Walter Besenbruch

Sozialistischer Philosoph (1907–2003)

Helmut Müller-Enbergs (Berlin)

DE-2086, LVR_ILR_0000122985.

Wal­ter Be­sen­bruch war von 1948 bis 1973 an Hoch­schu­len in Hal­le und Ost-Ber­lin tä­tig, wo­bei sein Schwer­punkt die so­zia­lis­ti­sche Äs­the­tik bil­de­te. Die Be­deu­tung Be­sen­bruchs für die DDR lag nicht al­lein in sei­nen Un­ter­su­chun­gen zur Äs­the­tik und Kul­tur­po­li­tik, son­dern vor al­lem in sei­nen Vor­le­sun­gen, die Stu­den­ten wie Wolf Bier­mann (ge­bo­ren 1936) und Ru­dolf Bahro (1935-1997), der in ihm ei­ne „mo­ra­li­sche In­stan­z“ sah, in­spi­rier­te.

Ge­bo­ren wur­de Wal­ter Be­sen­bruch in Bar­men (heu­te Stadt Wup­per­tal) am 25.12.1907. Sein so­zi­al­de­mo­kra­tisch ori­en­tier­ter Va­ter ar­bei­te­te als Gum­mi­band­wir­ker in ei­ner Band­we­be­rei. Nach Volks­schu­le und Re­al­gym­na­si­um, wo er sich be­reits mit Karl Marx be­fass­te, stu­dier­te Wal­ter Be­sen­bruch 1928/1929 Thea­ter­wis­sen­schaf­ten in Ber­lin, da­nach Phi­lo­so­phie, Öko­no­mie und Ge­schich­te, ab 1930 in Kiel am In­sti­tut für Welt­wirt­schaft und See­ver­kehr, muss­te sich je­doch we­gen Geld­man­gels ex­ma­tri­ku­lie­ren. Mit 26 Jah­ren trat er 1930 der KPD bei - ein po­li­ti­sches En­ga­ge­ment, das ihn wie­der­holt in Kon­flikt mit dem Staat brach­te. In Kiel ge­hör­te er zu­sam­men mit Ernst En­gel­berg (1909-2010) der Ro­ten Stu­den­ten­grup­pe an. Al­lein 1932 wur­de er mehr­mals ver­haf­tet und auch zu drei Mo­na­ten Ge­fäng­nis we­gen „Auf­rei­zung zu Ge­walt­tä­tig­keit in öf­fent­li­cher Re­de“ ver­ur­teilt. Im Ok­to­ber 1932 ver­leg­te er sein po­li­ti­sches En­ga­ge­ment nach Han­no­ver.

Nach der Macht­über­nah­me der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten setz­te sich die po­li­ti­sche Ver­fol­gung fort. Im April 1933 beim Ver­tei­len von Flug­blät­tern ver­haf­tet, wur­de er nach halb­jäh­ri­ger Un­ter­su­chungs­haft in Hamm we­gen „Vor­be­rei­tung zum Hoch­ver­ra­t“ zu ein­ein­halb Jah­ren Ge­fäng­nis in Wil­helms­ha­ven ver­ur­teilt. Nach der Ver­bü­ßung der Stra­fe setz­te er sein po­li­ti­sches En­ga­ge­ment in Kiel fort, wur­de 1935 er­neut ver­haf­tet und we­gen sei­nes il­le­ga­len En­ga­ge­ments zu ei­ner zwölf­jäh­ri­gen Haft ver­ur­teilt, die er zu­nächst in Kiel ver­brin­gen muss­te, dann in Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern wie dem Moor­la­ger in Ems­land, im Aschen­dor­fer­moor, im Zucht­haus in Ham­burg-Fuhls­büt­tel und Wald­heim und schlie­ß­lich im KZ Maut­hau­sen, das er im April 1945 im Er­geb­nis der Be­frei­ung Deutsch­lands ver­ließ.

Im Kreis Mans­feld über­nahm Wal­ter Be­sen­bruch im De­zem­ber 1945 die Funk­ti­on des Po­li­zei­prä­si­den­ten, sein Sitz be­fand sich im Schloss Mer­se­burg. Das Amt hat­te er bis Mit­te 1947 in­ne, bis das Land Preu­ßen auf­ge­löst und in Re­gie­rungs­be­zir­ke um­ge­bil­det wur­de. Im An­schluss ver­such­te das Mit­glied der SED in Kö­then (Sach­sen-An­halt) ei­ne Po­li­zei­schu­le auf­zu­bau­en, was ihn nicht be­frie­dig­te und ver­an­lass­te, wder an sei­ne phi­lo­so­phi­schen In­ter­es­sen an­zu­knüp­fen. Im April 1948 über­nahm er ei­ne Aspi­ran­tur an der Uni­ver­si­tät Hal­le bei Wal­ter Mar­kov. Wäh­rend sei­ner Ar­beit an ei­ner Pro­mo­ti­on über die Ja­ko­bi­ner be­such­te er 1949/1950 die zen­tra­le Par­tei­schu­le der SED in Klein­mach­now, von wo er nicht nach Hal­le zu­rück­kehr­te, son­dern für das theo­re­ti­sche Zen­tral­or­gan der SED „Ein­heit“ als Haupt­re­dak­teur für Phi­lo­so­phie, Kunst und Li­te­ra­tur tä­tig wur­de, was er bis 1953 blieb. Gleich­zei­tig un­ter­rich­te­te er an der Wirt­schafts­wis­sen­schaft­li­chen Fa­kul­tät der Ber­li­ner Hum­boldt-Uni­ver­si­tät über „dia­lek­ti­schen und his­to­ri­schen Ma­te­ria­lis­mus“. Zwei Ver­öf­fent­li­chun­gen im SED-Zen­tral­or­gan „Neu­en Deutsch­lan­d“, in de­nen er sich für den ver­ord­ne­ten „Neu­en Kur­s“ der SED ex­po­nier­te, er­schie­nen am 19. und 26.7.1953 („Über be­rech­tig­te Kri­tik und über Er­schei­nun­gen des Op­por­tu­nis­mus in Fra­gen der Kunst“, „Die ei­ge­ne Er­fah­rung der Mas­sen und die Ent­wick­lung ih­res Be­wusst­sein­s“); sie wa­ren noch von dem we­ni­ge Ta­ge spä­ter als ver­femt gel­ten­den Chef­re­dak­teur Ru­dolf Herrn­stadt (1903-1966) be­treut wor­den und strahl­ten den Geist der nun­mehr zu­rück­ge­nom­me­nen „Tau­wet­ter­po­li­ti­k“ vor dem 17. Ju­ni aus. Er wur­de da­für „stren­g“ ge­rügt, wo­mit ei­ne wei­te­re be­ruf­li­che Per­spek­ti­ve bei der „Ein­heit“ aus­ge­schlos­sen war.

Wal­ter Be­sen­bruch über­nahm am 15.10.1953 am Phi­lo­so­phi­schen In­sti­tut der Hum­boldt Uni­ver­si­tät – oh­ne pro­mo­viert oder ha­bi­li­tiert zu ha­ben – die „Wahr­neh­mung ei­ner Pro­fes­sur mit Lehr­auf­trag für das Fach Äs­the­ti­k“, wo­mit die „wohl wich­tigs­te Pha­se sei­nes wis­sen­schaft­li­chen Le­bens“ be­gann (Gun­tolf Herz­berg). Im No­vem­ber 1959 wur­de ihm die Pro­fes­sur end­gül­tig über­tra­gen. Er pro­mo­vier­te über das „Pro­blem des Ty­pi­schen in der Kunst“ 1955 (das bis­he­ri­ge The­ma ent­fiel). Was in den Dis­kus­sio­nen 1953 an­klang, bil­de­te sich auch im Zu­sam­men­hang des XX. Par­tei­ta­ges der KPdSU ab, als die so­wje­ti­sche Füh­rung die po­li­ti­sche Pra­xis un­ter Sta­lin (1879-1953) kri­tisch re­flek­tier­te. Am 19.6.1956 hat­te Wal­ter Be­sen­bruch, der we­nig pu­bli­zier­te, in der DDR-Wo­chen­zei­tung „Sonn­ta­g“ die­sen Zeit­geist un­ter dem Ti­tel „Dog­ma­tis­mus – auch ei­ne ethi­sche Fra­ge“ auf­ge­grif­fen, wo­für er, als auch die­ses „Tau­wet­ter“ ver­stri­chen war, we­gen „po­li­ti­scher Schwan­kun­gen“ und, was sei­ner­zeit pro­ble­ma­tisch war, we­gen „re­vi­sio­nis­ti­scher Auf­fas­sun­gen“ ge­ta­delt wur­de. Mit 57 Jah­ren bat er 1964 um sei­ne Eme­ri­tie­rung, wur­de je­doch zu­nächst le­dig­lich als In­va­li­de be­ren­tet, end­gül­tig erst im Sep­tem­ber 1973. Wal­ter Be­sen­bruch starb am 23.6.2003 in Ber­lin.

Werke

Zum Pro­blem des Ty­pi­schen in der Kunst. Ver­such über den Zu­sam­men­hang der Grund­ka­te­go­ri­en der Äs­the­tik, Wei­mar 1956.
Dia­lek­tik un­d Äs­the­tik. 2. Theo­re­ti­sche Kon­fe­renz im In­sti­tut für An­ge­wand­te Kunst. Ber­lin 1958.

Literatur

Braun, Mat­thi­as, Kul­tur­in­sel und Macht­in­stru­ment. Die Aka­de­mie der Küns­te, die Par­tei und die Staats­si­cher­heit, Ber­lin 1997.
Ger­hard, Vol­ker/Rauh, Hans-Chris­toph (Hg.), Die An­fän­ge der DDR-Phi­lo­so­phie. An­spruch, Ohn­macht, Schei­tern, Ber­lin 2001.
Herz­berg, Gun­tolf, An­pas­sung und Auf­be­geh­ren. Die In­tel­li­genz in der DDR in den Kri­sen­jah­ren 1956/1958, Ber­lin 2006.
Herz­berg, Gun­tolf, Auf­bruch und Ab­wick­lung. Neue Stu­di­en zur Phi­lo­so­phie in der DDR, Ber­lin 2000, S. 76 – 86.
Herz­berg, Gun­tolf/Sei­fert, Kurt, Ru­dolf Bahro – Glau­be an das Ver­än­der­ba­re. Ei­ne Bio­gra­phie, Ber­lin 2002.
Hoff­mann, Det­lef, Das Ge­dächt­nis der Din­ge. KZ-Re­lik­te und KZ-Denk­mä­ler, Frank­furt/Main 1998.
Rauh, Hans-Chris­toph, Pe­ter Ru­ben: Denk­ver­su­che. DDR-Phi­lo­so­phen in den 60er Jah­ren, Ber­lin 2005.

 
Zitationshinweis

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Müller-Enbergs, Helmut, Walter Besenbruch, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/walter-besenbruch-/DE-2086/lido/57c57cf2444a16.17543568 (abgerufen am 19.04.2024)