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Rudolf Ritschl war Professor für Physik an der Humboldt-Universität in Berlin und Direktor des Instituts für Optik und Spektroskopie der Akademie der Wissenschaften der DDR.
Geboren wurde Rudolf Karl Ludwig Ritschl am 7.12.1902 als Sohn des liberal orientierten evangelischen Theologieprofessors Otto Ritschl (1860-1944)l in Bonn. Dessen Vater Albrecht Ritschl wiederum war gleichfalls evangelischer Theologe und Professor für Neues Testament in Bonn und anschließend für Dogmatik und Kirchen- und Dogmengeschichte in Göttingen gewesen, wobei er ab 1874 eine Schule von Theologen begründete, die als „Ritschlianer“ bezeichnet wurde und die letzthin die Auffassungen in der evangelischen Theologie bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts prägte. Rudolf Ritschl entstammt also einer angesehenen Gelehrtenfamilie. Sein Bruder Hans Wilhelm Ritschl (1897–1993) war Professor für Nationalökonomie und Soziologie an der Universität in Basel, später Hamburg und seit 1949 Mitglied des wissenschaftlichen Beirates des Bundesministeriums der Finanzen.
Rudolf Ritschl besuchte von 1912 bis 1921 das Städtische Gymnasium in Bonn, setzte die theologische Linie seiner Väter und Vorväter jedoch nicht fort. Er studierte in Bonn, Freiburg und Göttingen Mathematik, Physik und Chemie. Während des Wintersemesters 1921/1922 in Bonn gehörte er aktiv zur Burschenschaft Alemannia. In Bonn promovierte er 1927 mit einer Dissertation „über den Bau einer Klasse von Absorptionsspektren“, wobei es um ein elektromagnetisches Spektrum geht, das entsteht, wenn weißes Licht Materie durchstrahlt und Lichtquanten mit bestimmten Wellenlängen dabei absorbiert werden. Solche Spektren finden heute in der Mess- und Analysetechnik Verwendung sowie in der Astronomie, um die Zusammensetzung von leuchtenden Himmelskörpern zu ermitteln.
Als Assistent ging Rudolf Ritschl 1927/1928 nach Göttingen und arbeitete bei James Franck (1882-1964), der zusammen mit Gustav Ludwig Hertz (1887-1975) die Existenz von diskreten Energieniveaus in Atomen nachgewiesen hat, und dafür 1925 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden war. Nach 1933 stand Franck in Opposition zu den Nationalsozialisten. Anschließend ging Rudolf Ritschl nach Berlin zur Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR), wo er wissenschaftlicher Angestellter zunächst des Präsidenten Louis Carl Heinrich Friedrich Paschen (1865-1947) – Ritschl galt später als Paschen-Schüler - und ab 1933 des nationalsozialistisch orientierten Nobelpreisträgers Johannes Stark (1874-1957) war. Ritschl wurde 1932 zum Regierungsrat ernannt; er gehörte 1933 der SA und 1937 bis 1945 der NSDAP an. Er habilitierte sich 1936 an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin (der heutigen Humboldt-Universität), wurde dort 1937 zunächst Dozent für Experimentalphysik und 1942 zum außerplanmäßigen Professor berufen. 1938 veröffentlichte er zusammen mit der Physikerin Dr. Maria Heyden (später verheiratete Jorges), die Arbeit über das Kernmoment des Aluminiums. 1941 war er bereits zum Mitglied der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt berufen worden. Während dieser Zeit leistete er bis 1944 seinen Kriegsdienst beim Reichswetterdienst; 1945 übernahm er die Leitung des Spektroskopischen Laboratoriums des PTR.
Während des Nationalsozialismus hatte Ritschl offenbar eher fachliche als politische Differenzen zum Präsidenten der PTR. Zusammen mit dem Bonner Physik-Professor Heinrich Kayser (1853-1940) publizierte er die „Tabelle der Hauptlinien der Linienspektren aller Elemente nach Wellenlänge“, die 1939 in Berlin beim angesehenen Wissenschaftsverlag Springer erschien; das Werk gilt bis heute als unentbehrlich für alle technischen Spektralanalysen (1968 abermals aufgelegt).
Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte Rudolf Ritschl 1946/1947 einer Arbeitsgruppe des Konstruktionsbüros der sowjetischen Kriegsmarine an, die institutionell beim Optischen Institut von Ernst Lau in Berlin-Karow angebunden war. Lau war früher Leiter des Strahlungslaboratoriums bei der PTR gewesen und hatte neben seinem Wohnhaus ein optisches Laboratorium eingerichtet. De facto war es eine Ausgründung aus der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt, die Grundlagenforschung betrieb. Daraus entstand 1948 das Optische Laboratorium, das der Deutschen Akademie der Wissenschaften angeschlossen wurde, 1952 als Institut für Optik und Feinmechanik und ab 1957 als Institut für Optik und Spektroskopie firmierte. Hier arbeitete Rudolf Ritschl von 1948 bis 1959 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und anschließend bis 1967 als Direktor des Instituts für Optik und Spektroskopie. An seinem Institut konnte bereits 1962 – zwei Jahre nach seiner Entdeckung – der erste Laser-Versuch im sozialistischen Lager durch den Meteorologen Kurt Lenz (geboren 1932) nachgebildet werden.
Von 1949 an war er zunächst kommissarisch, ab 1952 endgültig Direktor des 1. Physikalischen Instituts der Humboldt-Universität Berlin, wo er 1952 auch zum Professor für Experimentalphysik berufen wurde, ein Jahr später war er bis 1965 Fachrichtungsleiter Physik. 1968 wurde er emeritiert. Rudolf Ritschl starb am 8.11.1982 in Berlin.
Rudolf Ritschl verfasste während seines akademischen Lebens weit über 70 Aufsätze, wobei sein Schwerpunkt auf den Atom- und Molekülspektren, die optische Spektroskopie, das mehrfache Aufspalten von Spektrallinien (nach dem Nobelpreisträger Pieter Zeemann benannten Effekt), die Polarisation und die Eigenschaften dünner Metallschichten und Kristallphosphore waren. Mit dem Vorsitzenden der Physikalischen Gesellschaft der DDR, Robert Rompe (1905-1993), gab er im Auftrag dieser Gesellschaft die Fachzeitschrift „Fortschritte der Physik“ heraus.
Werke (Auswahl)
Über den Bau einer Klasse von Absorptionsspektren. Berlin 1927.
Tabelle der Hauptlinien der Linienspektren aller Elemente nach Wellenlänger. Berlin 1939.
Fortschritte der Physik, Leipzig 1953.
Fünf Vorträge über Spektroskopie, Berlin 1958.
Emissionsspektroskopie, Berlin 1964.
Literatur
Hamel, Jürgen/Keil, Inde (Hg.), Der Meister und die Fernrohre. Das Wechselspiel zwischen Astronomie und Optik in der Geschichte, Frankfurt/Main 2007.
Lenz, Kurt/Röß, Dieter, Die ersten Laser in Ost und West, in: PhysikJournal 7, (2010), S. 46–48.
Schramm, Manuel, Wissenschaft und Wirtschaft in DDR und BRD. Die Kategorie Vertrauen in Innovationsprozessen, Köln 2008.
Online
Kant Hort, Rudolf Ritschl, in: Neue Deutsche Biographie 21, Berlin 2003, S. 651-652. [Online]
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Müller-Enbergs, Helmut, Rudolf Ritschl, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/rudolf-ritschl/DE-2086/lido/57cd209204d859.19188560 (abgerufen am 19.04.2024)