Paul Silverberg

Unternehmer (1876-1959)

Boris Gehlen (Bonn)

Paul Silverberg, Porträtfoto, 1930. (CC BY-SA 3.0 de / Bundesarchiv)

Paul Sil­ver­berg war die prä­gen­de Per­sön­lich­keit des rhei­ni­schen Braun­koh­len­re­viers im ers­ten Drit­tel des 20. Jahr­hun­derts und ei­ner der ein­fluss­reichs­ten Un­ter­neh­mer der Wei­ma­rer Re­pu­blik

Paul Sil­ver­berg er­blick­te am 6.5.1876 als zwei­tes von vier Kin­dern und ein­zi­ger Sohn von Adolf (1845-1903) und Theo­do­ra Sil­ver­berg (1853-1924), ge­bo­re­ne Schön­brunn, in Bed­burg das Licht der Welt. Sein Va­ter stamm­te aus ei­ner tra­di­ti­ons­rei­chen jü­di­schen Fa­mi­lie und war in Bed­burg als Tex­til- und Braun­koh­len­un­ter­neh­mer tä­tig. Auch Paul Sil­ver­berg war zu­nächst jü­di­schen Glau­bens, kon­ver­tier­te aber 1895 zum Pro­tes­tan­tis­mus. 

Von 1895 bis 1898 stu­dier­te Sil­ver­berg – in­spi­riert von sei­nem Schwa­ger, de­m Bon­ner Pro­fes­sor Ernst Lands­berg (1860-1927) – in Mün­chen und Bon­n Ju­ra und dien­te zwi­schen­zeit­lich 1895/ 1896 als Ein­jäh­rig Frei­wil­li­ger Un­ter­of­fi­zier beim „1. Schwe­ren Rei­ter-Re­gi­ment Prinz Carl von Bay­ern". Nach dem Stu­di­um war Sil­ver­berg Re­fe­ren­dar in Gre­ven­broich un­d Köln; spä­tes­tens dort lern­te er sei­nen lang­jäh­ri­gen Weg­be­glei­ter un­d Freun­d Kon­rad Ade­nau­er ken­nen. 1902 wur­de Sil­ver­berg an der Uni­ver­si­tät Bonn mit ei­ner Ar­beit zum Erbrecht pro­mo­viert. 1903 ließ er sich als Rechts­an­wal­t in Köln nie­der, hei­ra­te­te im sel­ben Jahr die Be­am­ten­toch­ter Jo­han­na Pau­li­ne Stie­ger, mit der er ei­ne Toch­ter, Loui­se (1905-1969), hat­te; 1917 ließ sich das Paar schei­den. Sil­ver­berg plan­te ei­ne Ha­bi­li­ta­ti­on, doch als sein Va­ter im Herbst 1903 starb, folg­te er die­sem als Ge­ne­ral­di­rek­tor der For­tu­na AG für Braun­koh­len­berg­bau und Bri­kett­fa­bri­ka­ti­on in Bed­burg nach. 

Sil­ver­berg dräng­te rasch dar­auf, das Un­ter­neh­men zu ver­grö­ßern, und be­trieb die Fu­si­on mit den Braun­koh­len­pro­du­zen­ten Do­na­tus und Gruhl­werk, die schlie­ß­lich 1908 in der Grün­dung der Rhei­ni­schen Ak­ti­en­ge­sell­schaft für Braun­koh­len­berg­bau und Bri­kett­fa­bri­ka­ti­on (RAG) mün­de­te. Das neue Un­ter­neh­men, dem Sil­ver­berg vor­stand, ver­leg­te sei­nen Sitz nach Köln und schloss 1910 mit der Stadt ei­nen Strom­lie­fer­ver­trag über drei­ßig Jah­re, der 1912 in Kraft trat. Die neu ge­grün­de­te RAG-Toch­ter Rhei­ni­sches Elek­tri­zi­täts­werk im Braun­koh­len­re­vier AG (REW) pro­du­zier­te güns­ti­ge­ren Strom als die Kon­kur­renz – al­len vor­an als die be­nach­bar­te Rhei­nisch-West­fä­li­sche Elek­tri­zi­täts­wer­ke AG (RWE), mit der RAG / REW aber schlie­ß­lich seit 1920 zu­sam­men­ar­bei­te­te. Die RAG stieg 1924 beim da­mals grö­ß­ten selb­stän­di­gen Stein­koh­len­pro­du­zen­ten – der Har­pe­ner Berg­bau AG in Dort­mund – mit dem Ziel ein, ei­nen rhei­nisch-west­fä­li­schen braun- und stein­koh­len­ba­sier­ten En­er­gie­ver­bund auf­zu­bau­en. 

Sil­ver­berg galt seit Be­ginn der 1920er Jah­re als „Be­herr­scher der Braun­koh­le" und ver­füg­te in der Ar­bei­ter­schaft über ho­hes An­se­hen, weil er sich volks­nah und ko­ope­ra­tiv gab. 1926 wech­sel­te er in den Auf­sichts­rat der RAG, ließ sich aber vor­her zu­si­chern, wei­ter­hin stra­te­gi­sche Ent­schei­dun­gen für das Un­ter­neh­men tref­fen zu kön­nen, das ei­nes der ren­ta­bels­ten deut­schen Gro­ß­un­ter­neh­men sei­ner Zeit war. 

Sil­ver­bergs un­ter­neh­me­ri­sche Tä­tig­kei­ten be­schränk­ten sich aber nicht auf die Kern­un­ter­neh­men RAG und Har­pen. Er war in die Sa­nie­rung des Stin­nes-Kon­zerns, der Bed­bur­ger Woll­in­dus­trie AG so­wie von Ha­pag und Lloyd ein­ge­bun­den; er struk­tu­rier­te fer­ner an ma­ß­geb­li­cher Stel­le die Bank für deut­sche In­dus­trie­ob­li­ga­tio­nen um, ver­mit­tel­te für die Ver­ei­nig­te Stahl­wer­ke AG, be­riet die Deut­sche Reichs­bahn und die Deut­sche Bank, zu der er ein be­son­ders ver­trau­ens­vol­les Ver­hält­nis pfleg­te. Ge­ra­de in Ban­kiers­krei­sen ge­noss Sil­ver­berg auf­grund sei­ner kauf­män­ni­schen Weit­sicht ho­hes An­se­hen; 1932 stieg er nach dem Tod von Louis Ha­gen als Teil­ha­ber beim kri­seln­den Köl­ner Bank­haus A. Le­vy ein, das er aber in­ Zu­sam­men­ar­beit mit Ro­bert Pferd­men­ges vom Bank­haus Sal. Op­pen­heim & Cie. nur noch still li­qui­die­ren konn­te. 1931 saß Paul Sil­ver­berg in 61 Auf­sichts- und Ver­wal­tungs­rä­ten. Ne­ben den ge­ra­de er­wähn­ten sind fer­ner die Man­da­te bei der AG für Berg­bau, Blei- und Zink­fa­bri­ka­ti­on zu Stol­berg und in West­fa­len, bei der Gel­sen­kir­che­ner Berg­werks AG, der Deut­schen Ma­schi­nen­bau AG, dem RWE, bei der Sie­mens-Schu­ckert-Wer­ke AG und den Ver­ei­nig­ten Elek­tri­zi­täts­wer­ken West­fa­len her­vor­zu­he­ben. Sil­ver­berg war ei­ner der best ver­netz­ten und ein­fluss­reichs­ten Un­ter­neh­mer sei­ner Zeit und ein ide­al­ty­pi­scher Ver­tre­ter (und Ver­fech­ter) des ko­ope­ra­ti­ven Ka­pi­ta­lis­mus.

Als In­ter­es­sen­ver­tre­ter pro­pa­gier­te Sil­ver­berg stets die „staats­freie" Wirt­schaft, wie be­son­ders an sei­nem Kampf ge­gen die So­zia­li­sie­rung der Schlüs­sel­in­dus­tri­en 1920 deut­lich wird, den er mit sei­nem Freund Hu­go Stin­nes er­folg­reich be­stritt. Zu­vor hat­te er sich vor al­lem in den Ge­mein­schafts­or­ga­ni­sa­tio­nen des rhei­ni­schen Braun­koh­len­berg­baus – In­ter­es­sen­ver­bän­den und Syn­di­kat – en­ga­giert. Nach und nach be­schäf­tig­te er sich aber auch mit all­ge­mei­nen wirt­schafts­po­li­ti­schen Fra­gen. Zu sei­nen Haupt­ar­beits­ge­bie­ten ge­hör­ten die Ver­kehrs- und Fi­nanz­po­li­tik. Seit 1922 saß er im Vor­stand, seit 1923 im Prä­si­di­um des Reichs­ver­bands der deut­schen In­dus­trie (RDI), ehe er 1930 stell­ver­tre­ten­der Vor­sit­zen­der wur­de; auch im Deut­schen In­dus­trie- und Han­dels­tag, der Ver­ei­ni­gung Deut­scher Ar­beit­gerber­ver­bän­de und dem Ver­ein zur Wah­rung der ge­mein­sa­men wirt­schaft­li­chen In­ter­es­sen in Rhein­land und West­fa­len be­klei­de­te er Spit­zen­po­si­tio­nen. Fer­ner ge­hör­te er der Ruhr­la­de an, ei­nem ex­klu­si­ven Zu­sam­men­schluss von 12 Ruhr­in­dus­tri­el­len. Im Ok­to­ber 1932 wur­de er zum Prä­si­den­ten der In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer (IHK) zu Köln ge­wählt. 

Sil­ver­berg ver­trat po­li­tisch ge­mä­ßig­te Stand­punk­te. Ei­nem grö­ße­ren Kreis wur­de er durch sei­ne „Dresd­ner Re­de" be­kannt. An­läss­lich der Mit­glie­der­ver­samm­lung des RDI sorg­te er für ei­ni­ges Auf­se­hen (und Kri­tik), als er zum ers­ten er­klär­te, die deut­schen Un­ter­neh­mer stün­den „rest­los auf staats­be­ja­hen­dem Bo­den", und zum zwei­ten an­reg­te, mit Ar­bei­ter­schaft und So­zi­al­de­mo­kra­tie zu ko­ope­rie­ren. Sei­ne re­al­po­li­ti­sche Hal­tung brach­te ihm auch bei Po­li­ti­kern An­se­hen ein; ins­be­son­de­re der Köl­ner Ober­bür­ger­meis­ter Ade­nau­er und Reichs­kanz­ler Hein­rich Brü­ning (1885-1970) ver­trau­ten auf sei­nen Rat. Brü­ning woll­te ihn 1931 gar zum Ver­kehrs­mi­nis­ter ma­chen; je­doch wa­ren Sil­ver­bergs Be­din­gun­gen nicht durch­setz­bar, wie er über­haupt sei­ne po­li­ti­schen Vor­stel­lun­gen sel­ten um­set­zen konn­te. 

In der Rhein­land­fra­ge agier­te er als Ver­mitt­ler zwi­schen Ade­nau­er und Stin­nes so­wie bei den Ver­hand­lun­gen mit fran­zö­si­schen In­dus­tri­el­len und be­für­wor­te­te ei­ne Lö­sung, nach der das Rhein­land im Reichs­ver­bund ver­blei­ben konn­te. Po­li­tisch ge­hör­te er dem na­tio­nal­li­be­ra­len Spek­trum an und saß für die „Deut­sche Volks­par­tei" (DVP) seit 1929 im Rhei­ni­schen Pro­vin­zi­al­land­tag, wo er un­ter an­de­rem den Son­der­aus­schuss lei­te­te, der den Zu­sam­men­bruch der Lan­des­bank der Rhein­pro­vinz un­ter­such­te. 

Ge­gen En­de der Wei­ma­rer Re­pu­blik nä­her­te sich Sil­ver­berg der po­li­ti­schen Rech­ten an und ließ der NS­DAP über Gre­gor Stras­ser (1892-1934) Geld zu­kom­men, von dem er hoff­te, er kön­ne die Par­tei­li­nie zu­guns­ten ei­ner wirt­schafts­freund­li­chen Po­li­tik be­ein­flus­sen. Sil­ver­berg ge­hör­te zu den po­li­tisch in­dif­fe­ren­ten In­dus­tri­el­len in der End­pha­se der Wei­ma­rer Zeit, kei­nes­wegs aber zu den ent­schlos­se­nen Be­für­wor­tern ei­ner Re­gie­rungs­be­tei­li­gung der NS­DAP. 

Zeit­lich, aber nicht ur­säch­lich fie­len der Macht­an­tritt der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten und Sil­ver­bergs Rück­zug aus der Wirt­schaft zu­sam­men: Er hat­te zu kei­nem Zeit­punkt die Ak­ti­en­mehr­heit der RAG ver­fügt, son­dern stets dar­auf ver­traut, dass die Ak­tio­nä­re ihn an sei­nen Leis­tun­gen als Un­ter­neh­mer mes­sen. Lan­ge war die­se Un­ter­neh­mens­po­li­tik mit breit ge­streu­tem Ak­ti­en­ka­pi­tal er­folg­reich ge­we­sen, doch seit Mit­te 1932 gab es mit Fried­rich Flick (1883-1972) ei­nen Gro­ßak­tio­när, der schlie­ß­lich mit Hil­fe des RWE und von Frit­z Thys­sen die Ak­ti­en­mehr­heit der RAG über­nahm. Da­bei­ ­spiel­ten un­ter­neh­me­ri­sche Er­wä­gun­gen, (mög­li­che) Ver­än­de­run­gen des Ak­ti­en­rechts so­wie per­sön­li­che Vor­be­hal­te ge­gen Sil­ver­berg ei­ne Rol­le, der sich mit sei­ner oft­mals ri­go­ro­sen Art nicht nur Freun­de ge­macht hat­te. Zum 31.3.1933 schied Sil­ver­berg aus der RAG und in der Fol­ge aus sämt­li­chen Auf­sichts­rä­ten und Ver­bands­gre­mi­en aus; po­li­ti­sche Zwän­ge spiel­ten nur ei­ne be­schleu­ni­gen­de Rol­le. 

Sil­ver­berg emi­grier­te zur Jah­res­wen­de 1933/1934 nach Lu­ga­no in die Schweiz und wur­de 1936 Liech­ten­stei­ni­scher Staats­bür­ger. Nach dem Krieg lehn­te er es trotz der Bit­ten Ade­nau­ers ab, zur RAG zu­rück­zu­keh­ren. An­läss­lich sei­nes 75. Ge­burts­tags er­hielt Sil­ver­berg 1951 zahl­rei­che Eh­run­gen und wur­de un­ter an­de­rem zum Eh­ren­prä­si­den­ten der IHK Köln und des Bun­des­ver­bands der Deut­schen In­dus­trie er­nannt. Sil­ver­berg starb am 5.10.1959; sei­ne Be­er­din­gung fand in ei­ner schlich­ten Ze­re­mo­nie in Bed­burg statt. 

Literatur

Geh­len, Bo­ris, Paul Sil­ver­berg (1876-1959). Ein Un­ter­neh­mer, Stutt­gart 2007.
Kel­len­be­nz, Her­mann, Paul Sil­ver­berg (1876-1959), in: Rhei­nisch-West­fä­li­sche Wirt­schafts­bio­gra­phi­en 9, Müns­ter 1967, S. 103-132.
Ma­ri­aux, Franz, Paul Sil­ver­berg. Re­den und Schrif­ten, Köln 1951.
Mos­se, Wer­ner E., Zwei Prä­si­den­ten der Köl­ner In­dus­trie- und Han­dels­kam­mer: Louis Ha­gen und Paul Sil­ver­berg, in: Bohn­ke-Koll­witz, Jut­ta u.a. (Hg.): Köln und das rhei­ni­sche Ju­den­tum. Fest­schrift Ger­ma­nia Ju­dai­ca 1959-1984, Köln 1984, S. 308-340.
Nee­be, Rein­hard, Gro­ß­in­dus­trie, Staat und NS­DAP 1930-1933. Paul Sil­ver­berg und der Reichs­ver­band der Deut­schen In­dus­trie in der Kri­se der Wei­ma­rer Re­pu­blik, Göt­tin­gen 1981.

 
Zitationshinweis

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Gehlen, Boris, Paul Silverberg, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-silverberg/DE-2086/lido/57c950c1480f23.00742689 (abgerufen am 24.04.2024)