Otto Freundlich

Maler und Bildhauer (1878–1943)

Michael Reucher (Düsseldorf)

Otto Freundlich vor dem Kölnischen Kunstverein, 1931. (Hannes Flach-Archiv)

Ot­to Freund­lich war zu Be­ginn des 20. Jahr­hun­derts als Ma­ler, Bild­hau­er, Gra­fi­ker, Glas­ma­ler und Kunst­theo­re­ti­ker ei­ner der wich­tigs­ten Ver­tre­ter der mo­der­nen Kunst. Die kom­ple­xen Ver­net­zun­gen in die in­ter­na­tio­na­len Kunst­me­tro­po­len sei­ner Zeit ha­ben zu Ein­flüs­sen von Künst­lern und Künst­le­rin­nen wie Was­si­ly Kandins­ky (1866- 1944), Hen­ri Ma­tis­se (1869-1954), So­phie Ta­eu­ber-Arp (1889–1943), Hans Arp (1886–1966), Lyo­nel Fei­nin­ger (1871-1956), Os­kar Schlem­mer (1888-1843), Son­ja (1885–1979) und Ro­bert (1885–1941) De­lau­nay in sei­nem künst­le­ri­schen Werk ge­führt. Ei­ne in­ten­si­ve Aus­ein­an­der­set­zung mit Kunst­theo­ri­en und der Glas­ma­le­rei ha­ben ihn zu ei­nem be­deu­ten­den Weg­be­rei­ter der abs­trak­ten Kunst ge­macht.

Ot­to Freund­lich wur­de am 10.7.1878 im pom­mer­schen Stolp (heu­te Po­len) als Sohn des Spe­di­ti­ons­un­ter­neh­mers Emil Freund­lich (1841–1921) und sei­ner Ehe­frau Ber­tha ge­bo­re­ne Le­vy (1843–1879) in ei­ne jü­disch-as­si­mi­lier­te Fa­mi­lie hin­ein­ge­bo­ren. Als ei­nes von sechs Kin­dern er­fuhr er sei­ne frü­hen Prä­gun­gen durch die stren­ge, pro­tes­tan­ti­sche Er­zie­hung sei­ner Stief­mut­ter, die ei­nem Pfar­rers­haus­halt ent­stamm­te.

 

Nach Ab­bruch des Gym­na­si­ums in Stolp mach­te Ot­to Freund­lich auf Wunsch des Va­ters zu­nächst zu­sam­men mit sei­nem ein Jahr jün­ge­ren Bru­der Wal­de­mar in ei­ner Ham­bur­ger Holz­hand­lung ei­ne kauf­män­ni­sche Aus­bil­dung. Nach kur­zer Zeit brach er die Aus­bil­dung ab und hol­te das Ab­itur in Büt­zow/Pom­mern nach. In den Jah­ren 1902–1904 stu­dier­te er in Mün­chen und Ber­lin ver­schie­de­ne Fä­cher, auf An­ra­ten des Va­ters zu­nächst für kur­ze Zeit Zahn­me­di­zin, da­nach Li­te­ra­tur, Phi­lo­so­phie und drei Se­mes­ter Kunst­ge­schich­te, un­ter an­de­rem bei Hein­rich Wölf­f­lin (1864–1945). Das Stu­di­um gab er 1904 wie­der auf und un­ter­nahm ei­ne Ita­li­en-Rei­se. Nach die­sen Jah­ren der Su­che und Selbst­fin­dung ent­schied sich Ot­to Freund­lich 1905 - mit 27 Jah­ren re­la­tiv spät - Künst­ler zu wer­den. Er wech­sel­te sei­ne Auf­ent­halts­or­te und Wir­kungs­stät­ten im Span­nungs­feld der gro­ßen Kunst­me­tro­po­len der Zeit zwi­schen Ber­lin, Pa­ris, Mün­chen un­d Köln. Da­bei ent­stand ein kom­ple­xes Netz­werk von Kon­tak­ten und Freund­schaf­ten, die für sei­ne künst­le­ri­sche Ar­beit von aus­schlag­ge­ben­der Be­deu­tung wa­ren.

Ot­to Freund­lich wohn­te ab 1903 in Ber­lin, wo er den Schrift­stel­ler Her­warth Wal­den (1878–1941) und des­sen Ehe­frau, die Schrift­stel­le­rin El­se Las­ker-Schü­ler (1869-1945) ken­nen­lern­te. Wal­den be­trieb die Sturm-Ga­le­rie und war Ver­le­ger der ex­pres­sio­nis­ti­schen Kunst­zeit­schrift „Der Stur­m“. Von die­ser Platt­form aus pfleg­te Ot­to Freund­lich Kon­tak­te zu ei­ner Rei­he von teil­wei­se kon­kur­rie­ren­den Künst­ler­ver­bin­dun­gen, wie der No­vem­ber­grup­pe, der Dresd­ner Se­zes­si­on, dem Ar­beits­rat für Kunst und zur Grup­pe „Das Jun­ge Rhein­lan­d“. Die sich im Sturm-Kreis mit Ot­to Freund­lich be­we­gen­den Künst­ler und Künst­le­rin­nen ge­hör­ten ganz un­ter­schied­li­chen Welt­an­schau­un­gen an.

Im Jahr 1908 be­zog Freund­lich ein Ate­lier auf dem Pa­ri­ser Mont­mart­re im le­gen­dä­ren Künst­ler­haus Ba­teau-La­voir di­rekt ne­ben dem Ate­lier von Pa­blo Pi­cas­so (1881-1973), zu dem sich ei­ne le­bens­lan­ge Freund­schaft ent­wi­ckel­te. In die­sem künst­le­risch auf­ge­la­de­nen Um­feld tausch­te er sich mit Künst­lern wie Ge­or­ges Braques (1882–1963), Juan Gris (1887–1927), An­dré De­rain (1880–1954) und Guil­lau­me Apol­li­n­ai­re (1880–1918) aus. Ge­gen­sätz­li­che Kunst­auf­fas­sun­gen er­schie­nen Ot­to Freund­lich je­doch trotz vie­ler Künst­ler­freund­schaf­ten teil­wei­se un­über­wind­bar, wo­durch er ei­ne be­wuss­te Au­ßen­sei­ter­po­si­ti­on ein­nahm.

Bei der Er­öff­nung der IV. Aus­stel­lung der „Neu­en Se­ces­si­on“ 1911 in Ber­lin, an der Ot­to Freund­lich be­tei­ligt war, be­geg­ne­te er Karl Schmidt-Rott­luff (1884-1976), der Mit­glied der Künst­ler­grup­pe „Die Brü­cke“ (1905–1913) war. Zwi­schen den Künst­lern ent­wi­ckel­te sich ei­ne Freund­schaft, die auch in ih­ren Wer­ken Aus­druck fand. Schmidt-Rott­luff mach­te ihn mit dem Leh­rer an der Ham­bur­ger Kunst­ge­wer­be­schu­le, dem Kunst­kri­ti­ker und Mit­or­ga­ni­sa­tor der Köl­ner Son­der­bund-Aus­stel­lung, Wil­helm Nie­mey­er (1874-1960), be­kannt, ei­nem frü­hen För­de­rer und Samm­ler sei­ner Kunst. Aus die­sem Um­feld ent­stand auch der Kon­takt zu dem rhei­ni­schen Ex­pres­sio­nis­ten Hein­rich Cam­pen­donk (1889–1957).

In der für die Rhei­ni­sche Kunst der Mo­der­ne so be­deut­sa­men Aus­stel­lung „In­ter­na­tio­na­le Kunst-Aus­stel­lung des Son­der­bun­des West­deut­scher Kunst­freun­de und Künst­ler zu Cöln 1912“, kurz Son­der­bund-Aus­stel­lung, war Ot­to Freund­lich mit drei Plas­ti­ken und dem Ge­mäl­de „Der Kran­ke“ von 1912 ver­tre­ten. Das Ge­mäl­de hing zu­sam­men in ei­nem Saal mit den Ar­bei­ten von Emil Nol­de (1867-1956) und Ver­tre­tern der Künst­ler­grup­pe „Der Blaue Rei­ter“ (1911–1914). Freund­lichs Ge­mäl­de ist heu­te ver­schol­len, es exis­tiert da­von le­dig­lich ei­ne Schwarz-Weiss-Fo­to­gra­fie. Die­se be­deu­ten­de Aus­stel­lung ver­schaff­te Ot­to Freund­lich Ver­bin­dun­gen zu Mä­ze­nen, Samm­lern, Mu­se­ums­leu­ten und Kunst­kri­ti­kern im Rhein­land, die ihn und sei­ne Kunst för­der­ten. Köln wur­de da­mit ne­ben Pa­ris, Ber­lin und Mün­chen zu ei­nem sei­ner wich­ti­gen Stand­or­te, der ihn über­dies fest mit dem Rhein­land ver­band.

'Die Geburt des Menschen', Mosaik von Otto Freundlich im Opernhaus Köln aus dem Jahr 1919, 2017, Foto: Raimond Spekking. (Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0 (via Wikimedia Commons))

 

1914 be­zog Freund­lich für ei­nen fünf­mo­na­ti­gen Auf­ent­halt ein Ate­lier im Nord­turm der Ka­the­dra­le von Char­tres. Das Stu­di­um der mit­tel­al­ter­li­chen Glas­fens­ter wur­de für ihn zum Schlüs­sel­er­leb­nis und Fun­da­ment sei­nes wei­te­ren künst­le­ri­schen Schaf­fens. Aber auch die Ur­sprün­ge sei­ner Po­si­tio­nie­rung als po­li­ti­scher Künst­ler sind in Char­tres zu fin­den. Die Be­schäf­ti­gung mit den go­ti­schen Glas­fens­tern führ­te ihn zum Denk­bild der mit­tel­al­ter­li­chen Zünf­te, die für ihn ei­ne kol­lek­ti­ve Ge­mein­schaft dar­stell­ten. Das Mit­tel­al­ter mit sei­ner kos­mi­schen Sicht auf die Welt dien­te Ot­to Freund­lich als Pro­jek­ti­ons­flä­che, auf der er sei­ne Theo­rie des „Kos­mi­schen Kom­mu­nis­mus“ ent­wi­ckel­te. Da­mit voll­zog er die Ab­kehr vom räum­li­chen Den­ken in der Kunst und führ­te ei­ne Ent­gren­zung ein, die ei­ne Öff­nung ei­ner neu­en, ei­ner vier­ten Di­men­si­on er­mög­lich­te.

Nach­dem er sich 1914 als Kriegs­frei­wil­li­ger ge­mel­det hat­te und 1915 we­gen ei­nes Ge­hör­lei­dens aus dem Kriegs­dienst wie­der ent­las­sen wor­den war, kehr­te Ot­to Freund­lich zu­rück ins rhei­ni­sche Köln, um an die Kon­tak­te aus der Zeit der Son­der­bund-Aus­stel­lung an­zu­knüp­fen. Im Köl­ner Um­feld schloss er sich der An­ti­kriegs­be­we­gung an, ver­öf­fent­lich­te Ar­ti­kel in Re­né Schi­cke­les (1883–1940) „Weis­sen Blät­tern“ (1913–1920) und in Franz Pfem­ferts (1879–1954) Zeit­schrift „Die Ak­ti­on“ (1917-1922), ei­nem pa­zi­fis­ti­schen Zen­tral­or­gan für die Kunst des Ex­pres­sio­nis­mus. Un­ter den Au­to­ren der Zeit­schrift be­fan­den sich spä­te­re „Da­da­is­ten“ so­wie „Köl­ner Pro­gres­si­ve“. In die­sem Kreis eta­blier­te sich Ot­to Freund­lich als Ver­tre­ter ei­ner geis­tig er­neu­er­ten Kunst.

Nach dem En­de des Ers­ten Welt­kriegs for­mier­ten sich im Rhein­land wie in an­de­ren Re­gio­nen Deutsch­lands ei­ne Viel­zahl von Künst­lern und Künst­le­rin­nen in Ge­mein­schaf­ten mit dem Ziel, ei­ne neue, de­mo­kra­ti­sche Ge­sell­schaft auf der Ba­sis teils ra­di­ka­ler Ge­sell­schaftsu­to­pi­en zu ent­wi­ckeln. Ot­to Freund­lich be­tei­lig­te sich dar­an seit De­zem­ber 1918 über die neu ge­grün­de­te „No­vem­ber­grup­pe“, den „Deut­schen Werk­bun­d“ und den „Ar­beits­rat für Kunst“, in dem er sich un­ter an­de­rem mit Adolf Beh­ne (1885–1948), Wal­ter Gro­pi­us (1883–1969), Karl Schmidt-Rott­luff und Max Pech­stein (1881–1955) über das Ver­hält­nis von Kunst und Ge­sell­schaft im Sin­ne ei­ner grund­le­gen­den ge­sell­schaft­li­chen Er­neue­rung aus­tausch­te. Im De­zem­ber 1919 trat er aus al­len drei Or­ga­ni­sa­tio­nen aus, da sie ihm zu bü­ro­kra­tisch und zu stark den al­ten Struk­tu­ren ver­haf­tet wa­ren.

Sei­ne en­ge Ver­flech­tung mit der rhei­ni­schen Kunst­sze­ne konn­te Ot­to Freund­lich durch sei­ne Freund­schaft zu dem Ver­le­ger und Ga­le­ris­ten Karl Nie­ren­dorf (1889–1947) und zu sei­nem Mä­zen, dem Köl­ner Ta­bak­wa­ren­händ­ler Jo­sef Fein­hals (1867–1947) in­ten­si­vie­ren. Jo­sef Fein­hals, der ihm 1915 zwei Jah­re am Frie­sen­platz in Köln ein Ate­lier fi­nan­ziert hat­te, er­teil­te ihm den Auf­trag für das mo­nu­men­ta­le Mo­sa­ik „Die Ge­burt des Men­schen“ (1919), das Ot­to Freund­lich selbst als ein Schlüs­sel­werk be­zeich­ne­te und das sich heu­te in den Räum­lich­kei­ten der Köl­ner Oper be­fin­det. In die­sem Werk ent­wi­ckel­te Ot­to Freund­lich sei­ne kos­mi­schen Uto­pi­en für die Schaf­fung ei­ner neu­en, ent­in­di­vi­dua­li­sier­ten Welt und ei­nen Kos­mos, der be­ste­hen­de Gren­zen im Sin­ne der in die­ser Zeit auf­kom­men­den Ent­gren­zungsu­to­pi­en über­wand.

'Komposition', Öl auf Leinwand von Otto Freundlich, Original im Musée d'Art Moderne de la Ville de Paris, 1911. (Sailko / CC BY 3.0)

 

Au­ßer­dem ge­hör­te Ot­to Freund­lich dem Kreis der Künst­ler­ge­mein­schaft der „Köl­ner Pro­gres­si­ven“ (1919–1933) um die Künst­ler Franz Wil­helm Sei­wert (1894–1933), Hein­rich Ho­er­le (1895–1936), Gerd Arntz (1900-1988) und Au­gust San­der (1876-1964) an. Die Künst­ler und Künst­le­rin­nen die­ser Grup­pie­rung ver­stan­den sich in ers­ter Li­nie als po­li­ti­sche Künst­ler, die sich in ih­rer Kunst mit dem Ver­hält­nis von Mensch und Ge­sell­schaft aus­ein­an­der­setz­ten. Das zen­tra­le Bild­the­ma war da­bei die Stel­lung des Ar­bei­ters in der Ge­sell­schaft und die Po­si­tio­nie­rung zum Klas­sen­kampf.

Ot­to Dix (1891-1969), der 1922 von Dres­den nach Düs­sel­dorf zog und ei­ner der füh­ren­den Köp­fe in der dor­ti­gen Künst­ler­grup­pe „Das Jun­ge Rhein­lan­d“ wur­de, por­trä­tier­te 1923 Ot­to Freund­lich in ei­ner Li­tho­gra­phie, die bei Karl Nie­ren­dorf im Eu­pho­ri­on-Ver­lag er­schien. Zum „Jun­gen Rhein­lan­d“ pfleg­te Ot­to Freund­lich en­ge Ver­bin­dun­gen, wie sich un­ter an­de­rem in sei­ner Teil­nah­me am „In­ter­na­tio­na­len Kon­greß fort­schritt­li­cher Künst­ler“ 1922 in Düs­sel­dorf mit Gert Woll­heim (1894–1974), Franz Wil­helm Sei­wert und Sta­nislaw Ku­bi­cki (1889–1943) zeig­te. Der Kon­gress war ein zen­tra­les Er­eig­nis in der Ge­schich­te des „Jun­gen Rhein­lan­d“, weil der Kon­flikt, in wel­chem Ver­hält­nis sich die Künst­ler und Künst­le­rin­nen zu Öf­fent­lich­keit und Ge­sell­schaft po­si­tio­nie­ren woll­ten, aus­ge­tra­gen wur­de und un­ter an­de­rem zum Bruch in der Ver­bin­dung führ­te. Ot­to Freund­lich war Teil die­ses Kon­flik­tes; so üb­te er in der Ple­nar­de­bat­te schar­fe Kri­tik am Kunst­han­del und den eta­blier­ten Künst­ler­grup­pen. Freund­lich ver­ließ mit sei­ner De­le­ga­ti­on das Ple­num, da sie sich mit ih­ren in­ter­na­tio­na­lis­ti­schen Vor­stel­lun­gen nicht durch­set­zen konn­ten.

Seit der Mit­te der 1920er Jah­re leb­te Freund­lich fast stän­dig in Pa­ris, seit 1930 zu­sam­men mit sei­ner Le­bens­ge­fähr­tin Jean­ne Kos­nick-Kloss (1892–1966).

Die ein­zi­ge Ein­zel­aus­stel­lung, die Ot­to Freund­lich zu Leb­zei­ten ge­wid­met war, rich­te­te 1931 der Ga­le­rist An­dre­as Be­cker (1894-1972) in der Ga­le­rie Dr. Be­cker & New­man am Wall­raf­platz in Köln aus.

Das uto­pi­sche Po­ten­ti­al in der Kunst Ot­to Freund­lichs wur­de in sei­nem 1936 ent­wi­ckel­ten mo­nu­men­ta­len Pro­jekt der zwei Skulp­tu­ren­stra­ßen deut­lich, die sich durch Eu­ro­pa von Nord nach Süd und von West nach Ost er­stre­cken soll­ten. Die po­li­ti­schen Ver­hält­nis­se stan­den der Rea­li­sie­rung ei­nes sol­chen quer durch Eu­ro­pa rei­chen­den Pro­jek­tes in den 1930er Jah­ren je­doch ent­ge­gen. Die Vi­si­on von ei­nem Eu­ro­pa, das Men­schen über na­tio­na­le Gren­zen hin­weg ver­bin­det, hat Ot­to Freund­lich mit die­sem Pro­jekt vor­ge­dacht.

In der Samm­lung des Mu­se­ums Lud­wig in Köln be­fin­det sich die in Gips ge­fer­tig­te, gelb ge­fass­te Plas­tik „Frau­en­büs­te“ aus dem Jahr 1910. In die­ser Ar­beit be­ton­te Ot­to Freund­lich das Mas­ken­haf­te des mensch­li­chen Ge­sichts, in dem er in­di­vi­du­el­le Zü­ge und Mi­mik we­g­ließ. Die gelb ge­fass­te Büs­te ver­ur­sacht beim Be­trach­ter durch die Ent­in­di­vi­dua­li­sie­rung den Ein­druck der Ent­frem­dung, die kei­ne be­stimm­te Per­son mehr ab­bil­det und da­mit die Di­men­sio­nen der klas­si­schen Skulp­tur ver­lässt. Der Ver­zicht auf De­tails stellt ei­nen wei­te­ren Schritt der Abs­trak­ti­on dar, der für Ot­to Freund­lich the­ma­tisch mit der Su­che nach ei­nem neu­en Men­schen­bild ver­bun­den war.

Ot­to Freund­lich hat um­fang­rei­che Schrif­ten zur Kunst ver­fasst. Die re­gel­mä­ßi­gen und in­ten­si­ven Brief­wech­sel mit zeit­ge­nös­si­schen Künst­lern und die Ver­öf­fent­li­chun­gen zahl­rei­cher Auf­sät­ze in Zeit­schrif­ten kenn­zeich­nen sei­ne phi­lo­so­phi­schen Sicht­wei­sen, die als Teil sei­ner künst­le­ri­schen Ar­beit an­zu­se­hen sind. Die „Be­kennt­nis­se ei­nes re­vo­lu­tio­nä­ren Ma­ler­s“, die er im Jahr 1935 in Pa­ris ge­schrie­ben hat, ge­hö­ren zu sei­nen wich­tigs­ten Schrif­ten, die sei­ne Theo­ri­en zur abs­trak­ten Kunst zu­sam­men­fas­sen.

Die 1915 er­schie­ne­ne Pu­bli­ka­ti­on „Ne­ger­plas­ti­k“ von Carl Ein­stein (1885-1940) stell­te für Ot­to Freund­lich ei­nen wich­ti­gen Im­puls in sei­ner Kunst der Abs­trak­ti­on dar. Die Los­lö­sung von der na­tu­ra­lis­ti­schen Dar­stel­lung, die Selb­stän­dig­keit der Plas­tik und des Rau­mes wa­ren für Ot­to Freund­lich wie für sei­ne fran­zö­si­schen Künst­ler­kol­le­gen die we­sent­li­chen Fol­ge­run­gen aus dem Werk Carl Ein­steins. In sei­nen Skulp­tu­ren hat Ot­to Freund­lich er­kenn­bar Ele­men­te der afri­ka­ni­schen Plas­tik wie das Mas­ken­haf­te und die re­du­zier­te Dar­stel­lungs­wei­se als For­men der Abs­trak­ti­on ein­flie­ßen las­sen.

Wäh­rend der Zeit des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus wur­de Ot­to Freund­lich als jü­di­scher Kom­mu­nist ver­folgt. Aus den öf­fent­li­chen Samm­lun­gen wur­den 14 sei­ner Wer­ke be­schlag­nahmt. Das mo­nu­men­ta­le Werk „Gro­ßer Kopf“ ist auf der Ti­tel­sei­te des Ka­ta­logs zur Münch­ner Fe­me-Aus­stel­lung „Ent­ar­te­te Kunst“ von 1937 ab­ge­bil­det und war das be­kann­tes­te Werk die­ser dif­fa­mie­ren­den Aus­stel­lung des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. Zu Pro­pa­gan­da­zwe­cken wur­de die Skulp­tur von den Macht­ha­bern als „Der neue Men­sch“ be­zeich­net, ein Ti­tel, den Ot­to Freund­lich ihr nicht ge­ge­ben hat­te. In der an­schlie­ßen­den Wan­der­aus­stel­lung wur­de die Skulp­tur ge­gen ei­ne Re­plik aus­ge­tauscht, die ge­gen­über dem Ori­gi­nal in we­sent­li­chen Zü­gen ver­än­dert wur­de, mit ho­her Wahr­schein­lich­keit, um die als „ent­ar­te­t“ ge­brand­mark­ten Merk­ma­le noch zu ver­stär­ken. Bei der Ab­bil­dung auf dem Um­schlag des Ka­ta­logs han­delt es sich be­reits um ei­ne ver­fälsch­te Ko­pie der Skulp­tur.

Nach der Fest­nah­me in Frank­reich 1939 und Auf­ent­hal­ten in In­ter­nie­rungs­la­gern wur­de Ot­to Freund­lich in sei­nem Ver­steck in den Py­re­nä­en de­nun­ziert, nach Po­len de­por­tiert und im Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger So­bi­bor 1943 er­mor­det.

Otto Freundlich gemeinsam mit Heinrich Hoerle, um 1931. (Hannes Flach-Archiv)

 

Von den 14 Ar­bei­ten, die in der Aus­stel­lung „Ent­ar­te­te Kunst“ ge­zeigt wur­den, sind 13 ver­schol­len. Die Skulp­tur „Kopf, Ter­ra­kot­ta, 1925“ ist 2010 beim U-Bahn­bau in Ber­lin vor dem Ro­ten Rat­haus zu­sam­men mit elf Plas­ti­ken an­de­rer Künst­ler aus der Aus­stel­lung „Ent­ar­te­te Kunst“ wie­der­ge­fun­den wor­den. Die­se Plas­tik hat ei­ne gro­ße Sym­bol­kraft für ei­nen Künst­ler, der nach Ver­fol­gung und Er­mor­dung im „Drit­ten Reich“ fast in Ver­ges­sen­heit ge­ra­ten ist. Das Köl­ner Mu­se­um Lud­wig hat mit sei­ner Aus­stel­lung „Ot­to Freund­lich. Kos­mi­scher Kom­mu­nis­mus“ im Jahr 2017 ei­ne gro­ße Re­tro­spek­ti­ve sei­nes Werks ge­zeigt. Die von Ot­to Freund­lich ent­wi­ckel­te Theo­rie des „Kos­mi­schen Kom­mu­nis­mus“ ver­deut­licht „das Ide­al ei­ner so­zi­al ein­ge­bun­de­nen, ethisch ver­pflich­te­ten Kunst“. Die Su­che nach ei­ner neu­en Ge­sell­schaft war für Ihn mit der Ent­wick­lung ei­ner neu­en Kunst eng ver­bun­den. Da­bei ist die kos­mi­sche Di­men­si­on aus dem Mit­tel­al­ter für ihn ein ge­sell­schaft­li­ches Denk­bild, das die Uto­pi­en der Ent­gren­zung, der Ent­ma­te­ria­li­sie­rung und der (Neu-) Schöp­fung gleich­zei­tig dar­stellt.

Die Kunst und die da­mit ver­bun­de­nen, phi­lo­so­phi­schen Schrif­ten Ot­to Freund­lichs ha­ben den Pro­zess der Rhei­ni­schen Mo­der­ne ins­be­son­de­re durch die sei­ner­zeit be­ste­hen­den Ver­net­zun­gen in der Re­gi­on ent­schei­dend ge­prägt. Sei­ne Grund­sät­ze ei­ner kos­mi­schen Kunst durch Öff­nung, Er­schlie­ßung und Ent­gren­zung be­ste­hen­der Räu­me ha­ben Künst­ler des Flu­xus und der Ak­ti­ons­kunst wie bei­spiels­wei­se Jo­seph Beuys zu ei­nem “Er­wei­ter­ten Kunst­be­grif­f“ ge­führt.

Die Uto­pie Ot­to Freund­lichs, Skulp­tu­ren­stra­ßen quer durch Eu­ro­pa als völ­ker­ver­bin­den­des Sym­bol für den Frie­den zu schaf­fen, wird in der Ge­gen­warts­kunst von dem Bild­hau­er Leo Korn­brust (geb. 1929) auf­ge­grif­fen.

Aus ei­nem Ge­mein­schafts­pro­jekt mit Bild­hau­ern im Jahr 1971 ent­wi­ckelt er 1978 ein Kunst­pro­jekt der „Stra­ße des Frie­den­s“ und da­mit ei­ne Hom­mage an den Künst­ler Ot­to Freund­lich. Das Pro­jekt geht von dem Ort St. Wen­del ent­lang des Saar­land-Rund­wan­der­wegs aus und hat bis 2007 ei­ne Grö­ßen­ord­nung von 55 Skulp­tu­ren von 49 Künst­lern aus 13 Län­dern er­reicht. Die ket­ten­för­mi­ge An­ein­an­der­rei­hung von Skulp­tu­ren in West-Ost-Rich­tung von der nor­man­ni­schen Küs­te bis nach Russ­land sol­len als Wahr­zei­chen für ein fried­li­ches Zu­sam­men­le­ben der Völ­ker Eu­ro­pas im Sin­ne der Vi­si­on von Ot­to Freund­lich ste­hen. Das lang­fris­tig an­ge­leg­te Vor­ha­ben er­langt durch die Ver­net­zung mit ei­ner Viel­zahl von eu­ro­päi­schen Ko­ope­ra­ti­ons­part­nern - dar­un­ter die Eu­ro­päi­sche Uni­on - in­ter­na­tio­na­le Be­deu­tung. Die Fort­füh­rung und Voll­endung des Pro­jekts ist durch die fi­nan­zi­el­le Un­ter­stüt­zung der in­ter­na­tio­na­len Part­ner si­cher­ge­stellt.

Werke (Auswahl)

Frau­en­büs­te, 1910, Gips gelb be­malt, 52 x 34 x 29 cm (Mu­se­um Lud­wig Köln)
Die Ge­burt des Men­schen, 1919, Mo­sa­ik, 215 x 305 cm, Büh­nen der Stadt Köln
Fries (Lie­gen­de Frau), 1924, Glas­ge­mäl­de, 24 x 163 cm (Mu­sées de Pon­toi­se)
Sphä­ri­scher Kör­per, 1925, Pas­tell auf Pa­pier, 65 x 50 cm (Pri­vat­samm­lung)
Kom­po­si­ti­on, 1931, Öl auf Lein­wand, 81 x 60 c, (Von der Heyd-Mu­se­um Wup­per­tal)
Kom­po­si­ti­on Rot Grün, 1939, Öl auf Lein­wand, 65 x 54,5 cm (Mu­se­um Lud­wig Köln)
Kom­po­si­ti­on, 1940, Gou­ache auf Pa­pier, 84 x 60 cm (Wil­helm-Hack-Mu­se­um, Lud­wigs­ha­fen)
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Quellen

Boh­nen, Uli (Hg.), Ein Weg­be­rei­ter der mo­der­nen Kunst. Ot­to Freund­lich. Schrif­ten, Köln 1982.
Ver­ein Au­gust Ma­cke Haus e. V. (Hg.), Ot­to Freund­lich und die rhei­ni­sche Kunst­sze­ne mit Brie­fen an Her­warth Wal­den und Wil­helm Nie­mey­er, Bonn 2006. 

Literatur (Auswahl)

Aust, Gün­ter, Ot­to Freund­lich, 1878–1943, Köln 1960.
Fried­rich, Ju­lia, (Hg.), Kos­mi­scher Kom­mu­nis­mus, Aus­stel­lungs­ka­ta­log, Köln 2017.
Heu­sin­ger von Wal­degg, Joa­chim, Ot­to Freund­lich (1878–1943). Mo­no­gra­phie mit Do­ku­men­ta­ti­on und Werk­ver­zeich­nis, Köln 1978.
West­fä­li­sches Lan­des­mu­se­um Müns­ter [u.a.] (Hg.), Ot­to Freund­lich. Kräf­te der Far­be, Köln 2001. 

Online

Freund­lich, Ot­to, In­de­xein­trag: Deut­sche Bio­gra­phie. [on­line

'Mein Himmel ist rot', Öl auf Leinwand von Otto Freundlich, Original im Musée d'Art Moderne, Centre Georges Pompidou, 1933, Foto: Till Niemann. (public domain)

 
Zitationshinweis

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Reucher, Michael, Otto Freundlich, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/otto-freundlich/DE-2086/lido/5e4aa25717ff20.30142774 (abgerufen am 29.03.2024)