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Theodor Undereyck war ein evangelischer Theologe, der in Mülheim an der Ruhr, Kassel und Bremen wirkte. In Ausübung seines Predigeramtes vermittelte er im nördlichen Rheinland pietistische Ansichten und Ideen, die von der niederländischen Frömmigkeitsbewegung „nadere reformatie“ beeinflusst waren. Mit diesem Brückenschlag legte Undereyck den Grundstein für die Anfänge eines reformierten Pietismus im Rheinland.
Theodor Undereyck kam als Sohn des Händlers Gerhard Undereyck und seiner Frau Sara, geborene Salenger am 15.6.1635 in Altstaden (heute Stadt Oberhausen) zur Welt. Die Eltern waren Nachkommen niederländischer Exulanten. Mit nicht einmal zwei Jahren verlor er im Oktober 1636 Vater und Mutter durch die Pest. Er kam daraufhin in die Obhut seines Onkels, des Bruders des Vaters, Johann Undereyck. Dieser ermöglichte ihm den Besuch einer Lateinschule, welche er auch erfolgreich in Altstaden abschloss.
Mit 18 Jahren schrieb sich Undereyck im Sommersemester 1653 am Akademischen Gymnasium Duisburg ein, das im Vorjahr seinen Lehrbetrieb aufgenommen hatte und 1655 offiziell als reformierte Universität gegründet wurde. Studienfächer waren zunächst Philosophie und Griechisch. Doch schon im folgenden Jahr wechselte er an die niederländische Universität Utrecht, wo seit 1634 der bekannte Professor für Theologie und hebräische Sprache Gisbertus Voetius (1589-1676) lehrte. Undereyck immatrikulierte sich dort im September 1654 und richtete seine Studienschwerpunkte auf die reformiert-orthodoxe Theologie und die neuaristotelische Philosophie aus.
Die Zeit in Utrecht war für Undereyck prägend. Er selbst hob besonders drei Persönlichkeiten hervor, die ihn und seine Auffassung von Frömmigkeit während seines Studiums nachhaltig beeinflussten. Dabei handelte es sich um die drei Anhänger der „nadere reformatie“-Bewegung Gisbertus Voetius, Jodocus van Lodenstein (1620-1677) und Justus van den Boogaert (1623-1663). Mit seiner Theologie der „Prezisheit“ vermittelte Voetius ihm sein Verständnis von Frömmigkeit und eine puritanische Lebensführung. In Jodocus van Lodenstein fand Undereyck zugleich die Verkörperung eben dieser Lebensphilosophie. Lodenstein, einstiger Schüler von Voetius, lebte als Junggeselle streng nach der Maxime der Prezisheit, das heißt, er trachtete danach, seine Handlungs- und Lebensweise in absoluten Einklang mit Gottes Gesetz zu bringen. Von diesen zweien übernahm Undereyck zudem die Idee der Konventikel. Während Voetius zu seinen Erbauungsversammlungen nur Studenten lud, standen die Treffen Lodensteins für alle offen. Durch Predigt- oder Bibelbesprechungen, Katechisation oder Hausandachten sollten auch die ungebildeten Christen in Gottes Wort unterwiesen werden. Dieses Bestreben zog sich auch als Leitmotiv durch Undereycks Gemeindearbeit. Die in den Niederlanden als „Donnerskinder“ bekannten Bußprediger Lodenstein und Boogaert beeindruckten ihn in ihren Predigten gegen das weltliche, verfallene und tote Christentum stark und färbten somit auch auf den künftigen Bußprediger Undereyck ab.
Im Februar 1657 kehrte Undereyck nach Duisburg zurück, um seine theologischen Studien abzuschließen. Im Mai 1657 legte er sein Examen ab und wurde von der Duisburger Classis zum Predigtamtskandidaten ernannt. Ab Juni 1657 verdingte er sich als Hauslehrer neun Monate lang in Frankfurt am Main, bevor er an die Universität Leiden ging, wo er sich am 24.4.1658 einschrieb. Er studierte dort wohl nur ein Semester, wobei er Johannes Coccejus (1603-1669) hörte, der ihn ganz wesentlich theologisch beeinflusste. Undereyck übernahm Elemente der coccejanischen Bibelauslegung und der Föderaltheologie, die zudem einen starken Akzent auf die Reich-Gottes-Theologie legte. In sein späteres theologisches Denken flossen somit sowohl voetianische als auch coccejanische Lehren ein. Seine Theologie verstand sich daher selbst als „orthdox-pietistische Heiligungstheologie“ (Werner Raupp).
Seine „peregrinatio academica“ trat Undereyck im Sommer 1658 an. Eine solche akademische Reise war zur damaligen Zeit nichts Ungewöhnliches und galt als eine Art Zusatzqualifikation. Undereyck war ein Jahr unterwegs und machte Station in Genf, Paris und England. Während der Reise erwarb er sich wichtige Sprachkenntnisse, etwa des Französischen und nutzte die Zeit, um das christliche Leben und christliche Anschauungen andernorts zu studieren. Am Ende kam Undereyck zu dem ernüchternden Ergebnis, dass es schlecht um das gelebte Christentum bestellt sei. Diese Erfahrungen flossen später in seine Bemühungen ein, eine christliche Lebensführung in seinen Gemeinden zu revitalisieren.
1660 nahm Undereyck den Ruf nach Mülheim an der Ruhr an. Zwischen dem 15. und 23. Mai wurde er vom Ministerium Duisburg ordiniert und am 28.5.1660 durch den Landesherrn, Graf Wilhelm Wirich von Daun-Falkenstein (1613-1682), auf die dritte Predigerstelle der Petri-Gemeinde berufen. Als am 12.11.1660 der Pfarrer Severinus Brinkmann (um 1597-1660) starb, rückte Undereyck auf die erste Predigerstelle vor. Diese voreilige und irreguläre Beförderung zog Undereyck in einen zwei Jahre dauernden Streit um das Patronatsrecht zwischen Wirich und dem katholischen Pfalzgrafen Philipp Wilhelm (1615-1690). Die Auseinandersetzung gipfelte sogar in einem Kanzelverbot Undereycks und seiner Suspendierung. Erst am 26.11.1662 wurde der Konflikt gerichtlich entschieden und Undereyck erhielt die offizielle Genehmigung für das Pfarramt.
In Mülheim lernte Theodor Undereyck auch seine Frau Margaretha Hüls (1633-1691) kennen, Tochter des französisch-reformierten Predigers Wilhelm Hüls (1598-1659) in Wesel. Mit der Eheschließung am 23.11.1660, vollzogen in der Weseler Mathena-Kirche, eröffnete sich für Undereyck der Zugang zu einer im Bergischen Land und am Niederrhein angesehenen Familie. Dem Ehepaar wurden drei oder vier Kinder geboren.
Das Leben in Mülheim war für Undereyck mühevoll und arbeitsreich. Überschattet wurde es hauptsächlich durch die Differenzen zwischen der um Selbständigkeit ringenden reformierten Petri-Gemeinde und dem lutherischen Landesherrn Wirich von Daun-Falkenstein. So verweigerte dieser den reformierten Mülheimern eine eigene Kirchenverfassung, die Einrichtung eines Konsistoriums, verbot die Kirchenzucht sowie den Kontakt zur Duisburger Classis wie generelle Beziehungen mit den Synoden des Niederrheins. Diese Missstände prangerte Undereyck im Herbst 1661 in seinen „25 artikulierten gravamina“ an und forderte die Genehmigung von Privilegien, die andere reformierte Gemeinden bereits genossen. Nach zähem Ringen – Graf Wilhelm Wirich von Daun-Falkenstein verwehrte sich gegen Eingriffe in seine landesherrlichen Rechte – wurde der Gemeinde 1662 das Vorschlagsrecht für Kirchenpersonal zugestanden, ab Herbst 1663 die Bildung eines Kirchenrates und am 5.5.1668 schließlich die Selbständigkeit.
In seinem Pfarrbezirk hingegen bündelte Undereyck seine Kräfte gegen die seiner Meinung nach in der Gemeinde grassierenden Probleme. Als schwerwiegendstes Unheil machte er dabei die „Unwissenheit in Sachen des Christentums“ seiner Gemeindeglieder aus. Als Maßnahmen führte er den Konfirmanden- und Erwachsenenunterricht ein, verstärkte den Fokus auf die Seelsorge sowie die Prüfung der Gläubigen auf die „praxis pietatis“ hin. Bei Fehlverhalten drohte die Kirchenzucht, die etwa im Ausschluss aus der Abendmahlsfeier resultieren konnte. Zentrales Element seiner Pfarrtätigkeit waren allerdings die Konventikel, die zu Beginn noch unter die Bezeichnung „Katechisation“ fielen. Vermutlich hielt er die ersten Versammlungen privat bereits im November 1660 ab. Erst ab 1663 nahmen sie öffentlichen Charakter an. Diese pietistisch gefärbten Erbauungsveranstaltungen umfassten Besprechungen von Predigten oder Bibelstellen, Andachten, Ermahnungen und Erbauungen. Mit den ersten pietistischen Konventikeln auf deutschem Boden avancierte Mülheim damit zur „Wiege des Pietismus“.
Nach acht Jahren verließ Undereyck Mülheim in Richtung Kassel. Er folgte einem Ruf der Landgräfin Hedwig Sophie (1623-1683), die ihn zum außerordentlichen Hofprediger ernannte. Anfang Juni 1668 nahm Undereyck seine Arbeit auf. Im Vergleich zu Mülheim gestaltete sich sein Aufenthalt in Kassel deutlich ruhiger. Auch die Bezahlung war wesentlich besser. In dieser Zeit realisierte er eine Idee, die ihn schon länger beschäftigte. Er verfasste seine erste Schrift „Christi Braut“. Sie wurde 1670 in Hanau veröffentlich und „markiert zugleich die Anfänge der Frühphase deutsch-pietistischer Erbauungsliteratur“ (Do-Hong Jou). Die Abhandlung entsprang seinem Bestreben, theologische Ansätze verständlich zu darzulegen. Darin überlegte er „wie ich den frommen Leuten […] einige Waffen zureichen konnte“. Sein Ziel war es, „was meinen armen Nebenmenschen mangelt, desto zierlicher und erbaulicher zu machen“.
Der künftige „Vater des Bremer Pietismus“ (Do-Hong Jou) folgte einem weiteren Ruf und begab sich im Juli 1670 nach Bremen. Als „pastor primarius“ sollte er dort für die nächsten 23 Jahre bis zu seinem Ableben in der St. Martini-Gemeinde wirken. Doch der Start gestaltete sich für Undereyck beschwerlich. Er sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, Anhänger des separatistischen Labadismus zu sein. Er wurde fälschlicherweise beschuldigt, Jean de Labadie (1610-1674) 1658 in Genf getroffen zu haben. Das Ministerium unterzog ihn daraufhin einer strengen Befragung. Er bestritt vehement jegliche Treffen und erhielt seine Stelle unter Vorbehalt. Das Misstrauen des Ministeriums ihm gegenüber blieb indes bestehen.
In Bremen sah Undereyck gewisse Parallelen zu Mülheim. Er kritisierte das nur zum Schein respektive zur Gewohnheit verkommene christliche Leben seiner Gemeinde. Auch mangelte es seinen Mitgliedern an Wissen über das Christentum. All diese Probleme ging er mit der Ausarbeitung von Reformplänen und der Abhaltung von Konventikeln an. Mit seinem Arbeitseifer und seinen Methoden erregte der als „Neuerer“ verspottete Undereyck aber bald Anstoß in den eigenen Reihen. Der zweite Pastor der St. Martin-Gemeinde Johannes Hildebrandt (um 1630-1679) reichte acht Monate nach Undereycks Ankunft am 31.3.1671 eine Beschwerde gegen dessen Konventikel ein. Noch mehr echauffierte sich das kirchliche Ministerium, als es erfuhr, dass auch Margaretha Undereyck für Mädchen und Frauen Konventikel leitete und am 10.5.1684 vom Bremer Staatsrat dazu noch die offizielle Genehmigung erhalten hatte.
Zur Erneuerung des christlichen Lebens hielt Undereyck kirchliche Reformen für unerlässlich. Mit seinem wichtigsten Mitarbeiter Cornelius de Hase (1653-1710) legte er am 27.6.1679 seine Reformpläne vor. Diese sahen die Errichtung eines Presbyteriums vor, Ausübung von Kirchenzucht, Überwachung der „praxis pietatis“ der Gemeindeglieder und Ausschluss von Scheinchristen und Ungläubigen von Abendmahl und Taufe. Das kirchliche Ministerium, seit jeher in Opposition zu Undereyck stehend, wies die Reformvorschläge ab. Seine pietistischen Bemühungen waren der orthodox reformierten Kirche zu radikal. Auch der Bremer Rat hielt sich bedeckt, denn er scheute Konflikte.
Undereycks Bemühungen waren indes nicht vergebens. Die Konventikel erfreuten sich regen Zulaufs. Dem Bedürfnis nach Unterricht und nach kirchlicher Katechisation wurde sogar von amtlicher Seite stattgegeben. Am 28.1.1672 übernahmen die Stadtkirchen den Konfirmandenunterricht und die Konfirmation. Mit seinen Werken versuchte Undereyck ferner einen literarischen Beitrag als hilfreiche Ergänzung des Selbststudiums für die laienhafte Landbevölkerung darzureichen. 1676 veröffentlichte er den „Wegweiser der Einfältigen“ und 1681 „Der einfältige Christ“ für all diejenigen, die durch „die arme unwissende Einfalt am allerersten Anfang des Christlichen Glaubens und Lebens“ verhaftet seien. Seine Schrift „Halleluja“ von 1678 hingegen gilt als sein systematisch-theologisches Hauptwerk, welches den reformiert-orthodoxen Theologen erkennen lässt.
Die Bildung der Landbevölkerung galt ihm als wichtiges Projekt, denn er glaubte, dass nur die Unterweisung in der Heiligen Schrift der Schlüssel zu einem frommen Leben sei. In seinen letzten Lebensjahren initiierte er die Gründung einer Schule im Dorf Rablinghausen, deren Fertigstellung er jedoch nicht mehr erlebte. Undereyck – seine Frau Margaretha war schon 1691 gestorben – erkrankte Weihnachten 1692 und verstarb am 1.1.1693. Fünf Tage später wurde er beigesetzt. Die Abdankungsrede „Letzte Bruder-Pflicht“ wurde von Cornelius de Hase in der St. Martini-Kirche gehalten.
Werke
Christi Braut, Hanau 1670.
Wegweiser der Einfältigen, Bremen 1676.
Halleluja, Bremen 1678.
Der Einfältige Christ, Bremen 1681.
Der närrische Atheist, Bremen 1689.
Literatur
Jou, Do-Hong, Theodor Undereyck und die Anfänge des reformierten Pietismus, Bochum 1994.
Kuhn, Thomas K., Pietismus, in: Eberlein, Hermann-Peter (Hg.), Territorialkirchen und protestantische Kultur. 1648-1800 (Evangelische Kirchengeschichte im Rheinland 2), Bonn 2015, S. 287-346.
Mohr, Rudolf, Undereyck, Theodor, in: Theologische Realenzyklopädie, Band 34, Berlin 2002, S. 268-272.
Raupp, Werner, Undereyck, Theodor, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, Band 17, Herzberg 2000, Sp. 1439-1443.
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Schröder, Ilona, Theodor Undereyck, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/theodor-undereyck-/DE-2086/lido/622f0e84a11016.91380150 (abgerufen am 04.10.2024)