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Paul Herzog wirkte nicht nur als Verwaltungsbeamter in den Jahren des Wiederaufbaus in seiner Geburtsstadt Gelsenkirchen und acht Jahre als Oberstadtdirektor im Wattenscheid der 1960er Jahre, sondern prägte unter anderem den Westfälischen Amateur-Box-Verband sowie den Landessportbund Nordrhein-Westfalen (LSB NRW) als Funktionär. Nachfolgend wird neben der Verwaltungs- und Funktionärskarriere auch ein Blick auf seine Biographie während der Zeit des Nationalsozialismus geworfen.
Paul Martin Georg Herzog kam am 27.1.1910 als Sohn des Rangierers und späteren Feuerwehrmanns Paul Hermann Herzog (1879-1961) und seiner Frau Anna Maria Herzog (1879-1962), geborene Eisenbach, in Gelsenkirchen zur Welt. Er war evangelisch und verheiratet mit Ilse (geboren 1921), geborene Bieber, mit der er drei Kinder hatte. Nach seinem Besuch der Volks- und Oberrealschule in Gelsenkirchen studierte Herzog zwischen 1930 und 1935 Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Münster und Greifswald. Noch vor seinem Studium gehörte er in den Jahren 1928 und 1929 dem paramilitärischen und republikfeindlichen Wehrverband Wehrwolf an. In Münster war er kurzzeitig Mitglied der Studentenverbindung Landsmannschaft Westfalen, bis diese sich im Jahr 1934 mit der Turnerschaft Ubia in Köln zusammenschloss. Dass Herzog sich ideologisch wohl den weit verbreiteten antidemokratischen Vorstellungen innerhalb der Studentenschaft anschloss, für die – wie es Rainer Pöppinghege für die Universität Münster zusammenfasst – „die ,Machtergreifung‘ zu keinem ideologischen Bruch führte“, belegt einerseits sein NSDAP-Beitritt am 1.10.1932. Andererseits war er Mitglied im Studentensturmbann an der Universität Greifswald, wo er zum Truppführer aufstieg, und gehörte dem Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund an. Weiterhin trat er 1932 der SA bei, wo er den Rang eines Sturmführers erlangte. Ab 1938 war er ebenfalls als Sturmführer in der HJ tätig.
Sein Beitritt zum NS-Rechtswahrerbund im Jahr 1938 entsprach der gängigen Praxis der Zeit im juristischen Karriereweg. Er absolvierte seine Referendar- und Assessorexamen in Stettin und Hamm und wurde 1940 in Köln zum Dr. jur. promoviert. Geplante Stellen bei der Staatsanwaltschaft Essen sowie dem Amtsgericht Bad Polzin in Westpommern trat Herzog nach eigenen Angaben nie an, da er im Jahr 1939 zum Kriegsdienst eingezogen wurde.
Paul Herzog nahm zunächst als Schütze im Infanterie-Regiment 484, später als Leutnant des Infanterie-Regiments 473 und der 156. Infanterie-Division in Belgien und Frankreich (1940 bis 1941) sowie Litauen und Russland (1941 bis 1944) am Zweiten Weltkrieg teil. Dabei erhielt er das Eiserne Kreuz Zweiter Klasse und das Sturmzeichen in Silber – letzteres im Kontext von Straßenkämpfe[n] in Wilna, dem heutigen Vilnius, und somit möglicherweise im Zuge der sowjetischen Offensive auf die litauische Stadt im Juli 1944. Darüber hinaus wurde ihm das Kriegsverdienstkreuz verliehen; dies wohl ihm Kontext seiner Tätigkeit als Richter: Denn nach einer Verwundung wurde Herzog versetzt und fungierte zwischen 1943 und 1945 als Heeresrichter bei den Feldkommandanturen 812 und 814. Herzog gab im Fragebogen zur Entnazifizierung an, in den letzten beiden Kriegsjahren neben seiner Funktion als Heeresrichter ebenfalls der 172. Infanterie-Division angehört zu haben, was seine mögliche Beteiligung an den Kampfhandlungen in Vilnius erklären könnte. Als Richter gehörte er wiederum zu den circa 3.000 Juristen, die im Kriegsverlauf als Kriegsrichter und -ankläger tätig waren und dabei unter anderem etwa 40.000 Todesurteile verhängten: „Die Wehrmachtsjustiz verstand sich als Straforgan im Nationalsozialismus“, so der Historiker Dieter Pohl, „das radikal gegen vermeintlichen Defaitismus in den eigenen Reihen als auch gegen Widerstände von Ausländer*innen vorging“. Auch Paul Herzog verhängte Todesurteile, wie sein Mitarbeiter Hermann Niemann im Entnazifizierungsverfahren bezeugte: Diese hätten seiner Erinnerung nach jedoch zu den Seltenheiten gehört. Seiner Stabshelferin Ilse Feyerabend zufolge habe er als Richter ebenso polnische und litauische Hilfswillige […] zum Arbeitseinsatz nach Deutschland beordert. Folglich war der Jurist nicht nur an entscheidender Stelle im Justizsystem der Wehrmacht tätig, sondern auch Teil des nationalsozialistischen Unrechtsstaats.
Im Jahr 1945 kehrte Paul Herzog in seine Geburtsstadt Gelsenkirchen zurück und wurde bereits am 15.10. des Jahres beim Wohnungsamt der Stadt Gelsenkirchen angestellt. Parallel zu seiner Beförderung zum Rechtsrat 1947 wurde der Jurist zunächst in der Kategorie IV als Mitläufer entnazifiziert. Nachfolgend wurde das Verfahren jedoch wegen Fragebogenfälschung neu eröffnet: Herzog hatte für seinen NSDAP-Beitritt nicht das Jahr 1932, sondern 1933 angegeben, um sich womöglich als „Märzgefallener“ zu stilisieren, und den SA-Rang eines Sturmführers verschwiegen. Während der Verfahrenszeit, die gut anderthalb Jahre dauerte, wurde er beurlaubt, allerdings im Jahr 1949 nicht nur erneut entlastet, sondern sogar nachträglich in die Kategorie V eingestuft. Der Beschuldigte hatte argumentiert, dass eine Verwechslung vorliegen müsse.
Dem Entlastungzeugen Pfarrer Werner Karg (geboren 1911) wurde Glauben geschenkt, der versicherte, Herzog sei erst im Mai 1933 der Partei beigetreten. Obwohl die Beweise der vorliegenden Mitgliederkarteikarte sowie einer Fotographie in SA-Uniform mit erkennbarem Rang eindeutig erschienen, erfolgte seine Entlastung möglicherweise auch aus pragmatischen Gründen. Die britische Militärregierung in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sah sich häufig mit den Alternativen „[ö]konomische Effizienz“ versus „politische Konsequenz“ konfrontiert, wie der Historiker Stefan Brüdermann konstatiert: „Im Belassen der eingearbeiteten Personen sah man die größere Effizienz und zog dies vielfach vor.“ So konnte auch Paul Herzog seine Verwaltungskarriere fortsetzen. Er wurde bereits 1950 zum Oberrechtsrat befördert und im Folgejahr zum Rechtsamt Gelsenkirchen versetzt, das er ab 1958 als Direktor führte. Ein Jahr zuvor war er in den Box-Sport-Verein Rot-Weiß Buer 32 eingetreten, wo er als Jugendwart und zweiter Vorsitzender fungierte (1957 bis 1969). Die Stellvertretung des Vorsitzes im Eintrittsjahr legt nahe, dass der gebürtige Gelsenkirchener schon früher mit dem lokalen Boxverein in Verbindung gestanden hatte.
Seine Tätigkeit beim Rechtsamt Gelsenkirchen ermöglichte derweil eine neue Karrierechance im benachbarten Wattenscheid: Dort wurde Paul Herzog am 30.1.1959 in das Amt des Oberstadtdirektors gewählt: Wir haben Sie gewählt, weil wir Ihre langjährige erfolgreiche Arbeit in Gelsenkirchen kennen und weil wir glauben, in Ihnen den richtigen Mann gefunden zu haben, so Oberbürgermeister Hermann Sievers (1892-1972) bei der Amtseinführung. Herzog füllte das Amt bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen am 31.8.1966 aus. In seiner Amtszeit setzte der ökonomische Strukturwandel ein, in dessen Folge mehrere Zechen geschlossen und neue Industriebetriebe angesiedelt wurden. Weiterhin engagierte er sich im Kontext der Wattenscheider Kunstsammlung, der Errichtung des Bußmann-Bads, im regionalen Boxsport sowie bei der Freiwilligen Feuerwehr Wattenscheid. Letztere verlieh ihm nicht nur den Titel eines Ehrenbrandmeisters, sondern benannte nach der Anschaffung des ersten schweren Kranwagens ebenjenen als „Starker Paul“ – auch aufgrund der Unterstützung Herzogs in dieser Sache und in Anlehnung an sein Engagement im Boxsport.
Denn der „starke Paul“ war zwischen 1962 und 1974 Präsident des Westfälischen Amateur-Box-Verbands. In dieser Rolle setzte er sich für den Zusammenschluss der Regionalverbände Mittelrhein, Niederrhein und Westfalen zum Westdeutschen Amateur-Box-Verband ein, zu dessen „Offiziellem Vertreter“ Herzog unmittelbar nach Gründung im Jahr 1963 berufen wurde, während er ab 1971 auch in diesem Dachverband als Präsident fungierte. Darüber hinaus war er als Vizepräsident des Deutschen Amateur-Box Verbands (1969-1970) tätig. Weiterhin wirkte er ehrenamtlich in den Jahren 1967 bis 1977 im LSB NRW, seit 1967 als Mitglied des Präsidiums. Ab 1968 war er ebenso Teil des Verteilungsausschusses und ab 1969 Mitglied des Satzungsausschusses, dem er ab 1971 vorsaß. Auch bei seinen weiteren Funktionen, die er ehrenamtlich im LSB NRW wahrnahm, konnte Herzog seine berufliche Qualifikation als Jurist und seine Erfahrungen als Verwaltungschef einer Kommune einbringen. So war er von 1967 bis 1969 ebenfalls zweiter Vorsitzender der Spruchkammer, von 1969 bis 1971 Mitglied des Plakettenausschusses und ab diesem Zeitpunkt Mitglied des Finanz- und Wirtschaftsausschusses in der Dachorganisation des nordrhein-westfälischen Sports. Im Jahr 1974 wurde ihm aufgrund seiner Verdienste als Präsident des Westfälischen und Westdeutschen Amateur-Box-Verbands sowie seines ehrenamtlichen Wirkens im LSB NRW die Sportplakette des Landes Nordrhein-Westfalen verliehen.
Paul Herzog verstarb am 1.11.1987 in Bochum.
Der Beitrag wurde im Rahmen des Projekts „Der Landessportbund NRW und sein Führungspersonal: Biographien – Geschichte – Erinnerung“ in das Portal Rheinische Geschichte aufgenommen.
Nachlass
Ein Nachlass ist nicht überliefert.
Material findet sich im Stadtarchiv Gelsenkirchen (Geburtsurkunde, Meldekartei),
im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen (LAV NRW R, NW 1039-H/Nr. 1278, RW 0635 Nr. 15, Nr. 16, Nr. 38, Nr. 72)
und im Bundesarchiv (BArch R 9361-VIII / 10670285, R 9361-IX / 15340301, R 3001/60221, R 3001/60222).
Literatur
Ex-Oberstadtdirektor Dr. Herzog nach langer Krankheit verstorben, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Lokalteil Wattenscheid, 4.11.1987.
Halwer, Andreas, Der starke Paul, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 30.1.2009.
Nachruf Dr. Paul Herzog, in: Ruhrnachrichten, 9.11.1987.
Nickel, Bernd, Zwischen Barlach und Boxsport, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, 25.5.2008.
Pöppinghege, Rainer, „Ein herrliches Sommersemester 1933!“ Die Gleichschaltung der Studentenschaft in Münster, in: Westfälische Zeitschrift 145 (1995), S. 195-217.
Sunnus, Michael, Der NS-Rechtswahrerbund (1928-1945). Zur Geschichte der nationalsozialistischen Juristenorganisation, Frankfurt am Main u.a. 1990.
Ziel: Die Wohlfahrt der Stadt, in: Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Lokalteil Wattenscheid, 31.1.1959.

Paul Herzog, Porträtfoto aus seiner NSDAP-Mitgliederkartei, 25.7.1934. (Bundesarchiv/ BArch R 9361-VIII KARTEI / 10670285)
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Köster, Fabian, Paul Herzog, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-herzog/DE-2086/lido/68516b081c1b35.51808302 (abgerufen am 15.07.2025)
Veröffentlicht am 03.07.2025