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„Durch Bewegung 20 Jahre lang 40 Jahre alt bleiben.“ Mit dieser Aussage warb Univ.-Prof. mult. Dr. med. Dr. h.c. mult. Wildor Hollmann – Arzt, Forscher, Gründer des Instituts für Kreislaufforschung und Sportmedizin sowie ehemaliger Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln und weltweit ausgezeichneter Pionier der deutschen Sportmedizin – für ein lebenslanges, gesundheitsorientiertes Sporttreiben. Auch seinen eigenen Lebensstil gestaltete er bis ins hohe Alter getreu dieser Empfehlung.
Wildor Hollmann wurde am 30.1.1925 als einziges Kind von Albert (1900-1988) und Henriette (Hetty) Hollmann (1901-1991) in Menden/Sauerland geboren. Hier verbrachte der Sohn aus katholischem Elternhaus – der Vater war Bürokaufmann – seine Kindheit und Jugend. Nach dem Besuch des Realgymnasiums von Menden wurde er im März 1943 zur deutschen Luftwaffe eingezogen und erhielt eine fliegerische Ausbildung. Im Februar 1945 geriet er in kanadische Kriegsgefangenschaft, wurde nach England gebracht und im März 1947 entlassen. 1947-1952 studierte Hollmann Medizin an der Universität zu Köln. Im Studium lernte er die aus Brüggen am Niederrhein stammende Kommilitonin Ingeborg (Inge) Cüsters (1926-2012) kennen, die er 1954 heiratete. Aus der Ehe gingen die Kinder Helmut (geboren 1955) und Ulrike (geboren 1959) hervor. Brüggen wurde zum Wohnort der Familie.
1953 legte Hollmann das medizinische Staatsexamen ab und promovierte 1954 bei Prof. Dr. med. Hugo Wilhelm Knipping (1895-1984) mit der Arbeit „Herzleistungsquotient und Wirkungsgrad sowie die Lungenvolumina bei Sportlern unter 35 Jahren“. Seine Probanden fand Hollmann unter den Studierenden der 1947 gegründeten Sporthochschule Köln, deren Leiter Carl Diem großes Interesse an sportmedizinischer Forschung zeigte und es Hollmann Ende 1949 ermöglicht hatte, am damaligen Hochschulstandort im Kölner Stadion mit seinen experimentellen Untersuchungen zu beginnen. Nach seiner Promotion führte Hollmann das Fahrradergometer in die leistungsdiagnostische Herz-Kreislaufuntersuchung in der Medizinischen Universitätsklinik Köln ein. Zusammen mit Diplom-Ingenieur Günther Sander entwickelte er 1955 eine neuartige Apparatur, mit der erstmalig das Blutdruckverhalten bei dosierter Ergometerarbeit registriert werden konnte. Neuartig hierbei war unter anderem die Benutzung eines Mikrofons in der Ellenbeuge, wodurch das ärztliche Stethoskop überflüssig wurde. 1956 folgte die Serienproduktion dieser Apparatur durch die Firma ELAG in Köln. Die mikrofongesteuerte Blutdruckmessung konnte fortan von jedermann angewendet werden.
Zudem hatte Hollmann 1955 mit Stoffwechseluntersuchungen im Blut während der Fahrradergometerarbeit begonnen, um eine Methode zu finden, die Leistungsfähigkeit von Herz, Kreislauf, Atmung und Stoffwechsel bei Gesunden wie Patienten auch ohne die bis dahin übliche Maximalbelastung beurteilen zu können. 1959 erfolgte die erste Veröffentlichung über die kombinierte Messung von Milchsäure (Laktat) und Atmungsaufwand (Ventilation) zur Beurteilung des sogenannten aerob-anaeroben Übergangs. Das Prinzip sollte sich weltweit sowohl zur Anwendung im klinischen Alltag als auch im Spitzensport durchsetzen. Die frühen Forschungsergebnisse legten den Grundstein für das wissenschaftliche Werk Hollmanns. Im Vordergrund stand hierbei die Frage, ob und wie körperliche Bewegung im Sinne der Präventivmedizin genutzt werden könnte. Nur wenige Lehrmeinungen der damaligen Zeit sprachen sich für Bewegung als Mittel der vorbeugenden, therapeutischen und rehabilitativen Medizin aus – und der Begriff „Präventivmedizin“ war in der Fachwelt noch umstritten.
Aufgrund der steigenden Bedeutung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen gründete Hollmann 1958 in Verbindung mit der Medizinischen Universitätsklinik ein eigenes Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Sporthochschule Köln. Hauptaufgaben sollten neben Vorsorgeuntersuchungen Forschung, Lehre und Praxis auf dem Gebiet der Bewegungstherapie, der Prävention und Rehabilitation sein. 1965 konnten im Institut erste Minimal-Trainingsprogramme zur Vorbeugung unter anderem von Herzinfarkt entwickelt werden. Auf Basis der experimentellen Forschungsergebnisse erfolgte 1966 die vielleicht größte therapiebezogene Revolution in der Kardiologie des 20. Jahrhunderts: Die bisher übliche mehrwöchige Bettruhe von Herzinfarktpatienten wurde durch Hollmann und eine von ihm ins Leben gerufene internationale Gruppe durch Frühmobilisation, Bewegungstherapie und Rehabilitation ersetzt. 1977 erkannte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) diese Behandlungsrichtung offiziell an. Bereits 1974 war in Köln eine erste Herzsportgruppe gegründet worden, das sogenannte „Kölner Modell“ wurde zum landesweiten Vorbild.
Im Vorfeld der Olympischen Spiele von Mexiko City 1968 entwickelte Hollmann mit seinem Team 1963 ein Sauerstoffmangeltraining (Höhentraining), im Labor durchgeführt, zum Zweck der Leistungssteigerung in größerer Höhe. 1967 folgte die gegenteilige Trainingsmaßnahme, das Sauerstofftraining im Labor. Letzteres veranlasste den „Starforscher“ der DDR, Prof. Dr. Manfred von Ardenne (1907-1997), eine sogenannte „Sauerstoff-Mehrschritttherapie“ zu entwickeln. Nachhaltig prägte Hollmann die Entwicklung der Deutschen Sporthochschule Köln, heute die größte Sportuniversität Europas. 1962 war die zunächst noch stadteigene Einrichtung dem Land Nordrhein-Westfalen unterstellt worden, im Jahr darauf wurde der neu errichtete Campus in direkter Nachbarschaft zum Sportpark in Köln-Müngersdorf bezogen. 1965 erhielt die nunmehr Deutsche Sporthochschule Köln eine Rektoratsverfassung und konnte eigene Lehrstühle einrichten. Hollmann, dessen Habilitation 1961 erfolgt war, wurde 1965 als erster ordentlicher Professor für Kardiologie und Sportmedizin unter dem Rektorat des Sporthistorikers Prof. Dr. Werner Körbs (1906-1984) zum Prorektor gewählt. 1969 folgte die Wahl Hollmanns, der ein Jahr zuvor auch eine Professur an der Universität zu Köln erhalten hatte, zum Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln. In seiner zweijährigen Amtszeit gelang ihm die Anerkennung der Einrichtung als selbstständige Universität mit eigenem Promotions- und Habilitationsrecht – auch die Bezeichnung des seitdem vergebenen Titels „Dr. Sportwiss.“ geht auf Hollmann zurück. Ferner konnte er den Neubau eines Forschungsgebäudes und einer Leichtathletik-Halle durchsetzen. Er gründete das Institut für Biochemie, heute weltbekannt durch die Dopingforschung, sowie ein weiteres Institut für funktionelle Anatomie und Morphologie. Darüber hinaus wirkte er maßgeblich an der 1970 erfolgten Gründung des Bundesinstituts für Sportwissenschaft mit. Die Bonner Bundesanstalt hatte viele Jahre ihren Sitz auf dem Kölner Hochschulcampus.

Besuch von Sepp Herberger im Institut 1958. (Deutsche Sporthochschule Köln)
Eine erneute Amtszeit schloss Hollmann zum Rektoratsende aus, da er sich wieder stärker der Forschungsarbeit widmen wollte. Mit Erfolg: 1974 führte er zusammen mit Heinz Liesen (geboren 1941) das weltweit erste voll elektronisierte und computerisierte Fahrradergometer („Dynavit“) in die Medizin ein. Es sollte zum Stammvater aller heutigen elektronischen Fahrradergometer werden. Zudem brachte sich Hollmann federführend in die 1970 vom Deutschen Sportbund ins Leben gerufene „Trimm-Dich-Bewegung“ ein, die für einen gesünderen, von Bewegung geprägten Lebensstil warb.
Gleichzeitig wurde sein Hochschulinstitut, aus dem circa 200 Dissertationen, 21 Habilitationen für das Fachgebiet Sportmedizin, 20 Professuren für Sportmedizin und 14 Lehrstuhlbesetzungen an deutschen Universitäten hervorgingen (Stand: 2020), auch zu einem Zentrum für die leistungssportliche Untersuchung und Beratung. Von 1958 bis 1978 war Hollmann internistischer Arzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Verschiedene Mitarbeiter des Instituts betreuten zahlreiche weitere Sportarten mit ihren Auswahl- beziehungsweise Nationalmannschaften. Vorwürfen, auch Dopingforschung betrieben zu haben, widersprach Hollmann zeit seines Lebens vehement und verwies dabei stets auf den Nutzen der aus dem Leistungssport gewonnenen Erkenntnisse für die Präventivmedizin. Eine Neuerung in Hollmanns Forschungsarbeit folgte in den 1980er Jahren. So waren bis dahin die Einflüsse von Bewegung, Training und Sport auf alle inneren Organe untersucht worden, jedoch mit Ausnahme des Gehirns. Hier versagten die üblichen Untersuchungsmethoden. Dies änderte sich nun, da mit der Positronen-Emissions-Tomographie und der funktionellen Magnet-Resonanz-Tomographie (MRT) für das Gehirn bildgebende Verfahren zur Verfügung standen. Erstmals konnten nun selbst kleinste Abschnitte des Gehirns bei unterschiedlich dosierter Arbeit hinsichtlich lokaler Durchblutung und lokalem Stoffwechsel untersucht werden. Hollmann kooperierte mit dem Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Köln und mit dem heutigen Forschungszentrum Jülich. Durch den Verbund gelang es, neue Erkenntnisse über Stoffwechsel und Durchblutung des menschlichen Gehirns sowie biochemische Zusammenhänge zwischen Gehirn, Geist und dem gesamten Körper näher zu beschreiben. Als neues Forschungsgebiet prägte Hollmann den Begriff „Bewegungs-Neurowissenschaft“.

Wildor Hollmann vor einer Trimm-dich-Tafel. (Deutsche Sporthochschule Köln)
1990 erfolgte die Emeritierung Hollmanns, seine Forschungstätigkeit an der Deutschen Sporthochschule Köln setzte er als amtierender Präsident (1984-1998) des Deutschen Sportärztebunds (seit 1999 Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention) sowie als Präsident (1986-1994) – und späterer Ehrenpräsident – des Weltverbands für Sportmedizin (FIMS) jedoch fort. 1994 fand in Köln als erste Veranstaltung ihrer Art eine gemeinsame Tagung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Weltverbandes für Sportmedizin statt. Erstmals legte die WHO hier offiziell Bewegungsmangel als den wichtigsten Risikofaktor für die Gesundheit der Menschen in hochtechnisierten Ländern dar.
Wildor Hollmann, 1994-1997 auch Präsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft und über viele Jahrzehnte in mehreren wissenschaftlichen Kommissionen und Beiräten tätig, erhielt national wie international zahlreiche Ehrentitel und Auszeichnungen. So wurden ihm unter anderem 1961 die Carl-Diem-Plakette (heute der Wissenschaftspreis des Deutschen Olympischen Sportbunds), 1964 der Hufeland-Preis für Präventivmedizin und 1976 der Sir-Philip-Noel-Baker-Forschungspreis der UNESCO verliehen. 2002 wurde er mit der Paracelsus-Medaille, der höchsten Auszeichnung der Deutschen Ärzteschaft, geehrt. 1993 erhielt Hollmann den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen. Die Bundesrepublik Deutschland verlieh ihm im Jahr 2000 das Schulterband zum Stern und Großen Verdienstkreuz. Von Universitäten aus dem In- und Ausland erhielt er zahlreiche Ehrendoktor- und Ehrenprofessortitel.
Die Deutsche Sporthochschule Köln verlieh Hollmann 1995 die Ehrenbürgerwürde und gab einem Forum auf dem Campus seinen Namen. 2019 wurde dieses Forum zu einem öffentlich zugänglichen Ausstellungsraum zum Leben und Wirken des Sportmediziners umgestaltet, die Einweihung erfolgte im Januar 2020 zu Hollmanns 95. Geburtstag.

Hollmann im Labor der Sporthochschule 1979. (Deutsche Sporthochschule Köln)
Bis zu diesem Zeitpunkt war Hollmann nach wie vor als Hochschullehrer aktiv, seine Vorlesung „Akademisches Basiswissen und sportmedizinische Grundlagen“ genoss Kultstatus und zog in jedem Semester zahlreiche junge Studierende an, die sich für die Vorlesungsinhalte und die charmant-fröhliche Art der Lehrstoffvermittlung – der gebürtige Sauerländer Hollmann strahlte stets rheinische Lebensfreude aus – begeisterten. Beeindruckt zeigten sich die Studierenden zudem von Hollmanns geistiger und körperlicher Fitness, ging der langjährige Tischtennis- und Tennisspieler doch bis ins hohe Alter regelmäßig ins Fitnessstudio und hatte im Alter von fast 90 Jahren mit dem Tanzsport begonnen.
Univ.-Prof. mult. Dr. med. Dr. h.c. mult. Wildor Hollmann, Ehrenbürger von Menden und Brüggen, starb am 13.5.2021 im Alter von 96 Jahren in seinem Haus in Brüggen.
Schriften
Hollmann, Wildor/Strüder, Heiko, Sportmedizin. Grundlagen für körperliche Aktivität, Training und Präventivmedizin, 5. Auflage, Stuttgart 2009.
Hollmann, Wildor, Ziel und Zufall. Ein bewegtes Leben als Arzt, Universitätsprofessor, Forscher und Manager, Köln 2013.
Hollmann, Wildor, Mein Leben mit der Deutschen Sporthochschule Köln. Eine historische Betrachtung, Köln 2017.
Hollmann, Wildor/Predel, Hans-Georg/Bloch, Wilhelm, 60 Jahre Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin. Deutsche Sporthochschule Köln, Hellenthal 2018.
Literatur
Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (Deutscher Sportärztebund) e.V. (Hg.), 100 Jahre deutsche Sportmedizin. Sportmedizin im Wandel – Wandel durch Sportmedizin.
Krüger, Michael (Hg.), Sportmedizin in Deutschland: historische Facetten. Ein Werkstattbericht, Hildesheim 2017.

Wildor Hollmann bei einer Vorlesung 2019. (Deutsche Sporthochschule Köln)
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Molzberger, Ansgar, Wildor Hollmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wildor-hollmann/DE-2086/lido/62c2d6ee7e3f42.55588870 (abgerufen am 27.09.2023)