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Thomas Eßer war ein führender Politiker der Zentrumspartei, Genossenschaftler, Zeitungsherausgeber und Autor von Heimatromanen, der von 1926 bis 1933 das Amt des Vizepräsidenten des Deutschen Reichstags bekleidete. Das Hauptaugenmerk seines politischen Handelns lag Zeit seines Lebens auf der Wahrung und Förderung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen des handwerklich und gewerblich ausgerichteten Mittelstandes.
Hubert Thomas Eßer wurde am 15.5.1870 als Sohn des Mühlenbauers Servatius Eßer und dessen Ehefrau Elisabeth Jacobina Münster in Schwerfen (heute Stadt Zülpich) geboren. Eßers Großeltern väterlicherseits stammten aus Arloff (heute Stadt Bad Münstereifel), wo der Großvater Mathias Eßer als Maurer tätig war. Die Großeltern mütterlicherseits stammten aus Euskirchen. Eßers Geschwister waren Jacob (1869), Johann Jacob (1872) und Peter Joseph (1874).
Als Eßer fünf Jahre alt war, zog die Familie in die wachsende und am Beginn der Industrialisierung stehende Textilstadt Euskirchen, wo er auf der Westschule seine Volksschulbildung erhielt. Nach Abschluss seiner schulischen Laufbahn absolvierte er von 1884 bis 1888 beim „Degen“-Verlag, der das regionale Intelligenzblatt „Euskirchener Zeitung“ herausgab, eine Lehre als Buchdrucker. Anschließend war er sieben Jahre als Druckergehilfe, unter anderem bei der Zeitung „Aachener Volksfreund“, tätig. Die hierbei gewonnenen Erfahrungen sollten ihm für seine späteren verlegerischen Tätigkeiten von Nutzen sein. 1895 heiratete er die aus Euskirchen stammende Bäckerstochter und Besitzerin eines Manufakturwaren-Geschäfts, Maria Kreuder (1861-1954), mit der er anschließend deren Euskirchener Laden gemeinsam führte.
Eßers handwerklich-kleinbürgerlicher Familienhintergrund, seine streng katholische Erziehung sowie die mit der lokalen Industrialisierung einhergehenden sozialen Probleme der Euskirchener Arbeiterschaft bildeten zweifellos den Grundstein für seine späteren wirtschafts- und sozialpolitischen Ansichten. Bereits in jungen Jahren schloss er sich dem örtlichen Kolpingverein an, dessen Programm der sozialen Fürsorge prägend auf Eßers politische Ideale wirkte. 1898 gegründete Eßer zur größeren wirtschaftlichen Durchschlagskraft des Euskirchener Mittelstandes in einer lokalgewerblichen Fördermaßnahme den genossenschaftlich organisierten „Verein selbständiger Handwerker und Gewerbetreibender“, der in der handwerklich ausgerichteten Kreisstadt Euskirchen schnell Zuwachs fand und dessen Vorsitzender Eßer bis zur Umwandlung des Vereins in das „Mittelstandsamt“ im Jahr 1923 blieb. Das Prinzip der genossenschaftlichen Zusammenschlüsse betrachtete er als wirtschaftliche Notwendigkeit des selbstständigen Mittelstandes, um sich gegen Großfirmen behaupten zu können.
Den erfolgreichen Bemühungen auf lokalpolitischer Ebene folgte 1899 die Ernennung zum Geschäftsführer des Rheinischen Handwerkerbunds, zu dessen Vorsitzender Eßer 1922 aufstieg. Die Stärkung der wirtschaftlichen Basis des Mittelstandes in seiner Heimatstadt trieb er indessen mit der 1900 auf sein Bestreben gegründeten und von ihm geführten Euskirchener „Sparkassen- und Kreditgenossenschaft“ (ab 1914 Gewerbebank) weiter voran. 1902 initiierte Eßer als Reaktion auf Streitigkeiten über das bestehende Dreiklassenwahlrecht in Euskirchen eine „Freie Wählervereinigung“, welche als Alternative zur etablierten Zentrumspartei die Interessen des Dritten Wählerstandes durchzusetzen versuchte. Als publizistisches Sprachohr ihrer politischen Ziele diente der Vereinigung die 1904 als unabhängige zentrumspolitisch orientierte Zeitung gegründete „Euskirchener Volkszeitung“, die gemäß ihrem Namen unter Eßers Leitung und Redaktion die Interessenvertretung der Bürger betrieb. In dieser veröffentlichte Eßer neben seinen politischen Beiträgen in den folgenden Jahren wiederholt heimatkundliche Erzählungen und Fortsetzungsromane. Ebenfalls 1904 wurde Eßer Vorstandsmitglied der Rheinischen Genossenschaftsbank, in deren Aufsichtsrat er 1908 eintrat und deren Vorsitz er 1930 übernahm.
Während die Volkszeitung noch bis ins Jahr 1944 erschien, wurde die Wählervereinigung trotz anfänglicher Wahlerfolge über die lokale Zentrumspartei bereits 1906 wieder aufgelöst. Eßer, der im gleichen Jahr in die Stadtverordnetenversammlung einzog, trat daraufhin dem Zentrum bei, welches ihm auch in überregionaler Hinsicht einen politischen Aufstieg und die Umsetzung seiner an der rheinischen katholischen Soziallehre orientierten Mittelstandspolitik ermöglichte. In der Stadtverordnetenversammlung wurde er schnell zur führenden Persönlichkeit, die zur Durchsetzung ihrer politischen Ansichten keine Konfrontation scheute. Sein angriffslustiger, politischer Tatendrang trug dazu bei, dass er 1912 in den Reichsparteivorstand der Zentrumspartei gewählt wurde. Im gleichen Jahr erfolgte seine Ernennung zum stellvertretenden Vorsitzenden des Aufsichtsrats der Rheinischen Genossenschaftsbanken, wodurch er seine wirtschaftspolitischen Einflussmöglichkeiten weiter konsolidieren konnte. Darüber hinaus sicherten Eßers Bezüge aus den Bankämtern in den folgenden Jahren die Ausführung seiner vielfältigen politischen Tätigkeitsfelder. Gleichzeitig blieb Eßer auf lokal- und regionalpolitischer Ebene weiterhin tätig. So wurde er 1914 zum ehrenamtlichen Stadtbeigeordneten ernannt. Darüber hinaus war er ab 1916 Mitglied des Euskirchener Kreistags.
Nach Ende des Ersten Weltkriegs begann Eßers endgültiger Aufstieg in die führenden Zirkel der Landes- und Reichspolitik. So wurde er 1919 Abgeordneter des Provinziallandtags der Rheinprovinz, Mitglied der verfassungsgebenden Preußischen Landesversammlung und des 60er-Ausschusses für das besetzte Gebiet. Bis zu seinem Ausscheiden am 17.2.1922 gehörte Eßer dem neugegründeten Preußischen Landtag an. Im September 1921 übernahm er im Deutschen Reichstag den Abgeordnetensitz des verstorbenen Vorsitzenden der Zentrumspartei, Karl Trimborn. Dort prägte er in den folgenden Jahren das sozialpolitische Programm seiner Partei entscheidend mit. So bemühte er sich nicht zuletzt als 1923 gewählter Vorsitzender des Sozialpolitischen Ausschusses um eine soziale und arbeitsrechtliche Gesetzgebung sowie um staatliche Fördermaßnahmen zur Stärkung des Mittelstandes und der Sozialpartnerschaft. Seine Bemühungen dienten wie zuvor der Protektion selbstständiger, vor allem mittelständiger Betriebe vor der Macht der zu Syndikaten und Kartellen zusammengeschlossenen Großfirmen. Gleichfalls setzte sich Eßer lobbyistisch durch öffentliche Hilfsmaßnahmen für die Förderung der von ihm als Motor der gesamtdeutschen Ökonomie betrachten Wirtschaft des besetzten Rheinlands ein.
1924 wurde Eßer Beisitzer im Fraktionsvorstand des Zentrums, zu dessen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden er 1929 und geschäftsführenden Vorsitzenden er 1930 ernannt wurde. Die Ausübung von Ministerposten lehnte er aufgrund finanzieller Aspekte in dieser Zeit jedoch ab. Eßers steigende Zahl politischer Ämter in der Reichspolitik führte dazu, dass er 1924 seinen Euskirchener Abgeordnetensitz niederlegte. Im folgenden Jahr wurde er für seine Verdienste für die Kreisstadt zu deren Ehrenbürger ernannt, deren Interessen er auch in Berlin weiter unterstützte. 1926 wurde Eßer erstmals zum stellvertretenden Reichstagspräsidenten gewählt, dessen Position er bis zu seiner Absetzung durch die Nationalsozialisten 1933 innehatte.
Bereits seit 1930 trat Eßer für ein mögliches parlamentarisches Koalitionsbündnis mit der NSDAP unter Voraussetzung einer Wahrung ihrerseits der Verfassungsrechte ein, da er hoffte, den Nationalsozialismus auf diese Weise schwächen zu können. Bei den ab August 1932 geführten, letztlich erfolglos verlaufenden Koalitionsgesprächen mit der NSDAP war er führender Unterhändler. Auch nach der Machtergreifung unterschätzte Eßer nicht zuletzt aufgrund der wiederholten Beschwichtigungsversuche der Nationalsozialisten die von ihnen ausgehende politische Gefahr, sodass er, wie der Rest des Zentrums, am 23.3.1933 seine Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz gab.
Seine Fehleinschätzung der politischen Lage bekam Eßer im April 1933 am eigenen Leib zu spüren, als er nach einer kurzzeitigen Inhaftierung am 3./4. des Monats erneut am 6. April durch den Kölner Regierungspräsidenten in Euskirchen in „Schutzhaft“ genommen wurde. Eßer, dem als ehemaligem Vorstandsmitglied der Kölner Handwerkskammer Veruntreuung vorgeworfen wurde, blieb bis zum 16. Mai des Jahres im Kölner Gefängnis Klingelpütz inhaftiert. Die gegen ihn gerichtete mediale Hetzkampagne führte im darauffolgenden Monat soweit, dass die Stadt Euskirchen dessen Ehrenbürgerschaft aberkannte (nach Kriegsende 1945 wieder zuerkannt). Eßer bat Adolf Hitler (1889-1945) schließlich Ende Juli schriftlich um Schutz vor der Verfolgung, jedoch blieb eine Reaktion aus. Im September des gleichen Jahres enthob die NSDAP Eßer von der Leitung der von ihm gegründeten Euskirchener Gewerbebank. Am 10.10.1933 wurde der gesundheitlich und wirtschaftlich angeschlagene Politiker vor dem Landgericht Köln wegen Untreue, der genossenschaftlichen Untreue und Beihilfe zur Untreue angeklagt. Der Handwerkskammerprozess begann am 20.21934 und endete am 5. März mit Eßers Verurteilung zu einer siebenmonatigen Gefängnisstrafe und einer Geldzahlung von 200 RM. Trotz eines ersten erfolgreichen Berufungsverfahrens vor dem Reichsgericht, behielt das Kölner Landgericht das Strafmaß bis zu Eßers mit einer dreijährigen Bewährungsfrist verbundenen Amnestie im Jahr 1938 fast unverändert bei. Ebenfalls 1933 wurde ein weiterer Prozess gegen Eßer wegen angeblichen Meineids in einem vorherigen von ihm angestrebten Beleidigungsverfahren gegen einen Schriftleiter angestrebt. Die Anklage wurde jedoch am 14.5.1934 abgewiesen.
Ab 1934 konzentrierte sich Eßer vermehrt auf das Verfassen von heimatlichen Romanen und Erzählungen, die er unter verschiedenen Pseudonymen im Euskirchener Volksblatt veröffentlichte. Von romantisiertem, patriotischem Gedankengut geprägt, trugen diese Geschichten zwar auch regimekritische Anspielungen, doch lässt sich Eßers Werk keinesfalls der Widerstandsliteratur zurechnen.
Die Diffamierungen von Eßers Person sowie die in der Auflösung befindliche Zentrumspartei brachten seine politische Laufbahn zum Stillstand. Seit seiner Kölner Inhaftierung im Jahr 1933 hielt sich der Politiker wiederholt im katholischen Erholungsheim „Pax-Heim“ in Unkel auf, wo er Kontakt zu führenden Geistlichen und ehemaligen Parteimitgliedern, wie Konrad Adenauer, pflegte. Gleichzeitig stand er in den folgenden Jahren über den Umgang mit der aktuellen deutschen Lage in engem politischem Gedankenaustausch mit ehemaligen Parteifreunden, wie der Widerstandskämpferin Christine Teusch. Eßer blieb in der NS-Zeit in seiner Gesinnung patriotischer Demokrat und treuer Christ, was sich in seiner Verteidigung der Weimarer Republik und der Haltung der römisch-katholischen Kirche im NS-Staat zeigt. Dennoch war er in vereinzelten politischen Aspekten auch zu einer eingeschränkten Akzeptanz des Nationalsozialismus bereit.
Infolge des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 wurde Eßer am 23. August des Jahres im Rahmen der zur Verhaftung von ehemaligen Parteifunktionären der Weimarer Republik durchgeführten Aktion „Gewitter“ 74-jährig im Arbeitslager Köln-Messehof interniert. Nach einer zwischenzeitlichen Verlegung am 15. Oktober ins Lager Müngersdorf, wurde er am 20.10.1944 wieder entlassen. Sein Euskirchener Wohnhaus war inzwischen im September bei einem Bombenangriff zerstört worden.
Mit dem Beginn der alliierten Besatzungszeit im Nachkriegsdeutschland begann für Eßer als ehemaligem Regimegegner in Euskirchen ein lokalpolitischer Wiederaufstieg unter Aufsicht der amerikanischen Militärverwaltung. So wurde er nach Einzug der amerikanischen Truppen in Euskirchen Vorsitzender des ab dem 5.4.1945 tagenden Beratungsausschusses, der sich dem demokratischen Wiederaufbau der Stadt- und Kreisregierung widmete. Der schließlich wiedereingesetzten Verwaltung stand Eßer als erster Beigeordneter der Stadt vor. Gleichzeitig trieb er in Ablehnung einer Neugründung der Zentrumspartei mit der Gründung einer Kreisgruppe am 3.10.1945 die regionale Durchsetzung der sich formierenden überkonfessionellen bürgerlichen CDU als Nachfolgerin der ehemaligen Partei des politischen Katholizismus voran.
Am 29.11.1948 starb Thomas Eßer in seiner Heimatstadt Euskirchen. Die Grabrede hielt Konrad Adenauer.
In Euskirchen ist eine der Kreisberufsschulen und eine Straße nach ihm benannt, in seinem Geburtsort Schwerfen der Dorfplatz.
Werke (Auswahl)
Politische Schriften
Christliche Gewerkschaften und Unternehmertum, in: Euskirchener Volkszeitung 11.5.1912.
Wie wahrt das Handwerk seine Interessen in der Öffentlichkeit? Mönchengladbach 1914.
[Zusammen mit] Heinrich Hoffmann, Reichstags-Zentrum und besetztes Gebiet während des Ruhrkampfes, Berlin 1924.
Zentrum und Mittelstand, Berlin 1924.
Mittelstandsfürsorge: dargestellt an der Politik der deutschen Zentrumspartei, Mönchengladbach 1928.
_ Belletristische Schriften [unter Pseudonymen]_
Hubert Th., Der Marquis de Spinoza. Eine Erzählung aus Euskirchens Vergangenheit, in: Euskirchener Volkszeitung. Blätter für Heimatkunde, Wochenbeilage 6.4.1912ff.
Hubert Th., Der Klostermüller von Stotzheim. Geschichtliche Erzählung aus der Heimat, in: Euskirchener Volksblatt 1934.
M. Kamann, Ein Spiel um Steuern und Herzen. Ein Roman aus Alt-Euskirchen, in: Euskirchener Volksblatt 1934.
[ohne Verfasser], Die Geächteten. Ein Roman aus Euskirchens Vergangenheit, in: Euskirchener Volksblatt 2.11.1934ff.
M. Kamann, Der Hüttenmeister Stejnmans. Roman aus der Zeit der Eisenindustrie in der Nordeifel um 1837, in: Euskirchener Volksblatt 1937.
T. von Schwerfen, Das Dombau-Los. Eine heitere Erzählung, in: Euskirchener Volksblatt 1937.
M. Kamann, Der Alte stürzt. Roman in zwei Büchern, in: Euskirchener Volksblatt 1938.
T. Axenmacher, Die Kolonisten von Gehn. Heimatgeschichtliche Erzählung, in: Euskirchener Volksblatt 1942.
H. Uthes, Wiedersehen am Westwall. Eine Erinnerung an den ersten Kriegswinter, in: Euskirchener Volksblatt 1942.
M. Kamann, Wenn alte Scheunen brennen. Ein Ausschnitt aus dem Leben in Alt-Euskirchen, in: Euskirchener Volksblatt 1943.
Literatur
Neft , Maria-Regina, Thomas Eßer - Ein Euskirchener Schriftsteller der Kaiserzeit und im Dritten Reich, in: 700 Jahre Stadt Euskirchen 1302-2002. Euskirchen im 20. Jahrhundert, Weilerswist 2002, S. 177-206.
Weitz, Reinhold, Thomas Esser als Sozial- und Wirtschaftspolitiker, in: Jahrbuch des Kreises Euskirchen 2006, S. 56-61.
Weitz, Reinhold, Thomas Eßer - ein Zentrumspolitiker und das Dritte Reich, in: Aspekte des Nationalsozialismus, in: Geschichte im Kreis Euskirchen 1 (1987), S. 5-68.
Online
Biographie auf der Homepage der Stadt Euskirchen. [online]
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Pesch, Martin, Thomas Eßer, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/thomas-esser/DE-2086/lido/5e1c713156ecc4.00453811 (abgerufen am 07.10.2024)