Willi Eichler

Journalist und Politiker, Vater des Godesberger Programms der SPD (1896-1971)

Christian Krell (Brühl)

Willi Eichler als Journalist in Göttingen, Porträtfoto, 1929. (AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung)

Nur we­ni­gen Ein­ge­weih­ten in der SPD ist Wil­li Eich­ler heu­te noch ein Be­griff. Da­bei war er ei­ner der wich­tigs­ten Vor­den­ker der SPD in der Nach­kriegs­zeit und hat ent­schei­dend zur Pro­gram­ma­tik der Par­tei bei­ge­tra­gen. Die Wahl­sie­ge Wil­ly Brandts (1913-1992, Bun­des­kanz­ler 1969-1974) wä­ren oh­ne ihn kaum denk­bar ge­we­sen. Rhein­län­der wur­de er eher durch Zu­fall, ver­brach­te dann aber sei­ne zwei­te Le­bens­hälf­te in Köln un­d Bonn.

Ge­bo­ren wur­de Wil­li Eich­ler am 7.1.1896 als Sohn ei­nes Post­be­am­ten in Ber­lin, wo er auch auf­wuchs. Die ein­fa­chen Le­bens­um­stän­de der Fa­mi­lie führ­ten da­zu, dass er schon wäh­rend der Schul­zeit ar­bei­te­te; nach der Volks­schu­le be­such­te er die Han­dels­schu­le und durch­lief ei­ne kauf­män­ni­sche Leh­re in ei­nem Be­klei­dungs­ge­schäft.

Es war ein Leh­rer, der Eich­ler mit den Ide­en des Göt­tin­ger Phi­lo­so­phen Leo­nard Nel­son (1882-1927) be­kannt mach­te, mit dem Eich­lers Le­ben und Werk un­trenn­bar ver­bun­den sein soll­te. Die von Nel­son kul­ti­vier­te Vor­stel­lung, dass je­der durch ver­nunf­tori­en­tier­tes und lo­gi­sches Den­ken die Prin­zi­pi­en ei­nes fried­li­chen und ge­rech­ten Zu­sam­men­le­bens er­ken­nen kön­ne, be­saß zeit­le­bens ab­so­lu­te Über­zeu­gungs­kraft für Eich­ler.

Die Er­fah­run­gen des Ers­ten Welt­kriegs – Eich­ler war ab 1915 als Sol­dat in Russ­land und Frank­reich ein­ge­setzt – mach­ten sei­ne Su­che nach Prin­zi­pi­en für ein fried­li­ches Mit­ein­an­der um­so drin­gen­der und führ­ten ihn noch stär­ker an Nel­son her­an. 1921 kam es zu ei­ner ers­ten Be­geg­nung mit ihm, 1924 wur­de Eich­ler sein Pri­vat­se­kre­tär. Da­mit war er im Zen­trum ei­ner klei­nen, aber lang­fris­tig wirk­mäch­ti­gen Or­ga­ni­sa­ti­on tä­tig. Der In­ter­na­tio­na­le Ju­gend­bund (IJB, spä­ter der In­ter­na­tio­na­le So­zia­lis­ti­sche Kampf­bund, ISK) war ei­ne von Nel­son in­iti­ier­te, straff hier­ar­chisch or­ga­ni­sier­te po­li­ti­sche Grup­pe, in der nicht nur die ethi­schen Grund­la­gen ei­ner an glei­cher Frei­heit ori­en­tier­ten Ge­sell­schaft in den Blick ge­nom­men wur­den, son­dern in der auch jun­ge Men­schen aus­ge­bil­det wur­den, die mit die­sen Ide­en ernst mach­ten und sie in Ge­sell­schaft und Po­li­tik, vor al­lem in die Or­ga­ni­sa­tio­nen der Ar­bei­ter­be­we­gung, tru­gen. Eich­ler sprach zu Recht von ei­nem „Or­den“, denn gleich ei­ner Or­dens­ge­mein­schaft for­der­te der IJB/ISK ab­so­lu­ten Ein­satz für die ge­mein­sa­me Sa­che. In den 1920er Jah­ren wur­de Eich­ler erst­mals auch Mit­glied der SPD.

Willi Eichler während der französichen Emigration, Porträtfoto, 1936. (AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung)

 

Nach Nel­sons Tod 1927 wur­de Eich­ler der Lei­ter des ISK. Sei­ne be­mer­kens­wer­ten jour­na­lis­ti­schen Fä­hig­kei­ten und sein enor­mes Ar­beits­pen­sum rich­te­ten sich in den fol­gen­den Jah­ren zu­neh­mend auf die Be­kämp­fung des Na­tio­nal­so­zia­lis­mus. In zahl­rei­chen Ar­ti­keln setz­te sich Eich­ler kri­tisch mit den Po­si­tio­nen der SPD und ih­rem – aus Eich­lers Sicht nicht aus­rei­chen­den – Wi­der­stand ge­gen die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten aus­ein­an­der. Die Ta­ges­zei­tung „Der Fun­ke“, die der ISK ab 1932 her­aus­gab, sprach sich auch für ein stär­ke­res Zu­sam­men­ge­hen von SPD und KPD im Kampf ge­gen die Na­tio­nal­so­zia­lis­ten aus.

Nach der Macht­über­nah­me der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten ging Eich­ler 1933 zu­nächst ins fran­zö­si­sche Exil. Auch von Pa­ris aus ver­such­te er, pu­bli­zis­tisch den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus zu be­kämp­fen und die be­mer­kens­wer­ten Wi­der­stands­ak­ti­vi­tä­ten des ISK in Deutsch­land zu ko­or­di­nie­ren. Im Lon­do­ner Exil ab 1939 lern­te Eich­ler Su­san­ne Mil­ler (1915-2008) ken­nen, mit der ihn bis an sein Le­bens­en­de ei­ne en­ge Le­bens- und Ar­beits­ge­mein­schaft ver­band. In Lon­don traf er auf Exi­lan­ten an­de­rer so­zia­lis­ti­scher Split­ter­grup­pen, aber auch der SPD wie Erich Ol­len­hau­er (1901-1963), Hans Vo­gel (1881-1945) oder Fritz Hei­ne (1904-2002)

In die­sem Um­feld wur­den in zwei­fa­cher Hin­sicht Ent­wick­lun­gen ein­ge­lei­tet, die für die Nach­kriegs­ge­schich­te der SPD be­deut­sam wur­den. Ers­tens kam es mit dem Zu­sam­men­schluss von ISK, SPD und an­de­ren Grup­pie­run­gen zur „Uni­on deut­scher so­zia­lis­ti­scher Or­ga­ni­sa­tio­nen in Groß­bri­tan­ni­en“ 1941 zu ei­ner or­ga­ni­sa­to­ri­schen An­nä­he­rung lin­ker po­li­ti­scher Ver­ei­ni­gun­gen, die ei­ne Vor­aus­set­zung für die spä­te­re Volks­par­tei­wer­dung der SPD war. Zwei­tens wur­den zahl­rei­che ide­el­le Grund­la­gen der Nach­kriegs-SPD im Exil ent­wi­ckelt, et­wa in der von der „Uni­on“ ver­öf­fent­lich­ten Schrift „Zur Po­li­tik deut­scher So­zia­lis­ten“. Vor dem Hin­ter­grund die­ser wach­sen­den Nä­he zur SPD war es nicht über­ra­schend, dass Eich­ler 1945 die Tei­le des ISK, die den Na­tio­nal­so­zia­lis­mus über­stan­den hat­ten, in die SPD ein­glie­der­te und den ISK als ei­gen­stän­di­ge Or­ga­ni­sa­ti­on auf­lös­te. Gro­ße Her­aus­for­de­run­gen – so Eich­lers Über­zeu­gung – be­dürf­ten auch gro­ßer po­li­ti­scher und ge­sell­schaft­li­cher Bünd­nis­se (Har­der).

Bad Godesberger Parteitag der SPD, Panorama, 13.-15.11.1959. (J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung)

 

Mit der Rück­kehr nach Deutsch­land 1946 setz­te Eich­lers Zeit im Rhein­land ein. Die An­fän­ge in Köln wa­ren be­schei­den: Eich­lers ers­te Woh­nung in Klet­ten­berg hat­te zu­nächst kei­ne Ver­gla­sung. Er über­nahm – sei­nen jour­na­lis­ti­schen Fä­hig­kei­ten ent­spre­chend - die Lei­tung der „Rhei­ni­schen Zei­tun­g“ und stand da­mit in mit­tel­ba­rer Nach­fol­ge von Karl Marx. Dar­über hin­aus war es sei­ne Auf­ga­be, die Par­tei im Rhein­land wie­der auf­zu­bau­en. Von 1946 bis 1948 ge­hör­te er dem Nord­rhein-West­fä­li­schen Land­tag an, von 1949 bis 1953 dem ers­ten Deut­schen Bun­des­tag. 1947-1953 war er Vor­sit­zen­der des SPD-Be­zirks Mit­tel­rhein.

Er wur­de Mit­glied im Par­tei­vor­stand der SPD, erst als Re­prä­sen­tant der ISK-An­hän­ger; ab 1954 war er ver­ant­wort­lich für die Vor­be­rei­tung ei­nes neu­en Grund­satz­pro­gramms. Mit die­ser neu­en Stel­le zog Eich­ler in den Bon­ner Stadt­teil Kes­se­nich, wo er bis zu sei­nem Tod wohn­te.

Schon 1946 hat­te Eich­ler die Klä­rung von zen­tra­len pro­gram­ma­ti­schen Be­grif­fen ge­for­dert. Neue ge­sell­schaft­li­che Si­tua­tio­nen er­for­der­ten neue Ord­nungs­vor­stel­lun­gen. Kurt Schu­ma­cher(1895-1952), die un­um­strit­te­ne Füh­rungs­fi­gur der SPD, sprach sich al­ler­dings ge­gen ei­ne um­fas­sen­de Pro­gramm­dis­kus­si­on aus. Nach­dem ei­ne Wahl­nie­der­la­ge auf die an­de­re folg­te, wur­de die Not­wen­dig­keit ei­ner weit­rei­chen­den or­ga­ni­sa­to­ri­schen und in­halt­li­chen Neu­aus­rich­tung im­mer deut­li­cher.

Wil­li Eich­ler wur­de 1954 von Erich Ol­len­hau­er die Ver­ant­wor­tung für die Vor­be­rei­tung der pro­gram­ma­ti­schen Er­neue­rung der Par­tei über­tra­gen. Die von ihm ge­lei­te­te „Kom­mis­si­on zur Wei­ter­füh­rung der Par­tei­dis­kus­si­on“ war plu­ral be­setzt. Ne­ben an­de­ren Nel­so­nia­nern wie Ger­hard Weis­ser (1898-1989) wa­ren auch mar­xis­tisch ge­präg­te Theo­re­ti­ker wie Wolf­gang Abend­roth und Em­pi­ri­ker wie Ot­to Stam­mer (1900-1978) in der Kom­mis­si­on ver­tre­ten. Eich­ler selbst war kei­nem Par­tei­flü­gel ein­deu­tig zu­zu­ord­nen. Was bei Ab­stim­mun­gen auf Par­tei­ta­gen nach­tei­lig wir­ken konn­te, er­wies sich in den Pro­gramm­dis­kus­sio­nen als Vor­teil.

Mit dem auf ei­nem au­ßer­or­dent­li­chen Par­tei­tag am 15.11.1959 in der Go­des­ber­ger Stadt­hal­le mit gro­ßer Mehr­heit ver­ab­schie­de­ten Pro­gramm war in viel­fa­cher Hin­sicht ein Mei­len­stein ge­lun­gen. Die mar­xis­ti­sche in­spi­rier­te Ge­schichts­m­e­ta­phy­sik, die noch das Hei­del­ber­ger Pro­gramm der SPD von 1925 ge­prägt hat­te, wur­de auf­ge­ge­ben. Nicht mehr ei­ne na­tur­not­wen­di­ge Ent­wick­lung wer­de zwangs­läu­fig zum Zu­sam­men­bruch des Ka­pi­ta­lis­mus und da­mit zu ei­ner re­vo­lu­tio­nä­ren Ent­wick­lung füh­ren. Die Ver­wirk­li­chung des So­zia­lis­mus sei – so das neue Pro­gramm – ei­ne dau­ern­de Auf­ga­be, bei der es im­mer wie­der dar­auf an­kom­me, In­ter­es­sen fried­lich aus­zu­han­deln, mit dem Ziel ma­xi­ma­ler Frei­heit für al­le Mit­glie­der der Ge­sell­schaft glei­cher­ma­ßen. In die­sem Mo­tiv der glei­chen Frei­heit war das kant­sche Mo­ti­ve der Nel­so­nia­ner klar er­kenn­bar.

Ethi­sche Grund­la­ge des Pro­gramms bil­de­te die Ori­en­tie­rung an den drei Grund­wer­ten Frei­heit, Ge­rech­tig­keit und So­li­da­ri­tät. Sie wa­ren schon in den An­fän­gen der Ar­bei­ter­be­we­gung im 19. Jahr­hun­dert ge­gen­wär­tig, dann aber von der mar­xis­tisch ge­präg­ten Klas­sen­ana­ly­se über­la­gert. Mit dem wie­der stär­ke­ren Be­zug auf ethi­sche Prin­zi­pi­en war nicht nur für die in­ner­par­tei­li­che Wil­lens­bil­dung ein wich­ti­ges Si­gnal ge­setzt, son­dern auch für die Of­fen­heit der So­zi­al­de­mo­kra­tie nach au­ßen. Letzt­be­grün­dun­gen wie Welt­an­schau­un­gen oder Re­li­gio­nen zu dis­ku­tie­ren war aus Per­spek­ti­ve Eich­lers nicht wei­ter­füh­rend. Wer­te al­ler­dings könn­ten die ver­bin­den­de Grund­la­ge für ge­mein­sa­mes Han­deln sein, egal ob man sie aus re­li­giö­sen, aus phi­lo­so­phi­schen oder an­de­ren Mo­ti­ven ab­lei­tet.

Es ist kein Zu­fall, dass das Go­des­ber­ger Pro­gramm auch heu­te noch mit ei­ner kla­ren, kraft­vol­len und schö­nen Spra­che be­ein­druckt. Eich­ler, der selbst mit ei­nem be­acht­li­chen Sprach­ge­fühl aus­ge­stat­tet war, über­trug dem Jour­na­lis­ten Fritz Sän­ger (1901-1984) die Ver­ant­wor­tung für den sprach­li­chen „Fein­schlif­f“ des Do­ku­ments. 

Es wä­re al­ler­dings falsch, das Go­des­ber­ger Pro­gramm al­lein auf die Be­ra­tun­gen in der SPD nach 1945 zu­rück­zu­füh­ren. Mit dem Pro­gramm wur­den Dis­kus­si­ons­strän­ge auf­ge­grif­fen, die sich nicht nur zu den Dis­kus­sio­nen der Jung­so­zia­lis­ten in der Wei­ma­rer Re­pu­blik zu­rück­ver­fol­gen las­sen, son­dern auch von der Re­vi­sio­nis­mus­de­bat­te und dem Bern­stein­schen Im­puls zur Er­neue­rung der SPD-Pro­gram­ma­tik aus den An­fän­gen des 20. Jahr­hun­derts pro­fi­tie­ren.

Mit dem Go­des­ber­ger Pro­gramm ge­lang die ge­sell­schaft­li­che Öff­nung der SPD. Ex­em­pla­risch ist das Ver­hält­nis Kir­chen zu nen­nen. Von Wahl zu Wahl konn­te die SPD auf Grund­la­ge die­ses zeit­ge­mä­ßen Pro­gramms im­mer mehr Zu­stim­mung ge­win­nen und 1969 – zehn Jah­re nach der Ver­ab­schie­dung des Go­des­ber­ger Pro­gramms – mit Wil­ly Brandt den Bun­des­kanz­ler stel­len. 

Viel­leicht war es Wil­li Eich­lers ei­ge­ne Bio­gra­phie, die ihn für die be­son­de­re Be­deu­tung von Bil­dung sen­si­bi­li­sier­te. Als „schon zu sei­ner Zeit sel­ten ge­wor­de­ne(r) Fall ei­nes hoch­ge­bil­de­ten Au­to­di­dak­ten“ (Gre­bing) war ihm be­wusst, dass Bil­dung nicht nur für die in­di­vi­du­el­le Ent­fal­tung ei­ner ei­ge­nen Per­sön­lich­keit, son­dern auch für po­li­ti­sche Be­we­gun­gen ins­ge­samt ent­schei­dend ist. 

Be­son­de­re Be­deu­tung kam aus sei­ner Sicht ei­ner rich­tig ver­stan­den Er­wach­se­nen­bil­dung zu, die zum kri­ti­schen Den­ken be­fä­higt: „Er­wach­se­nen­bil­dung se­hen vie­le an als ei­ne Art von Nach­hil­fe­un­ter­richt für schlecht weg­ge­kom­me­ne Volks­schü­ler [...]. Aber Er­wach­se­nen­bil­dung ist mehr als Wis­sens- und Fer­tig­keits­ver­mitt­lung. Sie kann nur ge­leis­tet wer­den, wenn die ihr ge­wid­me­ten Hei­me und Schu­len Stät­ten der Be­geg­nung wer­den, die Ge­le­gen­heit ge­ben zu wirk­li­chen Ge­sprä­chen, in den Vor­ur­tei­le über­wun­den wer­den und die Mög­lich­keit er­öff­net wird, in Ar­beits- und Le­bens­ge­mein­schaf­ten wirk­li­che Selbst­ver­stän­di­gung und Ver­stän­di­gung mit an­de­ren zu er­le­ben […]“[1] 

Für sei­ne Ar­beit als pro­gram­ma­ti­scher Vor­den­ker hat er ei­nen um­fas­sen­den Dis­kus­si­ons­pro­zess in der ge­sam­ten Par­tei und dar­über hin­aus in­iti­iert. Er selbst war auf al­len Ebe­nen der Par­tei in hun­der­ten von Dis­kus­si­ons­ver­an­stal­tun­gen en­ga­giert und nahm sich da­für be­wusst Zeit. Au­ßer­dem schuf er Struk­tu­ren, die den of­fe­nen Dia­log nach­hal­tig er­mög­li­chen und be­för­dern soll­ten.

So soll­te die Ein­rich­tung ei­ner Heim­volks­hoch­schu­le der Fried­rich-Ebert-Stif­tung in Berg­neu­stadt (1956) den Weg nach Go­des­berg eben­so vor­be­rei­ten wie die Grün­dung ei­ner wert­ori­en­tier­ten, aber geis­tig of­fe­nen Zeit­schrift. „Die Neue Ge­sell­schaf­t“ (heu­te „Neue Ge­sell­schaft/Frank­fur­ter Hef­te) soll­te ab 1954 zwar von „Ge­nos­sen her­aus­ge­ge­ben, aber […] nicht das Sprach­rohr des Par­tei­vor­stand­s“ sein (Eich­ler auf SPD-Par­tei­tag Ju­li 1954). Ein De­bat­ten­ma­ga­zin soll­te ent­ste­hen, das die grund­sätz­li­chen Fra­gen zur So­zia­len De­mo­kra­tie stellt und in dem die bes­ten Ar­gu­men­te mit­ein­an­der ab­ge­wo­gen wer­den und nicht nur die, die dem Par­tei­vor­stand ge­nehm sind.

Als Ab­schluss sei­nes po­li­ti­schen Wir­kens über­nahm er fol­ge­rich­tig das Amt des haupt­amt­li­chen Vor­stands­mit­glieds der Fried­rich-Ebert-Stif­tung (1968-1971). Wil­li Eich­ler starb am 17.10.1971 in Bonn und wur­de dort auf dem Süd­fried­hof be­gra­ben. Die Trau­er­re­de hielt Wil­ly Brandt. 

Das von Eich­ler ge­präg­te und 1959 vor­ge­leg­te Grund­wer­te­ver­ständ­nis wur­de seit­dem mehr­fach wei­ter­ent­wi­ckelt und auf ver­än­der­te Zei­ten be­zo­gen. Grund­sätz­lich in Fra­ge ge­stellt wur­de es nie. Aber nicht nur die­ser Bei­trag zum pro­gram­ma­ti­schen Kern der SPD ist es, was von Eich­ler bleibt. Es ist auch die Me­tho­de sei­nes Den­kens und Han­delns, die von un­ge­bro­che­ner Ak­tua­li­tät ist. Geis­ti­ge Of­fen­heit und Be­reit­schaft zum ech­ten Dia­log bei gleich­zei­tig kla­rer Wert­ori­en­tie­rung sind ei­ne viel­ver­spre­chen­de Hal­tung in ei­nem Zeit­al­ter, in dem zu Recht um­fas­sen­de Par­ti­zi­pa­ti­on ein­ge­for­dert und ver­bin­den­de Wer­te in ei­ner aus­ein­an­der­stre­ben­den Ge­sell­schaft im­mer nö­ti­ger wer­den.

1977 wur­de in Köln das Wil­li-Eich­ler-Bil­dungs­werk (WEB) ge­grün­det, das 2015 mit dem Ver­ein für po­li­ti­sche Bil­dung und In­for­ma­ti­on e. V. (VPI Bonn) zur Wil­li-Eich­ler-Aka­de­mie e. V. fu­sio­nier­te. Dem Er­be Wil­li Eich­lers ver­pflich­tet, dient die Aka­de­mie der Wei­ter­bil­dung von Er­wach­se­nen mit dem vor­ran­gi­gen Ziel der po­li­ti­schen Bil­dung.

Werke

Ei­ne Ge­sam­te­di­ti­on des um­fang­rei­chen Werks von Wil­li Eich­ler liegt nicht vor. Aus­ge­wähl­te Pu­bli­ka­tio­nen fin­den sich in: Welt­an­schau­ung und Po­li­tik. Re­den und Auf­sät­ze, hg, von Ger­hard Weis­ser, Frank­furt a.M. 1967. Zur Ein­füh­rung in den de­mo­kra­ti­schen So­zia­lis­mus, hg. von Horst Hei­der­mann, Bonn 1972.
Wil­li Eich­lers Bei­trä­ge zum de­mo­kra­ti­schen So­zia­lis­mus. Ei­ne Aus­wahl aus dem Werk, hg.von Klaus Lom­pe/Lo­thar F. Neu­mann, Bonn 1979. [Dar­in ei­ne Aus­wahl-Bi­blio­gra­phie]. 

Literatur

Gre­bing, Hel­ga, Ge­schich­te des So­zia­lis­mus in Deutsch­land, in: Gre­bing, Hel­ga (Hg.), Die Ge­schich­te der so­zia­len Ide­en in Deutsch­land, Wies­ba­den 2005, S. 355-595.
Har­der, Er­nes­to, Vor­den­ker der „ethi­schen Re­vo­lu­ti­on“. Wil­li Eich­ler und das Go­des­ber­ger Pro­gramm der SPD, Bonn 2013.
Klär, Karl-Heinz (1982): Zwei Nel­son-Bün­de. In­ter­na­tio­na­ler Ju­gend­bund (IJB) und In­ter­na­tio­na­ler So­zia­lis­ti­scher Kampf­bund im Licht neu­er Quel­len. In: In­ter­na­tio­na­le Wis­sen­schaft­li­che Kor­re­spon­denz zur Ge­schich­te der deut­schen Ar­bei­ter­be­we­gung 18 (1982), S. 310-360.
Krell, Chris­ti­an, Wil­li Eich­ler, in: Krell, Chris­ti­an (Hg.), Vor­den­ke­rin­nen und Vor­den­ker der So­zia­len De­mo­kra­tie. 49 Por­träts, Bonn 2016, S. 98-104.
Krell, Chris­ti­an/Woy­ke, Meik (2015): Die Grund­wer­te der So­zi­al­de­mo­kra­tie. His­to­ri­sche Ur­sprün­ge und po­li­ti­sche Be­deu­tung, in Krell, Chris­ti­an/Mör­schel, To­bi­as (Hg.), Wer­te und Po­li­tik, Wies­ba­den 2015, S. 93-138.
Lem­ke-Mül­ler, Sa­bi­ne, Ethi­scher So­zia­lis­mus und So­zia­le De­mo­kra­tie. Der po­li­ti­sche Weg Wil­li Eich­lers vom ISK zur SPD, Bonn 1988.
Lind­ner, Hei­ner, „Um et­was zu er­rei­chen, muss man sich et­was vor­neh­men, von dem man glaubt, dass es un­mög­lich is­t“. Der In­ter­na­tio­na­le So­zia­lis­ti­sche Kampf­bund (ISK) und sei­ne Pu­bli­ka­tio­nen, Bonn 2006. 

Online

In­for­ma­tio­nen zu Wil­li Eich­ler auf der Sei­te der Fried­rich-Ebert-Stif­tung. [On­line]

Titelseite des SPD-Grundsatzprogramms (Godesberger Programm), 1959. (AdsD / Friedrich-Ebert-Stiftung)

 
Zitationshinweis

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Krell, Christian, Willi Eichler, in: Internetportal Rheinische Geschichte, abgerufen unter: https://rheinische-geschichte.lvr.de/Persoenlichkeiten/willi-eichler-/DE-2086/lido/5f5743c3c3ab28.46178626 (abgerufen am 29.03.2024)