Ottilie von Hansemann

Gastgeberin, Philanthropin, Mäzenin von Frauenbildung und Frauenstudium (1840-1919)

Petra Wilhelmy-Dollinger (München)

Ottilie von Hansemann, Abbildung eines Gemäldes von Reinhold Lepsius. (Gemeinfrei)

Die aus dem Rhein­land stam­men­de Ban­kiers­frau Ot­ti­lie von Han­se­mann führ­te in Ber­lin ein gro­ßes Haus, för­der­te die Frau­en­bil­dung, ins­be­son­de­re das aka­de­mi­sche Frau­en­stu­di­um, und er­mög­lich­te den Bau des ers­ten Stu­den­tin­nen­heims in Deutsch­land. 

 

Ot­ti­lie von Han­se­mann wur­de am 11.4.1840 als Ot­ti­lie von Kusse­row, Toch­ter des preu­ßi­schen Ma­jors im Ge­ne­ral­kom­man­do Ko­blenz und spä­te­ren Ge­ne­ral­leut­nants Fer­di­nand von Kusse­row (1792-1855) und sei­ner Ehe­frau Eve­li­ne (Wil­hel­mi­ne Eva) (1809-1886) in Ko­blenz ge­bo­ren. Die Mut­ter war ei­ne Toch­ter des Köl­ner Ban­kier­s Sa­lo­mon Op­pen­heim (1772-1828) und sei­ner Frau The­re­se ge­bo­re­ne Stein (1775-1842). Die Fa­mi­lie war evan­ge­lisch. Die jun­ge Ot­ti­lie er­hielt ei­ne gu­te Er­zie­hung, war sehr mu­si­ka­lisch und ver­brach­te ih­re Ju­gend vor­wie­gend im Rhein­land (Ko­blenz, Düs­sel­dorf, Köln) und in West­fa­len (Müns­ter). Ihr Va­ter war zu­letzt in Düs­sel­dorf sta­tio­niert. Nach sei­nem Tod 1855 zo­gen Mut­ter und Toch­ter nach Köln, wo sie im Um­feld der po­li­tisch, mä­ze­na­tisch und kul­tu­rell en­ga­gier­ten Op­pen­heim-Ver­wandt­schaft leb­ten.

Ge­schäfts­be­zie­hun­gen zwi­schen dem Bank­haus Sal. Op­pen­heim Jr. & Cie. und der von Da­vid Han­se­mann (1790-1864) ge­grün­de­ten Ber­li­ner Dis­con­to-Ge­sell­schaft dürf­ten häu­fi­ge Be­geg­nun­gen Ot­ti­lies mit des­sen Sohn und Mit­ei­gen­tü­mer Adolph Han­se­mann (1827-1903) ge­för­dert ha­ben. Die bei­den hei­ra­te­ten am 11.10.1860 in Köln und leb­ten zu­nächst bei den Schwie­ger­el­tern in der Tier­gar­ten­stra­ße 7 in Ber­lin. Spä­ter be­zog man ei­ne gro­ße, 1863/1864 er­bau­te Dop­pel­vil­la, Tier­gar­ten­stra­ße 30/31. Am 10.9.1861 kam der Sohn Fer­di­nand zur Welt (1861-1900), am 19.1.1867 die Toch­ter Da­vi­de Eve­li­ne (1867-1935).

Adolph Han­se­mann war ein Fi­nanz­ma­gnat mit vie­len Ver­diens­ten um die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung in Preu­ßen und Deutsch­land. 1872 wur­de er mit sei­ner Fa­mi­lie in den erb­li­chen preu­ßi­schen Adels­stand er­ho­ben. Mit gro­ßem Ge­schick setz­te Ot­ti­lie von Han­se­mann die schon von den Schwie­ger­el­tern Da­vid und Fan­ny Han­se­mann ge­bo­re­ne Fre­me­rey (1801-1876) be­grün­de­te kul­ti­vier­te, mu­si­ka­lisch an­spruchs­vol­le Ge­sel­lig­keit fort, in wel­cher rhei­ni­sche Le­bens­art und die Wer­ke Lud­wig van Beet­ho­vens (1770-1827) ge­pflegt wur­den.

Man hielt auch Kon­takt mit Freun­den und Ver­wand­ten im Rhein­land, von de­nen ei­ni­ge nach Ber­lin zo­gen, wie et­wa Adolph von Han­se­manns Bru­der Gus­tav von Han­se­mann (1829-1902), der zu­vor ei­ne Fa­brik in Eu­pen ge­lei­tet hat­te und nun als Au­tor öko­no­mi­scher und phy­si­ka­li­scher Schrif­ten her­vor­trat. Sein Sohn war der Ber­li­ner Krebs­for­scher und Pa­tho­lo­gie­pro­fes­sor Da­vid von Han­se­mann (1858-1920). Ei­ne Bon­ner Nich­te der Han­se­manns, Em­ma Marx (1853-1941), hei­ra­te­te den Ori­en­ta­lis­ten Edu­ard Sach­au (1845-1930), Pro­fes­sor an der Uni­ver­si­tät Ber­lin. Ot­ti­lie von Han­se­manns Bru­der, der Di­plo­mat Hein­rich von Kusse­row (1836-1900), ar­bei­te­te im Ko­lo­ni­al­mi­nis­te­ri­um, sei­ne Frau An­to­nie ge­bo­re­ne Sprin­ger (1846-1887) war ei­ne Pfle­ge­toch­ter und Nich­te des On­kels Abra­ham Frei­herr von Op­pen­heim (1804-1870) und sei­ner Frau Char­lot­te ge­bo­re­ne Bey­fus. Ot­ti­lie von Han­se­manns jün­ge­re Schwes­ter The­re­se (1845-1912) hei­ra­te­te in ers­ter Ehe den Ber­li­ner Gro­ß­kauf­mann und Kunst­mä­zen Louis Fried­rich Ja­cob Ra­vené jun. (1823-1879).[1] Das kul­ti­vier­te Han­se­mann­sche Haus war ein wich­ti­ger Treff­punkt der Ber­li­ner Ge­sell­schaft. Die Di­plo­ma­ten­frau und Sa­lon­niè­re Hil­de­gard Frei­frau von Spit­zem­berg (1843-1914) ver­merk­te in ih­rem Ta­ge­buch, dass sie bei Han­se­manns vie­le Fi­nanz­leu­te, na­tio­nal­li­be­ra­le Po­li­ti­ker und Ge­sandt­schafts­an­ge­hö­ri­ge traf, aber auch Me­di­zi­ner, Ju­ris­ten, Ma­ler und den Schrift­stel­ler Bert­hold Au­er­bach (1812-1882). Im Ja­nu­ar 1873 be­zeich­ne­te sie ein Di­ner bei Han­se­manns als ei­ne „Rie­sen­ge­sell­schaf­t“. Un­ge­ach­tet ih­rer Be­ga­bung als Gast­ge­be­rin führ­te Frau von Han­se­mann wohl we­ni­ger ei­nen Sa­lon als ein „gro­ßes Haus“. Ob­wohl man gern Sa­lon­niè­ren, Ge­lehr­te, Schrift­stel­ler und Künst­ler wie An­na (1834-1899) und Her­mann (1821-1894) von Helm­holtz, Adolf Stahr (1805-1876) und Fan­ny Le­wald-Stahr (1811-1889) so­wie Adal­bert Be­gas (1836-1888) und Lui­se Be­gas-Par­men­tier (1843-1920) ein­lud, stand die Pflicht­ge­sel­lig­keit mit Bäl­len, gro­ßen Abend­ge­sell­schaf­ten und Di­ners für Ge­schäfts­freun­de und Per­sön­lich­kei­ten aus Wirt­schaft und Po­li­tik im Vor­der­grund. Zum en­ge­ren Be­kann­ten­kreis zähl­ten Ot­to von Bis­marcks (1815-1898) Se­kre­tär Lo­thar Bu­cher (1817-1892) und der Post-Staats­se­kre­tär Hein­rich von Ste­phan (1831-1897).

Die Hansemannsche Doppelvilla, Tiergartenstr. 30–31, um 1890, nach einer Radierung von Bernhard Mannfeld. (Gemeinfrei/aus: Münch 1932, Tafel vor S. 369)

 

Das ko­lo­ni­al­po­li­ti­sche En­ga­ge­ment der Dis­con­to-Ge­sell­schaft schuf seit den 1880er Jah­ren auch Kon­tak­te zu Po­li­ti­kern aus Über­see. Im Som­mer und Herbst ge­nos­sen Han­se­manns das Land­le­ben auf ih­ren Gü­tern in der Pro­vinz Po­sen und auf Rü­gen, wo sie 1873-1877 bei Sass­nitz das Schloss Dwa­sie­den er­bau­en lie­ßen. Hier gab es mehr Zeit und Mu­ße für zwang­lo­se Ge­sel­lig­keit als in Ber­lin, doch fin­den sich im Gäs­te­buch auch vie­le Na­men pro­mi­nen­ter Po­li­ti­ker, Wirt­schafts­leu­te und Di­plo­ma­ten. Im Ju­li 1895 ka­men Kai­ser Wil­helm II. (reg. 1888-1918) und Kai­se­rin Au­gus­te Vik­to­ria (1858-1921) zu Han­se­manns nach Dwa­sie­den.

In Ber­lin ver­trat Ot­ti­lie von Han­se­mann ih­ren Mann nicht sel­ten al­lein sou­ve­rän bei Ein­la­dun­gen und wirk­te mit an der Schaf­fung neu­er Ge­sel­lig­keits­for­men für Frau­en. Als Ma­rie von Ley­den (1844-1932), die Ehe­frau des Me­di­zi­ners Ernst von Ley­den (1832-1910), 1898 in Ber­lin den „Deut­schen Frau­en­klub“ grün­de­te, wur­de Frau von Han­se­mann stell­ver­tre­ten­de Vor­sit­zen­de. 1903 ver­wit­wet, ver­stärk­te sie ihr frau­en­po­li­ti­sches En­ga­ge­ment und be­tä­tig­te sich 1904 als Vor­stands­mit­glied im Lo­kal­ko­mi­tee des In­ter­na­tio­na­len Frau­en­kon­gres­ses in Ber­lin. Sie war auch im Vor­stand des „Va­ter­län­di­schen Frau­en­ver­ein­s“, der als Or­ga­ni­sa­ti­on des Ro­ten Kreu­zes bei Na­tur­ka­ta­stro­phen und in Krie­gen schnel­le Hil­fe leis­te­te.

Be­son­ders ver­dienst­voll war Ot­ti­lie von Han­se­manns En­ga­ge­ment in der Frau­en­bil­dungs­be­we­gung. Sie stif­te­te dem Let­te-Ver­ein („zur För­de­rung der Er­werbs­fä­hig­keit des weib­li­chen Ge­schlechts“) ein Ka­pi­tal von 20.000 Mark, mit des­sen Zin­sen man Frei­stel­len an der Han­dels­schu­le des Ver­eins fi­nan­zier­te. Zu­dem en­ga­gier­te sie sich für das 1869 ge­grün­de­te Ber­li­ner Vic­to­ria-Ly­ze­um, wel­ches mit sei­nen Ver­an­stal­tun­gen ei­ne Art Er­satz bot für die den Frau­en noch ver­schlos­se­ne Gym­na­si­al- und Hoch­schul­bil­dung. In die Aus­ein­an­der­set­zun­gen in­ner­halb der bür­ger­li­chen Frau­en­be­we­gung ließ sich Ot­ti­lie von Han­se­mann nicht hin­ein­zie­hen und pfleg­te freund­li­che Kon­tak­te so­wohl mit He­le­ne Lan­ge (1848-1930), die an der Spit­ze der ge­mä­ßig­ten Rich­tung stand, als auch mit Min­na Cau­er (1841-1922) vom ra­di­ka­len Flü­gel. Sie nahm die nach auf­rei­ben­der Ar­beit als in­te­ri­mis­ti­sche Lei­te­rin des Vic­to­ria-Ly­ze­ums er­ho­lungs­be­dürf­ti­ge Min­na Cau­er 1882 mit nach St. Mo­ritz und lud sie auch nach Dwa­sie­den ein. Sie war über­zeugt, dass Frau­en zu Staats­bür­ge­rin­nen er­zo­gen wer­den soll­ten; spä­ter för­der­te sie zahl­rei­che Stu­den­tin­nen der Rechts­wis­sen­schaft durch fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung.

Das aka­de­mi­sche Frau­en­stu­di­um bil­de­te den Mit­tel­punkt ih­rer Be­stre­bun­gen im Al­ter. Sie hat­te der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät schon 1907 ei­ne Sti­pen­dien­stif­tung für Frau­en in Aus­sicht ge­stellt, die in Kraft tre­ten soll­te, so­bald Frau­en un­ter den glei­chen Be­din­gun­gen stu­die­ren konn­ten wie Män­ner. Da Ber­li­ner Pro­fes­so­ren je­doch auch nach der grund­sätz­li­chen Öff­nung der Uni­ver­si­tät für Frau­en (1908) das Recht be­hiel­ten, die­se von ih­ren Ver­an­stal­tun­gen aus­zu­schlie­ßen (§ 3 des Im­ma­tri­ku­la­ti­ons­er­las­ses), sah Ot­ti­lie von Han­se­mann ih­re For­de­rung nicht er­füllt. Bei den Ver­hand­lun­gen mit der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät 1908-1909 ließ sie sich nicht durch das Ar­gu­ment um­stim­men, dass nur we­ni­ge Pro­fes­so­ren das Aus­schluss­recht nutz­ten. Die be­reit­ge­stell­ten Mit­tel für die Sti­pen­di­en (200.000 Mark) zog sie 1913 end­gül­tig zu­rück. Die­ses Geld floss nun in den Bau des ers­ten deut­schen Stu­den­tin­nen­heims. An­ge­sichts der preu­ßi­schen Re­for­men in der Mäd­chen- und Frau­en­bil­dung ließ das Vic­to­ria-Ly­ze­um 1911 sein al­tes Kurs­pro­gramm aus­lau­fen. Der Vor­stand plan­te jetzt die Grün­dung ei­nes „Vic­to­ria-Stu­di­en­hau­ses“ als mo­der­nes Bil­dungs­zen­trum mit ei­nem Stu­den­tin­nen­heim, das man­che An­re­gun­gen eng­li­scher und schot­ti­scher Frau­en-Col­le­ges für deut­sche Ver­hält­nis­se mo­di­fi­zier­te. 

Ot­ti­lie von Han­se­mann fand in der Gym­na­si­al­leh­re­rin Ot­ti­lie Fleer aus Göt­tin­gen ei­ne höchst ge­eig­ne­te Di­rek­to­rin, setz­te 1911 ih­re Be­ru­fung durch und schuf mit ih­rer „un­er­müd­li­chen Für­sor­ge, ih­rer geis­ti­gen Tat­kraft und ih­ren rei­chen Spen­den“[2] die Vor­aus­set­zun­gen für den epo­che­ma­chen­den Neu­bau des Vic­to­ria-Stu­di­en­hau­ses in Ber­lin-Char­lot­ten­burg, Ber­li­ner Stra­ße 37/38 (heu­te Ot­to-Suhr-Al­lee). Bei der Grund­stein­le­gung am 28.4.1914 gab sie dem Pro­jekt das Schil­ler-Zi­tat mit auf den Weg: „Im en­gen Kreis ver­en­gert sich der Sinn, / Es wächst der Mensch mit sei­nen grö­ßern Zwe­cken.“ Die Ur­kun­de be­ton­te die „Er­kennt­nis der Not­wen­dig­keit, für die an den Ber­li­ner Hoch­schu­len stu­die­ren­den Frau­en ei­ne Stät­te zu schaf­fen, in der sie un­ter den Be­din­gun­gen häus­li­chen Zu­sam­men­le­bens den Schutz, die Ru­he und die sons­ti­gen Vor­aus­set­zun­gen er­füllt fin­den, die ei­ne mög­lichst voll­kom­me­ne Er­rei­chung des Stu­di­en­zwecks ge­währ­leis­ten.“[3] Ein Pho­to von der Grund­stein­le­gung zeigt Frau von Han­se­mann ne­ben der Di­rek­to­rin Ot­ti­lie Fleer und Emi­lie Win­kel­mann (1875-1951), die als ers­te selb­stän­di­ge Ar­chi­tek­tin Deutsch­lands tä­tig war und den Neu­bau ent­wor­fen hat­te. Kai­se­rin Au­gus­te Vik­to­ria über­nahm die Schirm­herr­schaft über das Haus.

Als der Aus­bruch des Ers­ten Welt­kriegs im Au­gust 1914 die Fort­set­zung der Bau­ar­bei­ten in Fra­ge stell­te, mach­te sich Ot­ti­lie von Han­se­mann mit vol­lem Ein­satz dar­an, die Schwie­rig­kei­ten aus dem Weg zu räu­men. Das Stu­den­tin­nen­heim des Vic­to­ria-Stu­di­en­hau­ses, wel­ches zur Er­in­ne­rung an die Stif­te­rin den Na­men „Haus Ot­ti­lie von Han­se­man­n“ er­hielt, wur­de im Ok­to­ber 1915 mit ei­ner schlich­ten Fei­er er­öff­net. Von au­ßen zeig­te sich das Ge­bäu­de neo­klas­si­zis­tisch mit ei­ner Säu­len­vor­hal­le, im In­nern war es hell und be­hag­lich, mit 96 Zim­mern für Stu­den­tin­nen, Ge­mein­schafts-, Spei­se- und Wirt­schafts­räu­men, Bi­blio­thek, Mu­sik­zim­mer, Pho­to­la­bor, Sport­platz und der Dienst­woh­nung der Di­rek­to­rin. In ei­nem Sei­ten­flü­gel be­fan­den sich ein gro­ßer Hör­saal und Klas­sen­zim­mer für Vor­trä­ge und Kur­se des „Vic­to­ria-Stu­di­en­hau­ses“, die bald teil­wei­se in Ko­ope­ra­ti­on mit der Uni­ver­si­tät or­ga­ni­siert wa­ren. Im Ju­ni 1918 emp­fin­gen die Stu­den­tin­nen Ot­ti­lie von Han­se­mann zu ei­nem fest­lich ge­stal­te­ten Be­such, und die­se blieb stets ei­ne wich­ti­ge Be­ra­te­rin des Hau­ses. Mit ih­rem Ein­ver­ständ­nis wur­de im Herbst 1919 be­schlos­sen, dass auch Stu­den­tin­nen der Mu­sik­hoch­schu­le, der Kunst­ge­wer­be- und Bi­blio­theks­schu­len ein­zie­hen durf­ten. Es ent­stand ein leb­haf­ter Kon­takt zwi­schen Stu­den­tin­nen ver­schie­de­ner Fä­cher und Fa­kul­tä­ten. Das Haus be­her­berg­te al­lein im ers­ten Jahr­zehnt sei­nes Be­ste­hens über 1.000 Stu­den­tin­nen aus al­len Tei­len Deutsch­lands so­wie aus dem Aus­land. 

Der Ers­te Welt­krieg brach­te auch für Ot­ti­lie von Han­se­mann schwe­res Leid. Ihr ein­zi­ger männ­li­cher En­kel, Al­brecht von Han­se­mann (1887-1917), wur­de 1917 schwer ver­wun­det und starb im La­za­rett. Doch er­leb­te sie noch das Kriegs­en­de, die Re­vo­lu­ti­on und die Ein­füh­rung des Frau­en­wahl­rechts in der Wei­ma­rer Re­pu­blik. Sie starb am 12.12.1919 in Ber­lin. Ih­re Ur­ne wur­de im Han­se­mann­schen Mau­so­le­um auf dem Al­ten Fried­hof der Mat­thäi-Kir­chen­ge­mein­de bei­ge­setzt. Tes­ta­men­ta­risch stif­te­te Frau von Han­se­mann noch ein­mal er­heb­li­che Mit­tel für die Aus­ge­stal­tung des Vic­to­ria-Stu­di­en­hau­ses. Für den 21.3.1920 wur­de ei­ne gro­ße Ge­dächt­nis­fei­er vor­be­rei­tet, die trotz Kapp-Putsch und Ge­ne­ral­streik un­ter leb­haf­ter Be­tei­li­gung statt­fand. 

Das Ku­ra­to­ri­um des Vic­to­ria-Stu­di­en­hau­ses lei­te­te vie­le Jah­re der Ju­rist Dr. Adolph Mai­er (1871-1963), 1919-1933 Ober­prä­si­dent der Pro­vinz Bran­den­burg, wel­cher Frau von Han­se­mann schon als Bür­ger­meis­ter von Char­lot­ten­burg (1910-1919) hilf­reich un­ter­stützt hat­te. Als die Di­rek­to­rin Ot­ti­lie Fleer 1934 in den Ru­he­stand trat, ge­dach­te er in sei­ner Ab­schieds­re­de auch der ver­stor­be­nen Stif­te­rin. Zum 100. Ge­burts­tag Ot­ti­lie von Han­se­manns hielt Agnes von Zahn-Har­nack (1884-1950) im Früh­jahr 1940 ei­nen Vor­trag „Ein Über­blick über die Ent­wick­lung der Frau­en­be­we­gung 1840 bis 1940“. Im glei­chen Jahr fei­er­te das Haus Ot­ti­lie von Han­se­mann sein 25-jäh­ri­ges Be­ste­hen. Spä­ter muss­te das Haus kriegs­be­dingt schlie­ßen und dien­te als Not­la­za­rett, dann als Kran­ken­haus und Al­ters­heim. Von 1956-1972 war es wie­der Stu­den­tin­nen­heim, bis man es auf­grund des gro­ßen Re­no­vie­rungs­be­darfs an das Land Ber­lin ver­kauf­te. Das Ge­bäu­de steht heu­te un­ter Denk­mal­schutz. Aus dem Ver­kaufs­er­lös und aus Zu­schüs­sen ent­stand in der Fraun­ho­fer­stra­ße ein neu­es, 1977 er­öff­ne­tes Ot­ti­lie-von-Han­se­mann-Haus für Stu­den­tin­nen mit Kin­dern und Stu­den­ten­fa­mi­li­en. 

Quellen

Han­se­mann, Ot­ti­lie von, Schrei­ben an den Rek­tor der Ber­li­ner Uni­ver­si­tät vom 2.12.1908 über die Frei­ga­be ei­nes Stif­tungs­ver­mö­gens von 200.000 Mark nach Strei­chung von Punkt 3 des Er­las­ses zur Im­ma­tri­ku­la­ti­on von Frau­en, Er­neue­rung die­ses An­ge­bots (19.7.1909) und ab­leh­nen­de mi­nis­te­ri­el­le Stel­lung­nah­me (16.8.1909), ab­ge­druckt in: Stör­grö­ße „F“. Frau­en­stu­di­um und Wis­sen­schaft­le­rin­nen­kar­rie­ren an der Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät Ber­lin, 1892 bis 1945. Ei­ne kom­men­tier­te Ak­te­ne­di­ti­on, Ber­lin 2010, Nr. 25-27, S. 87-90; Nr. 102, S. 216 Ak­ten­no­tiz von Rek­tor Kahl über die münd­li­che Er­klä­rung Frau von Han­se­manns zur ge­plan­ten Stif­tung (19.11.1908).
Sta­tut der von Han­se­mann-Stif­tung [Sti­pen­di­en für die Han­dels­schu­le des Let­te-Ver­eins], in: Let­te-Ver­ein Ber­lin: Pro­gramm des Let­te-Ver­eins zur För­de­rung der Bil­dung und Er­werbs­fä­hig­keit von Frau­en und Mäd­chen, ge­grün­det 1866, [Ber­lin] 1919, S. 39. – Die Stif­tung ist spä­tes­tens für das Jahr 1910 nach­weis­bar.

Literatur

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Brandt, Ste­phan, Die Char­lot­ten­bur­ger Alt­stadt, Er­furt 2011. 
Burchardt, An­ja, Blau­s­trumpf – Mo­de­stu­den­tin – An­ar­chis­tin? Deut­sche und rus­si­sche Me­di­zin­stu­den­tin­nen in Ber­lin 1896-1918, Stutt­gart 1997. 
Fleer, Ot­ti­lie, Das Wer­den des ers­ten Stu­den­tin­nen­heims in Deutsch­land, in: Nach­rich­ten­blatt Haus Ot­ti­lie von Han­se­mann/Vic­to­ria-Stu­di­en­haus, Nr. 26 (1940), S. 1-11.
Fried­heim, Hans, Ge­schich­te und Or­ga­ni­sa­ti­on [des Va­ter­län­di­schen Frau­en-Ver­eins], in: Prof. Dr. Kimm­le (Hg.), Das Deut­sche Ro­te Kreuz: Ent­ste­hung, Ent­wick­lung und Leis­tun­gen der Ver­eins­or­ga­ni­sa­ti­on [...], Band 2: Frau­en-Hilfs- und Pfle­ge-Ver­ei­ne un­ter dem Ro­ten Kreuz, Ber­lin 1910, S. 199-368, hier S. 351-352. 
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Spit­zem­berg, Hil­de­gard Frei­frau von, Das Ta­ge­buch der Ba­ro­nin Spit­zem­berg geb. Frei­in v. Varn­bü­ler. Auf­zeich­nun­gen aus der Hof­ge­sell­schaft des Ho­hen­zol­lern­rei­ches. Aus­ge­wählt u. hg. v. Ru­dolf Vier­haus, 4. Auf­la­ge, Göt­tin­gen 1976. 
Stra­ti­ga­kos, De­s­pi­na, A Wo­men’s Ber­lin. Buil­ding the Mo­dern Ci­ty, Min­nea­po­lis/Lon­don 2008.
Wil­hel­my, Pe­tra, Der Ber­li­ner Sa­lon im 19. Jahr­hun­dert (1780-1914), Ber­lin/New York 1989.

Außenansicht des Schlosses Dwasieden kurz nach der Fertigstellung im Jahr 1877. (Foto: Ralf Lindemann)

 
Zitationshinweis

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Wilhelmy-Dollinger, Petra, Ottilie von Hansemann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ottilie-von-hansemann/DE-2086/lido/603f6e32604379.20962497 (abgerufen am 19.03.2024)