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Der aus Düsseldorf stammende und lange Jahre in Westfalen wirkende Reinhard Mumm war am Ende des Kaiserreiches und in der Weimarer Republik einer der bekanntesten Vertreter eines national-konservativen, aber zugleich sozial-engagierten Protestantismus.
Geboren wurde Reinhard Mumm am 25.7.1873 in Düsseldorf als ältester Sohn des Hutfabrikanten Reinhard Mumm (1839-1891), dessen Familie seit längerem am Niederrhein ansässig und dessen gleichnamiger Vater (1794-1854) Ratsherr in Ruhrort (heute Stadt Duisburg) gewesen war. Die Mutter Susanne Marie, geborene Kayser (1843-1926), war eine Kaufmannstochter aus Bad Kreuznach. In seiner Geburtsstadt Düsseldorf besuchte Mumm von 1883 bis 1893 das Königliche Gymnasium. Entscheidend für den Lebenslauf wurde schon in der Schulzeit die Begegnung mit dem Berliner Hofprediger und konservativen Politiker Adolf Stoecker (1835-1909). Als erster in seiner Familie studierte Mumm Theologie, zunächst in Bonn, später in Halle, dazu auch Volkswirtschaft, unter anderem bei dem Bonner Nationalökonomen Heinrich Dietzel (1857-1935). Seine theologische Weltsicht wurde geprägt durch den Hallenser konservativen Neutestamentler Martin Kähler (1835-1912), dessen Nichte Elisabeth (1890-1967) er 1909 ehelichte. Diese war zugleich die Pflegetochter Stoeckers, den er im antisemitischen Verein Deutscher Studenten wiedertraf und dem nach Berlin an die Universität folgte. Nach dem ersten theologischen Staatsexamen in Bonn 1897 absolvierte er ein Aufbaustudium in Utrecht, aus dem eine Lizensiatenarbeit über den Reformator Martin Chemnitz (1522-1586) hervorging. Zeitgleich mit dem zweiten Staatsexamen wurde Mumm im Jahr 1900 Generalsekretär der „Freien Kirchlich-Sozialen Konferenz“, einer konservativen Abspaltung der von Stoecker ursprünglich gegründeten „Evangelisch-sozialen Konferenz“, in der nun die liberalen Kräfte um Friedrich Naumann (1860-1919) und Max Weber (1864-1920) dominierten.
In den folgenden Jahren stieg Mumm, der sich für eine Funktionärs- und gegen eine Theologenlaufbahn entschieden hatte, in der breiten evangelisch-sozialen Bewegung auf, zu der unter anderem die „Innere Mission“, die „Christlichen Gewerkschaften“ und die „Christlich-soziale Partei“ (CSP) gehörten, für die Stoecker von 1898 bis 1909 im Reichstag saß und deren Hochburgen im südlichen Westfalen, im Ruhrgebiet und im Regierungsbezirk Düsseldorf lagen. Gemeinsame Grundlage waren Bemühungen um die soziale Integration der – protestantischen – Arbeiterschaft, die sich mit Antiliberalismus und Antisozialismus sowie – bei der CSP - mit einem starken Antisemitismus verbanden. Mumm nahm innerhalb dieser Bewegung verschiedene Positionen wahr und versuchte beim Tod Stoeckers dessen politisches Erbe anzutreten. Allerdings gelang ihm erst 1912 in dessen Wahlkreis Siegen-Wittgenstein, den 1909 verlorenen Reichstagsitz im ersten Wahlgang von den Nationalliberalen für die CSP zurückzuerobern.
Sein Leitmotiv, das sein gesellschaftliches und politisches Engagement damals und auch später bestimmte, hat Mumm in seinen postum erschienenen Erinnerungen so verdichtet: Fest auf christlichem Grund in evangelischer Klarheit! Getreu in sozialem Opfersinn im Blick auf unser wundes Volk! Straff stehen zum Volk und zum völkischen, zum nationalen Gedanken! Entsprechend verstand sich Mumm als Teil des konservativen Lagers, allerdings in gewisser Distanz zu den agrarisch ausgerichteten Deutschkonservativen, während er sich der 1916 aus CSP, Freikonservativen und anderen konservativen Splittergruppen gebildeten „Deutschen Fraktion“ umgehend anschloss.
Den Kriegsausbruch 1914 erlebte er auf dem Weg nach Ostafrika im Mittelmeer und schlug sich dann durch Italien und die Habsburgermonarchie nach Deutschland durch. Bei den Kriegszielen lag Mumm auf der annexionistischen Linie der Alldeutschen, suchte aber durchaus eigene Akzente zu setzen, unter anderem indem er einen Ausgleich mit Russland unter Opferung des deutschen Verbündeten Türkei empfahl, dessen Armenier-Massaker er kritisierte. 1917 wurde er Feldprediger an der Ostfront und erhielt einen theologischen Ehrendoktor der Berliner Universität. Nachdem er Mitte 1917 gegen die mehrheitlich vom Reichstag angenommene Friedensresolution gestimmt hatte, wollte Mumm bis Kriegsende die absehbare Niederlage Deutschlands nicht wahrhaben und organisierte noch im Oktober 1918 an der Berliner Siegessäule eine Demonstration mit Durchhalte-Parolen.
Auf den Sturz der Monarchie reagierte er wenig später mit einem Zeitungsartikel, wo er sich zum Haus Hohenzollern bekannte: Mein Kaiser heißt Wilhelm III. Den neuen politischen Umständen wollte Mumm mit der Gründung einer konservativen Volkspartei Rechnung tragen und unterstützte deshalb den Zusammenschluss der verschiedenen konservativen Gruppierungen zur „Deutsch-Nationalen Volkspartei“ (DNVP). Für diese wurde er in seinem alten, nunmehr zu „Westfalen-Süd“ erweiterten Wahlkreis auf einer gemeinsamen Liste von DVNP und national-liberaler Deutscher Volkspartei Anfang 1919 in die Weimarer Nationalversammlung gewählt.
Trotz seiner Anhänglichkeit an die Monarchie verweigerte sich Mumm aber nicht völlig der konstruktiven Mitarbeit am neuen Verfassungssystem, wobei sein Hauptaugenmerk kirchen- und kulturpolitischen Fragen galt. Als Multifunktionär etlicher kirchlicher Vorfeldorganisationen und bekannter evangelisch-sozialer Publizist genoss er das besondere Vertrauen kirchlicher Instanzen, insbesondere des preußischen Oberkirchenrates. Deren Interessen vertrat er ganz offensiv: „Seine Loyalität gehörte in Weimar stärker der Kirche als der Partei.“ (Norbert Friedrich) Bei der Neugestaltung des Verhältnisses von Kirchen und Staat, die später auch ins Grundgesetz übernommen wurde, arbeitete er auch mit Liberalen wie Friedrich Naumann und Wilhelm Kahl (1849-1932) zusammen und sah im Ergebnis die Umsetzung des alten Ziels seines Lehrmeisters Stoecker einer „freien Volkskirche“ weitgehend erreicht. Auch den zwischen der Zentrumspartei und der SPD geschlossenen „Weimarer Schulkompromiss“ trug er mit. Obwohl er schließlich mit seiner Fraktion gegen die Verfassung stimmte, akzeptierte er diese doch als vorläufige Grundlage und lehnte dementsprechend den Versuch eines gewaltsamen Umsturzes durch den Kapp-Putsch ab. Im Rückblick empfand Mumm die Zeit in der Nationalversammlung als Höhepunkt meiner Arbeit.
Beim Wahlerfolg der Deutschnationalen im Juni 1920 zog Mumm – wie bei den folgenden drei Wahlen bis 1928 auch – über den Wahlkreis Westfalen-Süd erneut in den Reichstag ein. Hier konzentrierte er sich auf die Kulturpolitik und stand viele Jahre dem Reichstags-Ausschuss für Bildungswesen vor. Analog zu seinen Überzeugungen wollte er gerade auf diesem Feld eine „Rechristianisierung“ der Bevölkerung vorantreiben, wobei sein Hauptinteresse der Literatur und dem Film galt. In letzterem erblickte er schon im Ersten Weltkrieg einen Volksverwüster ersten Ranges, den es einer strengen Zensur zu unterwerfen galt. Als langjähriges Mitglied der „Film-Oberprüfstelle“ versuchte er selbst in diese Richtung zu wirken. Aber auch hinsichtlich der Literatur verschrieb sich Mumm dem Kampf gegen „Schmutz und Schund“, so dass er in den Augen vieler als der eigentliche „Vater“ des berüchtigten „Gesetzes zur Bewahrung der Jugend vor Schund- und Schmutzschriften“ galt, das der Reichstag durch eine Mitte-Rechts-Mehrheit Ende 1926 verabschiedete.
Innerhalb seiner Fraktion gehörte Mumm zugleich zu denjenigen, die allen Vorbehalten gegenüber der Republik zum Trotz keine fundamentale Opposition betreiben wollten und einer Mitwirkung an der Regierung nicht abgeneigt waren. So stimmte er 1924 der Verabschiedung des Dawes-Planes zu, mit dem die Reparationsfrage neugeregelt wurde, und half damit, die notwenige Zwei-Drittel-Mehrheit zu sichern. Die innerparteilich nicht unumstrittene Beteiligung der DNVP am ersten Kabinett von Reichkanzler Hans Luther (1879-1962) und am dritten und vierten von Wilhelm Marx (1863-1946) hat Mumm grundsätzlich begrüßt. Auch aus diesem Grund war er bei aller Kritik am rechten Flügel seiner eigenen Partei nicht bereit, die Einheit der DNVP durch Abspaltung der Christlich-Sozialen aufs Spiel zu setzen. Noch im Wahlkampf 1928 bekämpfte er den von Württemberg ausgehenden Versuch, die Christlich-Soziale Partei wiederzubeleben.
Zwischendurch hatte Mumm auch aus finanziellen Gründen versucht, neben der Politik ein zweites berufliches Standbein zu bekommen. Der Versuch, eine Pfarrerstelle an der Berlin Nicolai-Kirche zu erhalten, scheiterte am Widerspruch des dortigen Presbyteriums. 1922 wurde er Pfarrer in Syburg bei Iserlohn, ohne dort allerdings zu residieren. Viele sahen darin deshalb nur eine Sinekure zur Verbesserung der eigenen Position auf dem Höhepunkt der Inflationszeit. Zugleich engagierte sich Mumm aber als „westfälischer Sozialpfarrer im Nebenamt“, was auch die Anerkennung des Provinzialkirchenrates fand, der lange Jahre vergeblich auf eine neue hauptamtliche Stelle drängte, weshalb Mumm die Position erst 1931 aufgeben konnte.
Zu diesem Zeitpunkt ging seine politische Karriere dem Ende entgegen, da seine Stellung in der DNVP, wo er sich vor allem auf den Evangelischen Reichsausschuss gestützt hatte, seit 1928 immer mehr unter Druck geraten war. Mit der Wahl Alfred Hugenbergs (1865-1951) zum Parteivorsitzenden schwand der christlich-soziale Einfluss und ging die Partei zur Fundamental-Opposition zu. Mumms Schwierigkeiten mit Hugenberg rührten auch daher, dass dessen Medienkonzern Produkte vertrieb, die für ihn unter die Rubrik „Schmutz und Schund“ fielen. Dass die Partei davon profierte, lehnte er ab: Eine nationale Bewegung von Sündengeld gespeist, hat keine Verheissung. Ebenso befürchtete er nicht zu Unrecht, dass unter dem Großindustriellen Hugenberg die christlich-sozialen Elemente in der Partei zugunsten eines unternehmer-freundlichen Kurses zurückgedrängt würden.
Zum Bruch kam es dann über das sogenannte „Volksbegehren gegen den Young-Plan“. Mumm teilte zwar die Intention, eine weitere, auf lange Zeit bindende Regelung der Reparationsfrage zu verhindern, wollte aber nicht eine mögliche Unterzeichnung unter Strafe stellen. Auch sah er ein Zusammengehen mit der NSDAP kritisch. Weil er letztlich doch im Zweifel den „christlichen“ über den „nationalen Gedanken“ stellte, trat er Ende 1929 aus Partei und Fraktion aus und kam damit seinem Ausschluss bevor. Kurze Zeit später schloss er sich dem „Christlich-Sozialen Volksdienst“ (CVSD), einer Fusion verschiedener christlich-sozialer Kräfte, an.
Für diesen kandidierte Mumm bei der vorgezogenen Reichstagswahl vom September 1930 und wurde auf Platz vier der Reichsliste als einer von insgesamt 14 Abgeordneten gewählt. Mit seiner neuen Partei unterstützte er das ohne Mehrheit regierende Präsidialkabinett von Heinrich Brüning (1885-1970), ohne an diesem direkt beteiligt zu sein. Auch im CVSD sah sich Mumm zunehmend isoliert, da er als Relikt einer untergegangenen Zeit galt und sich auch mit seinem Kampf gegen den Alkoholismus wenig Freunde machte. Sein lauterer, unantastbarer Charakter wurde jedoch auch von parteipolitischen Opponenten wie dem langjährigen sozialdemokratischen Reichstagspräsidenten Paul Löbe (1875-1967) nicht in Zweifel gezogen.
Aus gesundheitlichen Gründen hatte sich Mumm, der zeit seines Lebens herzkrank war, für die Reichstagswahl im Juli 1932, bei der der CSVD starke Verluste erlitt, nicht mehr aufstellen lassen. Er starb am 25.8.1932 in Berlin, ehe er seine Erinnerungen abschließen konnte, die dann postum erschienen. Sein heute verschwundenes Grab fand er auf dem Friedhof im brandenburgischen Stahnsdorf. Von seinen vier Kindern setzte sein Sohn Reinhard (1916-1986) als Pfarrer sein christlich-soziales Werk in gewisser Weise fort.
Werke (Auswahl)
Die Polemik des Martin Chemnitz gegen das Konzil von Trient, Leipzig 1905.
(Hg.), Adolf Stoecker – Reden im Reichstag, Schwerin 1914.
Der Christ und der Krieg, Leipzig 1916.
Das Reichsschulgesetz zur Ausführung von Artikel 146, Absatz 2 der Reichsverfassung, Langensalza 1922.
Die christlich-soziale Fahne empor! Ein Wort zur gegenwärtigen Lage, Siegen 1930.
Der christlich-soziale Gedanke. Bericht über eine Lebensarbeit in schwerer Zeit, Berlin 1933.
Quellen
D. Reinhard Mumm †. In: Vossische Zeitung 408 v. 25.8.1932. [online]
Literatur
Brinkmann, Ernst, Der erste westfälische Sozialpfarrer. Zur 100. Wiederkehr des Geburtstages von Reinhard Mumm, in: Jahrbuch des Vereins für westfälische Kirchengeschichte 65 (1973), S. 177-188.
Busch, Helmut, Reinhard Mumm als Reichstagsabgeordneter, in: Jahrbuch des Vereins für westfälische Kirchengeschichte 65 (1973), S. 189-217.
Busch, Helmut, Mumm, Reinhard. in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 582-583 [Online-Version]; URL: https-blank://www.deutsche-biographie.de/pnd119492083.html#ndbcontent
Friedrich, Norbert, „Die christlich-soziale Fahne empor!“ Reinhard Mumm und die christlich-soziale Bewegung, Stuttgart 1997.
Hansen, Eckhard/Tennstedt, Florian [u.a.] (Hg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der deutschen Sozialpolitik 1871 bis 1945, Band 2: Sozialpolitiker in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus 1919 bis 1945, Kassel 2018, S. 137-138.
Mühl-Bennighaus, Wolfgang, Reinhard Mumm – Vater des Lichtspiel- und des Schmutz- und Schundgesetzes in der Weimarer Republik, in: Beiträge zur Film- und Fernsehwissenschaft 29 (1988), S. 207-220.
Mumm, Reinhard, Kirchlich – sozial. Zum 100. Geburtstag von D. Reinhard Mumm, in: Innere Mission 63 (1973), S. 384-393.
Ohnezeit, Maik, Zwischen „schärfster Opposition“ und dem „Willen zur Macht“. Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in der Weimarer Republik 1918-1928, Düsseldorf 2011.
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Frölich, Jürgen, Reinhard Mumm, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/reinhard-mumm/DE-2086/lido/5e873b012a2c90.02195688 (abgerufen am 12.12.2024)