Zu den Kapiteln
Nach dem fast 50-jährigen Episkopat Erzbischof Dietrich II. von Moers befand sich Kurköln am Rande des Ruins und in innenpolitischem Aufruhr. Dietrich war mit seiner aggressiven Expansionspolitik auf ganzer Linie gescheitert und hatte den Landständen ungewollt in die Hände gespielt, indem er beinahe alle landesherrlichen Besitztümer verpfändet und den Ständen damit indirekt verkauft hatte. Seinen Nachfolgern fehlte daher eine solide Machtbasis, entsprechend stark und selbstbewusst präsentierten sich die Stände - Domkapitel, Grafen, Ritter und Städte - gegenüber den künftigen Kurfürsten. Nach Dietrichs Tod fixierten sie ihre Ansprüche 1463 in einer Erblandesvereinigung, die ihnen nicht nur deutlich mehr Mitspracherechte, sondern auch ein Widerstandsrecht gegen den Erzbischof und in der Konsequenz die zumindest vorübergehende selbständige Übernahme der Regierung einräumte. Der erste, der sich diesen Bestimmungen zu unterwerfen hatte, und auch der erste, gegen den dieselben Anwendung fanden, war Ruprecht von der Pfalz.
Ruprecht kam am 27.2.1427 in Heidelberg als jüngster Sohn des pfälzischen Kurfürsten Ludwig dem Bärtigen (1378-1436) und dessen zweiter Frau Mechthild von Savoyen (1390-1438) zur Welt. Mit drei älteren Brüdern war ihm die geistliche Laufbahn vorbestimmt; bereits als Kind erhielt er eine erste Pfründe beim Mainzer Domkapitel. 1439 besuchte er die Universität Heidelberg - vielmehr eine ihrer zum Studium führenden Schulen –, erwarb jedoch weder hier noch in Köln, wo er sich am 20.12.1443 immatrikulierte, einen Abschluss. Er tat damit den formalen Anforderungen genüge, die eine Aufnahme ins Kölner Domkapitel mit sich brachte, welche ihm 1442 gelungen war. Der Eintritt in dieses neben Straßburg eine von nur zwei edelfreien, das heisst ausschließlich dem höheren Adel vorbehaltenen Stiften bedeutete eine aussichtsreiche Position für den Erwerb weiterer Pfründen und Dignitäten und war entsprechend begehrt und in der Regel nur durch Vermittlung durch Verwandte oder Verbündete möglich. Fürsprecher Ruprechts war sein Vetter, der Kölner Dompropst Stephan von Pfalz-Simmern (1421-1485).
Die Wahl Ruprechts zum Erzbischof muss auch im Lichte dieser familiären Bindung gesehen werden, denn das Domkapitel erhoffte sich von den Pfälzern Beistand im Falle möglicher Auseinandersetzungen nach der Wahl, und Ruprechts Bruder Friedrich (1425-1476) hatte sich kurz zuvor bei ähnlichen Verwerfungen infolge der Mainzer Erzbischofswahl des Jahres 1459 als hilfreich erwiesen.
Obwohl das Kölner Kapitel jedoch sowohl den von Burgund präsentierten Kandidaten Ludwig von Bourbon (1438-1482) als auch den klevischen Favoriten Heinrich von Schwarzburg (1440-1496), beides veritable Prätendenten, in den Wind schlug und stattdessen den blassen Ruprecht erwählte, blieb der Friede erhalten, so dass der junge Kurerzbischof sich in den ersten Jahren seiner Regierung sogar einen recht guten Ruf erwerben konnte. Dabei halfen ihm vor allem fähige pfälzische Ratgeber, die in Verhandlungen mit den Gläubigern des Erzstifts die Grundlage für die so dringend erforderliche Sanierung der kurkölnischen Finanzen legten und die Konflikte mit den benachbarten Territorien befriedeten.
Allerdings war Ruprecht wohl zu ungeduldig, um die Früchte dieser Politik abzuwarten, sondern suchte sich schnell zu profilieren. Der geldrische Erbfolgestreit, in dem seit 1456 Arnold (1410-1473) und Adolf (1438-1477) von Egmond, Vater und Sohn, um die Herrschaft im Herzogtum Geldern rangen, bot Ruprecht dafür eine willkommene Gelegenheit. Er verbündete sich mit Adolf von Egmond und damit mit dem Falschen, denn Adolf wurde 1471 verhaftet und sein Vater Arnold als Herzog restituiert. Ruprechts Kalkül, in dieser Fehde die ehemals kurkölnischen Besitzungen Soest, Xanten und Aspel bei Rees zurückzugewinnen, zerstob ebenso wie die immensen Mittel, die er zur Finanzierung des Feldzugs eingesetzt hatte.
Weil ihm die Landstände eine zur Deckung dieser Ausgaben erforderliche Kopfsteuer verweigerten, versuchte Ruprecht unter Anwendung politischen und militärischen Drucks die Pfandherren des Erzstifts zu neuen, für ihn günstigeren Verträgen zu bewegen. Er scheute auch nicht davor zurück, mit Hilfe seines Bruders einzelne verpfändete Besitztümer gewaltsam zurückzuerobern. Genau diese Politik führte dann zum endgültigen Bruch mit den Landständen und insbesondere dem Domkapitel. 1471 besetzte Ruprecht die dem Domkapitel verpfändete und sehr einträgliche Zollfeste Zons, um von den Domherren die Zustimmung zur Steuer zu erpressen. Diese blieben jedoch standhaft, und Ruprecht musste Zons Anfang 1472 wieder räumen, nur um wenig später ein erstes Mal die Stadt Neuss erfolglos zu belagern.
Lediglich Teile der Ritterschaft und einige kleinere Städte standen daraufhin weiter an Ruprechts Seite. Das Domkapitel als erster Landstand, die großen Städte des Erzstifts, die er gegen sich aufgebracht hatte, und die übrigen Inhaber der verpfändeten Besitztümer verbündeten sich und wählten, nachdem Papst Sixtus IV. (Pontifikat 1471-1484) Ruprecht auch noch wegen ausstehender Darlehenstilgung gebannt hatte, im März 1473 Hermann von Hessen zum Hauptmann und Beschirmer des Erzstifts. Damit richtete sich das in der Erblandesvereinigung verankerte Widerstandsrecht der Landstände ausgerechnet gegen den Fürsten, der es durch seine Zustimmung zur Wahlkapitulation selbst eingeführt hatte.
Diese Wahl stand am Anfang der so genannten Kölner Stiftsfehde und kam einer Absetzung Ruprechts gleich, der gleichwohl keineswegs kampflos den Platz zu räumen gedachte und den burgundischen Herzog Karl den Kühnen (Regierungszeit 1467-1477) zu Hilfe rief. Dieser mischte ohnehin im nahen Herzogtum Geldern, das er 1471 von Arnold von Egmond als Pfand erworben hatte, mit und hatte durchaus Interesse, die inneren Zwistigkeiten des geschwächten Kölner Erzstifts für seine Expansionspolitik zu nutzen. So ließ er sich als Schirmherr der Kölner Kirche verpflichten und ging im Sommer 1474 an eine erneute Belagerung von Neuss, das als Bollwerk der ständischen Opposition gegen Ruprecht galt. Acht Monate leisteten die Neusser Bürger erfolgreichen Widerstand und erhielten als Dank zahlreiche Privilegien von Kaiser Friedrich III. (Regierungszeit 1440-1493) verliehen, der nach langem Zögern im Frühjahr 1475 doch noch Hilfstruppen schickte und damit den Burgunderherzog in die Knie zwang. Für Neuss begann, beflügelt durch den Mythos der Unbesiegbarkeit und dank der neuen kaiserlichen Rechte, ein goldenes Jahrhundert, für Habsburg war, weil Karl der Kühne der Verheiratung seiner Tochter Maria (1457-1482) mit Friedrichs Sohn, dem späteren Kaiser Maximilian I. (1459-1519) zustimmen musste, die Tür zu einem Weltreich aufgestoßen.
Für Ruprecht allerdings waren die Aussichten deutlicher schlechter. Zwar versuchte er sich in den nächsten Jahren weiter zu behaupten, doch brachen immer mehr Städte und Ämter aus dem ihn unterstützenden Bündnis weg, und 1476/1477 starben mit seinem Bruder Friedrich und Karl dem Kühnen seine wichtigsten Unterstützer. Im März 1478 wurde er von Truppen Hermanns von Hessen gefangen genommen, die ihn jedoch recht milde behandelten. Ihm wurde sogar der Behalt des Erzbischofstitels und eine angemessene Pension angeboten, wenn er freiwillig resignierte. Dieses Vorgehen zeigt, dass sowohl die Bevölkerung als auch die Landstände trotz aller Verwerfungen einen nicht zu unterschätzenden Respekt vor der natürlichen Ordnung und ihrem erwählten Herrn gegenüber hegten. Ruprecht willigte schließlich im September 1479 ein, und obwohl in der Haft erzwungen, war dieser Konsens als Ergebnis für die Beteiligten von ungeheurer Wichtigkeit, dies sicherlich auch im Lichte der Tatsache, dass Ruprecht als geistlicher Oberhirte durchaus zu überzeugen vermocht und sich Verdienste etwa bei der Klosterreform und der Diözesanverwaltung erworben hatte. Auch an persönlicher Frömmigkeit mangelte es Ruprecht offenbar nicht, und anders als beispielsweise sein Vorvorgänger Friedrich von Saarwerden befolgte er die rituellen Konsequenzen, die sich für ihn aus dem Kirchenbann ergaben.
Praktische Auswirkungen hatte dieser zwischen Ruprecht und Hermann von Hessen ausgehandelte Konsens jedoch nicht mehr, denn noch während die Landstände und der zum Stiftsverweser aufgestiegene Hesse auf die notwendige apostolische Bestätigung der Vereinbarung warteten, starb Ruprecht von der Pfalz am 16.7.1480 in seinem Gefängnis auf der Burg Blankenstein bei Gladenbach. Sein Tod entledigte die Kurie und auch den Kaiserhof der Verpflichtung zu entscheiden, ob das Domkapitel überhaupt rechtmäßig gehandelt habe, das sich den Vorwurf gefallen lassen musste, es habe selbst die Regierung des Erzstifts an sich reißen wollen und deswegen Ruprechts Haft in die Länge gezogen. Verletzte Eitelkeiten werden sicher eine Rolle gespielt haben, denn eine Beisetzung Ruprechts im Kölner Dom, die ihm eigentlich zugestanden hätte, zumal nach seinem Tod auch der päpstliche Bann gelöst wurde, lehnte das Kapitel ab. Der Stiftsverweser und Nachfolger Hermann von Hessen errichtete ihm daraufhin ein prächtiges Grabmal im Bonner Münster.
Literatur
Gilliam, H., Der Neusser Krieg. Wendepunkt der europäischen Geschichte, in: Neuss, Burgund und das Reich, Neuss 1975.
Janssen, Wilhelm, Der Verzicht des Erzbischofs Ruprecht von der Pfalz auf das Erzbistum Köln um die Jahreswende 1478/89, in: Vollrath, Hanna/Weinfurter, Stefan (Hg.), Köln. Stadt und Bistum in Kirche und Reich des Mittelalters. Festschrift für Odilo Engels zum 65. Geburtstag, Köln [u.a.] 1993, S. 659-700.
Janssen, Wilhelm, Das Erzbistum Köln im späten Mittelalter 1191-1515, 1. Teil (Geschichte des Erzbistums Köln, 2.1), Köln 1995, S. 277-287.
Neidiger, Bernhard, Erzbischöfe, Landesherren und Reformkongregationen, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 54 (1990), S. 19-77.
Widder, Ellen, Karriere im Windschatten. Zur Biographie Ruprechts von Köln (1427-1478), in: Widder, Ellen/Mersiowsky, Mark/Johanek, Peter (Hg.), Vestigia Monasteriensia. Westfalen – Rheinland – Niederlande, Biefeld 1995, S. 29-72.
Online
Groten, Manfred, „Ruprecht von der Pfalz“, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 286-287. [Online]
Ulrich, Adolf,„Ruprecht von der Pfalz“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 29 (1889), S. 729-730. [Online]
Bitte geben Sie beim Zitieren dieses Beitrags die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Bock, Martin, Ruprecht von der Pfalz, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/ruprecht-von-der-pfalz/DE-2086/lido/57cd2407f12682.33601366 (abgerufen am 09.12.2024)