Stefan Lochner

Maler (1400/1410-1451)

Roland Krischel (Köln)

Stefan Lochner, Muttergottes in der Rosenlaube, um 1450. Original im Wallraf-Richartz-Museum, Köln. (Rheinisches Bildarchiv)

Welt­weit gilt der Na­me Ste­fan Loch­ner als Syn­onym für die Qua­li­tät und Aus­strah­lung der mit­tel­al­ter­li­chen Köl­ner Ma­le­rei. Aus städ­ti­schen Ak­ten ken­nen wir die Na­men zahl­rei­cher Künst­ler, die im Mit­tel­al­ter an der Schil­der­gas­se, der Stra­ße der Köl­ner Ma­ler („schil­der"), wohn­ten. Lei­der je­doch las­sen sich bis­lang kei­ne Brü­cken zwi­schen die­sen Na­men und den er­hal­te­nen Bil­dern schla­gen, da ent­spre­chen­de Ver­trä­ge feh­len und die Köl­ner Ma­ler ih­re Ar­bei­ten nicht si­gnier­ten. Nur in ei­nem Fall lässt sich ein ma­le­ri­sches Œu­vre vor­sich­tig ei­nem Künst­ler­na­men zu­ord­nen und dies auch nur dank der No­tiz ei­nes an­de­ren be­rühm­ten Ma­lers: Als Al­brecht Dü­rer (1471-1528) sich En­de Ok­to­ber, An­fang No­vem­ber 1520 gut zwei Wo­chen in Köln auf­hielt, ver­säum­te er es nicht, gleich in den ers­ten Ta­gen ein be­stimm­tes Kunst­werk auf­zu­su­chen: Ich hab 3 wei­ßp­fen­ning, item hab 2 wei­ßp­fen­ning ge­ben von der taf­fel auff zu­sper­ren, die mais­ter Stef­fan zu Cöln ge­macht hat.

Da er in sei­nem Aus­ga­ben­buch zwei ver­schie­de­ne Trink­gel­der no­tiert, wird Dü­rer das ent­spre­chen­de Werk so­gar zwei­mal be­sich­tigt ha­ben. Seit 1823 wur­de sein Ver­merk auf das so ge­nann­te „Dom­bild" be­zo­gen, al­so je­nen „Al­tar der Stadt­pa­tro­ne", der sich ur­sprüng­lich in der Köl­ner Rats­ka­pel­le be­fand und heu­te im Köl­ner Dom auf­be­wahrt wird. Man iden­ti­fi­zier­te den von Dü­rer no­tier­ten „Meis­ter Ste­fan" mit dem in Köl­ner Do­ku­men­ten nach­weis­ba­ren, of­fen­bar be­deu­ten­den Ma­ler Ste­fan Loch­ner und ver­sam­mel­te durch stil­kri­ti­schen Ver­gleich um das „Dom­bild" ein Œu­vre. 1986 er­in­ner­te der ame­ri­ka­ni­sche Kunst­his­to­ri­ker Mi­cha­el Wolfs­on nach­drück­lich an den hy­po­the­ti­schen Cha­rak­ter die­ser Re­kon­struk­ti­on. Dass mit dem von Dü­rer be­wun­der­ten Meis­ter der in vie­ler­lei Schrift­stü­cken ge­nann­te Ste­fan Loch­ner und mit der für den Nürn­ber­ger Gast auf­ge­sperr­ten Ta­fel der mo­nu­men­ta­le „Al­tar der Stadt­pa­tro­ne" ge­meint sind, ist in der Tat nicht mit end­gül­ti­ger Si­cher­heit nach­weis­bar. Den­noch er­scheint die­se Iden­ti­fi­ka­ti­on nach wie vor sehr plau­si­bel.

In Köl­ner Do­ku­men­ten fir­miert Loch­ner mehr­mals als „von Kon­stanz" stam­mend. Mög­li­cher­wei­se wur­de er um 1400/1410 als Spross ei­ner Schmie­de­fa­mi­lie in Ha­gnau am Bo­den­see ge­bo­ren. Stär­ker als die see­schwä­bi­sche Ma­le­rei präg­te ihn je­doch die Kunst der Nie­der­län­der, vor al­lem das Werk von Ro­bert Cam­pin (um 1375-1444) und Jan van Eyck (um 1390/1400-1441). Die aus­ge­klü­gel­te Bild­geo­me­trie, die täu­schend ech­te Wie­der­ga­be un­ter­schied­lichs­ter Ma­te­ria­li­en, die Ge­stal­tung ar­chi­tek­to­ni­scher Ku­lis­sen und die na­tu­ra­lis­ti­sche Dar­stel­lung mensch­li­cher Ana­to­mie, die Loch­ner in Flan­dern stu­die­ren konn­te, ver­band er auf ge­nia­le Wei­se mit dem Lieb­reiz und der mys­ti­schen Be­seelt­heit der Köl­ner Ma­le­rei, et­wa des Meis­ters der hei­li­gen Ve­ro­ni­ka (tä­tig um 1395-1415) oder des äl­te­ren Sip­pen­meis­ters (tä­tig um 1410-1440).

In der spät­mit­tel­al­ter­li­chen Me­tro­po­le Köln ist Ste­fan Loch­ner erst­mals 1442 nach­weis­bar, als er De­ko­ra­ti­ons­ar­bei­ten im Zu­sam­men­hang mit dem Be­such Kö­nig Fried­richs III. (Re­gie­rungs­zeit 1440-1493) aus­führ­te. Zwei Jah­re spä­ter kauf­te er un­ter er­heb­li­cher fi­nan­zi­el­ler An­stren­gung zwei Häu­ser. Sie la­gen an der Ecke Qua­ter­markt/ In der Höh­le, so­mit zwar noch in ei­ner Ach­se mit den Ma­l­er­häu­sern der Schil­der­gas­se, zu­gleich je­doch dicht am Macht­zen­trum Kölns, dem Rat­haus. 1447 er­warb Ste­fan Loch­ner das Köl­ner Bür­ger­recht, denn er hat­te Aus­sicht dar­auf, zu Weih­nach­ten je­nes Jah­res als Ver­tre­ter der Ma­ler-Gaf­fel in den Rat ge­wählt zu wer­den.

Bei den Sit­zun­gen des Ra­tes, die mon­tags, mitt­wochs und frei­tags vor­mit­tags im Se­nats­saal im ers­ten Ober­ge­schoss des noch neu­en Köl­ner Rat­haus­tur­mes statt­fan­den, blick­te Loch­ner viel­leicht auf ei­nes sei­ner ei­ge­nen Wer­ke, denn das um 1435 ent­stan­de­ne „Jüngs­te Ge­richt" (Wall­raf-Ri­ch­artz-Mu­se­um & Fon­da­ti­on Cor­boud, Köln) könn­te zwi­schen den Fens­tern der Nord­wand über den Sit­zen der bei­den Bür­ger­meis­ter an­ge­bracht ge­we­sen sein. Als Ste­fan Loch­ner nach den zwei üb­li­chen Ka­renz­jah­ren 1450 wie­der­um Rats­herr wird, scheint sich ne­ben der künst­le­ri­schen auch ei­ne po­li­ti­sche Kar­rie­re ab­zu­zeich­nen, doch fin­det der glanz­vol­le Wer­de­gang des Künst­lers schon we­ni­ge Mo­na­te spä­ter ein jä­hes En­de.

Von Pfings­ten bis Weih­nach­ten 1451 wü­tet in Köln die Pest; sie soll über 20.000 To­des­op­fer ge­for­dert ha­ben. Ste­fan Loch­ner scheint im Au­gust er­krankt zu sein, denn En­de des Mo­nats ist er be­reits nicht mehr in der La­ge, nach Meers­burg zu rei­sen, um die Hin­ter­las­sen­schaft sei­ner dort ver­stor­be­nen El­tern zu ord­nen. In Köln sol­len nun täg­lich 200 Men­schen der Seu­che er­le­gen sein, dar­un­ter vie­le Kin­der und Ju­gend­li­che. Der Kirch­hof von Loch­ners Pfarr­kir­che St. Al­ban konn­te kei­ne wei­te­ren Lei­chen mehr auf­neh­men und ver­brei­tet ien der brü­ten­den Hit­ze des Spät­som­mers ei­nen grau­en­vol­len Ge­stank. Am 22.9.1451 stell­ten da­her die Kirch­meis­ter von St. Al­ban beim Rat den An­trag, das un­be­bau­te Grund­stück Qua­ter­markt 9, gleich ne­ben Loch­ners Haus, als Pest­fried­hof be­nut­zen zu dür­fen.

Ob Ste­fan Loch­ner be­reits auf dem Not­fried­hof süd­lich sei­nes Hau­ses be­er­digt wur­de, ist un­be­kannt. Je­den­falls fiel auch sei­ne Frau Lis­beth der Pest zum Op­fer, so dass das präch­ti­ge Dop­pel­haus An­fang 1452 ei­nem Gläu­bi­ger über­schrie­ben wur­de. Spä­ter leb­ten und ar­bei­te­ten hier an­de­re Ma­ler wie Hans von Mem­min­gen (1453-1491) und Jo­hann Voess. Bar­tho­lo­mä­us Bruyn der Äl­te­re, der be­rühm­tes­te Köl­ner Ma­ler der Re­nais­sance und be­deu­ten­de Por­trä­tist der Köl­ner Ge­sell­schaft, er­warb das Haus 1533 und über­trug es 1550 an sei­ne Kin­der, dar­un­ter an den eben­falls er­folg­rei­chen Ma­ler Bar­tho­lo­mä­us Bruyn den Jün­ge­ren. Mit dem Um­zug ins neue Wall­raf-Ri­ch­artz-Mu­se­um, des­sen Trep­pen­haus un­ge­fähr den mit­tel­al­ter­li­chen Gas­sen­ver­lauf „In der Höh­le" nach­zeich­net, kehr­ten En­de 2000 gleich meh­re­re Bil­der bis auf we­ni­ge Me­ter an den Ort ih­rer Ent­ste­hung zu­rück, ne­ben Wer­ken Bruyns wohl auch sol­che von Ste­fan Loch­ner.

Das er­hal­te­ne Œu­vre Loch­ners ist über­schau­bar. Rund zehn (oft mehr­tei­li­ge) Ge­mäl­de wer­den dem Meis­ter selbst und wei­te­re fünf ganz oder teil­wei­se sei­ner Werk­statt zu­ge­schrie­ben. Hin­zu kom­men ei­ne Zeich­nung (Pa­ris) und zwei Stun­den­bü­cher (Ber­lin und Darm­stadt), für die Loch­ner Mi­nia­tu­ren ge­schaf­fen hat. Bis­lang un­ge­klärt ist das Ver­hält­nis zum Meis­ter des Heis­ter­ba­cher Al­tars, dem au­ßer sei­nen Na­men ge­ben­den Werk (er­hal­te­ne Ta­feln in Köln und Bam­berg) noch ei­ni­ge wei­te­re Ge­mäl­de zu­ge­schrie­ben wer­den: Han­delt es sich bei die­sem Köl­ner Ma­ler um ei­nen Leh­rer, Mit­ar­bei­ter oder Schü­ler Loch­ners? Ha­ben wir es mit ei­nem äl­te­ren Meis­ter zu tun, der sich vom jün­ge­ren sti­lis­tisch mit­rei­ßen lässt?

Kenn­zeich­nend für die ganz oder teil­wei­se von Loch­ner selbst aus­ge­führ­ten Wer­ke ist ne­ben der hand­werk­li­chen Voll­endung und dem über­ra­gen­den äs­the­tisch-künst­le­ri­schen Ni­veau auch die in­tel­lek­tu­el­le Durch­drin­gung des Bild­ge­halts. Die um 1440-1442 ent­stan­de­ne „Mut­ter­got­tes in der Ro­sen­lau­be" (Wall­raf-Ri­ch­artz-Mu­se­um & Fon­da­ti­on Cor­boud, Köln) zeigt bei­spiel­haft, wie Loch­ner höchst kom­ple­xe theo­lo­gi­sche Bild­aus­sa­gen in ei­nem har­mo­ni­schen Ge­samt­ein­druck zu ver­schmel­zen weiß. Auf der Mit­tel­ta­fel des um 1442-1444 für die Köl­ner Rats­ka­pel­le ge­schaf­fe­nen „Al­tars der Stadt­pa­tro­ne" (Ho­he Dom­kir­che, Köln) wird die zen­tra­le Fi­gu­ren­grup­pe der „Mut­ter­got­tes in der Ro­sen­lau­be" ins Mo­nu­men­ta­le ge­stei­gert. Hier wie in der 1447 da­tier­ten „Dar­brin­gung Chris­ti im Tem­pel" (Hes­si­sches Lan­des­mu­se­um, Darm­stadt) stellt Loch­ner ei­nen en­gen Be­zug zu Re­li­qui­en her. Der mit die­sen Heil­tü­mern ver­bun­de­nen Re­al­prä­senz (un­mit­tel­ba­re Ge­gen­wart des Hei­li­gen) ent­spricht die glaub­haf­te phy­si­sche An­we­sen­heit von Loch­ners Bild­fi­gu­ren in Zeit und Raum.

Ei­ne Fi­gur Loch­ners selbst wur­de 1990 dem Fi­gu­ren­pro­gramm am Köl­ner Rat­haus­turm hin­zu­ge­fügt (Bild­hau­er: Hans Karl Bur­geff).

Literatur

Cha­puis, Ju­li­en, Ste­fan Loch­ner – Image Ma­king in Fif­teenth-Cen­tu­ry Co­lo­gne, Turn­hout 2004.
Kri­schel, Ro­land, Ste­fan Loch­ner. Die Mut­ter­got­tes in der Ro­sen­lau­be, Leip­zig 2006.
Wenz, Mar­tin, Ar­ti­kel "Loch­ner, Ste­phan", in: Bio­gra­phisch-Bi­blio­gra­phi­sches Kir­chen­le­xi­kon 5 (1993), Sp. 154-156.
Zehn­der, Frank Gün­ter (Hg.), Ste­fan Loch­ner - Meis­ter zu Köln: Her­kunft - Wer­ke - Wir­kung, Köln 1993. 

Online

Er­staun­li­che Ent­de­ckung ver­än­dert den Blick auf die Kunst(Die Mit­tel­al­ter-Ab­tei­lung des Wall­raf-Ri­ch­artz-Mu­se­ums Köln). [On­line]
Schwin­gen­stein, Chris­toph, Ar­ti­kel "Loch­ner, Ste­phan", in: Neue Deut­sche Bio­gra­phie 15 (1987), S. 2-4. [On­line]

 
Zitationshinweis

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Krischel, Roland, Stefan Lochner, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/stefan-lochner/DE-2086/lido/57c9424fcabc37.79045597 (abgerufen am 13.12.2024)