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Paul Spinat war ein erfolgreicher Unternehmer in der Textilbranche. Bekannt- und Berühmtheit erlangte er durch den Kauf der Schlösser Marienfels (Stadt Remagen) und Drachenburg (Stadt Königswinter) und deren eigenwillige Restaurierung und Ausstattung.
Paul Spinat wurde am 3.11.1904 in Godesberg (heute Stadt Bonn) als Sohn des Postbeamten Peter Spinat (1879-1953) und seiner Ehefrau Anna Maria Weber (1882-1947) geboren. Die Mutter war ebenfalls berufstätig, sie betrieb seit 1925 einen Kiosk mit „Schreibwaren und Konfitüren“ neben der Godesberger Burgschule. Spinat besuchte das Aloisiuskolleg und bewunderte dort die adeligen Mitschüler. Nach dem Schulabschluss nahm er eine Lehre als Bankkaufmann in der Sparkasse in Godesberg auf und arbeitete sich hier immerhin bis zum Vize-Direktor hoch.
Am 17.1.1931 heiratete der Sparkassensekretär Spinat Gertrud „Trude“ Heimann (geboren 1910). Die gemeinsame Tochter Erika kam im Mai des gleichen Jahres zur Welt. Für seine junge Familie erwarb Spinat 1933/1934 auf der Viktorshöhe im heutigen Bonner Ortsteil Schweinheim ein Grundstück und baute in der Waldstraße 31 ein einfaches Holzhaus. Während des Zweiten Weltkriegs diente Spinat als Oberleutnant der Marine. Nach der Währungsreform 1948 entschied er sich den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. Am 18.3.1949 meldete er auf dem Gewerbeamt der Bad Godesberger Stadtverwaltung seine Firma „Spitan-Bekleidung“ an. Unternehmenszweck war die „fabrikmässige Fertigung von Kleidern“, Sitz das Haus in der Waldstraße 31. Während Paul Spinat als Geschäftsführer für den Einkauf der Stoffe und den Vertrieb der Produkte zuständig war, übernahm seine Tochter Erika den Entwurf und die Herstellung von maßgeschneiderten Damenkleidern. Das Geschäft entwickelte sich erfolgreich, 1950 waren bei Spitan schon 18 Personen beschäftigt.
Während es beruflich aufwärts ging, kam es in Spinats Privatleben zu einer Trennung. Seine Frau hatte nach dem Krieg einen anderen Mann, einen Amerikaner kennengelernt, die Ehe ging in die Brüche und wurde 1950 geschieden. Sein Geld steckte Spinat seit 1956 in den Um- und Ausbau seines Wohnhauses nach eigenen Vorstellungen und in Kunstgegenstände. 1968 berichtete die „Bonner Rundschau“ über die eigenwillige Gestaltung des Gebäudes, dessen Zinnen, Bogen und Türmchen schlossähnliche Merkmale aufwiesen. Auch ein Familienwappen fehlte nicht. Im Inneren des Hauses befand sich Spinats Sammlung von Kunst und Kitsch, die er zum Teil über seinen Onkel, den Auktionator Bernhard Spinat (1883-1969), erworben haben dürfte. Im August 1968 heiratete er seine zweite Frau, Karla Laber-Kuban (1928-1982).
Auf seinem riesigen Grundstück errichtete er Ende der 1960er Jahre drei weitere Häuser, von denen er eines als Residenz für den indischen Botschafter vermietete. Im Alter von 67 Jahren erfüllte sich Spinat einen Kindheitstraum: Mit dem Kauf und Besitz von Schloss Drachenburg zeigte er gleichzeitig, dass er es zu etwas gebracht hatte. Die Gründerzeitvilla „Schloss Drachenburg“ war von dem in Bonn geborenen und in Paris lebenden Bank- und Börsenexperten Stephan von Sarter nach seiner Nobilitierung zwischen 1882 und 1884 erbaut worden. Bekannte Künstler hatten die Innenausstattung gestaltet. Ab 1931 hatte sie als katholische Internatsschule, dann kurz als Adolf-Hitler-Schule gedient. Nach 1945 im Besitz des Staates, hatte die Eisenbahnverwaltung die Immobilie als Einrichtung zur Personalschulung genutzt. Seit der Verlegung der Eisenbahnerschule 1960 stand das Gebäude über ein Jahrzehnt leer. Eine Nutzung als Schulungseinrichtung für die Landesfinanzverwaltung, aber auch der Abriss wurde diskutiert. Proteste der Denkmalpflege, von Bevölkerung und Politikern verhinderten zwar letzteres, die Frage der Nutzung blieb jedoch weiterhin offen.
Paul Spinat wandte sich 1971 an die nordrhein-westfälische Landesregierung und machte ein Angebot für Schloss Drachenburg. Die Darlegung seiner Vermögensverhältnisse und eines Konzeptes für das bis dahin ungenutzt verfallende Gebäude überzeugte die Landesregierung von der Ernsthaftigkeit des Bieters. Der Schätzwert der Immobilie lag bei 450.000 DM; einzige Auflage war, das Gelände der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Kaufsumme im Vertrag vom 10.12.1971 betrug schließlich 500.000 DM, zahlbar innerhalb von zehn Jahren. Den Kauf finanzierte Spinat über einen Bausparvertrag bei einer schwäbischen Bausparkasse.
Die eigenwillige Weise, in der Spinat Schloss Drachenburg mit Elan „restaurierte“ und ausstattete, war eine Mischung von Notwendigem und sehr persönlichem Geschmack. Die fehlenden Turmhauben der Südfassade wurden wieder aufgesetzt, die Figuren von Julius Caesar, Karl dem Großen und Wilhelm I. mit Schlagmetall „vergoldet", die Burgterrasse und der Park erhielten neuen Zierrat. Bei der Innenausstattung versuchte er mit Hilfe von Restauratoren und Künstlern die verstümmelten Gemäldezyklen der Repräsentationsräume zu rekonstruieren. Allerdings blieb vieles aus Kostengründen nur Improvisation und zudem sehr vom Geschmack Spinats geprägt. Möbel und Tand zogen in die Räume ein. Außerdem reichten Spinats Finanzen nicht wirklich, um Erhalt und Unterhalt von Schloss Drachenburg zu tragen. Auch die nach der Wiedereröffnung 1973 Eintrittsgelder zahlenden Besucher - angeblich 200.000 im Jahr -, deckten nicht die laufenden Kosten. Spinat bemühte sich daher um „Events“. Schon früh fanden regelmäßig Konzerte auf der Drachenburg statt, unter anderem des Chur-Cölnischen Orchesters. Durch den Bonner Kunstsammler und Galeristen Hermann Wünsche (1941-1993) kamen weltberühmte Künstler und ihre Kunstwerke auf die Drachenburg. Wünsche, der seine Galerie 1981 in den Bredershof in Königswinter-Niederdollendorf verlegte, brachte Andy Warhol (1928-1987) mit auf Schloss Drachenburg. Warhol nahm ein Foto der Vorburg als Vorlage für eines seiner Kunstwerke. Wünsche stellte im gleichen Jahr erstmals auf der Drachenburg Kunstwerke von Marc Chagall (1887-1985) aus. Im Jahr darauf folgte eine Ausstellung „Literarische Zyklen“ mit Werken von Salvador Dalí (1904-1989).
Spinat inszenierte Schloss Drachenburg, aber vor allem gerne sich. Als standesgemäßes Fahrzeug für einen Schlossherrn erschien ihm ein goldener Rolls Royce Silver Shadow, in dem er sich von seinem Fahrer durch Königswinter chauffieren ließ. Auch empfing er Gäste gerne in einer Phantasieuniform. Um Besucher zu beeindrucken, ließ er eine Freitreppe in die Kunsthalle einbauen, die zwar ins Nichts führte, aber von der aus er seine Gäste begrüßen konnte. Auf der neugotischen Balustrade an der Ostwand des Musikzimmers stand eine Orgelattrappe, die teilweise aus Regenfallrohren bestand. Spinat setzte sich mit Vorliebe an das „Instrument“ und gab für Besucher „Orgelkonzerte“, wobei er das Orgelspiel mimte, während die Musik vom Tonbandgerät kam. In Königswinter kursieren heute noch zahlreiche Anekdoten über Erlebnissen mit dem exzentrischen Schlossherrn.
Zudem hatte Spinat 1975 ein weiteres repräsentatives Gebäude erworben: Schloss Marienfels bei Remagen. Das 1859-1863 von dem Architekten Karl Schnitzler (1789-1864) für den (Krefeld-) Uerdinger Zuckerfabrikanten Eduard Frings (1816-1875) als Landhaus erbaute Gebäude beherbergte in den 1960er Jahren ein Sanatorium. Spinat begann auch hier sogleich mit der Renovierung, deren sichtbarstes Zeichen bis heute der leuchtend weiße Außenanstrich ist.
Drei Jahre nach dem Tod seiner Frau Karla, im Juli 1985, heiratete Spinat zum dritten Mal, diesmal eine Adelige: Erina Prinzessin von Sachsen (1921-2010). Sie war jedoch keine geborene Adelige, sondern als Erna Eilts in Emden zur Welt gekommen und war Wirtin der Szenekneipe „Mariandl“. 1974 hatte sie in dritter Ehe den Prinzen Timo von Sachsen (1923-1982), den Enkel des letzten Königs von Sachsen Friedrich August III. (1865-1932), geheiratet. Durch die Hochzeit war Paul Spinat zwar nicht selbst adelig geworden – was er möglicherweise insgeheim erhofft hatte -, aber nichtsdestotrotz verbreitete er, er stamme von einem „Comte de Spina´t“ ab.
Im März 1986 erhielt Spinat endlich die Würdigung und Anerkennung, die er sich als Burgherr wohl immer erhofft hatte. Für seine Verdienste um den Erhalt von Schloss Drachenburg wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. Aller vermeintlicher Glanz und Glamour aber konnte nicht verhindern, dass Spinat hohe Schulden anhäufte und Schloss Drachenburg trotz aller Bemühungen wieder verfiel. Schweren Herzens musste er sich sowohl von Schloss Drachenburg als auch von Schloss Marienfels trennen. Als Käufer trat im Dezember 1988 der „Burgenkönig“ Herbert Hillebrand (geboren 1940) auf. Quasi in letzter Minute entschied sich im Februar 1989 das Land Nordrhein-Westfalen, sein Vorkaufsrecht wahrzunehmen und erwarb die Immobilie für acht Millionen DM. Schloss Marienfels wurde hingegen von Hillebrand gekauft. Nach einer erneuten Renovierung vermietete er es von 1994 bis 1999 an die Republik Kasachstan, der es als Botschaftsgebäude diente. Anschließend war es Wohnsitz der Familie Hillebrand. Im November 2004 erwarb schließlich der Fernsehmoderator Thomas Gottschalk (geboren 1950) Schloss Marienfels. Seit Januar 2013 befindet es sich im Besitz des Bonner Solarworld-Unternehmers Frank Asbeck.
Spinat starb am 23.2.1989. Sein Grab auf dem Königswinterer Friedhof am Palastweiher liegt direkt neben dem Grab des Erbauers von Schloss Drachenburg, Stephan von Sarter.
Paul Spinats Verdienst ist es, die Diskussion um einen Abriss von Schloss Drachenburg beendet zu haben. Es war ihm aber nicht möglich, die Anlage vor dem Verfall zu retten, dafür reichte sein Geld nicht aus. Aber er konnte ihn eine Zeit lang verzögern. Die Räume wurden genutzt und beheizt, trotzdem war der Schwamm eingezogen, das Treppenhaus eingebrochen. Erst die Nordrhein-Westfalen-Stiftung realisierte eine Sanierung und behutsame Restaurierung des Gebäudes und seiner Ausstattung. Sie brauchte dafür vom Kauf bis zur Wiedereröffnung im Jahre 2010 insgesamt 21 Jahre und 31,5 Millionen Euro.
Literatur
Biesing, Winfried, Das Schloss Drachenburg und der Burghof im Wandel der Zeit, [Bonn] 1997.
Böger, Helmut/Krüger, Gerhard, Berühmte und berüchtigte Bonner, Wuppertal 1991, S. 118-121.
Cresnar, Colin, Schönen Gruß vom Schloßgespenst (Eine Erinnerung an Paul Spinat, 1905-1989), in: Zwischen Stadt und Dorf. Rhein-Sieg/Bonn Lesebuch, hg. von Jochen Arlt und Dieter Brockschnieder, Pulheim 1990, S. 156-159.
Hausmanns. Ulf, Ein uraltes Märchen – Paul Spinat und die Drachenburg, in: Jahrbuch des Rhein-Sieg-Kreises 2008, S. 62-71.
Knorr-Anders, Esther, My Home Is A Castle, in: Merian. Der Rhein von Mainz bis Köln, 35 (1982), S. 16-19.
Schloss Drachenburg. Historistische Burgenromantik am Rhein, hg. von der Nordrhein-Westfalen-Stiftung, Berlin/München 2010.
Stoverock, Helga, Neue Wertschätzung – die Ära Spinat, in: Schloss Drachenburg. Historistische Burgenromantik am Rhein, hg. von der Nordrhein-Westfalen-Stiftung, Berlin/München 2010, S. 149-191.
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Klein, Ansgar S., Paul Spinat, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/paul-spinat/DE-2086/lido/57c953a4e71d33.81170891 (abgerufen am 10.12.2024)