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Während seiner langjährigen Tätigkeit an der Spitze führender Kölner Bankhäuser machte sich Deichmann um die Beratung und Finanzierung der aufstrebenden westdeutschen Industrie verdient. Das von ihm in Lannesdorf (heute Stadt Bonn) erworbene Landhaus wurde schnell zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt am Rhein und erhielt 1949 als Bonner Hauptquartier des US-Hochkommissars John McCloy (1895-1989) neue Bedeutung.
Wilhelm Ludwig Deichmann wurde am 3.8.1798 als dritter Sohn des Bürgermeisters und Amtsrichters Konrad Deichmann (1769-1838) in Rodenberg am Deister geboren. Im Alter von 15 Jahren nahm er als Freiwilliger an den Freiheitskriegen teil. Nach kaufmännischer Lehre in Bremen trat er 1818 in das 1790 gegründete Kölner Handels- und Bankhaus A. Schaaffhausen ein, fiel schnell wegen seiner Tüchtigkeit auf und wurde des Öfteren mit der stellvertretenden Geschäftsleitung beauftragt. Der Tod des Gründers Abraham Schaaffhausen (1756-1824) ließ das von dessen Schwiegersohn Louis Mertens (1782-1842) geführte Unternehmen in gefährlicher Stagnation verharren. Die eheliche Verbindung (26.5.1830) zwischen Deichmann und Elisabeth Jacobine Eleonore (“Lilla”) Schaaffhausen (1811-1888) löste das Problem der Vakanz an der Spitze der Firma: Da Abraham Schaaffhausen keine Söhne hatte und Mertens 1830 ausschied, übernahm Deichmann mit der Gesamtleitung de facto das Erbe des Firmengründers. Die Einbindung des vielversprechenden Nachwuchsunternehmers über die Konfessionsgrenze hinweg - Deichmann war Lutheraner, seine Frau Katholikin - gilt als typisch für gezielte Heiraten in die wirtschaftliche Führungsschicht Kölns hinein. Acht der Kinder des Ehepaars folgten diesem Muster und ehelichten Mitglieder führender Unternehmerdynastien unterschiedlicher Branchen.
Als Teilhaber und Leiter des Handels- und Bankhauses A. Schaaffhausen führte Deichmann dessen Waren- und Speditionsgeschäfte zu Gunsten reiner Banktätigkeiten zurück und engagierte sich stark in der Finanzierung von Eisenbahnbau und Montanindustrie. 1847 erreichte der Umsatz 50 Millionen Taler. Dass auch der traditionelle Kern des Hauses, das Immobiliengeschäft, dabei nicht vernachlässigt wurde, ist dem Unternehmen in der Krise vom März 1848 beinahe zum Verhängnis geworden. Innerhalb von zwei Jahren wurde es von über 40 Konkursen betroffen. Hohe Immobilienbestände, ein bedrohter Großkredit an einen Bauspekulanten und großzügige Ausleihungen an die Industrie strapazierten die liquiden Mittel. Als in Folge der europäischen Revolutionen Guthaben abgezogen wurden und der Zufluss von Einlagen versiegte, musste das Bankhaus am 29.3.1848 seine Zahlungen einstellen.
Wie die zum 6.5.1848 erstellte Bilanz ausweist, war das Institut zwar illiquide, aber nicht überschuldet. Die vorhandenen Aktiva überstiegen den Wert der Verbindlichkeiten deutlich. Die Schließung hätte also durch eine moderate staatliche oder private Geldspritze vermieden werden können. Dass dies nicht geschah, nährt die Vermutung, liberale Minister und interessierte rheinische Wirtschaftskreise hätten die Krise gezielt benutzt, um das im Kern gesunde, vor allem für die regionale Wirtschaft unverzichtbare Unternehmen umzustrukturieren und dabei gleichzeitig die erste Aktienkreditbank in Preußen (ohne das Recht zur Notenausgabe) zu schaffen. Am 1.11.1848 nahm der A. Schaaffhausen’sche Bankverein, ausgestattet mit einer Garantie des Preußischen Staates, die Arbeit auf. Unter der Leitung Wilhelm Ludwig Deichmanns, seines Schwiegersohns Victor Wendelstadt (1819-1884) und des vom Staat bestellten außerordentlichen Direktors Gustav Mevissen entwickelte sich die Gesellschaft zur führenden Bank der Rheinlande. Die Staatsgarantien konnten vorfristig abgelöst werden.
Die erfolgreiche Konsolidierung gab dem Sechzigjährigen die Chance eines unternehmerischen Neuanfangs. 1857 trat er bei Schaaffhausen aus und eröffnete Anfang 1858 zusammen mit Adolph vom Rath (1832-1907), dem Sohn eines Schwagers, das Bankhaus Deichmann & Co in der Kölner Trankgasse. Einen Teil der Handels- und Industriekunden des Bankvereins nahm er mit. Das stark ausgeweitete Kontokorrentgeschäft förderte die expandierenden Aktiengesellschaften der westdeutschen Schwerindustrie und des Bergbaus. Aus diesen Aktivitäten ergab sich als zweites Standbein das industrielle Gründungs- und Emissionsgeschäft, in den 1860er Jahren vornehmlich im Rahmen der Ablösung unerwünscht hoher kurzfristiger Kredite durch Anleihen, später gefolgt von der Begleitung neuer Unternehmen bei Börsengängen. Im Gründungsfieber der frühen 1870er Jahre ist die Bank dabei vorübergehend auf Aktienpaketen sitzengeblieben, die aus solchen Neuemissionen stammten. Über Adolph vom Rath, dem jüngeren Sozius, war Deichmann & Co. 1870 an der Gründung der Deutschen Bank beteiligt. Deichmann verstand sich als Bankier, nicht als Pfandleiher. An die Stelle hypothekarischer Sicherheiten setzte er persönliches Vertrauen in die Führung der von ihm mit Krediten versorgten Unternehmen. Außergewöhnlich waren seine Freundschaft zu Alfred Krupp und die Höhe des finanziellen Engagements bei der Finanzierung des stark wachsenden Essener Unternehmens. Für Krupp hatte die Bewahrung der Eigenständigkeit Priorität; Finanzierungsfragen standen für ihn nicht im Zentrum unternehmerischer Tätigkeit.
Der bewusste Verzicht auf die breitere Kapitalbasis einer Aktiengesellschaft erforderte manch gewagte Kreditaufnahme. Zeitweise betrug Deichmanns Anteil am kurzfristigen Bankkredit Krupps 35 Prozent. Ein Scheitern des Expansionskurses hätte das Kölner Bankhaus in die Tiefe gerissen, doch zahlte sich der Glaube des Bankiers an die unternehmerische Weitsicht des Freundes aus. Nach Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges (1870) half der Industrielle sogar mittels hoher Einlagen dem Bankhaus aus einer Liquiditätsklemme.
Im privaten Bereich manifestierte sich der Aufstieg des Beamtensohnes ins rheinische Wirtschaftsbürgertum durch den Erwerb eines repräsentativen Landguts im Jahre 1836. In herrlicher Aussichtslage dem Siebengebirge gegenüber wurde die (auf Lannesdorfer Gebiet gelegene) “Mehlemer Aue” zum Mittelpunkt der wachsenden Familie. Der Hausherr fuhr mit der vierspännigen Kutsche nach Köln; nach dem Bau der linksrheinischen Strecke soll er seinen Einfluss auf die Rheinische Eisenbahngesellschaft genutzt haben, um einen Haltepunkt in der Nähe seines Wohnsitzes einrichten zu lassen. Die schlechten Verkehrsverhältnisse hielten die zahlreichen prominenten Besucher nicht ab: Per Kutsche, Boot oder Schiff kamen Komponisten (zum Beispiel Johannes Brahms), Maler, Dichter, Diplomaten und Professoren der Bonner Universität. Häufig waren Prinz Wilhelm von Preußen, der spätere Kaiser Wilhelm I. und Prinzessin Augusta, mit der Lilla Deichmann im Weimarer Mädchen-Pensionat Freundschaft geschlossen hatte, zu Gast. Wie viele Zeitgenossen aus dem liberalen rheinischen Wirtschaftsbürgertum setzte auch ihr Ehemann früh auf den preußischen Staat und seine Herrscherdynastie als Motor der deutschen Einheit. Dies dokumentiert auch seine Beteiligung an der Gründung der “Rheinischen Zeitung für Handel, Politik und Gewerbe” (15.12.1841).
Wilhelm Ludwig Deichmann starb am 23.11.1876 auf seinem Landsitz und wurde auf dem Kölner Melaten-Friedhof beerdigt. Sein Enkel Wilhelm Theodor (1864-1929) wurde 1908 in den erblichen Adelsstand erhoben. Er ließ kurz darauf das spätbarocke Wohnhaus zu einem schlossartigen Neubau umgestalten. Im Zweiten Weltkrieg von der Wehrmacht erworben wurde die Villa im Herbst 1949 hastig und mit viel kritisiertem Aufwand zum Dienstsitz für John J. McCloy (1895-1989), dem ersten amerikanischen Hochkommissar, hergerichtet. In unmittelbarer Nachbarschaft entstand 1951 ein großer Bürokomplex zur Aufnahme der personalstarken Besatzungsverwaltung, ab 1955 der Botschaft der Vereinigten Staaten in der Bundesrepublik Deutschland. In das Schlösschen und seine Nebengebäude zog 1954 das Wohnungsbauministerium.
Literatur
Eyll, Klara van, Wirtschaftsgeschichte Kölns vom Beginn der preußischen Zeit bis zur Reichsgründung, in: Kellenbenz, Hermann (Hg.), Zwei Jahrtausende Kölner Wirtschaft, Band 2, Köln 1975, S. 163-266.
Henning, Friedrich Wilhelm (Hg.), Kölner Unternehmer und die Frühindustrialisierung im Rheinland und in Westfalen (1835-1871), Köln 1984.
Kleinpass, Hans, Die Straßennamen der Gemarkung Lannesdorf, in: Godesberger Heimatblätter 13 (1975), S. 102-136; 15 (1977), S. 5-39.
Krüger, Alfred, Das Kölner Bankiergewerbe vom Ende des 18. Jahrhunderts bis 1875, Essen 1925.
Lindenlaub, Jürgen, Die Finanzierung des Aufstiegs von Krupp. Die Personengesellschaft Krupp im Vergleich mit den Kapitalgesellschaften Bochumer Verein, Hoerder Verein und Phoenix 1850 bis 1880, Essen 2006.
Pohl, Manfred, Die Entwicklung des deutschen Bankwesens zwischen 1848 und 1870, in: Pohl, Hans (Hg), Deutsche Bankgeschichte, Band 2, Frankfurt 1982, S. 141-220.
Trotha, Thilo von, Chronik des Schlosses Deichmanns Aue, Bonn 1996.
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Vogt, Helmut, Wilhelm Ludwig Deichmann, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/wilhelm-ludwig-deichmann-/DE-2086/lido/57c690ea821266.21153236 (abgerufen am 03.10.2024)