nicht nur im spekulativ-philosophischen Bereich, sondern auch auf der politischer Ebene zeugen unter anderem seine Bemühungen, eine Spaltung zwischen Konzil und Papst zu verhindern – diese Gedanken schlugen sich nieder in seiner 1433 verfassten Schrift „De Concordantia Catholica" – beziehungsweise in dem Versuch eine Union mit der griechisch-orthodoxen Kirche zu erreichen.
Dem Wechsel des Cusaners von der Baseler Konzilspartei auf die Seite von Papst Eugen IV. (Pontifikat 1431-1447) folgte der Auftrag, die byzantinische Delegation nach Italien zu holen. Man kann annehmen, dass sowohl die Begegnung mit den die Delegation begleitenden Neuplatonikern Bessarion (1403-1472) und Plethon (circa 1355-1452), als auch die Überfahrt über das unendlich wirkende Meer Cusanus aufs Tiefste beeindruckten und ihn zu dem Kerngedanken seiner Philosophie inspirierten, „das Unbegreifliche unbegreiflicherweise in wissendem Nichtwissen erkennend (zu) umfassen."
Cusanus verband durch sein integrierendes Denken auf bis dahin so nicht versuchte dialektische Weise platonisches und aristotelisches Gedankengut, negative und positive Theologie und wurde damit im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Schwellendenker, der die heraufziehende Renaissance mit dem ausgehenden Mittelalter verknüpfte. Die tragenden Fundamente seines philosophischen Gesamtkonzeptes sind dabei zweifelsohne in der coincidentia oppositorum, dem Zusammenfall der Gegensätze, und dem an das sokratische Nichtwissen angelehnten Erkenntnisprinzip der docta ignorantia, der wissenden Unwissenheit, zu sehen.
Die Methoden spekulativer Mathematik und hypothetischer Deduktion nutzend, zeigte er sowohl die Vorgängigkeit der Identität vor der Differenz als auch, wie das Anwachsen entgegen gesetzter Eigenheiten bis an die Grenzen ihres Vermögens deren konstitutive Einheit erkennen lässt: Das Größte und das Kleinste, die ins Unendliche gedachten geometrischen Formen von Kreis und Gerade koinzidieren; nicht, weil sie im Unendlichen ihre Identität verlieren, sondern weil in der vollkommenen Verwirklichung aller Möglichkeiten das Trennende aufgehoben wird. Schon 500 Jahre vor Martin Heidegger (1889-1976) analysierte er damit die ontologische Differenz von Sein und Seiendem, die sich bei ihm in dem Verhältnis von Identität und Alterität, Endlichem und Unendlichem ausdrückt. Immer aber ist sein eigentliches Grundanliegen der Mensch und die Frage nach der Totalität von Sein und Denken. Indem er das Rationale im Intellektualen wurzeln lässt, lehrt er weder eine reine Selbstentmächtigung des Denkens wie in skeptizistischen oder relativistischen Ansätzen noch eine Überhöhung des Rationalen zum Absoluten hin, sondern vielmehr eine epistemologische Demut vor dem Horizont des Unendlichen. Erst in dieser Verbindung kann sich das rationale Denken durch die Teilhabe an der Vernunft bis zu deren Ursprung erheben ohne sich in der Hybris rhetorischer und rationaler Selbstermächtigung zu verlieren.
Die nachfolgenden Jahre standen im Zeichen seiner kirchenpolitischen Karriere: Zwischen 1436 und 1440 erhielt der Cusaner die Priesterweihe, 1448 wurde er zum Kardinal ernannt, 1450 zum Bischof von Brixen. In der Folgezeit bereiste er zwei Jahre als päpstlicher Legat das deutschsprachige Land und begann anschließend mit seinem Amtsantritt als Bischof in Brixen seine Reformarbeit, die zum Synonym für sein politisches Scheitern werden sollte: Andauernde Streitereien mit dem Herzog Sigmund von Tirol (1427-1496) hatten zur Folge, dass Cusanus sich 1458 zurückzog und zu seinem Freund Enea Silvio Piccolomini (1405-1464), dem späteren Papst Pius II. (Pontifikat 1458-1464), nach Rom begab. Vom selben Jahr datiert auch die Stiftungsurkunde seines Hospitals in Kues, das, nach dem Heiligen Nikolaus benannt, als „Armenhospital" 33 alten Männern (heute auch Frauen) Unterkunft und Betreuung bietet. Die Stiftung dotierte er im Einvernehmen mit seinen Geschwistern aus dem elterlichen Erbe.
Ein weiteres historisches Ereignis sollte auf das Denken des Cusaners ebenfalls nachhaltigen Einfluss haben: Die Eroberung Konstantinopels im Jahr 1453 durch die Osmanen und das damit verbundene Ende des byzantinischen Reiches war nicht nur eine realpolitische Bedrohung der abendländischen Christenheit und machte zudem die soeben errungene Einheit mit der orthodoxen Kirche zunichte, sondern zeigte einmal mehr, dass ein Weg gefunden werden musste, Pluralität nicht mehr nur als Bedrohung des noch geltenden mittelalterlichen Einheitsideals zu lesen, sondern in der Formel „Einheit in Verschiedenheit" noch einmal positiv zu umfangen.
Der Cusaner selbst verarbeitete sein Entsetzen über die im Namen des einen Gottes begangenen Grausamkeiten in seiner Schrift „De pace fidei" (1453). In ihr griff er den Gedanken auf, den er zuerst in seinem 1440 verfassten Hauptwerk „De docta ignorantia" entwickelte: das Zusammenführen differenter Konzepte zu einem größeren Ganzen, ohne deshalb die Differenziertheit aufzuheben, sondern sie vielmehr in ihrer Andersheit bestehen zu lassen. Auf den interreligiösen Konflikt übertragen bedeutete eine solche Deutung: „Una religio in rituum varietate" – eine Religion in den verschiedenen Riten – wohl der erste derart philosophisch fundierte Versuch religiöser Toleranz, nicht trotz, sondern gerade aufgrund der einen Wahrheit Gottes.
Bis zu seinem Tod weilte der Cusaner als Kurienkardinal und Generalvikar in Rom. Sein erneuter Versuch, 1460 nach Brixen zurückzukehren, scheiterte an Sigmund und endete mit der Vertreibung des Kardinals. Nikolaus von Kues verstarb 1464 und wurde in St. Peter in Ketten in Rom beigesetzt, während sein Herz in der Kapelle des von ihm gestifteten Hospitals in Kues ruht. Seine umfangreiche Handschriftenbibliothek – Frucht und Zeugnis seiner Gelehrsamkeit – überschrieb er nach seinem Tod dem Hospital. Noch heute zeugt sie von seinem unglaublichen Wissensdrang, der ihm den Ruf eines herausragenden Universalgelehrten seiner Epoche einbrachte.
Nach Nikolaus von Kues sind heute im Rheinland zahlreiche Plätze und Straßen benannt. Auch das Bischöfliche Gymnasium in Koblenz trägt seinen Namen.
Werke (Auswahl)
De Concordantia Catholica (1433).
De docta ignorantia (1440).
De pace fidei (1453).
Philosophisch-Theologische Schriften, 3 Bände, Wien 1964-1967.
Literatur
Flasch, Kurt, Nikolaus von Kues. Geschichte einer Entwicklung, Frankfurt a. M. 1998.
Gandillac, Maurice de, Nikolaus von Cues. Studien zu seiner Philosophie und philosophischen Weltanschauung, Düsseldorf 1953.
Haubst, Rudolf, Nikolaus von Kues - Pförtner der neuen Zeit, Kleine Schriften der Cusanus-Gesellschaft, Band 12, Trier 1988.
Jacobi, Klaus (Hg.), Nikolaus von Kues, Freiburg/München 1979.
Online
Deutsche Cusanus Gesellschaft (Website der Deutschen Cusanus Gesellschaft). [Online]
Institut für Cusanus-Forschung (Website des Instituts für Cusanus-Forschung der Universität Trier). [Online]
Schönberger, Rolf, "Nicolaus von Kues", in: Neue Deutsche Biographie 19 (1999), S. 262-265. [Online]
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Gottlöber, Susan, Nikolaus von Kues, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/nikolaus-von-kues/DE-2086/lido/57c95497666f66.20231829 (abgerufen am 05.10.2024)