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Weltweit gilt der Name Stefan Lochner als Synonym für die Qualität und Ausstrahlung der mittelalterlichen Kölner Malerei. Aus städtischen Akten kennen wir die Namen zahlreicher Künstler, die im Mittelalter an der Schildergasse, der Straße der Kölner Maler („schilder"), wohnten. Leider jedoch lassen sich bislang keine Brücken zwischen diesen Namen und den erhaltenen Bildern schlagen, da entsprechende Verträge fehlen und die Kölner Maler ihre Arbeiten nicht signierten. Nur in einem Fall lässt sich ein malerisches Œuvre vorsichtig einem Künstlernamen zuordnen und dies auch nur dank der Notiz eines anderen berühmten Malers: Als Albrecht Dürer (1471-1528) sich Ende Oktober, Anfang November 1520 gut zwei Wochen in Köln aufhielt, versäumte er es nicht, gleich in den ersten Tagen ein bestimmtes Kunstwerk aufzusuchen: Ich hab 3 weißpfenning, item hab 2 weißpfenning geben von der taffel auff zusperren, die maister Steffan zu Cöln gemacht hat.
Da er in seinem Ausgabenbuch zwei verschiedene Trinkgelder notiert, wird Dürer das entsprechende Werk sogar zweimal besichtigt haben. Seit 1823 wurde sein Vermerk auf das so genannte „Dombild" bezogen, also jenen „Altar der Stadtpatrone", der sich ursprünglich in der Kölner Ratskapelle befand und heute im Kölner Dom aufbewahrt wird. Man identifizierte den von Dürer notierten „Meister Stefan" mit dem in Kölner Dokumenten nachweisbaren, offenbar bedeutenden Maler Stefan Lochner und versammelte durch stilkritischen Vergleich um das „Dombild" ein Œuvre. 1986 erinnerte der amerikanische Kunsthistoriker Michael Wolfson nachdrücklich an den hypothetischen Charakter dieser Rekonstruktion. Dass mit dem von Dürer bewunderten Meister der in vielerlei Schriftstücken genannte Stefan Lochner und mit der für den Nürnberger Gast aufgesperrten Tafel der monumentale „Altar der Stadtpatrone" gemeint sind, ist in der Tat nicht mit endgültiger Sicherheit nachweisbar. Dennoch erscheint diese Identifikation nach wie vor sehr plausibel.
In Kölner Dokumenten firmiert Lochner mehrmals als „von Konstanz" stammend. Möglicherweise wurde er um 1400/1410 als Spross einer Schmiedefamilie in Hagnau am Bodensee geboren. Stärker als die seeschwäbische Malerei prägte ihn jedoch die Kunst der Niederländer, vor allem das Werk von Robert Campin (um 1375-1444) und Jan van Eyck (um 1390/1400-1441). Die ausgeklügelte Bildgeometrie, die täuschend echte Wiedergabe unterschiedlichster Materialien, die Gestaltung architektonischer Kulissen und die naturalistische Darstellung menschlicher Anatomie, die Lochner in Flandern studieren konnte, verband er auf geniale Weise mit dem Liebreiz und der mystischen Beseeltheit der Kölner Malerei, etwa des Meisters der heiligen Veronika (tätig um 1395-1415) oder des älteren Sippenmeisters (tätig um 1410-1440).
In der spätmittelalterlichen Metropole Köln ist Stefan Lochner erstmals 1442 nachweisbar, als er Dekorationsarbeiten im Zusammenhang mit dem Besuch König Friedrichs III. (Regierungszeit 1440-1493) ausführte. Zwei Jahre später kaufte er unter erheblicher finanzieller Anstrengung zwei Häuser. Sie lagen an der Ecke Quatermarkt/ In der Höhle, somit zwar noch in einer Achse mit den Malerhäusern der Schildergasse, zugleich jedoch dicht am Machtzentrum Kölns, dem Rathaus. 1447 erwarb Stefan Lochner das Kölner Bürgerrecht, denn er hatte Aussicht darauf, zu Weihnachten jenes Jahres als Vertreter der Maler-Gaffel in den Rat gewählt zu werden.
Bei den Sitzungen des Rates, die montags, mittwochs und freitags vormittags im Senatssaal im ersten Obergeschoss des noch neuen Kölner Rathausturmes stattfanden, blickte Lochner vielleicht auf eines seiner eigenen Werke, denn das um 1435 entstandene „Jüngste Gericht" (Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln) könnte zwischen den Fenstern der Nordwand über den Sitzen der beiden Bürgermeister angebracht gewesen sein. Als Stefan Lochner nach den zwei üblichen Karenzjahren 1450 wiederum Ratsherr wird, scheint sich neben der künstlerischen auch eine politische Karriere abzuzeichnen, doch findet der glanzvolle Werdegang des Künstlers schon wenige Monate später ein jähes Ende.
Von Pfingsten bis Weihnachten 1451 wütet in Köln die Pest; sie soll über 20.000 Todesopfer gefordert haben. Stefan Lochner scheint im August erkrankt zu sein, denn Ende des Monats ist er bereits nicht mehr in der Lage, nach Meersburg zu reisen, um die Hinterlassenschaft seiner dort verstorbenen Eltern zu ordnen. In Köln sollen nun täglich 200 Menschen der Seuche erlegen sein, darunter viele Kinder und Jugendliche. Der Kirchhof von Lochners Pfarrkirche St. Alban konnte keine weiteren Leichen mehr aufnehmen und verbreitet ien der brütenden Hitze des Spätsommers einen grauenvollen Gestank. Am 22.9.1451 stellten daher die Kirchmeister von St. Alban beim Rat den Antrag, das unbebaute Grundstück Quatermarkt 9, gleich neben Lochners Haus, als Pestfriedhof benutzen zu dürfen.
Ob Stefan Lochner bereits auf dem Notfriedhof südlich seines Hauses beerdigt wurde, ist unbekannt. Jedenfalls fiel auch seine Frau Lisbeth der Pest zum Opfer, so dass das prächtige Doppelhaus Anfang 1452 einem Gläubiger überschrieben wurde. Später lebten und arbeiteten hier andere Maler wie Hans von Memmingen (1453-1491) und Johann Voess. Bartholomäus Bruyn der Ältere, der berühmteste Kölner Maler der Renaissance und bedeutende Porträtist der Kölner Gesellschaft, erwarb das Haus 1533 und übertrug es 1550 an seine Kinder, darunter an den ebenfalls erfolgreichen Maler Bartholomäus Bruyn den Jüngeren. Mit dem Umzug ins neue Wallraf-Richartz-Museum, dessen Treppenhaus ungefähr den mittelalterlichen Gassenverlauf „In der Höhle" nachzeichnet, kehrten Ende 2000 gleich mehrere Bilder bis auf wenige Meter an den Ort ihrer Entstehung zurück, neben Werken Bruyns wohl auch solche von Stefan Lochner.
Das erhaltene Œuvre Lochners ist überschaubar. Rund zehn (oft mehrteilige) Gemälde werden dem Meister selbst und weitere fünf ganz oder teilweise seiner Werkstatt zugeschrieben. Hinzu kommen eine Zeichnung (Paris) und zwei Stundenbücher (Berlin und Darmstadt), für die Lochner Miniaturen geschaffen hat. Bislang ungeklärt ist das Verhältnis zum Meister des Heisterbacher Altars, dem außer seinen Namen gebenden Werk (erhaltene Tafeln in Köln und Bamberg) noch einige weitere Gemälde zugeschrieben werden: Handelt es sich bei diesem Kölner Maler um einen Lehrer, Mitarbeiter oder Schüler Lochners? Haben wir es mit einem älteren Meister zu tun, der sich vom jüngeren stilistisch mitreißen lässt?
Kennzeichnend für die ganz oder teilweise von Lochner selbst ausgeführten Werke ist neben der handwerklichen Vollendung und dem überragenden ästhetisch-künstlerischen Niveau auch die intellektuelle Durchdringung des Bildgehalts. Die um 1440-1442 entstandene „Muttergottes in der Rosenlaube" (Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln) zeigt beispielhaft, wie Lochner höchst komplexe theologische Bildaussagen in einem harmonischen Gesamteindruck zu verschmelzen weiß. Auf der Mitteltafel des um 1442-1444 für die Kölner Ratskapelle geschaffenen „Altars der Stadtpatrone" (Hohe Domkirche, Köln) wird die zentrale Figurengruppe der „Muttergottes in der Rosenlaube" ins Monumentale gesteigert. Hier wie in der 1447 datierten „Darbringung Christi im Tempel" (Hessisches Landesmuseum, Darmstadt) stellt Lochner einen engen Bezug zu Reliquien her. Der mit diesen Heiltümern verbundenen Realpräsenz (unmittelbare Gegenwart des Heiligen) entspricht die glaubhafte physische Anwesenheit von Lochners Bildfiguren in Zeit und Raum.
Eine Figur Lochners selbst wurde 1990 dem Figurenprogramm am Kölner Rathausturm hinzugefügt (Bildhauer: Hans Karl Burgeff).
Literatur
Chapuis, Julien, Stefan Lochner – Image Making in Fifteenth-Century Cologne, Turnhout 2004.
Krischel, Roland, Stefan Lochner. Die Muttergottes in der Rosenlaube, Leipzig 2006.
Wenz, Martin, Artikel "Lochner, Stephan", in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 5 (1993), Sp. 154-156.
Zehnder, Frank Günter (Hg.), Stefan Lochner - Meister zu Köln: Herkunft - Werke - Wirkung, Köln 1993.
Online
Erstaunliche Entdeckung verändert den Blick auf die Kunst(Die Mittelalter-Abteilung des Wallraf-Richartz-Museums Köln). [Online]
Schwingenstein, Christoph, Artikel "Lochner, Stephan", in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 2-4. [Online]
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Krischel, Roland, Stefan Lochner, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/stefan-lochner/DE-2086/lido/57c9424fcabc37.79045597 (abgerufen am 13.12.2024)