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Der Jurist Dr. Paul Lembke prägte in seiner über 24-jährigen Amtszeit als Oberbürgermeister maßgeblich die Entwicklung der Stadt Mülheim an der Ruhr zur modernen Großstadt.
Paul Lembke wurde am 12.4.1860 als Sohn des Rittergutsbesitzers Paul Lembke und dessen Frau Luise Fratzscher in Luttersdorf (Mecklenburg-Schwerin) geboren. Die Familie war evangelisch-lutherisch. Paul Lembke besuchte das Kathrineum in Lübeck und legte Ostern 1879 die Reifeprüfung ab. Es folgte ein Studium der Rechtswissenschaften in Straßburg, Heidelberg und Berlin. Die 1. Staatsprüfung legte er am 8.10.1883 ab und war ab 11.3.1884 (Vereidigung) Gerichtsreferendar unter anderen beim Amtsgericht in Hermsdorf sowie bei den Landgerichten Hirschberg/Schlesien und Kiel. Ab 4.1.1887 war er Regierungsreferendar bei der Regierung Koblenz, dem Landratsamt Kreuznach und der Regierung Königsberg. Am 6.9.1890 legte er die große Staatsprüfung ab und war anschließend Regierungsassessor, zunächst beim Landratsamt Mülheim-Ruhr, ab 4.12.1892 bei der Regierung Düsseldorf und ab 1.11.1895 beim Oberpräsidium der Rheinprovinz in Koblenz. Am 8.1.1894 wurde er in Jena zum Dr. jur. promoviert. Am 10.7.1899 wurde er zunächst kommissarisch, zum 1.2.1900 definitiv zum Landrat des Kreises Mülheim-Ruhr (mit Bestallung ab 15.1.1900) ernannt. Am 8.9.1903 wählte die Stadtverordnetenversammlung von Mülheim an der Ruhr Paul Lembke zum Bürgermeister. Nach der Bestätigung durch den preußischen König unter gleichzeitiger Verleihung des Titels Oberbürgermeister wurde Lembke am 2.1.1904 in das Amt eingeführt.
Paul Lembke war seit 1892 mit Margarete Laudahn (geboren 1869, Sterbedatum unbekannt) verheiratet und Vater zweier Töchter.
Die Amtszeit des Oberbürgermeisters Dr. Paul Lembke hat nicht nur durch ihre lange Dauer von 1904 bis 1928 wie keine andere in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Entwicklung der Stadt Mülheim an der Ruhr geprägt. Während seiner Zeit wuchs die Stadt Mülheim an der Ruhr stark; es wurden bedeutende Baumaßnahmen geplant und umgesetzt sowie Weichen zukünftiger Entwicklung gestellt, die zum Teil bis heute nachwirken. Das Programm, das Lembke bei seiner Amtseinführung 1904 vorstellte, bildete den “roten Faden” seiner Amtsjahre: “Durch die Erweiterung des Stadtgebiets ist eine neue Möglichkeit zur vollkommenen Ausgestaltung der Stadt gegeben. Es soll meine unablässige Aufgabe sein, an dieser Vollendung zu arbeiten. Möge es uns allen miteinander gelingen, die Stadt Mülheim zur rechten Blüte zu bringen. Und möge es mir vergönnt sein, recht lange für dieses Ziel zu wirken.”
Gemeint sind die Eingemeindungen zum 1.1.1904, bei der die Bürgermeisterei Broich und die Gemeinden Styrum und Holthausen mit der Stadtgemeinde Mülheim an der Ruhr vereinigt worden und die Stadt gleichzeitig kreisfrei geworden war. Die Eingemeindungen bescherten der aufstrebenden Stadt an der Ruhr nicht nur einen deutlichen Zuwachs an Fläche und Einwohnern, sondern zogen auch wichtige Infrastrukturmaßnahmen nach sich. So war der Bau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Kahlenbergbrücke, die den Stadtteil Saarn erstmals mit einer festen Ruhrquerung an das Mülheimer Ruhrufer anband, im Jahr 1906 Bestandteil der Eingemeindungsverhandlungen.
Als Mülheim an der Ruhr 1908 das 100-jährige Jubiläum der Stadterhebung beging, wurde zeitgleich der 100.000. Einwohner geboren. Damit war Mülheim an der Ruhr offiziell Großstadt - für das Selbstbewusstsein der Stadt wie ihres Oberbürgermeisters ein bedeutender Moment. Im Licht dieser Entwicklung und des allgemeinen Aufschwungs wie auch der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Stadt wurden Projekte in Angriff genommen, die sie auch äußerlich zur Großstadt machen sollten. Diese Entwicklung wurde noch dadurch verstärkt, dass Lembke inzwischen Verhandlungen über die Auflösung des Landkreises Mülheim-Ruhr führte. Als dieser 1910 aufgelöst wurde, bekam Mülheim mit Ober-Dümpten, Heißen, Winkhausen und Fulerum weiteren Gebiets- und Einwohnerzugewinn. Baulich veränderte sich die Stadt in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg deutlich: Bereits 1908 bezog die städtische Sparkasse ein repräsentatives Gebäude am damaligen Viktoriaplatz (heute Synagogenplatz) in der Innenstadt. Mit dem Solbad und der Rennbahn Raffelberg entstanden in den Jahren 1909 und 1910 Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge und der gehobenen sportlichen Unterhaltung. Mit der neuen Schlossbrücke, die 1912 die alte Kettenbrücke von 1844 ersetzte, wurde ein wichtiges Bindeglied der Verkehrsinfrastruktur der Stadt den Anforderungen an moderne Verkehrsbedürfnisse angepasst. Durch den ambitionierten Bau des Stadtbades, das 1910 bis 1912 nach modernsten Standards errichtet wurde, begegnete die Stadt einer sozial- und gesundheitspolitischen Herausforderung, da die hygienischen Verhältnisse insbesondere in den einfachen Wohnquartieren oft unzulänglich waren und private Badezimmer fehlten. Mit dem gewählten Standort des Stadtbades an der markanten Stelle des Ruhrübergangs manifestierte sich auch der Wille zur großstädtischen Gestaltung, entstand doch hier ein stadtbildprägendes Bauensemble, zu dem bis heute die Schlossbrücke und die ab 1926 die auf der gegenüberliegenden Ruhrseite errichtete Stadthalle gehören. Ebenso stadtbildprägend wurde das 1913 bis 1915 errichtete Rathaus, das den Anforderungen der jungen Großstadt an wachsende Administration ebenso wie dem Wunsch nach angemessener Repräsentation gerecht werden sollte. Als Folge der steigenden Bevölkerungszahl wurden in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg auch zahlreich neue Schulbauten errichtet. Mit der Ansiedlung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Kohlenforschung (heute Max-Planck-Institut) im Jahre 1914 gelang Lembke gemeinsam mit Mülheimer Unternehmern wie zum Beispiel Hugo Stinnes ein bedeutender Erfolg. Das bis heute in Mülheim ansässige Forschungsinstitut, das mit Karl Ziegler (1898-1973) 1963 einen Nobelpreisträger (Chemie) hervorgebracht hat, begründete den Wissenschaftsstandort Mülheim an der Ruhr. Aus dieser Tradition ist auch die 2008 gegründete “Hochschule Ruhr West” hervorgegangen.
Der verlorene Erste Weltkrieg bedeutete für den konservativen Monarchisten Lembke wohl eine schwere Bürde. In den Wirren der unmittelbaren Nachkriegszeit, die in Mülheim durch zum Teil bürgerkriegsähnliche Zustände geprägt war, und in den Monaten der französisch-belgischen Ruhrbesetzung 1923 hat Lembke als pflichtbewusster preußischer Beamter im konservativen Geiste sein Amt weitergeführt. Seine politische Grundeinstellung änderte sich in der Weimarer Republik ebenso wenig wie seine strukturpolitischen Ambitionen. Mit Bauprojekten wie der bereits genannten Stadthalle, aber auch dem Kahlenberg-Wasserkraftwerk (1923/1924) oder dem neuen Hafen mit Ruhrschifffahrtskanal (1927) hielt er an seinem Kurs der infrastrukturellen Weiterentwicklung der Stadt fest.
Die Verhandlungen im Zuge der kommunalen Gebietsreform der 1920er Jahre hat Lembke im Sinne einer weiteren Arrondierung des Stadtgebietes geführt. Seine Strategie, Gebiete im landschaftlich reizvollen Süden Mülheims hinzuzugewinnen und Zuwächse im industrialisierten Norden eher zu vermeiden, um Mülheim zu einer attraktiven Wohnstadt an der Schnittstelle der Ballungsräume von Rhein und Ruhr zu machen, ging dabei nicht gänzlich auf. Die Eingemeindungen der Stadtteile Menden und Raadt 1920 sowie der Stadtteile Selbeck und Ickten, die Lembke noch vor seinem Ausscheiden aus dem Dienst 1928 ausgehandelt hatte, die aber erst 1929 vollzogen wurden, blieben hinter den gesteckten Zielen zurück. Gleichwohl bestimmt die damalige Strategie der Gebietserweiterung bis heute das Erscheinungsbild und den Erholungswert der Stadt am Fluss.
Als Lembke am 1928 altersbedingt aus dem Dienst schied, konnte er auf ein erfülltes Wirken als Oberbürgermeister zurückblicken. Seine Dienstjahre, in denen sich große politische, gesellschaftliche und kulturelle Veränderungen ereignet hatten, galten wohl auch seinen Zeitgenossen angesichts der Stürme, die Lembke zu bestehen hatte, als gelungen. So dankte der damalige Düsseldorfer Regierungspräsident Karl Bergemann (1878–1949) Lembke anlässlich dessen Pensionierung mit einem persönlichen Dankschreiben, das ausdrücklich seine Verdienste würdigt: “Der große Aufschwung der Stadt Mülheim beginnt mit dem Tage, als der Landkreis gleichen Namens mit ihr verschmolzen und als der preußische Landrat Dr. Paul Lembke zum Stadtoberhaupt wurde und die Geschicke der vereinigten Gemeinwesen in seine Hand nahm! Ihrer hohen Begabung als Verwaltungsbeamter und zugleich Ihren seltenen Fähigkeiten als Finanzleiter ist vornehmlich die Größe und Bedeutung der schönen Ruhrstadt zu danken.”
Ähnlich hat auch der Rat der Stadt empfunden, der Lembke 1928 “in dankbarer Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste” das Ehrenbürgerrecht der Stadt verlieh – allerdings gegen die Stimmen der Sozialdemokraten und Kommunisten. Ihnen war der zeitlebens monarchistisch gesinnte Lembke wohl doch zu konservativ für eine solche Ehrung.
Am 19.9.1939 verstarb Dr. Paul Lembke und fand auf dem Mülheimer Hauptfriedhof seine letzte Ruhestätte.
Lembke war Träger verschiedener Orden und Auszeichnungen wie dem Roten Adlerorden III. Klasse (1907), dem Kronenorden III. Klasse (1911), dem Eisernen Kreuz II. Klasse (1917), dem Kaiserlich-Österreichischen Kriegskreuz für Zivilverdienste II. Klasse (1917) und der Kaiserlich-Türkischen Roter-Halbmond-Medaille in Silber (1917). Die “Lembkestraße” in der Nähe des Max-Planck-Instituts erinnert an diesen bedeutenden Mülheimer Oberbürgermeister.
Literatur
Emons, Thomas. Oberbürgermeister Dr. Paul Lembke, Vorsitzender des Geschichtsvereins von 1906 bis 1939, in: Zeitschrift des Geschichtsvereins Mülheim an der Ruhr 76 (2006). S. 125–127.
Güllenstern, Elleonore, Alle meine Vorgänger, in: Mülheimer Jahrbuch 1983, S. 42–52.
Op ten Höfel, Rudolf, Sie lenkten und lenken die Geschicke der Stadt Mülheim seit 150 Jahren. Mülheimer Bürgermeister 1808–1958, in: Mülheimer Jahrbuch 1958, S. 33–40.
Ortmanns, Kurt, Auf dem Weg zur Großstadt – Mülheim unter dem Oberbürgermeister Dr. Paul Lembke, in: Zeitschrift des Geschichtsvereins Mülheim an der Ruhr 66 (1993), S. 393-403.
Romeyk, Horst, Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816-1945, Düsseldorf 1994, S. 601-602.
Zeugen der Stadtgeschichte. Baudenkmäler und historische Orte in Mülheim an der Ruhr, hg. v. Geschichtsverein Mülheim an der Ruhr, Essen 2008.
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Rawe, Kai, Paul Lembke, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-lembke/DE-2086/lido/57c93ec9ddad07.40564842 (abgerufen am 10.10.2024)